Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Die Retraite.

               

Am Sonntag Abend auf dem Werder waren
    Zum lust'gen Walzer in dem Fischerkrug
    Die sechs Trompeter da von den Husaren.
Herüber von dem andern Ufer trug
    Sie noch das Eis, nun gab es Spiel und Tanz;
    Es waren zum Orchester fünf genug.
Der sechste hielt sich abgesondert, Franz.
    Er kos'te wohl mit seiner Braut verstohlen,
    Der Margarethe, der gehört er ganz.
»Wir haben uns're Sache Gott befohlen,
    Und hat der Frühling erst den Fluß befreit,
    So komm' ich nur, hinüber dich zu holen.« –
»O, Franz. und diese lange, bange Zeit!
    Wie soll ich, dich zu sehen, mich entwöhnen,
    Du bist mein Leben, meine Seligkeit.« –
»Du hörst mich, hörest die Trompete dröhnen,
    Sie wird dir meiner Liebe Botschaft bringen
    Bei der Retrait' in Nachhalls-Zittertönen.
Wenn diese letzten Töne zu dir dringen,
    Ich bin's, gedenke mein, dann weht von drüben
    Dir meine Seele zu auf ihren Schwingen.
Mag doch der Eisgang kurze Feindschaft üben,
    Der Frühling unsrer Liebe wird erwachen,
    Und keine Trennung fürder uns betrüben.« –
»Hört auf! wer mag noch lärmen hier und lachen!«
    Ein Fischer sprang herein und schrie das Wort:
    »Hört ihr denn draußen nicht des Eises Krachen!?
Ihr Herrn, die ihr hinüber müßt, macht fort;
    Stromauf! da hält sich's länger, bis es bricht,
    Dem Lichte zu am andern Ufer dort!«
»O, Franz, bleib hier!« – »Mein Lieb, ich darf es nicht.
    Nicht Urlaub hab' ich.« – »Meines Vaters Haus . . .«
    »Ich bin Soldat und kenne meine Pflicht.« –
»O, lieber Franz, in solchem nächt'gen Graus . . .!« –
    »Wir scheiden ja, mein Lieb, zum letztenmale;
    Laß ab! sei stark! die Andern sind voraus.«
Stromauf, schräg über, nach dem Lichtsignale,
    Sie schritten schnell und schweigsam durch die Nacht.
    Erhellt von keines Sternes bleichem Strahle;
In Nebeln, von dem Winde hergefacht,
    Schien ihnen oft das Lichtlein zu verschweben;
    Sie schritten zu, als ging' es in die Schlacht.
Sie fühlten unter sich das Eis erbeben,
    Und hörten's grausig donnernd sich zerspalten,
    Und sah'n es aufgerissen sich erheben.
Und wie des Abgrunds Stimmen rings erschallten,
    Beflügelten den Lauf sie landhinan,
    Erst jenseits auf dem festen Grund zu halten.
Und wie sie dort erreicht den Rettungsplan,
    Da zählten sie und zählten – »Gott und Vater,
    Wir sind nur fünf, es fehlt der sechste Mann!
Der fehlt, ist Franz; sie hielt ihn auf, was that er?
    Doch seht den Schatten dort! das muß er sein,
    Im windgefegten Schneegewölke naht er.
Franz! Franz! gieb Antwort! – keine Antwort! nein,
    Er ist es nicht. Das Schneegewölk zerfallen,
    Stumm, ebenmäßig, hüllt die Nacht uns ein.«
Und von dem Strome her, wo wirbelnd wallen
    Die Schollen, und einander sich zerschmettern,
    Hört laut man wohlbekannten Ton erschallen:
Der ehernen Trompete mutig Schmettern,
    Retrait'! ihm selbst Posaune des Gerichtes,
    Es ruft dem Tode, nicht den ird'schen Rettern.
Und stromabgleitend, fern und ferner bricht es,
    Und leis' und leiser, aus der Nacht hervor,
    Ein Hauch der Ahnung überird'schen Lichtes.
Dem Krug vorbei! da lauschet wohl ein Ohr!
    Und lang gezogen, leise zitternd schwingen
    Des Nachhalls letzte Töne sich empor. –
»Wenn diese letzten Töne zu dir dringen,
    Ich bin's, gedenke mein, dann weht von drüben
    Dir meine Seele zu auf ihren Schwingen.
Mag doch der Eisgang kurze Feindschaft üben,
    Der Frühling unserer Liebe wird erwachen,
    Und keine Trennung fürder uns betrüben.«
Und unterwärts erschallt mit Donners-Krachen
    Das Eis, daß Scholle sich auf Scholle ballt,
    Und dröhnend öffnet sich des Todes Rachen.
Es schweigt, die letzten Töne sind verhallt.

 


 


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