Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Chios.

1.
Der Dichter.

           

Auf! wach' auf! entsetzlich müssen
Fieberträume dich erschrecken,
Krampfhaft stöhnst du, – laß mit Küssen
Dich dein treues Weib erwecken.« –
Dank dir, Weib, verscheuchst die bangen
Träume, hegst mich traut umfangen,
Und noch starrt mein Haar empor;
Noch, wohin die Blicke schweifen,
Seh' ich blut'ge Leichen schleifen,
Schwebt der Greuel Bild mir vor.

Dieses BuchPonqueville's Geschichte der Wiedergeburt Griechenlands VI. Buch. – es ist vergebens!
Laß an deiner Brust mich weinen,
Nimmer wird die Lust des Lebens
Wieder lächelnd mir erscheinen.
Chios, blüh'nder Friedensgarten,
Weh'! du unterliegst dem harten,
Dem entmenschten Blutgericht;
Deine neunzigtausend Bürger
Sind erwürgt, es zürnt der Würger,
Daß an Opfern es gebricht.

Allah! ruft der Moslem, hauet
Greise nieder, Kinder, Frauen;
Christus! ruft der Raja, schauet
Himmelwärts mit Hochvertrauen;
Er begehrt die heil'ge Palme; –
Menschen mähet der, wie Halme,
Jauchzet auf, ob Allah's Sieg. –
Das ist zu des Himmels Rache,
Das ist für die heil'ge Sache
Völker- und Vernichtungskrieg!

Die dem Wüterich zu Willen
Christensklaven hier verladen,
Schnöden Goldes Durst zu stillen
Sich in Blut und Thränen baden,
Die nach Stambul blut'ge Glieder
Liefern der erschlag'nen Brüder –
Weh' mir! – sind – o Schand' und Spott!
Wagt mein Mund es auszusprechen? –
Franken sind es, und die Frechen
Nennen Christum ihren Gott.

Und die Pairs von Frankreich haben
Eines hohen Rats gepflogen.
Solcher Schandthat, solchen Knaben
Recht und Strafe zugewogen.
Du – Villele, sollst mir sagen,
Der den Rat zu unterschlagen
Du dich nicht entblödet hast:
Kennst du noch des Schlafes Mächte?
Nicht die Träume meiner Nächte
Tauscht' ich gegen deine Rast!


2.
Die Brüder.

»Als von Samos du uns brachtest,
Logothetes, die Empörung,
Unglücksel'ger, du bedachtest
Nicht die drohende Zerstörung,
Nicht Vehib und seine Rotte,
Ali nicht und seine Flotte,
Nicht der Asiaten Brut;
Du entfleuchst, – wir sind vernichtet;
Der gereizte Tiger richtet,
Sättigt sich in unserm Blut.«

Und er schreitet spähend, zagend,
Über Schutt und zwischen Leichen,
Gold und Edelsteine tragend,
In die Festung sich zu schleichen.
Ach, er kommt, um zu den Füßen
Des Vehib's den Staub zu küssen,
Kommt den Unmensch zu erfleh'n; –
Wird dem Glanz der Edelsteine,
Wird Vehib dem Goldesscheine
Unerbittlich widersteh'n?

»Du und Ali habt's beraten:
Alle Geißeln müssen sterben,
Keiner soll von den Primaten
Unsers Volkes Gnad' erwerben.
Nicht mit meinem Herrn zu rechten
Kam ich her; mit euren Knechten
Schaltet, wie ihr's rätlich glaubt;
Nimm hier deines Sklaven Gabe,
Nimm, Herr, seine ganze Habe,
Nimm sein dargebrachtes Haupt.

Ja mein Haupt: der Geißeln einer
Ist mein Bruder, nicht den Guten
Straf' am Leben, nimm statt seiner
Mich, und laß für ihn mich bluten.
Er ist Vater vieler Kinder;
Haupt um Haupt, es zählt nicht minder
Meines, als das teure Haupt.
Nimm hier deines Sklaven Gabe,
Nimm, Herr, meine ganze Habe,
Nimm mein dargebrachtes Haupt.«

Und es scheint, daß er sich freue,
An dem Glanze des Metalles:
»Gilt dir, Raja, Brudertreue
Überschwänglich mehr als Alles?
Willst den Tod für ihn erleiden?
Wohl, ich werde nicht euch scheiden. –
Schafft zur Stelle, den er meint!«
Wie sie sich umarmen wollen,
Winkt er; – Beider Häupter rollen,
Und der Tod hat sie vereint.


3.
Die Märtyrer.

Welche nicht gewohnte Klänge
Hallen von den Klüften wider?
Jubelruf' und Festgesänge:
»Heil dem Kreuz!« und Siegeslieder,
Und der Türke schaut verzaget
Nach den Bergen hin und fraget,
Ob der Halbmond unterliegt?
Ja, die Christusstreiter waren
Stark in harten Kampfs Gefahren,
Ja, es hat das Kreuz gesiegt.

Neun Tag' ist das Blut geflossen,
Der Barbaren wilde Horden,
Die sich rings ins Land ergossen,
Fangen Menschen ein und morden:
Herdenweise heimgetrieben,
Wie sie fest im Glauben blieben,
Sind dem Tode sie geweiht;
Wen'ge sparet man zu Sklaven,
Sie zu feilschen sind im Hafen
Fränk'sche Schiffe schon bereit.

Von den Bergen niederwallen
Sieht man einen neuen Haufen;
Diese sind, ach! abgefallen,
Sich vom Tode loszukaufen;
Türken, welche sie begleiten
Und voran dem Zuge reiten,
Triumphieren hoch entzückt;
Doch sie selbst mit dumpfem Schweigen
Und mit Schamerröten zeigen,
Wie die Schmach sie niederdrückt.

Wie zum Richtplatz sie gelangen
Und dem Tod ins Auge schauen,
Dort, wo ihre Brüder hangen,
Überwinden sie das Grauen;
Es erfaßt sie, und sie beben
Vor der Sünde nur, dem Leben,
Vor der Schande bitt'rer Not: –
»Heil dem Kreuze, wir sind Christen,
Wollen nicht das Leben fristen;
Gebt uns Märtyrern den Tod!«

Und der Pascha winkt im Grimme
Seinen Schergen, sie zu schlachten;
Laut erschallt von fester Stimme
Der Gesang der Christenschlachten;
Blut beginnt den Grund zu färben,
Und sie singen, und sie sterben,
Und des Kreuzes Hymne schallt,
Bis, erfüllt des Himmels Wille,
Schauerlich in Todesstille
Endlich der Gesang verhallt.


4.
Die Geretteten.

Vor der Wiege lieget blutig,
Jung und schön, der Mann erschlagen,
Hat die schweren Wunden mutig
Vorn auf seiner Brust getragen;
Auf der Wiege selber lieget,
Angeklammert, angeschmieget,
Regunglos das zarte Weib,
Und den Säugling, welcher weinet
Und der Brust bedürftig scheinet,
Deckt sie starr mit ihrem Leib.

Jourdain, der mit zweien Booten
Kam, die Küste zu erspähen,
Und den letzten der Chioten
Rettung bringend, beizustehen,
Jourdain sieht das Bild mit Schaudern,
Sucht die Mutter ohne Zaudern
Zu erwecken – kalt und tot!
Zitternd nimmt er in die Arme
Nun das Kind, es trieft das arme
Von der Mutter Blut so rot.

Schüsse, die er höret, ziehen
Ins Gebirg' ihn; mit Barbaren
Kämpft ein Grieche; jene fliehen,
Und, befreiet von Gefahren,
Zeigt ihm dieser eine bleiche
Junge Frau, die auf die Leiche
Des durchbohrten Säuglings weint;
Trost will dieser Schmerzenreichen
Hochergraut ein Priester reichen,
Und er weint mit ihr vereint.

In den Schoß des jungen Weibes
Legt den Findling Jourdain nieder:
»Nahm das Kind dir deines Leibes
Gott, er schenket eins dir wieder;
Nennen sollst du's: Gottesgabe.
Aber auf! und folgt; ich habe
Boote dort bereit zur Fahrt.«
Wie die Gatten folgend danken,
Redet zu dem edeln Franken
So der Priester hochbejahrt:

»Zeuch mit Gott, der her dich sandte,
Und er leuchte deinen Wegen;
Der in dir zu uns sich wandte,
Spendet auch durch mich den Segen.
Schau auf diese meine Haare,
Die gebleichet achtzig Jahre,
Nicht der Lust gehör' ich an;
Es geziemt mir hier zu wandeln,
An den Brüdern so zu handeln,
Wie du, Fremder, hast gethan.«


5.
Die Leichen.

Da, wo Chios einst gewesen,
Herrschet Stille sondergleichen;
Auf der Trümmerstatt verwesen
Zwanzigtausend Christen-Leichen;
Andre füllen Strand und Hafen;
Keine Raja, keine Sklaven
Fröhnen mehr am öden Ort;
Es beginnt die Pest zu wüten,
Und, die Seuche zu verhüten,
Zog der Türke weiter fort.

Ausgespannt die dunkeln Flügel
Deckt die Nacht die stummen Trümmer;
Doch wer geht, wer gräbt am Hügel
Einsam bei der Lampe Schimmer?
Ach! es ist der Gottesdiener,
Ist der fromme Kapuziner,
Der aus Frankreichs Konsulat;
Armer Greis! ins Grab sie betten
Muß er, die er jüngst von Ketten
Und vom Schwert errettet hat.

Das Gekreisch, was hat's zu schaffen,
Angstvoll auf dem Meer erhoben?
»Zu den Waffen! zu den Waffen!
Allah, sollen wir dich loben?
Schwarzer Ali, du sollst wachen!«
Donnerndes Geschützes Krachen
Weckt den fernen Widerhall; –
»Zu den Waffen! Feinde kommen,
Rajas kommen hergeschwommen,
Wagen einen Überfall!«

Und aus finstrer Wolkenschichte
Bricht hervor des Mondes Scheibe;
Schaudernd seh'n sie bei dem Lichte,
Daß der Landwind Leichen treibe,
Leichen in gedrängten Scharen,
Raja-Leichen, die da waren
Ali's grauses Siegesmal?
Angespült wie von Gedanken,
Legen sie sich um die Flanken
Seines Schiffes sonder Zahl.

Bischof Platon, dort, der greise,
Scheinet starr ihn anzuschauen,
Und es wird sein Blut zu Eise,
Es erfasset ihn ein Grauen;
Will sich diesem Graus entziehen,
Will vor seinen Toten fliehen –
Schwarzer Ali, nur gemach!
Sieh', in deines Kieles Gleise
Zieh'n sie wunderbarer Weise
Ihrem Mörder drohend nach.


6.
Kanaris.

Mondlos ist die Nacht; im Dunkeln
Sieht man fernher von den Masten
Ali's farb'ge Lichter funkeln;
Schwelgend feiert er die Fasten,
Hat auch für ein Fest zu sorgen,
Dem Propheten weiht er morgen
Kinder, die er jüngst geraubt;
Und die fränk'schen Schiffe brachten
Ihm Trophä'n von Kreta's Schlachten,
Ihm Baleste's blut'ges Haupt.

Siegsmusik und Hohn dem Armen!
Schwelge, schwelge noch Sekunden!
Hält dich fest in Flammenarmen
Doch dein Schicksal schon umwunden.
»Heil dem Kreuze!« – »Feuer! Feuer!«
Held Kanaris, Ungeheuer,
Leitete den Brander gut;
Deine Zeit ist um, die Flammen
Schlagen über dir zusammen,
Unter dir ergrimmt die Flut.

Unter gräßlichem Geheule
Stürzen krachend Mast und Raaen,
Wirbelnd steigt die Feuersäule,
Keine Hilfe wagt zu nahen;
Sonder Führung und Gebote
Überfüllen sich die Boote,
Sie verschlingt des Meeres Schoß;
Glut erfaßt nach kurzem Jammer
Endlich auch die Pulverkammer, –
Ali, du erfüllst dein Los.

Schweigsam steuert – angegriffen,
Wird sein Boot er selber sprengen –
Held Kanaris zwischen Schiffen,
Die in blinder Flucht sich drängen;
Keines mag um ihn sich kümmern –
Steuert zwischen Schiffestrümmern,
Bis er freier um sich schaut:
»Heil dem Kreuz!« vor Psara's Strande,
Vor dem teuren Vaterlande,
Flaggt er, als der Morgen graut.

»Seht die Flaggen! Heil dem Sieger!
Heil dem Rächer! ihm zum Lohne,
Der erlegt den grimmen Tiger,
Lorbeer, winde dich zur Krone!«
Und, sein Steuerruder tragend,
Landet, schreitet er entsagend
Durch die Haufen, stumm und taub,
Barhaupt, barfuß zur Kapelle,
Und er wirft auf heil'ger Schwelle
Vor dem Kreuz sich in den Staub.

 


 


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