Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Thränen.

1

         

Was ist's, o Vater, was ich verbrach?
Du brichst mir das Herz, und fragst nicht darnach.

Ich hab' ihm entsagt, nach deinem Befehl,
Doch nicht ihn vergessen, ich hab' es nicht Hehl.

Noch lebt er in mir, ich selbst bin tot,
Und über mich schaltet dein strenges Gebot.

Wann Herz und Wille gebrochen sind,
Bittet um eins noch dein armes Kind.

Wann bald mein müdes Auge sich schließt,
Und Thränen vielleicht das deine vergießt;

An der Kirchwand dort, beim Hollunderstrauch,
Wo die Mutter liegt, da lege mich auch.

2

   

Ich habe, bevor der Morgen
    Im Osten noch gegraut,
Am Fenster zitternd geharret
    Und dort hinaus geschaut.

Und in der Mittagsstunde,
    Da hab' ich bitter geweint,
Und habe doch im Herzen:
    Er kommt wohl noch, gemeint.

Die Nacht, die Nacht ist kommen,
    Vor der ich mich gescheut;
Nun ist der Tag verloren,
    Auf den ich mich gefreut.

3

     

Nicht der Tau und nicht der Regen
Dringen, Mutter, in dein Grab,
            Thränen sind es,
Thränen deines armen Kindes
Rinnen heiß zu dir hinab.

Und ich grabe, grabe, grabe;
Von den Nägeln springt das Blut,
            Ach! mit Schmerzen,
Mit zeriss'nem blut'gem Herzen
Bring' ich dir hinab mein Gut.

Meinen Ring, sollst mir ihn wahren,
Gute Mutter, liebevoll:
            Ach! sie sagen,
Daß ich einen andern tragen,
Weg den meinen werfen soll.

Ring, mein Ring, du teures Kleinod!
Muß es denn geschieden sein?
            Ach! ich werde
Bald dich suchen in der Erde,
Und du wirst dann wieder mein.

4

       

Denke, denke, mein Geliebter,
Meiner alten Lieb' und Treue,
Denke, wie aus freud'gem Herzen,
Sonder Harm und sonder Reue
Frei das Wort ich dir gegeben,
Dich zu lieben, dir zu leben –
    Suche dir ein and'res Lieb!

Ach! er kam, besah die Felder
Und das Haus, der Mutter Erbe,
Sprach und feilschte mit dem Vater,
Der befahl gestreng und herbe. –
Eitel war das Wort gesprochen,
Herz und Treue sind gebrochen –
    Suche dir ein and'res Lieb!

Und der Priester mit dem Munde
Sprach den Segen unverdrossen,
Unerhöret, einem Bunde,
Der im Himmel nicht geschlossen. –
Zieh' von hinnen! zieh' von hinnen!
And'res Glück dir zu gewinnen,
    Suche dir ein and'res Lieb!

5

     

Die, deren Schoß geboren,
In Wonn' und Lust verloren,
Ihr Kind in Armen hält,
Sie giebt dir Preis und Ehren
Und weint des Dankes Zähren
Dir, Vater aller Welt.

Und, welcher du verneinet
Des Leibes Segen, weinet
Und grämt und härmet sich,
Sie hebt zu dir die Arme
Und betet: ach! erbarme,
Erbarme meiner dich!

Ich Ärmste nur von allen,
In Schuld und Schmach gefallen,
Bin elend grenzenlos;
Ich bete: – weh' mir! – mache,
Aus Mitleid oder Rache,
Uufruchtbar meinen Schoß.

6

       

Ich hab' ihn im Schlafe zu sehen gemeint,
Noch sträubt vor Entsetzen mein Haar sich empor,
O, hätt' ich doch schlaflos die Nacht durchweint,
            Wie manche der Nächte zuvor.

Ich sah' ihn verstört, zerrissen und bleich,
Wie er in den Sand zu schreiben schien,
Er schrieb uns're Namen, ich kannt' es gleich,
            Da hab' ich wohl laut geschrie'n.

Er fuhr zusammen vom Schrei erschreckt,
Und blickte mich an, verstummt wie das Grab,
Ich hielt ihm die Arme entgegen gestreckt,
            Und er – er wandte sich ab.

7

     

Wie so bleich ich geworden bin?
        Was willst du fragen?
Freue, freue dich immerhin,
        Ich will nicht klagen.

Hast das Haus und die Felder auch,
        Und hast den Garten,
Laß mich unterm Hollunderstrauch
        Den Platz erwarten.

Tief das Plätzchen und lang und breit
        Nur wen'ge Schuhe,
Leg' ich dort mich zu guter Zeit
        Und halte Ruhe.

 


 


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