Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Der Geist der Mutter.

           

Die Muse führt euch in das Schloß des Grafen;
    Sie hat den alten Wappenschild am Thor
    Verhangen, und es soll sein Name schlafen.
Seht dort ihn selbst, der bleich und hager vor
    Dem Pergamente zähneknirschend lacht
    Und zitternd, wie es rauschet, fährt empor.
Schaut nicht hinab in seines Busens Nacht,
    Fragt nicht nach seinem Unmut, seinem Groll,
    Und nicht, was vor ihm selbst ihn schaudern macht.
Blickt ab von ihm; seht schweigsam, ahnungsvoll
    Die Dienerschaft den einz'gen Sohn erwarten,
    Dem jetzt der Mutter Erbe werden soll.
Er ward in Schul' und Welt und Krieg vom harten
    Geschick verstoßen, seit die Augen schloß,
    Die liebend pflegte seiner Kindheit Garten.
Nun kehrt er heim in seines Vaters Schloß;
    Er wieget sich in zaubervollen Träumen
    Und spornt vor Ungeduld sein feurig Roß.
Und dort beginnt inmitten grünen Räumen
    Das Dorf mit roten Dächern zu erscheinen,
    Die Kirche dort, und unter jenen Bäumen . . . !
Er hat den Baum gepflanzt, der jetzt mit seinen
    Weitausgespannten Ästen schirmt das Grab
    Der Mutter, wo er beten muß und weinen:
Vernimm du mich, die mir das Leben gab,
    Du, deren Bild ich stets in mir getragen;
    Nicht wende jetzt die Augen von mir ab.
Der fremdgewordnen Heimat werd' ich klagen,
    Daß meine Träume noch mir Träume sind;
    Du sollst um mich die Geisterarme schlagen. –
Und nun zu Roß! zum Schloß hinan geschwind.
    Der Bach, – die Felsenwand, – die alten Föhren,
    Ihr dunkles Haupt bewegt der Abendwind;
Sie scheinen seines Herzens Gruß zu hören
    Und zu erwidern; Fremde sind allein
    Die Menschen, die die Täuschung ihm zerstören.
Und hier, um diesen Felsen muß es sein, –
    Es wendet sich der Weg, und vor ihm prangen
    Des Schlosses Zinnen rot im Abendschein;
Da rollen Thränen über seine Wangen;
    Er stürmt den Hof hinan, und Diener kommen
    Neugierig fremd herbei, ihn zu empfangen.
Nach seinem Vater fragt er, sucht ihn frommen
    Und liebedurst'gen Blickes; hat er, ach!
    Von seines Sohnes Heimkehr nichts vernommen?
Dem Jäger folgt er durch die Halle nach;
    Der trägt Gepäck und Mantel und Pistolen
    Und führt ihn ein ins innere Gemach.
Da tritt vor ihn ein Mann mit stieren, hohlen,
    Entsternten Augen, dessen düst're Falten
    Die Schatten seines Innern wiederholen.
Der spricht: die Kunde hab' ich schon erhalten;
    Ihr kommt, der Mutter Erbe zu begehren,
    Ich kann euch nicht das eure vorenthalten.
Da kann er sich des Schauderns nicht erwehren,
    Es sinken schlaff die ausgestreckten Arme,
    Und stumm und starr verschluckt er seine Zähren.
An dieses Herz doch schlagen muß der Arme,
    Nicht dringt hinein die Stimme der Natur,
    Da schweigt er überwältigt von dem Harme.
Er stammelt: Schlaf! da winkt der Alte nur,
    Er folgt dem Jäger bei der Kerze Schimmer
    Zum andern Flügel über Gang und Flur.
Da öffnet sich vor ihm, er sieht es immer,
    Er hat es mit dem Herzen schon erkannt,
    Das von der Mutter sonst bewohnte Zimmer.
Da steht nun der Verwaiste wie gebannt,
    Betrachtet sinnend die gemalten Wände,
    Von bitt'rer Lust und Schmerzen übermannt.
Sie lag auf diesem Lager, als die Hände
    Sie segnend legte auf sein lockig Haupt;
    Dann sank sie hin, ihr Leben war zu Ende.
Hier ward er seines Teuersten beraubt,
    Hier hat der Ernst des Lebens ihn erfaßt
    Und seiner Kindheit üpp'ges Reis entlaubt.
Und jetzt! – So steht er eine lange Rast,
    Von Garnen der Erinnerung umstellt,
    Das Herz zermalmt von namenloser Last.
Und endlich nieder auf das Lager fällt
    Er weinend, schluchzend, schmerzenüberwunden,
    Den Schlaf nicht suchend, der sich ferne hält.
Der Schloßuhr eh'rne Zunge zählt die Stunden,
    Es schließt die Nacht sich zu, das Licht verglimmt,
    In grauser Stille bluten seine Wunden.
Da mahnt ihn ein Geräusch, das er vernimmt,
    Daß drüben bei dem Vater er gelassen
    Die Waffen, die zu seinem Schutz bestimmt.
Und ringsher spähend sieht er einen blassen,
    Unsichern Schimmer durch das Zimmer wehen;
    Es reizt ihn, den ins Auge scharf zu fassen.
Er höret draußen leisen Schrittes gehen;
    Er siehet jenen Schimmer sich gestalten
    Und siehet seine Mutter vor sich stehen.
Sie winkt ihm, regungslos sich zu verhalten,
    Sie hebt die Augen schmerzenreich empor,
    Sie scheinet über ihn die Wacht zu halten.
Es rauscht, die Thür geht auf, – sie tritt davor –,
    Ein lauter, angsterpreßter Schrei erschallt,
    Die Stimme seines Vaters traf sein Ohr;
Da wirft man Schweres klirrend hin, es hallt
    Der Gang von flücht'gen Schritten, es verklingt, –
    Zerflossen ist in Nebel die Gestalt.
Er aber dort auf seinem Lager ringt
    Mit dem Entsetzen, bis mit hellem Scheine
    Der junge Tag in seine Augen dringt.
Er schaut umher; die Thür ist auf, und seine
    Pistolen liegen auf der Schwelle dort;
    Er fragt sich nicht, was er darüber meine.
Er schleicht hinaus sich leise, spricht kein Wort,
    Er sattelt, steigt zu Roß und drückt die Sporen;
    Erst ihrem Grabe zu, dann weiter fort. –
Es hat sich jede Spur von ihm verloren.

 


 


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