Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Vier Lieder von Béranger.

1.
Die Kartenlegerin.

       

Schlief die Mutter endlich ein
    Über ihre Hauspostille?
    Nadel, liege du nun stille:
    Nähen, immer nähen, – nein!
    Legen will ich mir die Karten.
    Ei, was hab' ich zu erwarten?
    Ei, was wird das Ende sein!

Trüget mich die Ahnung nicht,
    Zeigt sich Einer, den ich meine, –
    Schön! da kommt er ja, der Eine,
    Coeurbub kannte seine Pflicht. –
    Eine reiche Witwe? – wehe!
    Ja, er freit sie, ich vergehe!
    O verruchter Bösewicht!

Herzeleid und viel Verdruß, –
    Eine Schul' und enge Mauern, –
    Carreaukönig, der bedauern
    Und zuletzt mich trösten muß. –
    Ein Geschenk auf art'ge Weise –
    Er entführt mich – eine Reise –
    Geld und Lust im Überfluß.

Dieser Carreaukönig da
    Muß ein Fürst sein oder König,
    Und es fehlt daran nur wenig,
    Bin ich selber Fürstin ja. –
    Hier ein Feind, der mir zu schaden
    Sich bemüht bei seiner Gnaden,
    Und ein Blonder steht mir nah.

Ein Geheimnis kommt zu Tag,
    Und ich flüchte noch bei Zeiten, –
    Fahret wohl ihr Herrlichkeiten.
    O das war ein harter Schlag!
    Hin ist Einer, eine Menge
    Bilden um mich ein Gedränge,
    Daß ich kaum sie zählen mag.

Dieser hier in grauem Haar
    Ist ein Junker wohl vom Lande,
    Spröde halt' ich ihn am Bande
    Und ich führ' ihn zum Altar. –
    Nach Paris. – ein lustig Leben.
    Brummt der Mann, so lach' ich eben,
    Bleibt doch alles, wie es war. –

Kommt das grämliche Gesicht,
    Kommt die Alte da mit Keuchen,
    Lieb' und Lust mir zu verscheuchen,
    Eh' die Jugend mir gebricht? –
    Ach! die Mutter ist's, die aufwacht,
    Und den Mund zu schelten aufmacht. –
    Nein, die Karten lügen nicht!

2.
Die rote Hanne oder das Weib des Wilddiebes.

       

Den Säugling an der Brust, den zweiten
    Der Knaben auf dem Rücken, führt
Sie an der Hand den Erstgebornen,
    Der fast entkleidet, barfuß friert.
Den Vater haben sie gefangen,
    Er kühlt im Kerker seinen Mut;
Sei Gott du mit der roten Hanne!
    Der Wilddieb sitzt in sich'rer Hut.

Ich sah sie oft in bessern Tagen,
    Schulmeisters liebes Töchterlein;
Sie spann und sang und las und nähte,
    Ein herzig Kind, und schmuck und fein;
Beim Sonntagstanz im Kreis der Linden,
    Wie war sie froh und wohlgemut!
Sei Gott du mit der roten Hanne!
    Der Wilddieb sitzt in sich'rer Hut.

Ein junger, hübscher, reicher Pächter
    Versprach ihr einst ein bess'res Glück;
Ihr rotes Haar, das ward verspottet,
    Der reiche Freier trat zurück.
Es kamen andre, gingen wieder;
    Sie hatte ja kein Heiratsgut.
Sei Gott du mit der roten Hanne!
    Der Wilddieb sitzt in sich'rer Hut.

Ein Taugenichts war schnell entschlossen
    Ich nehme dich, blond oder rot;
Drei Büchsen hab' ich, weiß die Schliche,
    Der Förster macht mir keine Not;
Den Schwarzrock will ich auch bezahlen,
    Deß Sprüchlein uns zusammenthut;
Sei Gott du mit der roten Hanne!
    Der Wilddieb sitzt in sich'rer Hut.

Sie sprach nicht nein, mit sanfter Lockung
    Gebot Natur in ihrer Brust,
Und dreimal ward allein im Walde
    Sie Mutter unter bitt'rer Lust;
Die Kinder treiben und gedeihen,
    Ein blühend frisch gesundes Blut;
Sei Gott du mit der roten Hanne!
    Der Wilddieb sitzt in sich'rer Hut.

Des treuen Weibes nächt'gen Jammer
    Erhellet noch ein milder Schein;
Sie lächelt: ihre Kleinen werden
    Schwarzlockig wie der Vater sein;
Sie lächelt, ach! aus ihrem Lächeln
    Schöpft der Gefang'ne frischen Mut;
Sei Gott du mit der roten Hanne!
    Der Wilddieb sitzt in sich'rer Hut.

3.
Der Bettler.

       

Ich will in dieser Rinne sterben,
    Bin alt und siech genug dazu;
Sie mögen mich »betrunken« schelten,
    Mir recht! sie lassen mich in Ruh.
Die werfen mir noch ein'ge Groschen,
    Die wenden ab ihr Angesicht;
Ja, eilt nur, eilt zu euren Festen,
    Zum Sterben brauch' ich euch doch nicht.

Vor Alter muß ich also sterben,
    Man stirbt vor Hunger nicht zumal;
Ich hofft' in meinen alten Tagen
    Zuletzt noch auf ein Hospital;
So viel des Elends giebt's im Volke,
    Man kommt auch nirgends mehr hinein;
Die Straße war ja meine Wiege,
    Sie mag mein Sterbebett auch sein.

Lehrt mich ein Handwerk, gebt mir Arbeit,
    Mein Brot verdienen will ich ja; –
Geh' betteln! hieß es, Arbeit? Arbeit?
    Die ist für alle Welt nicht da.
Arbeite! schrie'n mich an, die schmausten,
    Und warfen mir die Knochen zu;
Ich will den Reichen doch nicht fluchen,
    Ich fand in ihren Scheunen Ruh.

Ich hätte freilich stehlen können,
    Mir schien zu betteln minder hart;
Ich habe höchstens mir am Wege
    Ein paar Kartoffeln ausgescharrt;
Und immer aller Orten steckte
    Die Polizei mich dennoch ein,
Mir raubend meine einz'ge Habe –
    Du Gottes Sonne bist ja mein!

Was kümmern mich Gesetz und Ordnung,
    Gewerb' und bürgerliches Band?
Was euer König, eure Kammern?
    Sagt, hab' ich denn ein Vaterland?
Und dennoch, als in euern Mauern
    Der Fremde Herr zu sein, gemeint,
Der Fremde, der mich reichlich speiste,
    Ich Narr, wie hab' ich da geweint!

Ihr hättet mich erdrücken sollen,
    Wie ich das Licht der Welt erblickt;
Ihr hättet mich erziehen sollen,
    Wie sich's für einen Menschen schickt.
Ich wäre nicht der Wurm geworden,
    Den ihr euch abzuwehren sucht;
Ich hätt' euch brüderlich geholfen,
    Und euch im Tode nicht geflucht.

4.
Prophezeiung des Nostradamus auf das Jahr MM.

           

Schreibt Nostradamus, der die Zeit beschwören
    Und aus den Sternen konnte prophezei'n:
    Im Jahr Zweitausend wird von Jubelchören
    Das glückliche Paris durchtönet sein;
    Man wird nur Einer Stimme Mißlaut hören,
    Die wird am Fuß des Louvre kläglich schrei'n:
    Ihr glücklichen Franzosen, wollt des armen,
    Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen.

Aus Rom gekommen wird ein siecher Greise,
    Ein armer Lazarus, den Ruf erheben,
    Und einem weiten dichtgedrängten Kreise
    Von Straßenjungen sich zum Schauspiel geben;
    Drauf giebt ihm ein Senator streng Verweise:
    Hört, Freund, hier darf von Betteln keiner leben. –
    Ihr werdet doch, mein gnäd'ger Herr, des armen,
    Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen.

Bist wirklich du von jener Sippen – Ja.
    Der ich zu Rom zur Papstzeit noch die Krone
    In meines Ahnherrn Händen schimmern sah;
    Er mußte sie verkaufen; die Spione,
    Die Skribler und die Helfer heischten da
    Den vollen Goldeswert zu ihrem Lohne;
    Ein Stab ist nun mein Zepter. Wollt des armen,
    Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen.

Mein Vater starb bejahrt im Schuldenturme;
    Er hatte mir ein Handwerk untersagt,
    Ich bettle. Hart erweist ihr euch dem Wurme,
    Ihr Glückeskinder, sei es Gott geklagt.
    Ich komme her, verschlagen von dem Sturme,
    Ihr habt so oft die Meinen weggejagt,
    O wollt doch, da ihr glücklich seid, des armen,
    Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen.

Wird der Senator bei der Hand ihn fassen
    Und sprechen: komm mit mir nach meinem Gute;
    Wir hören auf die Könige zu hassen,
    Die letzten küssen höflich uns're Rute;
    Darfst dem Senat dein Schicksal überlassen,
    Der ich aus altem Königsmörder-Blute
    Entsprossen bin, ich will indeß des armen,
    Des letzten Königs Frankreichs mich erbarmen.

Und Nostradamus schreibt: dem Fürsten spenden
    Wird der Senat zweitausend Franken jährlich;
    Der Alte wird zum Guten noch sich wenden
    Als Maire von Saint Cloud wird er schlicht und ehrlich,
    Ein wack'rer Bürger, seine Laufbahn enden;
    Die Chronik macht's der Nachwelt dann erklärlich,
    Wie Frankreich sich im Glücke seines armen
    Und letzten Königs mochte mild erbarmen.

 


 


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