Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Deutsche Volkssagen.

1.
Das Riesen-Spielzeug.

               

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt,
Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesen-Fräulein aus jener Burg hervor,
Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor,
Und stieg hinab den Abhang bis in das Thal hinein,
Neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein.

Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,
Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
Bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;
Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.

Ei! artig Spielding! ruft sie, das nehm' ich mit nach Haus.
Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus,
Und feget mit den Händen, was da sich alles regt,
Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammen schlägt;

Und eilt mit freud'gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder sind,
Zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh'n.

Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,
Er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei.

Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,
Den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
So klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
Was hast du angerichtet? das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag' es wieder hin,
Der Bauer ist kein Spielzeug, – was kommt dir in den Sinn?

Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;
Denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand,
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.


2.
Die versunkene Burg.

Es ragt, umkrönt von Türmen, empor aus dunklem Forst
Ein steiler luft'ger Felsen, das ist der Raubherrn Horst,
Und wie aus blauen Lüften der Aar auf seinen Fang,
So schießen sie auf Beute von dort das Thal entlang.

Drei Brüder sind's, auf Straßen zu Roß in blankem Stahl,
In Hermelin und Purpur daheim im Rittersaal,
In Blut und Lust und Sünden, in Stolz und Üppigkeit,
So schwelgen sie und prassen, gefürchtet weit und breit.

Und ihre freche Buhle weiß nicht, wie Hunger thut;
Sie prunkt in Gold und Seide und tritt aus Frevelmut
Die heil'ge Gottesgabe verächtlich in den Kot,
Sie geht einher auf Schuhen von seinem Weizenbrot.

Der Wächter hat gerufen: auf, Ritter, auf! zu Roß!
Von Reisigen erscheinet ein staubumwölkter Troß,
Das sind die fremden Kaufherrn, das ist der reiche Zug,
Die führen wenig Eisen, doch rotes Gold genug.

Vergeßt nicht eure Buhle, ruft ihnen nach die Maid,
Schafft Gold und Edelsteine, schafft funkelndes Geschmeid,
Versorgt mit Singevögeln aufs Neu' den Rosenhag,
Daß sich an ihrem Zwitschern mein Ohr erfreuen mag.

Und bald mit Jubel ziehen sie wieder Burg hinan,
Vor ihnen die Gefang'nen gebunden Mann für Mann. –
Wir bringen dir die Vögel, die du begehret hast,
Im Rosenhag zu zwitschern, und Goldes manche Last.

Der Rosenhag: tief öffnet und eng sich eine Gruft,
Das Burgverließ, es steiget empor der Leichen Duft,
Tief unten gähnt der Abgrund, ein jäher Felsenspalt,
Kein andrer Ausgang führet aus diesem Aufenthalt.

Da galt es zu verhungern. Der Angstruf, welcher drang
Aus diesem Schreckensschlunde, das war der Vogelsang;
Und wenn hinab sich stürzte, am Felsen sich zerschlug
Verzweiflungsvoll ein Opfer, das war der Vogelflug.

Sie stießen nun die Armen hinab in diesen Graus,
Da rief ein Greis, ein Priester, noch händeringend aus:
Weh' über euch, ihr Thoren! die ihr verblendet seid,
Einst werden solche Werke mehr euch, denn uns, noch leid!

Da rief ein Ritter grimmig: nun – Blutschuld, Sinnenlust?
Ich bin der eig'nen Werke vollkommen mir bewußt;
Ich will darüber brüten, bei meinem teuren Eid!
Bis zu dem Weltgerichte, sie werden mir nicht leid.

Da rief der Andre höhnend: du willst der Rabe sein?
Die Sorg' um meine Werke, so wie die Lust ist mein;
Ich selber will sie tragen, bei meinem teuren Eid!
Bis zu dem jüngsten Tage, sie werden mir nicht leid.

Da rief der Dritte lachend: hinunter in den Schlund,
Als Nachtigall zu singen, der hier gebellt als Hund;
Ich trage meine Werke, bei meinem teuren Eid!
Bis an den Tag der Tage, sie werden mir nicht leid.

Wie frevelnd ihren Lippen das schnelle Wort entfloh'n,
Entgegnet aus der Tiefe ein Wehgeschrei dem Hohn,
Und »Amen!« ruft die Buhle, die höllisch gellend lacht;
Da schallt und rollt der Donner, der Felsen wankt und kracht

Und jene kreischt verwandelt, es rauscht der Flügelschlag,
Sie schwingt sich in die Lüfte, verfinstert wird der Tag,
Die Erde flammensprühend eröffnet ihren Mund,
Und wie die Burg versunken, so ebnet sich der Grund.

Du forschest nach der Stätte, wo einst die stolze stand,
Du fragest nach dem Namen, wie jene sonst benannt? –
Vergebliches Beginnen, es waltet das Gericht;
Vergessen und verschollen, die Sage weiß es nicht.


3.
Die Männer im Zobtenberge.

Es wird vom Zobtenberge gar seltsames erzählt,
Als tausend und fünfhundert und siebzig man gezählt,
Am Sonntag Quasimodo lustwandelte hinan
Johannes Beer aus Schweidnitz, ein schlichter, frommer Mann.

Er war des Berges kundig, und Schlucht und Felsenwand
Und jeder Stein am Stege vollkommen ihm bekannt;
Wo in gedrängtem Kreise die nackten Felsen steh'n,
War diesmal eine Höhle, wo keine sonst zu seh'n.

Er nahte sich verwundert dem unbekannten Schlund,
Es hauchte kalt und schaurig ihn an aus seinem Grund;
Er wollte zaghaft fliehen, doch bannt' ihn fort und fort
Ein lüsternes Entsetzen an nicht geheuren Ort.

Er faßte sich ein Herze, er stieg hinein und drang
Durch enge Felsenspalten in einen langen Gang;
Ihn lockte tief da unten ein schwacher Dämmerschein,
Den warf in eh'rner Pforte ein kleines Fensterlein.

Die Pforte war verschlossen, zu welcher er nun kam,
Er klopfte, von der Wölbung erdröhnt' es wundersam,
Er klopfte noch zum andern, zum drittenmal noch an,
Da ward von Geisterhänden unsichtbar aufgethan.

An rundem Tische saßen in schwarzbehang'nem Saal,
Erhellt von einer Ampel unsicher bleichem Strahl,
Drei lange hag're Männer; betrübt und zitternd sah'n
Ein Pergament vor ihnen sie stieren Blickes an.

Er zögernd auf der Schwelle beschaute sie genau, –
Die Tracht so altertümlich, das Haar so lang und grau, –
Er rief mit frommem Gruße: vobiscum Christi pax!
Sie seufzten leise wimmernd: hic nulla, nulla pax!

Er trat nun von der Schwelle nur wen'ge Schritte vor,
Vom Pergamente blickten die Männer nicht empor,
Er grüßte sie zum andern: vobiscum Christi pax!
Sie lallten zähneklappernd: – hic nulla, nulla pax!

Er trat nun vor den Tisch hin, und grüßte wiederum:
Pax Christi sit vobiscum! sie aber blieben stumm,
Erzitterten und legten das Pergament ihm dar:
» Hic liber obedientiae« darauf zu lesen war.

Da fragt' er, wer sie wären? – Sie wüßten's selber nicht.
Er fragte: was sie machten? – Das endliche Gericht
Erharrten sie mit Schrecken, und jenen jüngsten Tag,
Wo Jedem seiner Werke Vergeltung werden mag.

Er fragte: wie sie hätten verbracht die Zeitlichkeit?
Was ihre Werke waren? Ein Vorhang wallte breit
Den Männern gegenüber und bildete die Wand,
Sie bebten, schwiegen, zeigten darauf mit Blick und Hand.

Dahin gewendet hob er den Vorhang schaudernd auf:
Geripp' und Schädel lagen gespeichert da zu Hauf;
Vergebens war's mit Purpur und Hermelin verdeckt,
Drei Schwerter lagen drüber, die Klingen blutbefleckt.

Drauf er: ob zu den Werken sie sich bekennten? – Ja.
Ob solche gute waren, ob böse? – Böse, ja.
Ob leid sie ihnen wären? Sie senkten das Gesicht,
Erschraken und verstummten: sie wüßten's selber nicht.


4.
Der Birnbaum auf dem Walserfeld.

Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht
Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht;
Wir werden unsern Kindern vererben sie aufs Neu';
Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.

Das Walserfeld bei Salzburg, bezeichnet ist der Ort,
Dort steht ein alter Birnbaum verstümmelt und verdorrt.
Das ist die rechte Stätte, der Birnbaum ist das Mal,
Geschlagen und gewürget wird dort zum letztenmal.

Und ist die Zeit gekommen und ist das Maß erst voll, –
Ich sage gleich das Zeichen, woran man's kennen soll, –
So wogt aus allen Enden der sündenhaften Welt
Der Krieg mit seinen Schrecken heran zum Walserfeld.

Dort wird es ausgefochten, dort wird ein Blutbad sein,
Wie keinem noch die Sonne verliehen ihren Schein,
Da rinnen rote Ströme die Wiesenrain' entlang,
Da wird der Sieg den Guten, den Bösen Untergang.

Und wann das Werk vollendet, so deckt die Nacht es zu,
Die müden Streiter legen auf Leichen sich zur Ruh',
Und wann der junge Morgen bescheint das Blutgefild,
Da wird am Birnbaum hangen ein blanker Wappenschild.

Nun sag' ich euch das Zeichen: ihr wißt den Birnbaum dort,
Er trauert nun entehret, verstümmelt und verdorrt;
Schon dreimal abgehauen, schlug dreimal auch zuvor
Er schon aus seiner Wurzel zum stolzen Baum empor.

Wann nun sein Stamm, der alte, zu treiben neu beginnt,
Und Saft im morschen Holze aufs neu' lebendig rinnt;
Und wann den grünen Laubschmuck er wieder angethan,
Das ist das erste Zeichen: es reift die Zeit heran.

Und hat er seine Krone erneuet dicht und breit,
So rückt heran bedrohlich die lang verheiß'ne Zeit;
Und schmückt er sich mit Blüten, so ist das Ende nah;
Und trägt er reife Früchte, so ist die Stunde da.

Der heuer ist gegangen zum Baum und ihn befragt,
Hat wundersame Kunde betroffen ausgesagt;
Ihn wollte schier bedünken, als rege sich der Saft
Und schwöllen schon die Knospen mit jugendlicher Kraft.

Ob voll das Maß der Sünde? ob reifet ihre Saat
Der Sichel schon entgegen? ob die Erfüllung naht?
Ich will es nicht berufen, doch dünkt mich Eins wohl klar:
Es sind die Zeiten heuer gar ernst und sonderbar.


5.
Die Weiber von Winsperg.

Der erste Hohenstaufen, der König Konrad, lag
Mit Heeresmacht vor Winsperg seit manchem langen Tag;
Der Welfe war geschlagen, noch wehrte sich das Nest,
Die unverzagten Städter, die hielten es noch fest.

Der Hunger kam, der Hunger! das ist ein scharfer Dorn;
Nun suchten sie die Gnade, nun fanden sie den Zorn.
Ihr habt mir hier erschlagen gar manchen Degen wert,
Und öffnet ihr die Thore, so trifft euch doch das Schwert.

Da sind die Weiber kommen: und muß es also sein,
Gewährt uns freien Abzug, wir sind vom Blute rein.
Da hat sich vor den Armen des Helden Zorn gekühlt,
Da hat ein sanft Erbarmen im Herzen er gefühlt.

Die Weiber mögen abzieh'n, und jede habe frei,
Was sie vermag zu tragen und ihr das liebste sei;
Laßt zieh'n mit ihrer Bürde sie ungehindert fort,
Das ist des Königs Meinung, das ist des Königs Wort.

Und als der frühe Morgen im Osten kaum gegraut,
Da hat ein selt'nes Schauspiel vom Lager man geschaut;
Es öffnet leise, leise sich das bedrängte Thor,
Es schwankt ein Zug von Weibern mit schwerem Schritt hervor.

Tief beugt die Last sie nieder, die auf dem Nacken ruht,
Sie tragen ihre Eh'herrn, das ist ihr liebstes Gut,
Halt an die argen Weiber! ruft drohend mancher Wicht; –
Der Kanzler spricht bedeutsam: das war die Meinung nicht.

Da hat, wie er's vernommen, der fromme Herr gelacht:
Und war es nicht die Meinung, sie haben's gut gemacht;
Gesprochen ist gesprochen, das Königswort besteht,
Und zwar von keinem Kanzler zerdeutelt und zerdreht.

So war das Gold der Krone wohl rein und unentweiht.
Die Sage schallt herüber aus halbvergess'ner Zeit.
Im Jahr eilfhundert vierzig, wie ich's verzeichnet fand,
Galt Königswort noch heilig im deutschen Vaterland.

 


 


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