Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Die Mutter und das Kind.

   

Wie ward zu solchem Jammer
    Der stolzen Mutter Lust?
Sie weint in öder Kammer,
    Kein Kind an ihrer Brust;
Das Kind gebettet haben
    Sie in den schwarzen Schrein,
Und tief den Schrein vergraben,
    Als müßt' es also sein.

Wie da die Erde fallend
    Auf den versenkten Sarg
Ihn dumpf und schaurig schallend
    Vor ihren Augen barg,
Hat Thränen sie gefunden,
    Die nicht zu hemmen sind,
Sie weint zu allen Stunden
    Um ihr geliebtes Kind.

Wann And'rer Lust und Sorgen
    Der laute Tag bescheint,
Weilt schweigsam sie verborgen
    In finst'rer Klaus' und weint;
Wann And'rer Schmerzen lindert
    Die Nacht, und alles ruht,
Vergießt sie ungehindert
    Der Thränen bittre Flut.

Wie einst sie unter Thränen
    Die stumme Mitternacht
In hoffnungslosem Sehnen
    Verstört herangewacht,
Sieht wunderbarer Weise
    Das Kindlein sie sich nah'n,
Es tritt so leise, leise,
    Es sieht sie trauernd an.

O Mutter, in der Erden
    Gewinn' ich keine Rast,
Wie sollt' ich ruhig werden,
    Wenn du geweinet hast?
Die Thränen fühl' ich rinnen
    Zu mir ohn' Unterlaß,
Mein Hemdlein und das Linnen
    Sie sind davon so naß.

O Mutter, laß dein Lächeln
    Hinab ins feuchte Haus
Mir laue Lüfte fächeln,
    Dann trocknet's wieder aus;
Und scheinet deinem Kinde
    Dein Auge wieder klar,
Umblüh'n es Ros' und Winde,
    Wie sonst es oben war.

O weine nicht! sei munter!
    Was helfen Thränen dir?
Komm lieber doch hinunter
    Und lege dich zu mir;
Da magst du leise kosen
    Mit deinem Kindelein,
Du liegst auf weichen Rosen
    Und schläfst so ruhig ein. –

Sie hat aus süßem Munde
    Die Warnung wohl gehört,
Sie hat von dieser Stunde
    Zu weinen aufgehört.
Wohl bleichten ihre Wangen,
    Doch blieb ihr Auge klar;
Sie ist hinabgegangen,
    Wo schon ihr Liebling war.

 


 


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