Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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An die Apostolischen.

1.
Ev. Matth. c. 24.

             

Ja, überhand nimmt Ungerechtigkeit,
    Und Not, Empörung, Haß, Verrat befährden.
    Die falschen Christi wollen sich geberden
    Als mit dem Unrecht, nicht dem Recht, im Streit.

Bald aber, nach der Trübsal dieser Zeit,
    Wird den Geschlechtern allen auf der Erden
    Des Menschen Zeichen offenbaret werden
    Mit großer Kraft und hoher Herrlichkeit.

Vom Feigenbaume lernt: an seinen Zweigen
    Erkennet ihr des Sommers Anbeginn,
    Wann steigt der Saft und Blätter schon sich zeigen.

Wo habt ihr, blöde Thoren, doch den Sinn?
    Ihr seht den Saft in alle Zweige steigen,
    Und leugnet euch den Sommer immerhin!

2.
Ev. Matth. c. 15–23.

Senkt sich die Sonn' in klarer Herrlichkeit,
    So sagt ihr: Morgen wird das Wetter gut;
    Und hüllt der Morgen sich in trübe Glut,
    Urteilt ihr: ein Gewitter ist nicht weit.

Könnt ihr denn nicht die Zeichen dieser Zeit
    Auch deuten, wie ihr doch den Himmel thut?
    Ihr Heuchler, Pharisäer, Otterbrut,
    Wohl hat von euch Jesajas prophezeit:

Es spricht der Herr: dieweil ich es erfahren,
    Daß, wenn sie mich bekennen mit dem Munde,
    Sie mit dem Herzen ferne von mir sind,

Will seltsam ich mit diesem Volk verfahren,
    Daß seiner Weisen Weisheit geh' zu Grunde
    Und seiner Klugen Klugheit werde blind.

3.
Schiller.

Ihr wollt zurück uns führen zu den Tagen
    Charakterloser Minderjährigkeit?
    Ihr hängt umsonst an der Vergangenheit,
    Ihr werdet nicht die Zukunft unterschlagen.

Es ist ein eitel, ein vergeblich Wagen,
    Zu greifen ins bewegte Rad der Zeit,
    Der Morgen graut, verscheucht die Dunkelheit
    Und leuchtend stürzt hervor der Sonnenwagen.

Die, blind und taub, ihr Augen habt und Ohren,
    Nicht Stimmen hören wollt, nicht Zeichen sehen,
    Ich zittre nur für euch, ihr blöden Thoren!

Denn Gottes Ratschluß wird dennoch bestehen,
    Die Frucht der Zeit zu ihrer Zeit geboren
    Und das, was an der Zeit ist, doch geschehen.

4.

Die öffentliche Meinung schreit und klagt:
    Ihr habt von mir erborget eure Kraft –
    Durch mich geschah, was Großes ihr geschafft,
    Durch mich gelang, was siegreich ihr gewagt.

Und nun ich euch erhöht, wollt ihr als Magd
    Mich züchtigen mit Ruten und mit Haft,
    Ihr schämt euch flüchtiger Genossenschaft
    Und habt mir, eurer Herrin, widersagt?

Und doch, ihr hörtet meine Donner rollen,
    Und der Koloß der Zeit war schon zerstoben
    Von dessen Joch ich kam euch zu erlösen. –

Ihr Seifenblasen, die mein Hauch geschwollen,
    Und flücht'gen Schimmers meine Huld gehoben,
    Ihr eitle Seifenblasen – seid gewesen.

5.

Wer hat zum Schreier also dich bedungen?
    Es möchten Lieder besser dir gedeihen,
    Welchen auch gern das Ohr die Meisten leihen;
    Hast du nicht sonst von Lieb und Wein gesungen?

Könnt' ich aus eh'rner Brust doch tausend Zungen
    Mit Hauch beleben, alle wollt' ich weihen,
    Gellend das eine, alte Lied zu schreien,
    Bis in verschloss'nen Ohren es erklungen.

Es ist hoch an der Zeit, sie aufzuschrecken,
    Die taumelnd um den Rand des Abgrunds wallen,
    Ob schlafend nicht, dennoch nicht zu erwecken;

O, muß die schwache Stimme so verhallen!
    Es drohet euch der Sturz, mir bloß das Schrecken;
    Ein Vogel schwingt sich auf, wo Eichen fallen.

 


 


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