Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Fabian Götz

Flur und Urban steckten in angeborener Bauernhaut, sie folgten dem überlieferten, stillen Gesetz: Der Bruder heirate seines Bruders Witib, wenn die Umstände dazu geschaffen sind. 159 Noch ehe die Gemeinschaft zwischen beiden spruchreif war, schauten sie einander darum an. Flur, weil sie an Fabian dachte und sein Erbe, Urban aber, weil ihm Flur im Blute herrschte wie in jungen Jahren schon, da sie einander in glühender Stunde zugefallen waren. Martin stand nicht zwischen ihnen als unheimlicher Mahner; denn er hatte woanders hingeliebt in seinen innersten Gefühlen und Flur nicht mit Leib und Seel an sich genommen. Doch Urban verlangte darnach.

Die Hochzeit verlief bescheiden und still. Die Zeiten waren dunkel, überall Not, Armut, Krankheit, ein Volk, das übermüdet war und deshalb, mit verzerrten Nerven der Ruhelosigkeit und Gier preisgegeben, schrie, feilschte und unsäglich litt; nirgends war Halt, nirgends Glaube und Hoffnung mehr. Die solches predigten, galten als Narren, man verlor doch von Tag zu Tag sein Geld, die Lebensbedingungen bröckelten ab, das Alte verlor seine Geltung, und das Neue zertrat im Wahn der aufgerührten Ideen seine Grundlage. Alles hing in der Luft, und alles schien daher verzerrt. Aber auf dem Wald, seitab in den Einöden und locker besiedelten Bauerngemeinschaften, spürte man das Elend bis jetzt ebensowenig, wie man ahnte, was für große Dinge sich aus dem Durcheinander herausringen mußten nach dem Gesetz der Klärung.

Die Hamsterer freilich, die in Scharen aus den Städten in die nahrhafte Landschaft hinausfluteten, die berichteten vieles, aber sie berichteten aufgeregt, mürrisch und kleinlich. Das blieb haften in den Bauerngedanken wie Geschichten aus fernen Zeiten und Ländern, sie berührten die von ewig gleicher Klagerei auch schnell abgebrühten Gemüter nicht besonders. Dem Bauern muß eine Sache ins Mark gehen, bis sie ihn wirklich bewegt. Dann kämpft er und handelt, leidet und liebt mit einer Leidenschaft ohnegleichen.

Fabian kam eines Tages in den Ferien heim, ein feingliedrig gebauter, schmaler, sehniger Kerl. Urban beging mit ihm im Feierabend noch die Weidplätze, um die Zäune nachzusehen; denn es war Pfingsten, und das Vieh konnte bald aus dem Stall.

Es schien auch über Flur in den Wochen nach der Hochzeit noch einmal ein glückhaftes Erleben gekommen zu sein. Sie gab sich fröhlicher und lachte zuweilen, ihre Stimme erhob sich 160 lauter als sonst, und ihre Augen strahlten dann. Die Liebe Urbans wärmte ihr erloschenes Wesen noch einmal auf, erfüllte es mit leiser Glut. Es war keine derb entflammte Bauernliebe, die nach ein paar genußreichen Tagen im Gewohnten gewöhnlich und abgebraucht wird. Flur ließ zwar langsam nach und fiel in ihren vorigen Zustand zurück, tat vielleicht weniger gleichgültig ihre Pflicht, aber auch ohne geschäftige oder frohe Teilnahme an dem, was doch nun ihr ungeteiltes, eindeutiges Eigentum war; dem Hof, in dem sie bisher nur als Verwalterin geschafft hatte, stand sie doch jetzt als Herrin vor. Urban umgab sie jeden Tag mit gleicher Liebe, er scherzte nicht mehr so viel mit ihr, aber sie spürte, er dachte an sie und sorgte und war froh.

Fabian gefiel die Änderung daheim, die ja in Wirklichkeit nichts umstellte und fremd machte. Er hätte auch im Falle größeren Wechsels nicht Einspruch erhoben; denn in den Jahren, die er in der Stadt verbrachte, wurde er der Heimat, wenn nicht fremd, so doch in dem Maße abwendig, wie er von eigenen Wandlungen besessen war. Er lebte im Stadtkreis, und er erlebte die bäuerliche Heimat als eine schier romantische, geliebte Unterbrechung des Zwangs zur Nüchternheit und Kühle, zur Gebundenheit an Schule und Gesellschaft. Fabian war ein wacher, junger Mensch, scharfsichtig, rechnerisch hochbegabt, gewandt und kühn, unbestechlich. Er sprach geschickt und gepflegt, er bewegte sich ohne jegliche Unsicherheit, er war sehr stolz, nahezu hochmütig und in seinen Freundschaften knapp und wählerisch. Er hatte sich mit zäher Energie durchgebissen, als er vor Jahren in die Stadt kam und weit mit seinen Kenntnissen zurück war hinter den gleichaltrigen Kameraden. Er schuftete redlich verbissen und finster. Er haßte dieses zwangsgetriebene Lernen, aber er brachte es hinter sich. Dann fiel es ihm spielend leicht, mit den Kameraden Schritt zu halten. Die Lehrer liebten ihn trotzdem nicht, er war ein erfreulich begabter Kerl, aber sie hatten wohl alle das Empfinden, der läßt sich nichts sagen, der macht um jeden Preis, was er will.

Daß er mit sechzehn Jahren schon eine Freundin besaß – ob in Ehren oder nicht, konnte niemand herausbringen –, das war öffentliches Geheimnis an der Schule. Sie hieß Karin Lund, ihr Vater sollte Schwede gewesen sein, ihre Mutter entstammte 161 einer Freiburger Familie. Sie ging in die Klasse Fabians, obschon sie zwei Jahre älter war, lebte mit ihrer Mutter, einer Schriftstellerin, in kleiner Dachwohnung, jedoch anscheinend ohne Not, denn sie ging stets wohlgekleidet. Der Vater galt für verschollen, eines Tages auf und davon gegangen. Die Mutter sollte dann mit dem Kind in die Heimat zurückgekehrt sein aus Helsingfors. Es herrschte ein Geheimnis: trotzdem die kleine Familie vom Vater scheinbar im Leichtsinn und ohne Grund verlassen worden war, lebte er in Gesprächen von Mutter und Tochter bei ihnen. Vater sagte – und Vater würde – –, das konnte Fabian oft von den beiden hören, auch andere Klassenkameraden, die zu Lunds kamen. Frau Lund sah gerne Jugend bei sich, Karin durfte heimbringen, wen sie wollte. Meistens brachte sie nur Fabian, seit sie ihn näher kannte. Vielleicht war Fabian auch nicht ganz unschuldig an dieser Einengung des Kreises; er konnte, was Karin anbetraf, recht ichsüchtig sein.

Jedoch, wenn es Karin nicht recht gewesen wäre, hätte sie sich niemals gefügt, sie stand sehr fest auf ihren hohen, geraden Beinen und hatte eine kluge und eigenwillige Stirn.

Zu Karin konnte Fabian die Zeichnungen bringen von Maschinen und Entwürfen kühnster Art, sie beugte sich mit ihm darüber und hörte ihm zu. Er sprach sich heiß und heißer dabei, seine blauen Augen flammten, und seine üppige blonde Locke über der Stirne bäumte sich eigenwillig auf. Karin schielte immer in Fabians aufgewühltes Gesicht, das aussah wie eine frühe Landschaft unterm Gewitter, erdigrot und unbeherrscht und heiß brodelnd.

Karin dachte bei sich: »Du süßer, wilder Junge.« Aber niemals erfuhr Fabian solche Gedanken eines aufblühenden Mädchens, das im Innern lange nicht so kühler, strenger Kamerad war, wie es sich den Mitschülern gegenüber gab.

Ihre Mutter Anna Lund, eine übermagere, große Frau mit großem, brennendem Mund, blasser, glatter Stirne, dunklem Haar und merkwürdig weit auseinanderstehenden Augen sah aus wie eine Russin, sie rief zuweilen leise und ohne ersichtlichen Grund »Karin« ins Zimmer hinein. Karin aber achtete nicht darauf. Die Stimme der Mutter traf immer ein, wenn Karin Fabian so von der Seite anschielte und sich vergaß. Fabian 162 merkte von alledem nichts. Wenn er sich verabschiedete und wenig mehr von sich gegeben hatte als den freilich sehr leidenschaftlichen Vortrag über das Wesen seiner auf dem Papier in selbsterfundenen Arbeiten dargestellten Maschinen – Zukunftsmaschinen, die das Bestehen alles Motorischen umstürzen mußten, nach seinen Aussagen –, wenn er dann die Freundin verließ, ging er erst mit raschen, federnden Schritten auf Frau Anna Lund zu, wartete, bis ihm ihre knochige, wohlduftende Hand entgegenkam, und drückte den heißen, trockenen Mund darauf.

Oh, er war gelehrig, Karin hatte ihm dies halb im Scherz beigebracht. Karin selber freilich hätte ihm einen derben Klaps, mit einem noch derberen Ausspruch, auf den Mund gegeben, würde er diese Ritterlichkeit an ihr geübt haben. Aber ohnedies war Fabian spröd gegen sie, auch unwissend. Trotzdem aber trieb ihn Unruhe herum, wenn er sie lange nicht sah, er dachte mitten in seinen Plänen an sie, sehnte sich nach ihr. Und war er bei ihr, dann brachen seine Ideen aus ihm, wie bei einem Liebenden die ewig flammenden Geständnisse der Liebe.

Karin wurde nicht ungeduldig, diese Ausbrüche anzuhören über den zitternden Händen, die zum Beispiel eine Schraubenart zeichneten, die immerwährend in Betrieb sein könnte, denn diese Ausbrüche hatten etwas Wildes, Zähes in sich, das packte Karin. Sie nährte auch Fabians Leidenschaft auf diesem Gebiet. Sie gab ihm Bücher ihrer Mutter, Jules Vernes abenteuerliche Geschichten der Zukunft, Kellermanns »Der Tunnel« Dieses Buch trieb ihn auf in weißglühendes Fieber: »Das, das, das will ich ja auch, das hab' ich vor«, schrie er hinaus, wenn er einige Stellen immer wieder las, allein und mit Karin. Und er kam darauf, sich künftighin als Ingenieur betätigen zu wollen, der das Wasser bannt und beherrscht und dessen Kraft unter seinen Willen beugt.

»Warum nicht lieber die Luft?« fragte Karin.

»Oh, die weicht einem ja aus, das Wasser verlangt mehr Kraft, mehr Bändigung. Das liegt mir.«

Wenn nun Fabian in den Ferien daheim war, hielt ihn nichts ab, er hockte unten am Muhrsee, er lief Wasserläufen nach, von der Quelle bis zur Mündung, er maß Entfernungen ab, Gefälle und Bodenart. Denn er hatte gehört, man könne aus 163 den Schwarzwaldseen eine Riesenkraft gewinnen, elektrischen Strom zur Speisung des ganzen Landes. Der Muhrsee war auch genannt worden.

Was Fabian tat, schien vorerst kindliches Spiel eines Unreifen, war heimlich wie etwas Verbotenes; denn Fabian trieb es gar nicht dazu, seinem Vater von den Dingen, die ihn erfüllten, zu berichten. Er fühlte sich überlegen, schätzte des bäuerlichen Vaters Fassungskraft zu gering ein, um ihm solche Dinge verständlich machen zu können, und dann warnte ihn eine innere Stimme, es zu tun. Die Besessenheit kam auch daheim gar nicht so wild über ihn wie in der Stadt.

Wenn er wanderte, um etwas abzuschätzen, schaute er die Landschaft an und sah, wie eigen und schön sie sich aufbaute, er freute sich über den alten, herrlichen Wald. Er sann in die braungoldnen Gewässer, die unzähligen, liebenswürdigen Gerinnsel, Bächlein, Quellsprünge, er beobachtete die Tiere, er hatte Freude an allem daheim, ihm sprang das Blut vor Freude, und er sang oder pfiff oft den ganzen Tag. Erst in der Stadt ergriff ihn wieder die Leidenschaft der Konstruktionen. Wenn Karin dann dabei war oder auch nur in Sicht.

Aber als alles ausblieb, was ein Mädchen von Karins außen kühler, innen glühender Art schließlich doch von einem freundnahen Gesellen erwartete, wurde sie seiner müde, wandte ihre Gnade langsam anderen zu. Und als Fabian es endlich merkte, war sie ihm schon ganz entfremdet, und jetzt erst sprang ihm das Blut. Zu spät für sie. Er brach die Freundschaft ab, beachtete sie nicht mehr, litt aber bis zum endgültigen Abschied aus der Prima heimlich an der Enttäuschung. In Freizeiten trieb er Sport aller Art, sein geschmeidiger Körper bekam die Zähigkeit eines Panthers und die Stärke biegsamer stählerner Bänder. Bei Wettkämpfen feierte man seine Siege, er wurde ehrgeizig, übte und kämpfte. Obschon er weder rauchte noch trank noch nächtelangem Jazz frönte, lebte er doch verschwenderisch mit seinen Gaben. Das warf ihn nieder, er verlor die Tatkraft, brach mit seinem bisherigen Tun und wurde das, was man leichtsinnig nennt. Er verpraßte Zeit und Gesundheit und Geld im ersten Halbjahr seines Studiums an der Technischen Hochschule. Die Mädchen taten es ihm an und das fahrige, bunte Leben der Nachtgaststätten. 164

Auch dessen wurde er überdrüssig. Er mauserte sich nochmals und wurde fertig, das heißt, er begann sein eigentliches Leben, das er schon bei Karin Lund gefunden und dann wieder verloren hatte. Er forschte, plante und grübelte an Erfindungen herum, er warf große Aufgaben aus wie ein Vulkan und ging mit Gewandtheit und Zähigkeit daran, ihre Möglichkeiten zu lösen mit einer Denkkraft, die nahezu unheimlich folgerichtig in ferne und fernste Zukunft sich bohrte. Dies alles auf dem Papier, auf Hunderten von Bogen, auf tausend Merkzetteln niedergezeichnet, hingeschrieben, bewies den ungeheuren Fleiß Fabians und zeigte, wie unhaltbar er seinem Trieb verfallen war. So verfallen wie einst sein Großvater Wendelin, der Uhrenwendel, seinen heimlichen Bauten des Weltsystems war, der Oheim Adam seinem Suchen nach dem Perpetuum mobile und so besessen vom schöpferischen Ringen wie Stoffel, der Urgroßvater der väterlichen Linie, der malen wollte, ohne es zu können. Fabian aber konnte zeichnen und malen. Man fand in Fachkreisen sogar, daß er es erstaunlich gut könne. Ihm gelangen Landschaften voll schöner Farbigkeit und Form, aber sie sahen alle in gewissem Sinne »erbaut« aus, nach guten sachlichen Maßen gestaltet, obwohl Fabian nicht viel wußte von neuzeitlichen Malern und Techniken, denn er schuf seine Gebilde vollkommen selbständig.

Wenn sein Vater Urban diese Bilder betrachtete, die Schwarzwald-Landschaften darstellen sollten, schüttelte er hilflos lächelnd den Kopf und meinte: »Es fehlt was in deinen Tafeln, Fabian, ich weiß nicht was. Sie sind so gescheit gemalt und alles, Bäum und Bäch und Berg, so nobel hingestellt. Die Kinder vom Blessing in Sonnenkirch habe ich mit kleinen Häusern und Bäumen so spielen, so bauen sehen, das gab so Bilder, wie du sie malst. Und deinen Himmel muß ich sicher tadeln, man meint, er habe keine Luft.«

Fabian schob dann seine Blätter zusammen, verzog den Mund und zuckte die Achseln.

Urban dachte bei sich: »Die neumodische Kunst, sie hat schon was an sich, sie vermäntelt und verklauselt nichts; aber es kommt mir vor, als müsse man das Maul aufreißen und gähnen vor den Bildern, nur traut man sich nicht. Es ist halt doch die Heimat, die sie darstellen. Das ist brav und schön. Aber 165 eine so kalte Heimat ohne Luft? Richtig, so habe ich sie gesehen, richtig!« Darum kamen ihm die Bilder Fabians so merkwürdig bekannt vor, so hatte er die Heimat gesehen im Feld draußen, wenn er Muße hatte zum Sinnen. Auch in den Traum hob sie sich so, kalt und doch bekannt, leer und doch voller Leben, sie stand da und tönte nicht. So war es. Die Heimat war da, aber die Seele mußte aus ihr herausgesprungen sein, weiß Gott wohin. So grübelte der Michelsbauer manche Stunde über die Gemälde Fabians nach. Dem indessen verging bald die Lust am Malen. Er wurde in der Eisenbahn in ein Gespräch zwischen drei Herren hineingezogen. Es handelte sich um den Plan der großen Kraftgewinnung aus dem Rheinstrom und aus den Seen im Gebirge. Der Muhrsee wurde mehrmals genannt. Das machte Fabian besessen. Er beschäftigte sich mit allen Bildern und Schriften über Kraftwerke und Stauseen, deren er habhaft werden konnte, und begann das Muhrseegebiet aufs neue daraufhin anzusehen und zu errechnen. In dieser Zeit machte er auch bereits seine Prüfung.

 


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