Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Die Bäuerin Agathe

Agathe war noch das einzige Kind des Bruderhofbauern. Die Mutter mit dem zweijährigen Knaben hatte der Blitz auf freiem Felde erschlagen, und Anton Bruder, der ein schweres Leben mit der dunklen, leidenschaftlichen Frau gehabt hatte, entschloß sich, nicht mehr zu heiraten. Er liebte die Weiber nicht, hielt nur Mannsvölker zum Gesinde auf dem todeinsamen Hof und schaffte das meiste selber. Selbst das Essen richtete er her, und die Knechte meinten, die Küche sei besser geworden, seit der Bauer koche. Die Bäuerin war vom Geiz besessen gewesen, eigentlich einer Erbsünde der Bruderhofsippe, die jedoch dem Bauern nicht anhing; aber um so mehr der Frau, welche ihm nahe blutsverwandt war.

Als das Unglück dem Brudertoni mitgeteilt worden, soll er nur um den Verlust des Erben geklagt haben, dazu noch mit 22 dem Vorwurf gegen die tote Frau, fahrlässig mit dem Kinde umgegangen zu sein. Die Frau geizte nicht nur mit Hab und Gut, sondern auch mit ihrer Liebe, und die gehörte ganz und gar dem Bübchen, sie gönnte den andern auch nicht die Zärtlichkeit des Kindes, das ein sonniges Wesen war und Vater und Schwester mit seinen großen Sternenaugen wundersam beglückte.

Damals zählte Agathe bereits zehn Jahre. Sie schritt an der rauhen Hand des Vaters und der Vatersschwester hinterm Totenbrett her, trug ihre erste Tracht mit dem langen, schweren Rock, der steifen Taftschürze, dem engen Koller und Sammetmieder und traute kaum den Kopf zu rühren unter der fest gebundenen Bänderkappe. Die ganze Pracht roch so seltsam, wie eben neues Zeug riecht, aber dieser ungewohnte Geruch blieb Agathe so tief haften und war so verknüpft mit dem Geruch der Totenkammer, mit dem Leichenbegängnis, den Sträußen und Kränzen, dem Stehen auf dem nassen Boden des Kirchhofes, daß sie bei jeder Beerdigung an die erste Tracht und beim Tragen neuen Zeuges an das Leichenbegängnis ihrer Mutter denken mußte.

*

Die Seelenfinsternis, die über beiden Eltern gelegen hatte, bekam vorerst keine Macht über das lichte Kind. Agathe, ein etwas breitgestaltiges, dunkelblondes Mädchen, war brav und gutmütig, klug und lustig. Oft wurde sie in das nahe Reichenbachtal von des Vaters fröhlicher Schwester geholt, die in großem Glück mit einem stattlichen Bauern verehelicht lebte und sieben Kinder besaß, darunter zweimal Zwillinge. Das Völkchen, noch klein und wusselig, beherrschte Haus und Hof mit seinem Schreien, Piepsen, Lachen, Huschen wie eine Schar junger Mäuse. In diesen Trubel holte die Base das mutterlose Mädchen, lehrte es stricken und kochen und herzhaft lustig sein, zog es hie und da derb an den langen Zöpfen, wenn es sich ungehorsam und faul zeigte. Kurzum, als Agathe längst erwachsen und Bäuerin an der Seite des Tobias Faller war, des stillen, fleißigen Mannes, litt sie noch oft an der Sehnsucht nach dem heiteren Hof der Base Maria, nach dem hellen Reichenbachtal, wo ewig die Sonne zu strahlen schien. 23

Auch kümmerte sie sich sehr, daß sie keine Kinder bekam, lief zu Quacksalbern und Wunderfrauen, auch zu richtigen Ärzten, welche ihr jedoch sagten, sie sei ohne Fehler.

Der Bauer verlor nie ein Wort über die Unfruchtbarkeit ihrer Ehe. Er schaffte und betete. Er war der Führer einer Sekte, die allsonntäglich bei ihm Stunden zubrachte mit Singen und Predigen, erregte Gespräche über den bald wieder unter der Menschheit in Fleisch und Bein wandelnden Christ führte, als dessen selige Jünger sie in die höchsten Verzückungen des irdischen Daseins zur Belohnung gehoben würden, wenn erst die Stunde gekommen sei. Rote Flecken brannten auf des Bauern Wangen, wenn die Stündler mit frommem Gruß den Hof verlassen hatten. Er hockte sich dann still auf die Bank vorm Haus und rührte keinen Finger, der Frau im Stalle zu helfen. Er betrat auch kein Wirtshaus, und die Kirche haßte er, doch verwehrte er es Agathe nicht, in den Gottesdienst zu gehen, so wenig wie er sie beredete, in den Kreis der Stündler einzutreten, dem viele Frauen aus der Sippe angehörten. Agathe jedoch liebte den Umtrieb nicht, sie blieb viel lieber im Gewohnten und dachte bei sich: »Ist nicht Gott jedermanns Gott, wie kann sich da so ein Wesen um seine Gunst breitmachen, ich bet und tu nichts Schlechtes. Mehr gibt's doch nicht zu erwarten als einen seligen Tod nach einem braven Leben.«

Ihr kluger Geist verabscheute alles Unheimliche und Unklare. Die Sektierer stritten sich oft, also wußten sie ihren Weg trotz aller Deutung der Johannesworte nicht sicher und waren des Wirrglaubens voll. Einmal las sie auch in einer Schrift, die vor der Kirche ausgeteilt worden, die Sekte, deren Heim im Bruderhof war, sei schlechten Führern ausgeliefert, man habe irgendwo am Rhein einen Prediger festgenommen, der sich übel in unsittliche Händel gemischt habe und dabei selber als Schmutzfink entdeckt worden sei. Agathe legte das Blatt dem Tobias auf den Tisch, ehe sie zu einer über der Ebene wohnenden Base ging, ihr am Bettzipfel zu zupfen; denn die war eines Knaben genesen und lag noch. Da hielt man streng auf die Sitte, daß alle Nachbarinnen zu Besuch kamen mit kleinen Geschenken für den Täufling.

Als der Tobias den Zettel gelesen hatte, verstockte ihn eine tiefe Schwermut. Er sprach mit niemand, schaffte wie im Zorne 24 und aß kaum. Nach etlichen Tagen traf ihn die Bäuerin dabei, wie er ein Knechtsbett in die Kammer neben der Schlafstube schaffte, sein Kissen und die Decke aus dem breiten Ehebett holte und alles so einrichtete, als wolle er zeitlebens mönchisch sein. Agathe verwunderte sich ängstlich darüber und traute sich nicht, etwas wider sein seltsames Tun zu sagen.

Des Nachts schluchzte sie in ihr Kissen und warf sich schlaflos herum. Die Liegestatt dünkte sie unheimlich wie ein Grab, da der Atem des Mannes nicht mehr neben ihr ging, und schlief sie einmal ein, so hockte das Schrättele ihr auf die Brust und würgte ihr fast das Leben ab. Sie trug die Not und schwieg und wartete bis zu jenem Werktag im Juni, da der Bauer kurzerhand mitten im Heuet des Morgens in Sonntagskleidern auf und davon wollte in die Landeshauptstadt, zum großen Treffen aller Anhänger seiner Sekte. Da brach der Zorn und die Kümmernis aus ihr. Sie vertrat dem Reisefertigen die Schwelle und erfüllte das Haus mit lautem Schelten. Der Bauer erblaßte und stand erstaunt. Sein geduldiges Weib mußte irr geworden sein, weil sie gegen alle Sitte so laut und heftig war. Er wollte gütlich entgegnen; denn Sanftmut war ein Gebot seiner Gemeinschaft; aber Agathes Zorn wuchs, ihr Elend flammte auf in gellen Schreien. Als der Bauer sie sanft wegschieben wollte, dem wüsten Hagel zu entweichen, ehe ihm selber die Galle ins Blut trat, stürzte sie auf ihn zu und schlug ihm ins Gesicht. Der Bauer schlug dawider, nun blutrot geworden im brennenden Antlitz und voller Scham. Alles Gesinde stand im Hofe und sah entsetzt den Kämpfenden zu, die jetzt ohne ein Wort in verbissenem Gram sich mißhandelten, bis das Weib ohnmächtig hinsank.

Da nahm der Bauer sie auf, trug sie in die Kammer, löste ihre Kleider und netzte die Stirne mit kaltem Wasser. Eine bange Weile verging für den Bauern, da floß die Farbe in Agathes wächserne Wangen zurück, und sie fand sich, als sie die Augen öffnete, in den Armen ihres Mannes, der mit leuchtendem Gesicht durch das Fenster weit in die Ferne blickte. Ein rötlicher Abend stand am Himmel und erfüllte mit seinem milden Glanz die Kammer.

Von Stund an lagen Kissen und Decke des Bauern wieder unterm großen blau und rot bemalten Himmel des Ehebettes, 25 und nun ging der Atem von Mann und Frau des Nachts wieder gemeinsam durch die Stube, in die der Frieden Gottes schien wie vordem. Es lief bei beiden das Leben weiter im Rate des seligen Pfarrherrn von Buchenbronn: »Am besten tut, wer schweigt«, nur fügte sich dazu statt des traurigen »und wartet« das demütig hohe Wort »und liebt«. Kein Feuer lohte als Liebe auf, es war nichts als der Frieden des Herzens, der über das häßliche Schauspiel, das sie sich und andern gegeben hatten, als deckender Flor gebreitet wurde.

Die Stündler versammelten sich fortan auf einem andern Hof. Der Bauer blieb ihnen jedoch treu. Er glaubte an das Heil der frohen Botschaft und hielt die Gesetze des Bundes, die wie bei allen Bünden voll Tugend und Strenge waren für die, welche ihrer achteten.

Als der Bauer wenige Monde nach dem heftigen Zwist von der Tenne den Sturz in den Tod gemacht, fand Agathe, da sie nach dem Begräbnis in der Bibel lesen wollte, den Zettel mit der bösen Nachricht. Am Rande stand in des Bauern ungelenker Handschrift: Wer selber ohne Fehl ist, werfe den ersten Stein auf ihn.

Sie nahm das Blatt und ließ es an der Kerzenflamme verbrennen.

Die Witwe weinte noch zuweilen ihre Fraueneinsamkeit in den Schlaf. Die Lustwünsche des Körpers vergaßen sich in der mürben Müdigkeit nach der rauhen und schweren Arbeit immer mehr. Sie nahm den Knecht Stoffel an und entließ den Knecht Hans, weil seine laute und kecke Art sich allzuweit herauswagte, seit der Bauer fort wär. Mit verlegenem Lachen zog Hans von dannen, ins Schwäbische hinüber, wo seine Heimat war. Er hatte die Frau zu früh seine Absichten merken lassen. Sie und der Hof hätten auch einen Dümmeren gelockt, er berechnete aber nicht, daß über alles Gras wachsen mußte, am meisten über ein frisches Grab.

Der Stoffel sah das Weib kaum an, als es ihm zeigte, was zum Hof gehörte und wie er am besten werken könne. Der Stoffel dachte nur bei sich »Wie entsetzlich ist es doch, von solch einem großen Hab und Gut als Bauer wegzusterben, dazu ohne Sohn.«

Und als er alles gesehen und in seinen Gedanken die 26 wichtigsten Arbeiten erwogen hatte, holte er den Pflug und brach ein Stück ruhendes Land um zu einem neuen Riemenacker. Ihm war zumute, als begebe sich das Land so in seinen Besitz; er fühlte innere Freude in sich aufkeimen und wurde auf seine ruhige Weise ein glücklicher Mann. Von früh bis spät tätig, dachte Christoffel wochenlang an nichts anderes als an die Arbeit. Er sprach kaum ein Wort mit der Frau, auch mit dem Hüterbuben nicht, der ihm zuweilen an die Hand gehen mußte.

Beim ersten Mahle zu dreien war eine Verlegenheit entstanden, da Agathe im Augenblick nicht wußte, welchen Platz Stoffel einnehmen sollte. Des Bauern Löffel steckte noch an der Wand im Herrgottswinkel, wo der Tobias stets beim Essen gesessen hatte. Agathes Blick fiel in die Leere dieses Platzes und wurde sie zum erstenmal wirklich gewahr.

Der Bauer hatte es niemals gelitten, daß ein Wort gesprochen wurde bei Tisch. Er sagte das Gebet und aß dann mäßig. Agathe fühlte plötzlich leisen Unmut gegen den Verstorbenen, der hier gelebt hatte wie in der Fremde, eigentlich lieblos, eigentlich kalt wie Eis, trotz aller seiner Güte. War er nicht überhaupt ein unfruchtbarer Mensch gewesen? Wo erinnerte für immer auch nur eine Spur an ihn? Seinen Sitz und Löffel nahm nun der Knecht Stoffel ein, seine Äcker und Wälder wurden schon durchgangen von anderen, keine Fußfährte drückte sich irgendwo noch ab von des Bauern schmaler Sohle. Und die Stündler lauschten der Predigt eines andern, eines Schneiders, der leidenschaftlicher und besser sprach als der Faller und mehr von den Freuden des Lebens in seine Heilsbotschaft mischte als der strenggläubige, rechtschaffene Bauer. Die Sekte bekam mehr Zulauf seit dem Tode des ernsten Führers. Also auch hier war sein Wirken unfruchtbar. Und blieb nicht auch ihr Schoß – Agathe begehrte dumpf auf gegen den Toten – blieb nicht auch ihre Gemeinschaft ungesegnet und eine Schmach vor ihrer Sippe?

Diese Aufwallungen kamen nicht allein. Die Gedanken der Bäuerin erwachten um viele ihr bisher ferne Dinge, als ob mit dem fremden Knecht Christoffel ein neuer Geist ins Haus getreten wäre. Dabei schien doch nichts geändert, als daß statt eines Bauern ein Knecht die Zügel führte; doch war Stoffel ein Großbauernsohn und mithin aus dem Blut der alten, freien 27 Geschlechter. Seit Agathe dies einmal, abends vor dem Hause auf dem Bänkchen sitzend, ausgesonnen hatte, ging sie neugierig dem Knecht mit den Blicken nach, wo sie konnte. Sie prüfte ihn auch. Sie fand dies und jenes nicht recht gemacht, das sei früher besser gewesen, ließ sie ihm gegenüber durchblicken. Auch sei das Werkzeug verstellt, man finde es nimmer am angestammten Platz. Doch Stoffel maulte nicht, noch trutzte er. Aber mit ganz ruhigen Worten konnte er sagen: »Wie Ihr meint, Bruderhofbäuerin, ich habe mir gedacht, der Pflug steht jetzt besser hinten im Schopf, wo's trockener ist, solange man ihn nicht braucht, und der Leiterwagen vorne.«

Er blickte sie dabei so blank an, daß allein die Festigkeit dieses Schauens sie bewegte und sie ihm recht geben mußte: »Ja, ja, du mußt damit umgehen, Stoffel, es mag bleiben.«

So behielt der Knecht seinen Willen.

Die Einsamkeit um den Bruderhof schien zu wachsen, je mehr die Erde grün wurde und die Frucht in die Höhe schoß. Der Bub trieb das Vieh auf die Weide, die Frau besorgte den Gemüsegarten und das Haus, und Stoffel war eigentlich überall, im Wald, auf dem Acker, auf dem Viehmarkt. Kein Hof zeigte sich auch nur durch eine Rauchfahne in der Nähe an. Die Kirchenglocken hörte man nur, wenn es Regen gab und sichtige Luft war, und der Postbote kam selten, auch selten Besuch aus der Sippe.

Man maß ganz im geheimen, im verschlossenen Sinne der Schwarzwälder, die eher ein Wort schlucken, als es herauslassen, der Bäuerin ein wenig Schuld am Tode des Fallertobias zu. Die Kunde von dem Streit im Bruderhof vor allem Gesinde war vielleicht absonderlich vergröbert und aufgeputzt in Knechtsgesprächen weitergetragen worden. Es war nicht Sitte in den strengen Stuben des Bauernadels, vor fremden Ohren zu streiten, vorab nicht vor dem Gesinde. Nun gar zum Zank noch Schläge im Hause des Frommen, das schien unglaublich, und da der alte Bruderhofer ein streitbarer Mann gewesen, lag es nahe zu sagen, die Agathe habe den störrischen Sinn des Vaters zum heißen Zankblut der Mutter geerbt; das konnte einem stillen Mann gehörig die Hölle heizen! Und daher kam es wohl, daß man dem verlassenen Hofe fernblieb, so weit es schicklich war, und daß sich auch bis jetzt kein Bauernsohn 28 gefunden hatte, der um das Haus der jungen Witwe strich, stolze Pläne erträumend und erwägend.

Ein Wunder bei dem sehr rechnerischen Sinn des Schwarzwälders! Wenn sich's um Geld und Güter dreht, weiß der sonst so schwerflüssige Wälder seinen Vorteil herauszuspielen und in einem Hauptstück an Bauernschlauheit den spitzbübischsten Tauschhandel mit dem lieben Nachbarn fest zu machen. Einer, der nicht handelte, nicht Jaß spielte und keinen Kirsch zum Bier nahm, der stand einem Duckmäuser gleich. Und gleichwohl galt auch der Faller als solcher, weil er ohne die Leidenschaften des sonst so anspruchslosen Wälderbauern war und dazu ein Stündler, den man nie in der Kirche sah. Das entfremdete natürlich den Hof auch seiner Sippe.

Der tiefste Grund der Vereinsamung beruhte auf der Kinderlosigkeit dieser Ehe. Man wurde zu keiner Taufe geladen, zu keiner Einsegnung, keine Patenbriefe brauchten hin- und herzuwandern und Botschaften an Weihnachten und Ostern. Eine Ehe, die ohne Kinder blieb, beherrschte irgendein Unsegen, mit dem man nicht gerne in Berührung kam. Und dann fiel plötzlich jemand auf, daß der Unsegen schon breit überm Bruderhof ruhen müsse; man erinnerte sich an den jähen Tod der alten Bäuerin und des Knaben und den seltsamen des alten Bauern, der auch nicht im Bett, sondern mitten im Wald durch einen Schlagfluß vom Tode betroffen wurde. Es grauste einem, dies alles an den Fingern herzuzählen und den Weg des Rätselhaften so mit traurigen Merkzeichen gewiesen zu sehen, die nichts Gutes in die Zukunft verrieten.

Die Leute des Bruderhofes zeigten sich jetzt wohl in der Kirche von Buchenbronn, das zwei Stunden weit weg über Berg und Tal die Gläubigen der ganzen Umgegend gastlich aufnahm, aber die Agathe hatte es stets eilig, nach dem Gottesdienst wieder fortzukommen, da sie ohne Magd blieb, weil sie, wenn sie es versuchte, kein Glück mit Mägden hatte und deshalb selbst ans Kochen denken mußte. Der Knecht Stoffel war aus dem Schiltebachzinken und drum der Bruderhof- und Fallersippe nicht genehm, auch ein Sonderling, dem seine Schwägerin Anna nichts Gutes nachzusagen wußte. So tappte man im Dunkeln. Man dachte nicht daran, Agathe ein wenig aus der Einsamkeit zu helfen, man dachte nicht daran, daß sie überhaupt 29 unter dieser Menschenferne litt. Und doch brach dies Leiden, unterschichtig schon in den Jugendtagen aufgekeimt durch die Besuche im heiteren Reichenbachtal bei der Base, eines Tages aus und brannte als stille, aber unaufhörlich wachsende Wunde der Agathe ins Gemüt.

*

Es wurde hoher Sommer. Am seidenblauen Schwarzwaldhimmel zogen dicke, blendendweiße Wolkenrosse über die Waldsäume. Ganz selten steht der Himmel über diesem seltsamen, sommers in so tiefen Traum versunkenen Gebirge ohne Wolken. Und selten vergeht ein Abend ohne leise fächelnden Abendwind.

Da saß Agathe zuweilen, ehe sie in die dumpfe Kammer ging, vor dem Hause und schaute an der Sommerhalde hinauf oder sann vor sich hin. Die Brunnen sangen, und Fledermäuse stürzten sich lautlos aus dem alten Gebälk des Hauses in den Abend. Es geschah auch, daß der Knecht Stoffel noch eine Weile unter der Haustür stand und rauchte. Ein paar schlichte Worte wanderten hin und her, was morgen zu tun sei, wie das Wetter sich mache und daß man ans Kartoffelhäufeln denken müsse. Sonst nichts.

Der Pfeifenrauch wehte in Agathens Gesicht und erregte sie ein bißchen. Tobias hatte nicht geraucht. In allem schien der Stoffel anders, kräftiger, männlicher, obschon auch Tobias kein Weichling war, eher ein unbeirrbarer Stiller, der sich nicht vom Wege bringen ließ. Aber er tat doch nicht, was andere Männer taten, richtige Männer, die eher fluchten als beteten, eher grob waren als geduldig. Zwar galt auch Stoffel als Sonderling, sie hatte manches über ihn läuten hören.

Man schrieb ihm seltsame Kräfte zu. Mit solchen hellen, klaren Augen könne man bannen, mehr sehen als andere und geheime Dinge hervorrufen. Das Blutmelken war nicht unverdächtig auf dem Götzenhof, just als er die Stallschwelle betrat!

Ein leiser Schauer rührte Agathens Schultern an. Was könnte über ihren Hof durch ihn für Unheil kommen? Aber es reizte sie nun, einmal den Wortkargen darum zu fragen, was für ein Bewenden es mit den Gerüchten habe, und sie sagte: »Stoffel, wie ist denn das mit dem Blutmelken gewesen auf euerem Götzenhof?« 30

Stoffel stieß ein paar Rauchwolken aus, ehe er antwortete. Schließlich sagte er ruhig: »Hätte nicht geglaubt, daß Ihr Euch, Bäuerin, mit solchem Gerede herumtragt. Ihr wisset auch, daß man nicht hext und bespricht, sondern daß der Mensch so dumm und unwissend ist wie ein Tier, wenn er an der Ordnung Gottes rüttelt. Alles ist da und muß sein und fließt und steht und ist rot oder weiß oder grün. Das ändern wir nicht. Und das mit dem Blutmelken kommt von der Krankheit, von der gestörten Ordnung. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, daß Ihr's merkt. Mein Bruder hat zur Bäuerin gesagt: Pfleg das Vieh besser. Da liegt der Has' im Pfeffer! Nicht meine Augen sind schuld, auf die alle schauen . . . Daß man so was daherreden mag!«

Er schritt von der Tür weg den gepflasterten Weg am Hause entlang und verschwand um die Ecke. Agathe wartete auf ihn. Sie schämte sich und hätte gern ein Wort zum Abschluß gesagt. Sie hatte ja niemals an das dumme Geschwätz geglaubt, nur mußte man doch wissen, woran man war bei einem Knecht.

Agathe schlief wohl ein, gleich nachdem sie sich niedergelegt, nach dem vergeblichen Warten auf die Rückkehr Stoffels, aber die Unruhe über seinen Zorn bewegte sich in ihrem Herzen. Sie fuhr mehrmals auf, lauschte und versank erst in tiefen Schlaf, als sie den Knecht sehr spät die Treppe hinaufpoltern hörte. Der Tag graute bei Gott schon, und es kam ihr vor, als sei der Mann betrunken, so unsicher suchten seine schweren Füße die Stufen. Gewiß hatte er im »Adler« am See drunten, eine starke Stunde über der Ebene entfernt, seinen Unmut hinabgeschwenkt.

Dem aber war nicht so. Stoffel war, ohne zu wissen wohin, in die Nacht hinausgestolpert. Es war ihm eng über der Brust; er hatte zu viel reden müssen. Er lachte dumpf auf. Daß niemand vom Aberglauben lassen mochte! Nun fing die Bruderhoferin auch an. Das trieb ihn noch fort, kaum daß er sich hier eingewöhnt und ein wenig Freude bekommen hatte am guten Gedeihen. In seiner halb traurigen, halb wilden Wut stapfte er auf der Ebene herum, riß einen Stecken aus einer Reißwelle, die in großer Zahl an den von unten hinaufgeputzten Forlenstämmen standen, und hieb in die Schmehlen am Wegrain.

Die Nacht brach herein, das heißt, die Dämmerung dehnte 31 sich aus; denn es war die Zeit der hellen Nächte mit wenig Sternen und einem blausilbernen Schimmer über der Welt. Am Westhimmel stand der runde Mond, und eine Wölkchenschar, grisselig wie Milchmolken, wandelte über sein Angesicht. Der Knecht blieb stehen und sah hinauf. Er mußte sich den Schweiß von der Stirne wischen, so rasch war er bergan gestiegen, und so unwirsch war er gewesen. Nun wurde er ruhiger. Das stille Wandeln der Sterne und Wolken betrachtete er gerne und verwunderte sich über die schöne Ordnung, in der sie aufstiegen und hinabsanken. Aus dem Jahrweiser hatte er sich die einzelnen Sternbilder eingeprägt, und nun fand er sie am Himmel wieder, war stolz, daß er die seltsamen, wohlklingenden Namen behalten und die Sterne anrufen konnte.

Wenn das jemand erlauscht hätte, wie er in der Nacht wunderliche Wörter in die Luft sprach und dabei den Stecken hob, wo gerade einer der großen Sterne strahlte, wenn so was belauscht worden wäre, man hätte Wasser auf die Mühle genug bekommen: er stehe mit Geheimem im Bund, er bespreche sogar die Sterne. Daran dachte nun Stoffel sofort, als er sich über den reinen Himmel freute, weil in seinem Herzen noch die Wachsamkeit des Zornes zuckte.

»Was ist mit mir?« fragte er, über sich selber mißtrauisch, »bin ich etwa nicht anders als die andern Knechte, muß mir da nicht jeder ein ungutes Merkmal anhängen? Ein Ochs, der nicht mit der Herde sich treiben lassen will, ist in meinen Augen auch einer, über den ich mich ärgere. Ich zwing ihn und hau ihm etwa eines übers Fell. Und nun, wie ist's? Wenn die andern noch unrasiert herumglunken und knapp ans Füttern denken, renn ich in die Kirche und sitz fast allein auf der Jungmännerbank. Und hetz heim, als stehle mir einer die Arbeit weg. Und mittags, wenn die andern aufgefitzt und sonntäglich zu den Mägden und ins Wirtshaus gehen, lieg ich wie ein Hüterbub auf der Weide und laß die Sonne mein Fleisch rösten. Vor Mägden und Händeln und Räuschen hütet sich der Stoffel, vielleicht weil er feig ist?«

Stoffel ließ den Stecken durch die Luft sausen, daß es heftig pfiff, riß ein hartes Gras aus dem Rain, preßte es zwischen die beiden Daumen und tat einen grellen Pfiff in die Nachtstille. Das Echo fing ihn ein und warf ihn lange, bald leiser, 32 bald lauter werdend, wie auf einem Wellengang hin und her. Es war dem Stoffel grausig bitter zumut. Er stapfte über die Weide, geriet mit den Schuhen unversehens in einen Moortümpel und verdarb sich so die Sonntagshose.

»Mir egal«, murrte er, »man schafft für d' Katz, man schafft in ein Sieb.«

Sein Zorn surrte in eine andere Bahn. Stoffels heimliche Rechnung ging darauf aus, nicht stets Knecht zu bleiben. Auf Eigenem werken, später einmal, war sein Traum. Diese heimliche Rechnung, so schlau und diftelig er sie sich stellte, stimmte nie. Ein kleines Geldchen lag ihm am Zins auf der Kasse. Das Auszahlgeld vom Götzenhof und Geringes dabei. Er rechnete den Zins und Zinseszins stets von einer Summe, die er sich auf alle ehrliche Art in den nächsten Jahren verschaffen wollte. Eines war gewiß, die Bäuerin mußte den Lohn aufbessern und vielleicht ihm einen kleinen Gewinn am Holze lassen aus dem Schlag im Hochwald, der nötig wurde im nächsten Jahr. Er pflegte den Wald und schlug die Bäume und war hinten und vorne dabei, daß nichts nebenhinaus kam, so war es aller Ehren wert, wenn ihn auch eine Belohnung traf.

Wie alle Wälderleute schätzt Stoffel Geld und Gut nicht schlecht. Er vertut nicht leicht etwas, hat kaum auch recht Gelegenheit dazu; viel Wirtshäuser gibt es nicht in den stundenweit entfernten Gemeinden, die oft nur aus ein paar Handwerkerhäusern, dem Rat- und Schulhaus rund um die Kirche, dem Pfarrhaus als Dorf bestehen, dessen Gewann aber stundenweit sich hinzieht über Bückel, durch Täler ohne jede Siedlung bis zu einem Einödhof oder einem Zinken mit zwei Höfen oder einer lockeren Drei- oder Vierhofgemeinschaft in geschützter Mulde oder auf sonnigem, waldfreiem Bergrücken. Der Wälder rackert entweder, bis er zu etwas gekommen ist, geizt, wenn er viel hat, oder aber er wirft mit vollen Händen den Reichtum aus, verpraßt und vertut ihn in Saus und Braus und schlaudriger Wirtschaft. Die Würde schlägt, wenn sie durch stolze, ehrenfeste und lebensharte Geschlechter gegangen ist, auf einmal um, und was Väter und Vorväter errungen und gehalten, bringen Kinder durch, noch ehe sie am Altern sind. Dann nimmt's nicht selten mit Schwermut oder Schnaps oder Landstreicherei und zuletzt durch einen Strick am Tännling oder auf der Tenne ein Ende. So geraten 33 viele mit fürstlichem Gut und Ansehen, scheinbar unerschütterlich gefestigte Bauernhöfe, ganz plötzlich in Verfall, ein Unhold haust in ihren Stuben und treibt das Böse auf alle Arten durch die Menschen.

Stoffel kam auch auf diese unbegreiflichen Dinge zu denken, er forschte nach Beispielen in der Nachbarschaft, wo es so abwärts gegangen war mit allem. Ja er kam sogar darauf, zu überlegen, wie es ihm doch einmal zupaß geraten könne, solch verwahrlostes Gut zu erwerben.

Mittlerweile hatte sich seine Unlust davongemacht, angenehme Träume umgaukelten ihn, die schöne Klarheit der Sommernacht tat ihm wohl, und er sah auch, als er, sich auf einem Findelblock niederlassend, die Blicke schweifen ließ, daß er in einem wundersamen Lande saß wie verzaubert. Nichts Unheimliches raunte um die Mitternacht, deren Glockenschlag fein und zitternd über den Wald kam, wieder vom Buchenbronner Kirchlein. Das alles war wohl auch Aberglauben, was landum erzählt wurde, das vom schwarzen Nachtläufer, der mit dem Kopf unterm Arm kecke Wanderer zu Tode erschreckt, oder vom Irrlicht, welches überm Moore fackelt und den Menschen in Irrwege und Elendspfade führt, oder von der Kornhex, die einem ein Loch in die Seele brennt mit ihren wüsten Blicken, und so vieles andere, von dem in den Spinnstuben gerätscht und gebispert wurde, daß einem starken Kerl das Gruseln kommen konnte. Stoffel zerbiß den Grashalm und starrte in die Himmelshelle. Der Mond sank bereits, ein starker, rötlicher Stern in seiner Nähe stand wie Ampellicht über dem Windkapf. Leiser, kühler Wind machte sich auf vom Osten und blies Stoffel ins rechte Ohr.

»Huia, glaub gar, es taget bald«, machte der Knecht, erhob sich und trat ächzend eine Weile auf der Stelle; denn die Beine waren ihm taub geworden.

»Es ist bigotts kühl«, murrte er, »der Hintere gefriert einem fast an, mitten im Sommer.« Er tappte den Hang hinunter wie ein alter Mann, das Kreuz war ihm steif. »Man schafft und schafft und denkt an sich nicht mehr, bis man die Matten hinabmuß.«

»Die Matten nab« mußte einer, der gestorben war, man hatte kaum einen anderen bedrohlicheren und bildhafteren 34 Ausdruck für das Sterben. Alle Bergbauern ringsum trug man auf den Friedhof, der tief im Tale lag.

Auf einmal wurde jetzt Stoffel müde, die Nacht verlangte ihr natürliches Recht. So fand er sich schlaftrunken kaum die knarrende Treppe zu seiner Knechtskammer hinauf und weckte die Bäuerin auf.

Am Morgen schien es ihm drum zu sein, der Bäuerin ein gutes Wort zu geben, aber er drückte vergeblich daran herum. Er spengelte nach dem Füttern und Melken noch eine Weile im Hof an Sicheln und Hauen und wartete, ob ihn die Bäuerin nicht zum Vespern rief. Plötzlich stand sie neben ihm und sagte: »Was ist mit dir, willst nichts in den Magen, hast ihn wohl verheit letzte Nacht?«

Christoffel lachte gutmütig und sagte: »Hat nichts zum Verheien gegeben am Magen, eher an der armen Seel.«

Agathe sah ihn verwundert an. Wie sonderbar der daher redete. Er roch zwar nicht nach Wirtschaft, und seine Augen waren nicht gerötet. Also log er sie wohl kaum an. Schweigend vesperten sie dann und brachen auf zu dem Kartoffelacker.

»Man wird bald heuen müssen, das Wetter wird nicht halten«, warnte Stoffel unterwegs. Das war alles, was die beiden den ganzen Morgen, an dem sie schier Schulter an Schulter schafften, bewegte. Und doch rechneten sie miteinander im geheimen. Das Gespräch am Abend, vielmehr der Unmut, der zwischen sie gefallen war, trieb sie zusammen. Sie mußten aneinander denken und kreisten um dasselbe Gefühl: es solle doch nichts Ungerades kommen zwischen sie, es sei so gut gewesen bisher, dieser Verlaß aufeinander und dieses ruhige Werken. Die Bäuerin konnte sich Stoffel nicht mehr vom Hofe wegdenken. Seine besonnene Kraft waltete über allem, über Vieh und Äckern, über dem Haus und den Taglöhnern. Und er sah auch nie und nimmer wie ein armselig Knechtlein aus. Ja so, er stammte aus dem Götzenhof, dem ältesten ringsum. Freilich machte der abwärts, man hörte es munkeln und tuscheln, es klappe nicht mit dem jungen Paar und gehe viel nebenhinaus durch Schlamperei und Unfrieden. Das ging sie nichts an, auf jeden Fall schien ihr so uneben nicht, den Christoffel in künftiger Zeit darauf anzuschauen, ob er nicht Bauer 35 werden könnte. Als es Mittag wurde, war sie mit sich im reinen. Sie glühte vor Erregung und brach die Arbeit ab. Nur nichts merken lassen, beschwor sie sich. Er soll nicht in die Hürde einbrechen können wie ein Wolf, der Blut riecht.

Sie wurde hochmütig und fing auf dem Heimweg, während Stoffel pfeifend hinter ihr schritt, im Vorübergehen bei den Klee- und Kornfeldern ein wenig zu kritteln an.

»Oh je, die Bäuerin ist letz«, dachte er, »zum Heu sagt sie Stroh, und ich muß es gelten lassen.«

Vor einer Stunde noch wollte es ihm scheinen, als sonne sie sich neben ihm. Und er wußte doch nicht, weshalb er so voll Freude den ganzen Morgen geschafft hatte. Ein leichter Traum erhellte die letzte Schlafminute, und da war die Agathe gut zu ihm gewesen. Er wußte nicht mehr genau wie. Aber kecke Pläne sprangen ihn daraufhin an, er dachte kühn an schier unmögliche Dinge, den ganzen Morgen schon. Es waren Pläne, mit denen man spielte und die einen fröhlich machten. Er hatte die Frau zum erstenmal richtig angesehen und eine heiße Flut aufbegehren gefühlt. Jedoch nur so lange blieb diese unbeschwerte Gebärde in ihm, als er Agathe nicht vor den Augen stand; sobald sie ihn ansah oder ansprach, schon da sie ihre Hacken im Schopf abstellten und dabei unwillkürlich einander nahe kamen, schon da verließ ihn die Sicherheit vor sich selber. Er wurde bockig und ungelenk. Da stolperte er über ein Scheitholz, das zum Radsperren im Wege lag in der leicht abschüssigen Bühneneinfahrt, taumelte an die Türfalle und riß sich den Hemdsärmel auf.

Agathe erschrak, verlor jedoch kein Wort. Sie rief durch die gewölbten Hände am Mund auf die Weide hinüber, der Bub solle einfahren. Im gleichen Augenblick rannte auch schon der kleine Kerl, die Geißel über die Leitkuh schwingend, den Berg hinab, die ganze Herde hinterdrein mit großem Geläute. Bis getränkt war, verging schon einige Zeit. Das Vieh drängte sich gern in den kühlen Stall, wo die Bremsen nicht so quälten; denn in der schweren Schwüle, die mit dicken Haufenwolken über den Wald stieg, wurde das Mückenzeug verrückt auf Blut. Die Schwalben zuckten in niedrigen Stoßflügen über den Hof.

Stoffel steckte den Kopf in den Brunnen und kühlte sich. Es war nötig; denn ihn ärgerte sein zerrissenes Hemd. Der Bäuerin 36 aber gab es Anlaß, beim Essen zu sagen: »Es ist nicht Sitte, wie ein Scheurenpürzler am Tisch zu sitzen«, und dabei auf Stoffels bloßen Arm zu blicken, der aus dem Riß blinkte.

Stoffel schwieg. Der Bub lachte hinaus. Da saß ihm auch schon ein Streich hinterm Ohr, die Bäuerin hatte ein lockeres Handgelenk und ließ auf diese Art ihrer Unruhe einen Ablauf. Der arme Kerl verdrückte nun die Tränen, die ihm aber doch in salziger Flut in den Löffel perlten. Schweigsam nahmen sie sich fast im Takte die Hafermehlsuppe aus der gemeinsamen Schüssel, niemand fischte den gerösteten Speck zu sich, der in kleinen Würfeln obenauf schwamm. Es hatte ihnen die Eßlust verschlagen. Außen sahen sie alle drei so mißlaunig aus, während doch in tiefster Herzensgrube ganz scheu eine Freude hockte. Aber die Wälderbauern sind so. Bloß nicht zeigen, wie einem in Wirklichkeit zumut ist, am wenigsten, wenn man auf etwas abzielt.

 


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