Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Der Brand des Bruderhofes

Es kam eigentlich kein neues Wesen in den Bruderhof, seit Agathe und Stoffel ein Ehepaar waren. Im Herbstnebel hackten sie Kartoffeln aus und droschen das Getreide fertig, brachen die Äcker um und zogen Kanäle durch die Matten. Es gab von früh bis spät genug zu schaffen, um todmüde ins Bett zu sinken. Als die Feldarbeit ruhte, das Korn gedroschen und in der Mühle, die zum Hofe gehörte, verschrotet und gemahlen war und trotz des Novembers noch wärmliche Tage den Herbst hinzögerten, hielt sich Stoffel mit Taglöhnern im Wald auf, putzte die Forlen aus und sammelte die abgehackten Zweige in Wellen für den übernächsten Winter.

Agathe, im Hause tätig, den Flachs herzurichten für die Spinnstuben, die Schafwolle zu verzetteln und die Strümpfe anzustricken, dachte manchmal: »Wie still ist's doch; wenn man die Axtschläge nicht hört, sobald man vor die Haustür geht, kann man glauben, die Menschen sind ausgestorben in der Gegend. Es ist nicht anders als früher, eher einfältiger noch; denn damals kamen wenigstens die Stündler.« Und wegen des jungen Mannes, oh, da hätte sie ruhig noch zehn Jahre älter sein dürfen. Er zeigte selten jähes Blut, und kaum daß er im Bett lag, schlief er auch schon mit tiefem Atem.

Agathe war unzufrieden, sie gab sogar zuweilen störrische Antworten, wenn Stoffel sie etwas hieß. Dann blickte er sie aber mit seinen hellen, merkwürdigen Augen so zwingend an, daß sie alles tun mußte und völlig widerstandslos war. Auch wenn er nicht in ihrer Nähe schaffte, bedrängte sie das Gefühl, er stehe hinter ihr, treibe sie an und lasse nichts unbesehen, was ihr schlecht und langsam von der Hand wollte. Sie träumte 56 nachts davon, die hellen Augen standen unerbittlich über ihr, sie mußte unmögliche Lasten heben, riesige Kartoffelsäcke auf Karren laden und wurde atemlos dabei, von Angst und Anstrengung gepeinigt.

Mitten in der Nacht glaubte sie oft nicht mehr mit ihm leben zu können vor Haß; aber wenn sie am Morgen sein freundliches Gesicht sah und den klaren, gelassenen Ernst, mit dem er an das Tagwerk ging, verlor sie ihr böses Denken; entwaffnet und scheu nahm sie die Arbeit auf. Ein zärtliches Wort, ach nur ein Streichen über die Schulter oder ein Armumlegen hätte genügt, sie fröhlich zu machen. Stoffel vergaß dies, und ihr Stolz verbot ihr, ihm zu sagen, daß es sie friere neben seinem Werkelfleiß, und daß sie sich nachts mit seinem Gespenst abquäle; daß sie eine Frau sei, die genau so der Liebe bedürfe und der Sorgfalt wie ein Acker.

Einmal kehrten sie vom Krautacker heim, als schon die Sterne am Himmel standen. Klare Luft und laues Wehen verzärtelten den November, der eigentlich Schnee brauchte. Agathes Rücken schmerzte vom vielen Bücken, sie schritt voraus, wie es ihre Gewohnheit war, den Korb voll Kohl am Arm, und Stoffel, Hacke und Spaten über der Schulter, da er Gräben ausgestochen hatte, wanderte auf seinen schweren Füßen hinterdrein, leise pfeifend.

Agathe blieb plötzlich stehen und setzte den Korb nieder, das Kreuz schmerzte unerhört.

Stoffel, in Gedanken vertieft, blieb unwillkürlich auch stehen und pfiffelte weiter.

Das machte die Bäuerin rasend. Alles, der friedliche Abend, der sich aus dem Frühsommer in den Spätherbst verirrt hatte, das zarte Flöten des zufriedenen Mannes, das Stehen im linden Duft der würzigen Weide, schien ihr unerträglich, weil sie so leiden mußte, Kreuzweh hatte und ein fremdes Drücken auf dem Herzen. Niemand half ihr. Die Stille tötete sie noch. Kein Weib trug solche Einsamkeit wie sie. Sie brach in Tränen aus. Der erschrockene Stoffel wollte sie umfassen, stumm fragend, da stieß sie ihn heftig von sich.

»Du Knecht, – Knecht!« zischte sie, »eine Magd machst du aus mir. Schinden und schuften muß ich wie irrsinnig. Ich weiß jetzt, was du willst, mich zu Tod hetzen und dann allein 57 Hofbauer sein. Das Weib war nur die Dreingab, das notwendige Übel. Man merkt's ja. Ein gefrorener Stecken könnte nicht steifer und kälter neben einem im Ehebett liegen als du. Freilich Kinder könntest du keine brauchen. Dazu noch einen Sohn – ah – nein, nein – um Gotteswillen nicht. Der müßt den Hof der Mutter alleinig erben, da ging dir nebendurch, was du erzwungen mit deinen Lasteraugen. Schau mich nicht an. Du bannst mich nicht, mein rotes Blut schreit gegen dich, das ist heilig. Habest Umgang mit Hexen, haben sie geraunt im Schiltebach. Der Götzenhof weiß es wohl. Du hast ihn an den Abgrund gebracht, weil er dir entging durch Jakob.«

Sie wurde atemlos vor Schreien. Stoffel lachte laut in die Nacht. Agathe riß den Hängkorb vom Boden und wollte davon. Aber da griff Stoffel nach ihr. Zwang ihr den Korb ab, packte ihre Handgelenke so derb, daß sie in die Knie fiel. Ihre Blässe leuchtete.

»So«, sagte Stoffel und ließ locker, »das war für den Knecht. Und so« – er zog sie mit behutsamer Gewalt empor, drückte sie an sich und küßte sie stark auf den Mund – »das war für den gefrorenen Stecken, das andere kriegst du in der Kammer, und dann wollen wir weitersehen. Es ist immer gut, wenn der Kropf einmal geleert wird.«

Agathe zitterte, wagte aber kein Wort mehr. In Scham und Trotz schritt sie neben ihm. Er trug nun noch den Korb. Einmal übermannte sie ein weiches Gefühl, sie hätte gern ihre Hand in die Stoffels geschoben, wie ein müdes, verlaufenes Kind. Aber nun trug er den Korb und das Geräte, hüben und drüben beladen. Auf der harten Straße fiel ihr das Gehen schwerer als in der federnden Matte. Sie ging leicht gebeugt und seufzte unwillkürlich.

Stoffel sagte: »Bist du so müde, ich trag dich, geh her, leg die Arme um meinen Hals, mein Rücken ist breit.«

Sie schüttelte heftig den Kopf, doch schon schob er das Gerät geschickt auf die Achsel an der Seite, wo er den Korb trug, und zwang die Frau mit dem freien Arm, seinen Willen zu tun. So trug er alle Lasten willig. Er tat, als seien sie leicht, er pfiff sogar ein wenig.

»Christoffel, las ich einmal in einem Kalender, trug das kostbarste Gut der Welt durch alle Gefahr. Sieh nun, Stoffel 58 trägt sein Weib und seine Ackerkrume an Schaufel und Kraut, das Kostbarste, was er besitzt.« Er lachte leise auf, hielt Agathe fester, denn sie zuckte.

»Du spottest meiner«, sagte sie

Er gab keine Antwort.

Beide meinten, die Straße dehne sich und stundenlang seien sie schon unterwegs. Als Agathe dem starken Stoffel zu schwer wurde, setzte er sie sachte auf die Füße. Das Kreuz tat ihr zwar noch mehr weh vom ungewohnten Zwang, aber sie ließ nichts merken.

»Hab Dank«, sagte sie scheu und gab ihm die Hand. Er lachte, von Verlegenheit ergriffen.

Daheim stand das Essen schon auf dem Tisch, aber gemolken war noch nicht. Die Magd war, seit sie ein Stück Vieh beim Melken halb blödsinnig geschlagen, nicht mehr zu bewegen, wieder unter eine Kuh zu hocken. So mußten sie nach der Abendsuppe noch in den Stall, wo das Vieh bereits unruhig auf Fressen und Tränke wartete. Während Agathe molk, trieb der Bauer allerhand Schabernack im Vorbeigehen. Die beiden daudelten wahrhaftig wie junge Kälber. Und später, nach einer kurzen Rast in der Stube, hatte Agathe ihre Behauptung, ein gefrorener Stecken liege neben ihr, büßen müssen.

Es war ein Glück, daß in der Nacht der laue Wind vom Westen plötzlich in den Norden fuhr; denn am Morgen lag tiefer Schnee, und in üppigem Flockenstieben hielt der Winter seinen Einzug. Man schaffte im Haus herum und ließ fünf gerade sein, hockte am Ofen und pflegte ein bissel der Faulheit.

Stoffel machte der Bäuerin allfort knitze Augen und ungewohnte Anspielungen, die sie rot übergossen im Gesicht abwehrte, er heizte ihr ordentlich ein. Im Zudunklen saßen sie auf der Ofenbank wie Hans und Grete. Der Bauer war Agathe zutunlich mit derben und übermütigen Griffen, als habe er jetzt erst das Weib entdeckt. Dann verstummte allmählich ihr Gelächter, und sie sannen in die Stille. Immer noch schneite es. Die Nacht glitt herab. Stoffel nahm die Frau an seine Brust.

»Alle Welt ist uns nun zugedeckt, Liebste, nur wir sind da im warmen Dunkel. So schön war's noch nie in meinem Leben und so feierlich. Ich mein, ich hör eine Stimme leise und groß 59 wie ein Windwehen, die sagt – betet! Es ist wie an Weihnachten, und in unserem Herzen brennt das ewige Licht.«

»Stoffel, du redest gut, besser kann's der Pfarrer nicht!« sagte Agathe unter Tränen, »du hättest geistlich werden sollen.«

»Die Mutter hat's gewollt, aber in der Stadt konnte ich die Erde nicht vergessen daheim und war immer in Gedanken über den Äckern und im Wald. Zuletzt nahm mir das Heimweh fast das Leben. Ich riß aus, ließ die Anstalt dahinten und kehrte zurück. Es wäre nichts Rechtes geworden aus mir. Hände, die nach Axt und Hauenstiel verlangen, machen sich lächerlich, wenn sie mit Büchern umgehen. Freilich, die Bibel wiegt schwer; aber die kann der Bauer im Feierabend auch halten, ohne studiert zu haben, die Stücke der Heiligen Schrift kann auch der schlichte Mann lebendig machen.«

Agathe schwieg darauf. Sie dachte an ihren frommen, ersten Mann, der im Rufe stand, ein Frömmler zu sein. Nun redete der Stoffel auch so heiligmäßige Dinge. Dabei ertappte sie sich bei dem Wunsche, Stoffel möge näher der schwarzen Magie kommen, die man ihm andichtete, als ein gar zu Bibelkundiger zu werden. Die Kirche am Sonntag, das Tischgebet, dieses mochte doch langen für das Christenheit, dazu das Gute tun und seine Pflicht erfüllen, die Gebote und Gesetze halten, treu und aufrichtig sein. Um das fromme Gespräch sich nicht vertiefen zu lassen, stand sie auf und sagte: »Ich mein, Stoffel, wir schaffen zunacht.«

Auch diese Nacht und die nächsten merkte Agathe, daß sie Frau war.

*

Nun hielt der Winter stand den ganzen Dezember durch. Weihnacht ging schlicht gefeiert vorüber. Die Glut des Blutes in den beiden Menschen wurde zum ruhigen, mäßigen Feuer. Agathe und Stoffel glichen sich aus, der Alltag umhüllte sie in steter Stille. Draußen lag der Schnee nahezu einen Meter hoch. Post blieb aus, es war wohl auch keine gekommen für den Bruderhof. Eines Tages stapfte aber doch der Bote herauf. Der Götzenjakob schrieb, die alten Leute seien kurz nacheinander an einer Lungenentzündung gestorben und schon begraben. Bei dem tiefen Schnee habe man nicht erwartet, daß die 60 Bruderhofer zur Leiche kämen, und habe die beiden gemeinsam in aller Stille und Trauer zu Grabe getragen. Gott hab sie beide selig.

Stoffel blieb ein paar Tage in tiefen Ernst versunken. Agathe störte ihn nicht.

Langsam, mit langen Dämmerungen, rannen die Tage ins einförmig Gleiche wie in das Nichts. Im Bruderhof ging die Arbeit aus. Das Holz war alles gespalten. Auch die Schindeln säuberlich aufgestapelt, um im Frühjahr ein Stück Dach neu zu decken. Agathe und die Magd spannen und flickten. Der Hirtenbub schnitzelte Kochlöffel. Stoffel bastelte einen Taubenkäfig, wie sie in vielen Schwarzwaldstuben unter dem Ofen, der auf hohen Füßen steht, heimisch waren. Im folgenden Jahr sollten die hübschen Ringeltauben ihn beleben. Er schnitzelte zierliche Bilderrahmen für Holzschnitte, die er aus alten Kalendern gesammelt hatte, und immer noch lag der Schnee, nun hart gefroren. Schließlich waren alle Kalender ausgelesen, die Bibel auch. Da wurde Stoffel alsgemach mürrisch, besonders als er merkte, daß er Fett ansetzte. Er räkelte sich auf der Ofenbank herum und schlief ganze Nachmittage lang. Versuchte auch einmal mit Rohrstiefeln sich in den »Adler« hinabzubahnen, aber der steife Ostwind biß ihm die Haut von den Backen und verwehte meterhoch die Wege. Da kehrte er schlecht aufgelegt wieder um. Er trank aus Langeweile den Schnaps und den Heidelbeerwein weg, plagte zuweilen seine Frau, die auch nicht lustig war, schmälte mit der Magd und quälte den Buben durch ewige Nörgeleien.

Der Winter milderte für keine Stunde die eisige Härte seiner Herrschaft. Er war meistens trocken, von scharfen Winden durchblasen und von wolkenlosem, blitzblauem Himmel überdacht. Im Walde ächzten die Stämme und schrie das Wild vor Frost.

Einmal wurde der Tag leer im Bruderhof, weil es nichts mehr zu tun gab. Die vier Menschen wurden des Bastelns überdrüssig. Man durfte die Nase nicht vor die Tür stecken, sonst gefror sie. Das Ofenhocken, Umeinanderglunken in Stall und Stube machte träge und dumm.

Agathe, die es kaum mehr ertrug, den Buben und die Magd ständig um sich zu haben, wurde ungattig und ließ schließlich 61 für sich die Leibdingstube im zweiten Stock heizen. Stoffel lag stundenlang wie ein Klotz auf der Ofenbank.

Man sah keinen Menschen über den Siehdichfür wallen, denn die Schneemauer verbarg die Aussicht auf die Straße. Sie dämpfte sogar das Schlittengeläut. Agathe erging sich in Träumen, sie wandelte in Gedanken unter Menschen in heiterem Tal, und mancher Bauer schaute sie an und dachte: »Was für ein schönes Frauenzimmer, die Bruderhöferin!«

Sie hatte sich zwei neue Kappenböden gestickt mit Goldfäden und Perlen auf blauem und auf schwarzem Grunde. Damit konnte sie Staat machen, und auch das Koller, dazu passend, mußte bewundert werden. Sie wollte sich überhaupt üppiger kleiden; denn wozu das Geld im Schrein ruhen lassen, man konnte es ja später nicht mitnehmen. So geschmückt und ihren Reichtum zur Schau tragend, wandelte sie durch artige Träume. In die Träume trat, da sie immer dieselben Kreise drehten, die leise klagende Sehnsucht, trieb Agathens Beschaulichkeit in Unruhe, um so mehr als auch schon drei Sonntage ohne Kirchgang vergehen mußten, weil eisiger Sturm die gebahnten Wege verweht und voller Gefahren gemacht hatte.

Die heitere Seele der Frau wurde schwermütig und ungeduldig. Der Mann lag und schlief. Er schnarchte manchmal, daß die Wände zitterten, und wußte nichts zu reden. Agathe wurde dann von tiefem Zorn erfaßt. Sie hielt an sich, nicht loszuschimpfen. Das grüne Tal der Jugendzeit in Reichenbach stieg vor ihrer Sehnsucht auf. Sie kam davon nicht mehr los. Und heimlich krachte das Gebälk des alten Bruderhofes vor Sturm und Kälte, und keines Menschen Fuß drückte eine Spur in den Schnee, soweit man sah. Krähen klagten heiser, da sie in düsterer Kette das Haus überflogen.

Sie getraute sich nicht, Stoffel von ihrer Bedrängnis durch die Einsamkeit zu sprechen. Und doch drückte ihr die Angst vor all den Geräuschen der toten Dinge nachts die Kehle zu. In Stoffels hellen Augen standen tiefe Gedanken. Er verlor vor lauter Grübeln und Denken die Ungeduld über das unveränderliche Winterdasein.

Will er nicht in das Wirtshaus hinab, Jaß spielen und saufen wie mancher Bauer? Die scheuten die Kälte nicht. Wenn 62 er nach Gesellschaft blangerte, wäre es leichter, ihm von der Unruhe zu reden.

Als die Kälte endlich im Februar brach, kam die Sehnsucht nach Menschennähe unaufhaltsamer denn je über Agathe und stürzte ihr Wesen in zornige Trauer. Eines Abends weinte sie los, als Stoffel sie derb liebkoste, und tobte alle aufgestapelten Schmerzen aus sich. Sie wolle nicht länger hier bleiben, es müsse eine Änderung geben, nie gewöhne sie sich an die Öde und die Einsamkeit, obschon man sie hier hingeboren hatte. Sie müsse und müsse fort, wenn er nicht wolle, daß sie sich hintersinne, das sei nahe, der Kopf summe ihr schon, als wolle er brechen vor Dumpfheit. Ins Tal hinab, wo andere nahe dabei wohnten, meinetwegen in den Schiltebach, treibe es sie.

Agathe versuchte nach dem ersten heftigen Ausbruch Stoffel milder zu bereden. Was für Worte sie fand und wie sie die Vorteile eines gefälligeren Wohnens hervorzukehren verstand! Der Uhrenmichel habe doch eine Andeutung gemacht, daß er seinen Hof verkaufen und wieder nach Rußland wandern wolle. Man könne doch einmal anfragen, da sei ihres Wissens viel Land dabei, schönerer Wald auch als der hier herum, saftigere Matten und würzigere Weiden, dazu das feine, wohlerhaltene Haus.

Alles, alles nützte nichts, Stoffel, käsweiß im Gesicht, ging mit wuchtigen Schritten in der Stube auf und ab, ließ sie ausreden, ließ ein furchtbares Schweigen entstehen, als Agathe fertig war, und brach endlich los. Seine Stimme zitterte und war heiser. Er hätte sonst gebrüllt wie ein Stier: Nie und nimmer! Diese gute Heimat verlassen, da er jede Scholle kannte, in die Äcker so viel Hoffnung gesät und an den Wald so viel Pflege gewendet hatte. Nie und nimmer! Was sind das für Spinnereien, vom Erbhof fort zu wollen, wo Eltern und Ahnen geschafft hatten und ein stolzes Leben gelebt!

Nie und nimmer! Wie ein Baum hatte er im Boden Wurzel gefaßt, wuchs nun gerade, fühlte das warme Wesen des Eigentums im Blut wie ein neuer Saft. Und war gewachsen und freudig geworden über den Äckern. Nein!

Und in das Schiltebachtal! Was dachte sie denn! Wo man ihn zeitlebens gedemütigt hatte, und seine hergelogene Schmach auf dem Götzenhof damals mit angesehen? Und nun das 63 Abwärts des Götzenhofes näher erleben müssen, vielleicht auch die Schuld daran aufgeladen bekommen? Nein!

Stoffel wütete und bettelte in einem Atem. Er schluchzte auf und brannte im nächsten Augenblick vor Jähzorn. Solchen Grimm hatte die Bruderhofstube wohl nie gesehen! Die anderen Bauern waren nicht so bärenbündig gewesen wie der Stoffel, sie keiften leise, spöttelten und verhandelten. Ließen es womöglich in Meinungsverschiedenheiten gar nicht so auf Spitz und Knopf kommen.

Agathe drückte sich furchtsam. Der Auftritt damals, als sie den Tobias schlug, war so unheimlich nicht gewesen. Den Stoffel mußte man fürchten. Er schüttelte die großen Fäuste der Frau ins Gesicht, trampte mit den schweren Füßen auf die Diele, daß es donnerte.

»Da bleiben wir! Ewiglich!« brüllte er los und noch einmal leise und scharf wie Messer: »Da bleiben wir ewiglich!« Er trat dicht vor Agathe, ließ die Fäuste vor ihrem Gesicht und Halse auf und zugehen in maßloser Drohung.

»Es kostet dir das Leben, wenn du noch weiter beharrst«, dachte Agathe entsetzt, duckte sich zusammen, zeigte sich demütig vor dem gereckten Manne, aber ihre Augen schillerten katzengrün, da sie sich wortlos von ihm wandte und in die Kammer schlich. Böse Gedanken, die zur fixen, verruchten Idee wurden, durchloderten die schlaflosen Stunden, in denen Agathe schweißgebadet und in finsterem Grame dalag, neben Stoffel, der glaubte, er habe das Weib von seinen Hirngespinsten befreit.

*

Indem kam das Frühjahr endlich. Es taute, und man konnte draußen schaffen und über Land gehen. Stoffel fuhrwerkte wie ein Teufel über die Felder.

»Es kann kein Segen auf dieser unheiligen Hast ruhen«, sagte Agathe zu Stoffel, der selbst am Sonntag noch in Schaffkleidern umherging und sich nicht scheute, sogar Nägel in den Lattenhag am Hausgarten zu schlagen.

Stoffel sprach kaum ein Wort mehr. Agathe merkte wohl, er tat alles nur Erdenkliche in Haus und Hof, um eines Tages auftrumpfen zu können: Siehe, wir haben das schönste Gut rundum, und du begehrst fort! Schier vornehm das Haus mit 64 seinen weißgestrichenen Fensterkreuzen, und du begehrst fort! Er grübelte immer wieder etwas Neues aus. Die sieben Brunnen hatte er alle, obgleich ursprünglich gemach damit getan werden sollte, auf einmal erneuert, auch fünf junge, feste Kühe gekauft, von einer wundervollen, rötlichbraunen Farbe. Nun standen vierzig Stück Vieh im Stall. Der größte Bauer ringsum besaß fünfzig Stück. Er stellte noch eine junge Magd ein; denn als es Frühjahr wurde, sah man, daß die Bäuerin mit einem Kinde ging. An Ostern, als sie zum Abendmahl in die Kirche geschritten waren, hatte es Agathe dem Bauern gesagt, worauf er vor Freude ein paar Tage redseliger und zutunlicher war und sie vermahnte, nicht gar so arg zu wirtschaften, daß sie nicht in Schaden käme. Die hellen Augen Stoffels drangen warm in Agathens Gemüt; er rührte zart wie ein guter Arzt an ihre wehe Stelle: »Schau, wenn du ein Kind hast, wird kein Tag mehr zu einsam sein für dich!«

Agathe ging in die Sonne, die Schattenkühle des Hauses tat ihr nicht gut. Stoffel gewann seine Sicherheit auf der Scholle nun vollends zurück, die Hast seines Werkelns wurde wieder in Gelassenheit gewandelt.

Je runder Agathens Leib wurde, im selben Maße wie die Last wuchs, desto stärker breitete sich die Düsternis wieder in ihrem Gemüt aus. Die junge Magd sang zuweilen und neckte den Bauer, der Red' und Antwort stand. Agathe ärgerte sich darüber, wagte aber nicht, dem kecken Ding etwas zu sagen. Was denn auch? Sie hätte sich lächerlich gemacht!

Eine Kuh wurde krank, bekam die Kolik, Stoffel und die junge Marie hielten Nachtwache im Stall. Agathe bot sich zuerst zur Wache an, aber Stoffel schob sie aus der Tür und sagte freundlich: »Nein, Frau, schlaf du, und verdirb dich nicht!«

Da die Marie sonderbar herübersah, so, als errate sie die geheime Furcht der Bäuerin, und aufreizend lächelte, wandte sich Agathe stolz ab und stach bloß ein wenig, indem sie sagte: »Eigentlich ja, wozu haben wir auch eine Stallmagd?«

Doch im Bett peinigten sie häßliche Bilder, so lange, bis sie barfüßig an die Stalltür schlich und lauschte, ob die zwei miteinander redeten und lachten. Sie horchte angespannt. Hörte nichts. Traute sich auch nicht den Spalt zu öffnen. Stoffel 65 mußte etwas gemerkt haben, er kam übers Stroh, und ehe Agathe dies gewahr wurde, stand er vor ihr, mit erstauntem Gesicht: »Was ist denn?«

Agathe errötete heiß, er sah es im Licht der Laterne, die an der Decke des Ganges hing. Plötzlich wußte er, was die Bäuerin hergetrieben. Er lachte leise auf, bückte sich und hob Agathe in seine Arme, trug sie aufs Bett, tatschte ihr auf den Schenkel und sagte: »Hast gemeint? Oh, auf sowas kommt dein Stoffel gar nicht, ist er nicht – ein gefrorener Stecken?«

Aber das Mißtrauen schwand nicht, sie beschlich die beiden, wo sie konnte, jedes Auflachen der Magd konnte Stoffel gelten, und galt auch; denn das junge, heißblütige Geschöpf fand Gefallen an dem Starken und sah verächtlich auf die Frau, die älter war als er und mürrisch, wenn auch stattlicher und schöner von Angesicht als die stupsnasige, gedrungene Magd Marie.

Stoffel litt das Ding um sich, wie man ein keckes Kind leidet, dessen Fröhlichkeit einem warm macht. Weiter geschah nichts. Stoffel sah auf sein Weib und hatte es auf seine verschlossene, wortkarge Art lieb.

*

Der Sommer kam nach kurzem Frühjahr wie eine Lohe ins Land, die Erde brach auf in trockenen Rissen, an den Rainen verdorrte das Gras. Agathe wandelte sich weiter, als eine Leidfrau lief sie umher, dunkel voll Schwermut. Das dunkle Haar fiel ihr oft in geschlängelten Strähnen übers Gesicht, sie strich es nicht zurück. Ihre Röcke verdarben, ihre Mieder wurden fleckig. Stoffel ließ manchmal anspannen und führte sie in die Stadt oder zu Verwandten. Es nützte nicht viel. War sie auch heller, wenn sie mit den Leuten sprach, so vertiefte sich nachher ihr Gram nur noch mehr. Viele trösteten ihn und sagten: »Wenn sie das Kind geboren hat, vergeht die Schwermut wieder. Sie überfällt gern die gesegneten Frauen.«

Stoffel dachte: »Wir wollen es hoffen. Bliebe sie so zeitlebens, müßte mir lieber sein, irgendwo als niedriger Knecht zu dienen, denn als Bauer neben einer Unheilvollen.«

In einem lichteren Augenblick sagte Agathe selber: »Wenn das Kind da ist, kann ich wohl wieder lachen.« 66

»Gott geb's!« sagte Stoffel und glaubte jetzt fest daran, daher verließ ihn die nagende Sorge, und er kümmerte sich wieder mehr um die Arbeit als um das grämliche Weib.

In dessen Augen lauerten oft böse Lichter. Die junge Magd fürchtete sich, allein mit der Bäuerin zu sein, die Bauer und Gesinde quälte, weil sie immer wandelsüchtiger wurde, jetzt plötzlich unheimlich zärtlich und fröhlich werden konnte, um im nächsten Augenblick zu schelten und zu keifen oder finster brütend im Haus umherzuschleichen. Für alle war dies eine schwere Zeit. Sie hielten zusammen gegen die Frau, wenn auch Stoffel die gekränkten Dienstboten beschwichtigte. Sie waren dem Bauern zugetan; denn er behandelte sie gut. In einer schwülen Nacht, da Stoffel vor Schlaflosigkeit sich von der Seite der wie tot schlummernden Frau wegstahl, um vor dem Hause sich zu ergehen, lief ihm die Marie in die Hände, die wohl von einer Kareß kam. Der heiße Dunst, der von ihr ausging, erregte Stoffels Blut. Aber er widerstand.

Im Schweiße ihres Angesichts holten sie das Heu heim, das mürb war vor Sonnenglut. Wenn Stoffel hinter einem Schochen die Magd Marie entdeckte, fern von den andern, reizte es ihn, über sie herzufallen wie ein Tier. Manchmal griff er an ihre nackten Arme und schüttelte sie. Der Frau, die im kühlen Hause blieb, wich er aus. Die Magd Marie hatte Angst, die Bäuerin belausche einmal ihr Geschätzel und käme des Nachts wie ein Alb in ihre Kammer, sie zu erwürgen. Zu allem schien die Finstere mit dem hohen Leibe fähig. Und wenn ihr nicht die Wollust, den starken schönen Bauern schließlich doch zu empfangen im derben Schoß, unwiderstehlich geglüht hätte, sie wäre bei Nacht und Nebel aus dem Dienst gelaufen.

*

Die Hitze stieg und stieg. Die Felder standen ab. Die Weiden wandelten sich in fahlbraune Wüsten. Man mußte das Vieh im Stalle lassen, um es vor den wütenden Fliegen und Bremsen zu schützen. Stoffel schaffte im Tannenwald, wo es nicht so brütend heiß war. Alle Menschen fühlten sich halb verrückt vor Glut und Durst. Es geschah in vielen Bauernhäusern Merkwürdiges, das brennende Blut wurde sinnlos sündig. Die Weiber boten sich an, und die Männer wurden wahllos wie 67 das Vieh. Die Welt geht unter, hieß es, man raunte darüber, wo man sich traf, zudem stand es auch in der Zeitung. Die Sekte, deren Führer Tobias Faller gewesen und die jetzt der Schneider Josua Albiez betreute, war nun obenauf. Viele liefen ihr zu. Sie predigte den Untergang der Welt, das Erscheinen des Christ, der ein Himmelreich auf Erden errichte, mit allen Freuden des Lebens, die gleichmäßig auf alle verteilt würden: alles gehört jedem, und alles ist jedem erlaubt; denn in dieser Freiheit allein ruht die Gottseligkeit; denn wo kein hartes Gesetz verbietet, kann auch keine Sünde gedeihen. Überhaupt, was ist Sünde! Wer genug hat, stiehlt nicht. Und siehe, alle werden genug haben. Wer an keine Ehe gebunden ist, wird auch keine brechen. Und alle Weiber werden allen Männern und diese jenen ohne Hemmnis nur in freier Wahl der Liebe gehören. Man nannte das lüstliche, sorglose und gesetzgelöste Reich, das nahe herbeigekommen war, das Elysium. Ein Wanderprediger aus dem Rheinland, ein Eiferer finsterer Sorte, legte eines Tages diese glatten, allen verständlichen Sätze wie heiße Umschläge um die erhitzten Bauernhirne. Das Fieber stieg.

Der Schneider Josua Albiez tanzte förmlich seine Predigten, wenn er in einer Scheune auf einem Leiterwagen stand. Bauernstuben waren zu klein geworden für die gewachsene Gemeinschaft. Als der Wanderprediger weit vom Schuß war, spitzte eines Sonntags der Schneider geheimnisvoll den Mund überm dürftigen Geißenbart, hopste in den Kniekehlen auf und ab und bat um die peinlichste Stille, er habe, da er den Apostel über die Ebene geleitet, noch eine seltsame Botschaft ins Ohr geflüstert bekommen. Er habe fast Scham, sie auszusprechen und die Gläubigen zu erschrecken, aber es stehe jedem frei zu tun und zu lassen, was erlaubt sei: nämlich es sei nicht Sünde, jetzt schon zu versuchen, sich in das Elysium einzuleben.

Aha, dachten einige Bauern, drum mußte diesmal das Scheunentor zugemacht werden, obschon das Gedränge und die Hitze unerträglich groß waren! Der Josua hatte ein außerordentliches Treffen angesetzt. Der Haufe schwieg, die Glut mehrte sich, Bäche von Schweiß rannen an den Menschen hinab. Josua Albiez stand gereckt und breitete die Arme aus. Er machte stumme Gebärden, als schüttle ihn ein Krampf, sein Gesicht verklärte sich mit aufgerissenen Augen, und etwas 68 Schaum näßte seine Mundwinkel. Man glaubte, er sehe die ewige Seligkeit.

»Brüder«, flüsterte er, »Schwestern, die Welt geht unter, bald, bald! Das Reich ist nahe – liebt einander und tut einander Gutes.«

Ein Bauer, der hinausgeschlüpft war, sein Wasser zu lassen, kam mit rotgefleckten Wangen wieder herein und schrie: »Jetzt geht sie unter, seht, seht, feurig rot ist der ganze Himmel!«

Und wirklich, da sie das Tor aufrissen und hinausblickten, flammte der Westen in niegeschautem Rot, und es war so heiß, als brenne in der Ferne die ganze Welt und als müsse jeden Augenblick der Wald zum Fackelbrand werden. Da rannte der Schneider von Mensch zu Mensch, flüsterte ihnen ins Ohr, und plötzlich drängten alle aufs höchste erregt in die Scheune zurück, schlossen das Tor, wanden einen Strick sogar um die Falle und gaben sich der Lust besinnungslos hin.

Die Nacht brach herein. Über die Berge ringsum türmten sich von kaltem Gelb umränderte blauschwarze Wolken. Es sah noch unheimlicher aus als vorher das feurige Rot. Die Bauern in der Scheune sangen Lieder ab, die schmetternde Stimme des Schneiders Josua stach dabei wie eine heisere Fanfare aus allen andern hervor. Hie und da lugte ein Neugieriger aus dem Tor und verkündete dann voll Entsetzen, daß ringsum die Wälder in die Höhe wüchsen bis in den Himmel, und Albiez, toll vor Glaubenseifer, sang:

»Wir, die heilige Gemeinde,
stehn in Christe Huld,
wenn wir freudig aufwärts sehen,
kann uns nimmermehr geschehen,
was nur trifft die Schuld.
Laß die Welt in Flammen brennen, –
um und um,
und uns ganz zu ihm bekennen,
der uns liebt
und uns gibt
das Elysium.«

Josua Albiez, der Besessene, redete und sang in Versen, wie Honigseim floß ihm der Liebesruf der Gläubigen von den 69 Lippen. Die ihn einen Lügner und Betrüger nannten, hatten nicht ganz recht, er hing mit Leib und Seel an seinen Ideen, ein irrgeleiteter Feuerkopf. Er steckte 1848 auch unter den heißblütigsten »Revoluzzern«, entging mit knapper Not der preußischen Kugel in den Kasematten zu Rastatt.

Wie dem auch sei, der Albiez war halt ein Gescheiter von Geburt an und dazu ein Schneider, der ohnedies weit herum kommt und das Gras wachsen hört. Man sah ihn nirgends ungern . . . obschon man sich nicht mit ihm gemein machte. Wenn er auf die Stör kam, pfiff ein frischer Wind in den Stuben, er stöberte alles auf, war ein Überall und Nirgends, flink und unverhofft in allen Dingen. Er stänkere umher, sagte der Uhrenmichel vom Schiltebach zu den Leuten, wenn auf Josua die Rede kam, wie der Furz in der Latern. Wahrscheinlich war der Schneider, der ebenso den Weibern nachstellte wie der Uhrenmichel, nur heimlicher und klüger, diesem zuweilen ins Gehege gekommen.

In dieser Nacht der Besessenheit ging die Welt nicht unter. Als ob es nur Gespenster, von allzu Furchtsamen geschaut, gewesen wären, sanken die Wolken hinter die Wälder hinab. Männer und Frauen schlichen aus der Scheune, schweigend und vom Grauen tiefer Scham ergriffen. Aber das Gift brannte im Blute, die Sünde ist eine ansteckende, fieberhafte Gierkrankheit. Und die Hitze hielt noch tagelang an.

Agathe litt unsäglich.

Die Magd, welche von anderen im »Adler« drunten die dunklen Dinge über Josua Albiez und die Sekte erfahren hatte, erzählte Stoffel davon.

»Halt's Maul«, fuhr der Bauer auf, und mit knapper Not entwischte sie seinem erhobenen Arm.

»In der Gemeinde ist man gut aufgehoben«, grinste sie frech, »es ist alles erlaubt.«

Stoffel trocknete den Schweiß von der Stirn.

»Aufhängen möcht man sich am nächsten besten Ast«, knurrte er dumpf. »Wie verreißt solch ein Weibsbild das Maul! Lauter böse Geschichten! Alles verbrennt und steht dürr! Man weiß nimmer, ob man noch klug oder verrückt ist.«

Er kramte auf der Heubühne herum. Es war bald Feierabend. Als er durch eine Dachluke spähte, um den Abend 70 herabfallen zu sehen, trat ein Mann an den Brunnen, in den Agathe die Milch zum Kühlen stellte. Es kam Stoffel vor, als ob es der verzwickelte Josua Albiez wäre. He wirklich, den hatte man ja jetzt zur Stör bestellt! Stoffel verzog den Mund. Auch das noch! Zu der Hitz das fromme Geplärr und Bocksgelächter in der Stube ertragen müssen!

Josua ging wieder. Stoffel trat zu Agathe an den Brunnen. »Kommt der jetzt auch noch!« meinte er mürrisch.

»Er wird dir wohl nicht im Weg stehen«, trutzte sie zurück. »Er war bis jetzt wohlgelitten. Ich mein, es bleibt so!«

»Keine Angst«, sagte Stoffel dawider und trat in den Stall.

*

Man hätte wahrhaftig meinen können, der Schneider Josua trage mit seinem witzigen Wesen und auch mit seinen heiteren Predigerworten ein wenig Sonne in der Bäuerin schweres Gemüt. Sie saß jetzt oft bei ihm in der Stube, nähte Kinderkram und lachte bisweilen. Die Stube war kühl. Aber nicht um alles mochte Stoffel, der Bauer, darinnen sein. Der Schneider war ihm zuwider. Am dritten Abend mußten Agathe und Josua in ein tiefes Gespräch geraten sein. Sie merkten nicht, daß Feierabend war, daß gemolken werden sollte und aufgehört mit Nähen. Stoffel schickte die Magd Marie, die ihm längst wieder gut schien, aber von ihm kaum beachtet wurde, in die Stube, zu mahnen, es müsse zu Nacht geschafft werden. Sie kam zurück und sagte, man habe gar nicht auf sie geachtet, man spreche von Frommsein und vom Heitersein. Das sei im Tal viel leichter als in der Einöd. Die Bäuerin müsse auch ins Tal, und es würde ihr dann wohler.

»So so«, knurrte Stoffel, »Gottsdunder, da sitzt scheint's eine Laus an meines Weibes Ohr!«

Er stolperte im Stall herum und besann sich, wie er den Schneider loswerden könne. Am besten wär, man würfe ihn aus der Tür, daß er irgendwo ungespitzt im Boden steckenbliebe. Allen zur Warnung. Zornrot zum Platzen fuhrwerkte Stoffel im Stalle. Marie grinste. Gut, wenn der Bauer merke, daß hier jeder andere Meister sei.

Sie wagte sich noch einmal in die Stube und rief laut: »Der 71 Bauer meint, es soll gemolken werden, der Schneider sehe ja auch nichts mehr.«

»Der Bauer hat nichts zu meinen«, schrie Agathe, beleidigt durch das Grinsen der dummen Magd Marie.

»Ich richt's aus«, sagte diese mundfertig und huschte aus der Tür. Der Josua rief noch nach: »Er soll nicht gar so schnell vergessen, was er früher war.«

»Knecht!« brüllte es plötzlich durch die Stube wie ein Donner, und Josua fühlte sich so zur Stubentür und zum Haus hinausgewirbelt, daß er meinte, er sähe das Feuer im Elsaß vor seinen Augen flammen.

»So, Agathe«, schnaufte Stoffel hernach aus und lachte hinterdrein, weil das mit dem Albiez so schnell gegangen war. »So, der falsche Prophet wär abgetan. Man sollt die Burschen nicht so lange scharmuzieren lassen. Nie! Und doch gibt's Bauern, die ihnen sogar ihre Weiber lassen am hellichten Tag. Aber ich, holla, ich, der ehemalige Knecht, bin nit so schlecht.«

»Ist alles verlogen, was man herumschwätzt vom Sonntagmittag in Schmalhannesses Scheuer«, sagte Agathe.

»So, weißt du auch davon, haja, eine faule Sache stinkt durch die ganze Gegend.«

»Ich glaub nicht an die Schlechtigkeit und will von dir nicht darüber geredet haben«, sagte Agathe und schickte sich an, in den Stall zu gehen.

»O Jammer! ich habe nie Freud an anderer Leute ihrer schmutzigen Wäsch gehabt. Aber jetzt« – Stoffel sprang wieder das Blut ins Gesicht – »jetzt wird geschafft. Die Herumsteherei und das Gedatsch in allen Winkeln unterbleibt. Bauer bin ich!«

Er schrie es über den ganzen Hof, zitterte am Leib und mußte wahrhaft Tränen verschlucken, als er auf die Heubühne stieg, das Futter in den Stall hinabzuwerfen. Der Hüterbub, der gaffend im Wege stand, faßte eine Ohrfeige, und der Hund bekam einen Tritt, daß er aufheulte.

»Knechtsseele, Knechtsseele!« verspottete sich Stoffel, »hat ein echter Bauer es nötig, sich so sein Recht zu erkämpfen? Wie er dasteht, so ist er!« Aber er schalt mit der Marie und schalt mit der alten Christine, er konnte einfach das Maul nicht halten, so weh ihm das Herz tat. 72

Das Vieh, ungewohnt des Lärmes, wurde unruhig. Agathe vermahnte Stoffel milde, da er vorüberstapfte: »Sei doch jetzt still, die Sterni hält mir nicht.«

Da sah Stoffel sein Weib mit großen, hellen Augen an wie eine Erscheinung, ging hin und fingerte ihr scheu übers Haar.

»Sei gut, Frau!« würgte er heraus und stolperte weiter.

Am nächsten Tag stand Josua Albiez wieder vor der Tür. Sein Blick war stichig und unruhig. Der Bauer wusch sich gerade am Brunnen, staunte über die Keckheit des Schneiders, bruttelte halb belustigt vor sich hin: »Genau wie ein Krämer: man wirft ihn zur Tür hinaus, und nach einer Weile kommt er freundlich wieder herein.«

»Noch kein Regen!« sagte Josua, sich näher an Stoffel wagend.

»Noch keiner«, gab Stoffel zurück.

»Unsereinem bringt's ja kein Schaden«, schmuste Josua, »die Nadel verdorrt ja nicht, aber Herrjesses, den Bauern! Den Bauern! Alles steht ja dürr, vorab das am Berg, auf der Hochebene. Im Tal ist's besser. Ist überhaupt besser leben im Tal. Man wohnt beieinander, und was der eine an Trost oder Witz nicht hat, weiß der Nachbar. In der Einöd freilich wird einer reicher und stolzer, aber auch ungattiger. Ich hab's gestern gemerkt, Bauer, Euch muß eine Hornisse zur Unzeit gestochen haben. Nichts für ungut, ich nehm es Euch nicht übel und näh' mein Sach jetzt fertig mit Verlaub.«

»Geht nur und stichelt weiter«, sagte Stoffel ruhig. Es war ihm fast recht, daß die grobe Sache von gestern so gut abgelaufen war. Er kam so vielleicht nicht so schlimm ins Gerede. Überhaupt schien alles Dumpfe vom Vortag vergessen. Der Hund umsprang, wenn auch mit scheuem Blick, den Bauern, der Hüterbub schaffte schon den Mist aus dem Stall, ohne daß der Bauer es befohlen hatte, und Marie kam mit frischem Futter von der Schattenmatte, wo es noch ein wenig grün wuchs.

Es liegt etwas in der Luft, dachte Stoffel und prüfte den Himmelsrand. Die Hitze ist schwerer, aber auch feuchter, dünkt es mich. Er gedachte, auf die Höhe zu gehen und das Wetter noch genauer auszuspähen.

Da er hoch oben auf dem Windkapf stand, rann der Schweiß 73 in Bächen an ihm nieder, und seine Kehle war dürr wie ein Hanfseil. Er sah an den Waldrändern entlang. Und wahrhaftig, im Westen stieg es langsam auf. »Eine Wolke, groß wie eines Mannes Hand«, sagte Stoffel leise vor sich hin. Er warf sich ins Heidekraut wie einst als Knabe, vergaß, daß er nach dem Kapfwald hatte sehen wollen, und beobachtete die Wolke, die heraufgekommen war und nun in geringer Höhe überm Westwald hängen blieb, unbeweglich, blendendweiß und wie zu Eis erstarrt.

Es muß ein Wind aufsteigen, dachte Stoffel.

Herrgott, gib Regen!

Als er wieder die Halde hinabstieg, stand die Westwolke noch am selben Ort, aber im Norden brach es in Haufen hinterm Wald vor und rannte ins Blau.

Gegen Abend würde es wohl regnen.

Als er heimkam, war der Josua Albiez eben mit Sack und Pack davongegangen, weil er angeblich wo anders jetzt versprochen war und weil es ihm in den Hühneraugen so sehr gezuckt hatte, daß er sagte, da müsse ein Wetter herziehen und er erlebe solches lieber im Tal.

Agathe mußte sich hinlegen, gab die alte Christin an, sie spüre auch das Wetter, ihr sei schlecht geworden.

Stoffel brummte: »Weibsgeschichten, immer dasselbe!« Aber ihm war es wohl zumute, er dachte, während er mit den andern schweigsam die Suppe löffelte, an den Regen und an den Sohn, der im Frühjahr auf die Welt käme, so Gott wolle.

Immer wieder trat er ins Freie und beobachtete die Wolken, die ganz langsam und blendendweiß wie träge Schafe empordrängten. Ein Windstoß, und das Wetter ist da, dachte Stoffel zuversichtlich. Die Hitze wuchs, das Vieh brüllte vor Durst. Alles wartete auf das Wetter. Man stand viel herum und ließ die Arbeit gemächlich von der Hand gehen.

Als es Abend wurde, säumten sich die Wolken in bläulichem Rot und stiegen rascher. Manche Haufen färbten sich bleiern. Nun wurde man bang und sagte zueinander, es wird doch nicht schlimm werden, Blitz und Hagelschlag etwa! Noch ruhte das Vieh wiederkäuend und getränkt. Wenn die Kühe nicht an den Ketten zerrten und Angstrufe ausstießen, konnte es kaum allzu schwere Wetter geben. Drum schickte Stoffel die Leute nach dem 74 Abendbeten ins Bett. Wenn es gewitterte, würden sie schon aufwachen und zur Stelle sein.

Stoffel umschritt das Haus. Es roch brandig nach verdorrtem Gras. Der ganze Himmel überzog sich. In der Ferne wetterleuchtete es schwach. Agathe lag in den Kleidern auf dem Bett, wächsern im Gesicht, und atmete schwer. Am besten läßt man sie in Ruhe, dachte Stoffel, da er dies gesehen. Er ging in den Stall und sah nach, ob die Tiere gut angekettet waren. Der Muni schnaubte schon erregt und stieß leise Brülle aus. Stoffel redete ihm zu. Auch das andere Vieh erhob sich jetzt und raufte an der Krippe. Die Schwänze schlugen hin und her. »Oha, merkt ihr was?« lachte der Bauer und ließ einige Kühe Salz lecken.

Plötzlich sprang ein Sturm auf und Donner zugleich, kurze Sprünge des geängstigten Viehes durchstampften den Stall. Das ganze Haus schien zu wanken. Entsetzt sprangen die Mägde und der Hirtenbub in die Stube und, da dort niemand war, in die Kammer, wo die Bäuerin am Fenster stand.

»Es brennt, es brennt«, brüllten sie.

Agathe hielt sich einen Augenblick am Bettpfosten und sagte dann gesammelt: »Geht in den Stall zum Bauern und helft das Vieh raustun.«

Das Feuer schlug aus dem Dache, und der Bauer merkte noch nichts im Stalle; das Vieh war außer Rand und Band. Stoffel wollte, als das Gesinde schreckensbleich hereinstürzte, sofort jedem sein Amt zuteilen. Als er, da alle durcheinander schrien und ein entsetzliches Tosen ums Haus war, endlich begriff, daß ein Unheil über ihm prasselte, schrie er auf wie ein tödlich getroffenes Tier und stieß in hilflosem Zorn die Fäuste in die Luft.

Der kleine Hüterbub sagte zitternd: »Bauer, wir sollten das Vieh lösen.«

»Herrgott ja!« stöhnte Stoffel, duckte sich und wankte zum Muni.

Sie mußten fast allen Rindern, da sie sich sperrten, den Stall zu verlassen, Säcke und ihre Kittel über die Augen hängen. Mit vieler Mühe konnten sie die Tiere retten.

Das Wetter hatte ausgetobt, ein ruhiger Regen fiel nieder, als sie zuletzt alle auf der Sommerhalde oben standen und 75 wortlos zuschauten, wie die Flammen das stattliche Gebäude auffraßen.

Stoffel schluchzte plötzlich trocken auf.

Agathe stand sonderbar gefaßt vor ihm, hatte einen Kasten mit Geld und Papieren unterm Arm. Ihr hoher Leib wölbte sich in scharfem Umriß gegen die Flammenhelle des Brandes. Ganze Fuder Heu flogen gleich glühenden Wolken in die Höhe. Es knatterte und zischte. Beizender Rauch trieb den hilflos Schauenden das Wasser in die Augen. Stoffel schüttelte die Not. Agathe sah in die Helle mit festgeschlossenem Mund. Sie konnte sich nicht von der Stelle rühren, eine Kälte lag ihr im Blute und eine lähmende Angst vor Christoffel Götz, dem das schöne Werk vernichtet wurde, an das er Hoffnungen und Liebe gewendet und das er Heimat genannt hatte. Sie wußte, der teuflisch aufspringende Gedanke, sie könnte am Elend schuld sein, lag nahe, und es hätte für sie keine Rettung aus den würgenden Händen des Aufgebrachten gegeben.

Da krähte auf einmal der Hahn. Hinter ihnen im Gezweig des Randholzes hockte das aufgescheuchte Hühnervolk. Im selben Augenblick krachte das mächtige Dach vollends ein und verschwand in einem ungeheueren Flammenaufruhr.

Da krähte der Hahn noch einmal, zweimal in den Schrei der Leute. Stoffel riß die Hände vom Gesicht, blickte wirr um sich, sprang auf den Haselstrauch zu, wo das sonderbare Tier hockte, griff es und drehte ihm den Hals ab.

Unheimliche Stille herrschte darnach. Stoffel, den toten Vogel in den Händen, seufzte schwer auf, warf den Balg in großem Bogen die Halde hinab, wischte sich die Finger am Kittel ab und sagte mit völlig klarer und gelassener Stimme: »Es ist vorbei. Laßt uns um Obdach bitten für das Vieh und für uns.«

Der Brand erlosch langsam, da und dort schoß hin und wieder eine Lohe auf, sonst war nur noch Qualm über den Trümmern. Jetzt kamen die ersten Nachbarn angerannt. Sie trugen Äxte bei sich, nur aus Gewohnheit; denn jeder wußte, wenn ein alter Hof, der ganz aus Holz bestand, in Brand geriet, rettete ihn nichts mehr. Sie traten zu Stoffel, reichten ihm die Hand und auch der Bäuerin.

Auch der Josua Albiez, dessen Nase von allem ihr Gerüchlein haben mußte, war plötzlich da: »So, so, heute rot, morgen 76 tot«, sagte er und schlenkerte mit dem Bein, wie das seine Gewohnheit war. »So 'n Blitzschlag ist eine verteufelte Sach, niemand weiß, wie's kommt«, schwatzte er.

Stoffel aber fing einen falschen Spähblick des Schneiders auf, der zur Frau hinüberzuckte. Und dieser Blick fuhr auf dem Rückweg in Stoffels helle Augen, die etwas erfahren sollten, was heimlich bleiben mußte. Albiez lächelte hämisch, langte an den Boden und hatte den abgerissenen Hahnenkopf in der Hand.

»Oha«, sagte er lachend, »oha, hier ist der Hahn des Petri vorhin in die Hände eines Mutigen geraten. Hab ihn dreimal krähen hören und stand im Wald, als Ihr ihm den Garaus machtet, Bauer. Aber was weiß so ein armes Tier von Verrat? Es hat aus Angst gekräht und ist von einem Zornigen getötet worden. Man kann's so besser drehen, Bauer. Es war wohl ein roter Hahn? – Und daß ich's nicht vergesse, seid Ihr versichert?«

Stoffel barg die Hände in den Taschen, sonst wären sie zum zweitenmal an Josuas Leib gekommen. Er merkte wohl, worauf es dem Stänkerer ankam. Voreinander wollte der das Paar verdächtigen und den horchenden Nachbarn ein Spiel geben. Er wandte dem Schwätzer den Rücken und trat zum Fallerbauern, dem nächsten Hofbesitzer: »Kann mein Weib bei Euch unterkommen?«

»Alle nehm ich auf«, sagte Faller, »und die Hälfte vom Vieh auch, das Kuhjockelhaus steht leer, seit er ausgewandert ist. Auf der Bühne liegt von meinem Heuvorrat, der Stall ist noch gut. Das übrige Vieh kann zum Vogt und zum Katzenlochbauern. So ist es geregelt.«

Der kluge Faller, ein kleiner, dürrer Mann mit starkem und sicherem Willen, tat, was ihm lag, mit großer Treue. Stoffel gab dem Bauern hart die Hand: »Will's Euch lohnen. Ihr sollt nicht in Schaden kommen. Das beste Stück Vieh bleibt in Euerem Stall zurück, wenn wir wieder abziehen können.«

Als Stoffel sich wandte, um Agathe zum Gehen aufzufordern, stand der Albiez noch bei ihr und sprach leise auf sie ein. Sie starrte in den Rauch hinab und schien nicht zuzuhören. Stoffel dachte: »Was will nur die Schmeißfliege?«, ging zu 77 Agathe hin und sagte: »Komm, Frau, es wird Tag, wir müssen es verwinden.«

Da fiel sie lautlos vor ihm zu Boden.

»So ist's am einfachsten«, zischelte Josua Albiez, »Bauer, Bauer, Euer Weib versteht's«, und sprang davon wie ein albisches Wesen, versprattelt und verzwirbelt.

Stoffel kam das Sonderbare nicht sogleich zum Bewußtsein, erst später, als er die Vorfälle der Nacht in seinen ausführlichen Gedankengängen durchsann. Er mühte sich um Agathe, legte die Hand auf ihre Herzseite, spürte aber keinen Schlag, kam mit den Lippen nahe an ihren Mund, spürte aber keinen Hauch. Die Stirne war eisigkalt, die Glieder steif. »Sie ist tot«, schrie er auf und schüttelte sie, fiel über sie her und zuckte in Krämpfen: »Mein Weib, mein Weib!«

Der Faller, dessen Base Agathe war, sprang herzu, ebenso andere Bauern aus der Gegend, die, dem Feuerschein folgend, aus ihren verschonten Höfen kamen.

»Sie ist nur ohnmächtig, sicherlich«, sagte Faller, zog ein Fläschchen Kirschwasser aus der Rocktasche und rieb Stirn und Schläfen der Besinnungslosen ein. Langsam kam Agathe zu sich, nahm sich zusammen und ging, halb von Stoffel und Faller geschleppt, über die Ebene in den Zinken Reichenbach, wo des treuen Mannes Hof stand, auch der verlassene Hof des ausgewanderten Vetters, in dem schon ein Teil des Bruderhofviehes fast beruhigt wiederkäute.

Stoffel fand seine Gelassenheit noch in dieser Nacht, die schon zum Morgengrauen wechselte, als er neben der Frau lag in fremder Kammer und auf ihre Atemzüge horchte. Er hatte, da sie die Kerze ausblies, die Hand zu ihr hinübergestreckt und leise »Liebe Agath!« gesagt. Ihr kindhaftes Weinen war ihm wie milder Balsam über die wilde Erregung geflossen. Sie lebte, alles andere ertrug er dann leichter; er wußte jetzt, alles bleibt nichtig, was einer tagwerkt, nur die Erde bleibt und der Tod. Die Erde bleibt mir und gibt wieder, der Tod fordert. Also muß ich eigentlich Gott danken, daß das Lebendige noch da ist.

Im Traum dann freilich sprangen die Flammen, Josua Albiez und der rote Hahn in tollem Quälen über sein Herz, und einmal auch Agathe. Doch vergaß er das wieder, als der 78 Morgen sonnig heraufstieg und er sein Weib aufstehen sah. Es hatte anscheinend keinen Schaden genommen.

»Agathe, wir schaffen's wieder, gelt?« rief er aus den Kissen.

Sie lächelte und sagte: »Rüste dich, es ist Sonntag und läutet bald zusammen.«

Wie ein Brautpaar schritten sie in stolzem Ernst zur Kirche, wo ihnen der junge Pfarrer von der Kanzel herunter schöne, wohlgemeinte Trostworte zusprach.

 


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