Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Der Vogtsrock paßt nicht mehr

In den fünfziger Jahren begannen sich die ehrenwerten alten Handelsgesellschaften, die vom Hausfleiß der Schwarzwälder wohlhabend geworden waren, in die neue Zeit hineinzuwandeln. Aus Bürgern einfacher, doch stolzer Sicherheit wurden Handelsherren, Kommerzienräte und Fabrikanten mit vornehmen Häusern in den Städten und noch vornehmeren Lebensgewohnheiten. Manche gab es, die schlicht blieben und trotz der Ratstitel und der goldenen Ehrenmünzen und Orden daheim im Uhrenstädtchen aushielten, vorab im nahen Lenzkirch, auch in Furtwangen.

Lockere Vögel gibt's in jeder Sippe, und sie sind nicht immer die schlechtesten. Die mußten damals nach Amerika, entweder fressen, was jenes fühllose Ausland ihnen bot, oder verderben. Es gab freilich viele solcher Vögel auf einmal in jener Zeit, Söhne und gar schon Enkel fleißiger, von unten herauf zu Ehren gekommener Uhrmacher oder Packer oder Träger. Die bessere Bildung und das in seiner Strenge aufgelockerte Leben daheim waren gewiß daran schuld. Wenn einer bisher nur rauhe Kartoffeln, Krautsalat und Speck zu essen gewohnt war, gute, schwere, wälderische Hausmannskost, und nun auf einmal Kuchen, Limonade, Wurst und Wein und sonst was Feines in den Magen bekommt, so verdirbt er sich am Ungewohnten; das gilt für den Magen wie auch für das Leben überhaupt.

Manche hochgeborenen, in allen Würden und Gebärden vornehmen Familien hielten dieses Dasein kaum drei Geschlechter aus und sanken dann in bescheidene Verhältnisse, wenn nicht in Armut und Verkommenheit, ziemlich rasch niederwärts. Und es waren meist solche, die in der Heimat sitzengeblieben, das heißt nicht mehr in die Welt allzuweit und allzuoft hinausgeschmeckt hatten. Die draußen Jahr um Jahr gelebt und geschafft hatten im großen Handel und Wandel, hielten eher stand. Ist es nicht sonderbar, daß der Schwarzwälder, der in unheimlicher Zähigkeit, bis zum Geiz genau im Geldausgeben sich emporgeschafft hat unter Entbehrung und Freudlosigkeit, mit gleicher Zähigkeit im Unmäßigen den Weg der schiefen Ebene verfolgt, sobald er darauf gerät? 130

Im Schiltebach hat sich die Uhrenmacherei nicht sehr eingenistet. Sie seien ein wenig leichtlebig, die Schiltebacher, behaupten die Nachbarn; sie verschimpften gern den, der die Arbeit erfunden hat, und könnten sogar den Herrgott einen guten Mann sein lassen, wenn es ihnen grad um das Nichtstun sei. Das heitere Schiltebachtal mag schon die Leute lebensfroher machen. Wer so Nauben hat, schier ansteckend lustige, wie der Schiltebach, der wenn es gradhinaus am besten geht, ein zierliches Böglein ums andere schlägt, ja lotzige Schleifen zieht in die ebene Matte, und im anderen Fall, wenn ein Hügel sich breitmacht, nun erst recht zumittest durch muß mit sprudliger Gewalt, und dann wieder, wo es angeht – denn sanft bald, bald stärker neigt sich die Talebene –, kecke Gumper macht und tut, als könne er einen Wasserfall springen, wer so wider alle Voraussicht sein Leben hintreibt wie der Schiltebach, verdirbt am End durch sein Beispiel die strengen Sitten. Man sagt, wenn man die Schiltebacher richtig hinstellen will: Ha Gott, sie sind genau wie ihr Bach; wenn er grad soll, macht er krumm, und wenn's krumm am besten geht, macht er grad. Es muß alles letz gehen und vorab ohne viel Schaffis. Das Geförzel und Getänzel ist man gewohnt von den Schiltebachern, drum bringen sie es zu nichts oder nicht zu was Besonderem, so weit sie die Mäuler auch aufreißen und großtun. Viel Häusler sind da und keine ganz großen Bauern.

Nun, das stimmt ein bißchen! Stoffel, der neue Vogt, weiß das. Er nimmt sich vor, einen kräftigen, neuen Wind in den Schlendrian zu blasen; aber mit seinen Plänen gerät er doch auf den Holzweg. Mit der Uhrenmacherei, so wie er es noch von Vaterszeiten her im Kopfe hat, ist es vorbei. Die Heimarbeit wird vielfach schon durch Fabrikarbeit ersetzt. Maschinen sollte einer haben, der richtig mit Vorteil schaffen will, Bohr- und Walzmaschinen, Schneid- und Meßmaschinen und eine Unzahl feinen Werkzeuges, und immer wieder etwas Neues erfinden. Dazu gehört Geld, Geld! gehören Gelder, Gelder!

Stoffel schirrte an und fuhr nach Furtwangen. Man hatte ihn auf einen der Handelsherren namens Kirner aufmerksam gemacht. Der stammte aus dem Gütenbach und war zu Reichtum gekommen mit dem Uhrenhandel und der Glasträgerei ins Elsässische. Dieser Kirner, ein Greis schon, aber lebhaft und 131 kerngesund, stemmte sich mit der Kraft des Eigensinns gegen die Neugestaltung der alten Gesellschaften. Er selber hatte als junger Bursche die Krätze auf dem Buckel getragen, mit Strohhüten, Glas- und Eintagsuhren beladen, schöner Ware wahrhaftig. Und hatte es weit gebracht. Nun soll es anders gehen? Gut also, der Kirner will dem Stoffel helfen, die ganze Sache einzurichten. Er kommt auch einmal herübergefahren. Im Gemeinderat wird darüber gesprochen. Man will schon der Sache näherkommen, aber da liegt der Has' im Pfeffer: Wer lehrt? Stoffel kann ja nichts als sich beraten lassen!

Und es geht eine Spanne darüber, es kommt der Sommer, da niemand für derlei Zeit hat. Das Korn zeigt schon bald Ähren, und der Hafer schießt in die Rispen. Man muß jetzt in den Feldern hacken und das Unkraut jäten. Im Hafer nimmt doch der Hedderich zu rasch überhand; wer nicht eifrig säubert, dem sieht das Feld bald schimmelweiß aus vor lauter Hedderichblüten, und der Hafer verstickt.

So sahen wahrhaftig des Jakobs Äcker aus, als Stoffel wieder einmal Zeit fand, danach zu sehen. Und das Korn erst, das hatte die Auszehrung. Eine böse Mißstimmung steckte in Stoffel an jenem Tage. Von Amts wegen waren Grundbuchamt und Gemeindekasse geprüft worden, die vom Vorgänger nicht vorsorglich geordnet an den Stoffel übergeben wurden. Die Herren Kassenprüfer zeterten nicht schlecht, und der Vogt mußte sich gehörig abkanzeln und bedrohen lassen. Das ging Stoffel schwer ans Herz.

Was, als freier Bauer läßt man sich so behandeln? Wer gibt ihm Schuld an dem letzten Zeugs? Überhaupt, wo er hinlangt, und er langt nicht zahm hin, sitzt etwas Ungrades und Verpfuschtes. Das Gemeindewesen hinkt auf beiden Füßen, kein Doktor bringt es zurecht in so kurzer Zeit. Die Gemeinderichter sind bockig, protzen mit ihrem Alter und ihrer Erfahrung gegen den Jungen. Er kann sich die Faustknochen blutig schlagen am Eichenbohlentisch im Rathaus und brüllen wie er will: Ich bin jetzt Vogt, und nach meinem Sinn geht es jetzt! Sie haben einen Vorteil, so hählings und doch sichtbar auf den Stockzähnen zu lachen und dazusitzen wie ein einziges, aus Holz grob geschnitztes Nein. Da muß der Stoffel sein Herz hart klopfen und sich sagen. »Heul nicht«, damit er seiner tiefen 132 Verlegenheit entgeht und einem zehrenden Gefühl, das wie Heimweh ist.

»Was hockst du hier«, fragt er sich, »bringst deine Zeit hin und redest dich heiser gegen eine Wand, eine so blödsinnig hartschalige Wand von Altbauernschädeln, die dich mit ihren Luchsaugen in den schmalen, glattgeschabten Ledergesichtern bis in die Träume verfolgen und immer in ihrer lauernden Stummheit sagen: Mach's kurz, Besserwisser; denn deinen Vorteil – und alles, was einer neu bringt, gerät ihm zum Vorteil –, das lehnen sie ab: Mach's kurz, du Klugschisser, uns kriegst nicht rum. Am Alten wollen wir halten!«

Der Stoffel klagt einmal dem Albiez die Not mit den Gemeinderäten, die am liebsten das Alte noch einmal ausbrüten wollten. Stoffel fühlt, keiner als gerade der Albiez versteht die Not, obschon er schadenfroh ist, daß dem stolzen Vogt das Herrschen schwer fällt.

Albiez sagt, die Zeit wandelt sich ganz um. Es gibt jetzt Eisenbahnen. Der Handel wird größer, und das Kleinkramen hat ein Ende. Alte Leute, die dazu nie vom Wald herabgestiegen, kommen nicht mehr zustreich. Man muß sie absetzen und junge Männer ernennen, die draußen waren.

Stoffel winkte ab: »Ihr revoluzzt ja wieder, Albiez! Aber an Eurer Weisheit dachte ich auch schon herum, sie ist billig, wenn auch wahr. Man liest das jetzt in den Zeitungen. Übrigens, was meint Ihr zu dem Kometen, der demnächst auftritt? Geht die Welt jetzt unter, Albiez?«

Der geriet in sein Fahrwasser. Er baute wie ein Gelehrter das Weltbild vor Stoffels staunenden Ohren und Augen auf. Weltuntergang? Das ist schon lange geschehen, der Luftkreis hat sich gewandelt, ohne daß es die plumpen Menschen merkten, ein neuer Odem weht. Das Reich der Fröhlichen ist nahe. Und der Komet zeigt den Gläubigen an, der Herr kommt und richtet den Thron auf. Man muß nur glauben und im Glauben fröhlich sein.

Josua Albiez stand in solchen Augenblicken im Bann seiner leidenschaftlichen Lehre, er war ein anderer Mann, größer, schöner, voller an Gestalt, und zog die Menschen an. Seine Sätze klangen edel, und die Lehre trotz aller kindischen Hirngespinste war hinreißend blühend. Sonne, Mond und Sterne 133 kreisten darinnen wie Menschenbrüder und waren doch mehr, der Himmel und aller Himmel Himmel schwebte herab wie ein luftiger Tanzsaal und bedeutete doch viel Wundersameres. Man horchte auf diese Musik, und sie glühte einem in der Seele, im Blut, in der Haut. Und Albiez, mit feuchtem Mund und großen Augen, war so beredt wie ein Prophet, nein, Stoffel dachte eher an den König David, wie er die Zimbel spielt und vor der Lade Gottes tanzt und singt.

Aber Stoffel wollte den Albiez nicht merken lassen, wie tief ihm seine Reden an das warme, seit Jahren vergessene Träumerherz brausten und ihm den klaren Kopf verwirrten. Vogt ist Vogt, Herrgott nochmal, nicht rechts, nicht links, vorwärts! Er reckt sich unversehens. Der Rock kracht in den Nähten, Josuas schön geschafftes Werk. Der stutzt und muß sagen: »Oha, der Vogtsrock paßt ja nicht mehr!«

Den Stoffel lächert es ob des Zwiesinnes: »Scheint's«, meint er und sagt dem Albiez Lebewohl, einen anderen Weg einschlagend.

Daheim dann im Stall hat eine Kuh unglücklich gekalbet und muß geschlachtet werden. Und so ging der Tag fast zur Neige mit schlimmen, unwillkommenen Dingen. Der Stoffel hatte ein müdes Herz. Er sollte nicht in den Götzenhof, aber es trieb ihn, eine Unruhe pochte und trieb ihn. Er sagte unterwegs den melkenden Bäuerinnen in die Ställe hinein, daß sie am folgenden Tage bei ihm Fleisch holen könnten, wie das üblich war, wenn ein Stück Vieh gefallen war. Schon an der ersten Götzenhofmatte begann Stoffels Ärger. Jakob hatte da, im Übereifer vielleicht, zuviel Gräben zum Bewässern hineingezogen, und nun war die schöne Wiese sauer geworden, mit hartem, krospligem Gewächs, das kein Kuhmaul mochte.

»Er versteht halt nichts, ich sag es ja immer, der Lebsitzer.«

Lebsitzer nennt man den Nesthocker im Bauernhaus, den Jüngsten, der meist auch Hoferbe ist.

Und dann hatte Stoffel allfort etwas zu brummen. Nichts ist recht getan. Man merkte wohl, es hatte einer Hand angelegt, aber eine recht mißgeschickte.

»Und schau dorthin«, knurrte der Vogt weiter, »schau jetzt sell, da ast das Vieh bei Gott im Kleeacker herum.«

Er ließ einen schrillen Pfiff durch die Luft fahren, indem er 134 mit Daumen und Zeigefinger einen Ring bildete und diesen halb über die Unterlippe erhob. Das grillte gehörig, und die näschigen Tiere hoben die Köpfe und rannten, als sie den Mann kommen sahen, wie besessen die Weide hinauf. Dem Hüterbub wollte er aber gehörig die Leviten verlesen! Er spähte nach ihm, sah ihn aber nicht, bog darum vom Haus ab, um herauszubringen, wo sich der saumselige Kerl wohl aufhielt. Er betrat das üppige Heidekraut, und siehe, da lag der Hirt und schlief, indem er dem Himmel den Rücken wies. Stoffel nahm die Geißel, die nebendran lag, und zog dem Burschen eine über. Der schoß auf, und Stoffel mußte entdecken, daß es sein Bruder Jakob war. Der preßte die Hände an die brennenden Schenkel und starrte dem Vogt, verschlafen wie er noch war, entsetzt ins Gesicht. Sein Mund stand offen und der Atem stank nach Schnaps. Stoffel ließ die Peitsche mit dem Ausdruck von Ekel im Gesicht fallen.

»So, so«, murmelte er und wendete sich ab. Er hatte genug. Es wurgste ihn. Zum Heulen elend war ihm zumut, da Wut und Traurigkeit sich übel mischten. Er ließ den blöden Jakob stehen und kehrte nirgends mehr an im Götzenhof, nicht in Stube, nicht in Stall, auch vom Wald kehrte er sich ab. Er hatte übermäßig genug. Wurde er jemals Meister über so viel Ungeratenheit? Die Schande blieb an ihm hängen, wenn ein Mensch diese räudige Wirtschaft sah. Es hieß dann: Seht, der Stoffel richtet nichts, er kann auch nur, so weit es ihm langt. Er hat den Hals nicht voll genug kriegen können, nun wird alles ein Halbes sein, die Vögterei, die Uhrenmichelswirtschaft im stillen, wie der Götzenhof es schon im lauten ist. Hat nicht auch Agathe bereits keine Sorge gegeben zum Rahm, Wasser hineingepfludert? Mit Kleinem fängt es an, und wie eine Lawine wächst das Übel zum Großen aus, und dann den Berg hinab mit Hab und Gut.

Zum Teufel auch, das galt nicht! Der Stoffel stellte sich, der Tag hat vierundzwanzig Stunden für ihn, wenn es sein muß.

Wie er dann heimkam, war von seiner wehen Wut nichts mehr übrig. Er zeigte kalte Gelassenheit, aber seine Stirne war durch eine tiefe Schnatte, wie vom Beil gekerbt, über der Nasenwurzel zwiegeteilt. Er überlegte und überlegte jetzt, sann und 135 brütete. Agathe bekam kein gutes Wort mehr. Sie schaffte sich die Hände rissig und das Kreuz lahm. Und brachte eines Morgens wieder in grauer Dämmerung ein Kind zur Welt, das aber keinen Atemzug tat; denn es lag schon tot im Mutterleib.

Den Stoffel nahm es her. Er wurde ein inneres Grauen nicht los. Er schwätzte oft laut mit sich selber, wenn er allein schaffte. Wie sie eine Woche darauf heimfuhren von der Kirche, Stoffel und Agathe, riß ihm der Anblick der blassen Frau, die so schmal und weiß aus der schwarzen Bandkappe guckte, das Herz auf. Und sie schaute in einen Abgrund voller Grauen und Furcht, da der Stoffel ihr vom Götzenhof alles berichtete. Die Rösser wandelten wie im Traume die Bergstraße hinan, der Bauer rührte die Zügel nicht, er redete nur immer, kämpfte mit Zorn und Bitterkeit, Zweifel und Stolz. Das Weib sagte nie ein Wort dazwischen.

Lerchen stiegen empor und sangen, Agathe sah es, obschon sie genau zuhörte, und in den Halmen kricksten die Heugumper. Agathe dachte, was für ein Unheil ist doch, daß Stoffel Vogt geworden ist; nichts anderes wächst ihm ja über den Kopf und über die Seele als dies. Seither bin ich sein Weib nicht mehr, und Markus hat keinen Vater. Und die Unzufriedenheit mit sich und den andern nagt ihm an der Leber.

Stoffel seufzte auf und ließ die Geißel knipfen. Die Braunen trabten.

Agathe sagte: »Wir wollen am nächsten Sonntag miteinander auf den Götzenhof gehen, es wird dann vielleicht noch einmal mit den beiden gütlich zu reden sein.«

»Zum letztenmal«, begehrte Stoffel auf.

»Dann zum letztenmal, dann machst du, was du für gut findest. Aber versuchen wollen wir doch, die Anna und den Jakob auf den rechten Weg zu bringen.«

Über diesen Plänen und Beichten vergaßen Stoffel und Agathe ihr Leid um die Fehlgeburt, obwohl Agathe mit müdem Wesen und stiller Traurigkeit an die Arbeit ging.

Stoffel steckte tief in Vogtsgeschäften. Es fanden Zählungen statt von Menschen und Tieren, Wald und Ackerland, und das sollte auf den Tupfen stimmen. Zudem wurden jetzt innerhalb der Gemeinde bittere Fehden ausgefochten um die 136 Aufteilung eines Stückes der Allmend an die angrenzenden Bauernhöfe, zur besseren Ausnützung. Da zeigte sich wieder der Landhunger und der Landgeiz des Wälders in leidenschaftlicher Art. Die meisten Gemeinderäte wollten das Allmendstück aufgeteilt wissen, es steckte Vetterleswirtschaft dahinter. Stoffel jedoch war dagegen. Er hatte etwas läuten hören von einer Staatsstraße, die neu gebaut würde und die gerade durch das Gemeindefeld laufen müsse. Man sollte also warten mit dem Aufteilen. Der Staat verhandle lieber mit einer Gemeinde als mit mehreren Angrenzern. Dann sei auch die Führung der Straße am Dorfe vorbei gewisser und von Vorteil. Man käme, wenn die Uhrenmacherei wirklich im Tal aufblühe, doch geschickt an die Handelsplätze. Er entwickelte wie ein Anwalt die Vorteile des Wartens und der Politik der Zukunft. Man merkte, wie der Vogt sich in Feuer redete und Gefallen am Reden fand. Er warf sich dabei unwillkürlich ein wenig in die Brust.

Die Bauern kauten an den Pfeifen. Hin und wieder strich einer von hinten nach vorn über den Schädel und drückte das strähnige Haar in die Stirn. In den Augen der meisten saß gelassene Abwehr, wenn nicht Spott. Stoffel sah es nicht, er stand an der oberen Schmalseite des Tisches. Ihm gegenüber saß der Ratsschreiber, ein Bruder des Albiez und diesem in vielem ähnlich; aber so sehr man den Schneider noch leiden konnte im allgemeinen, weil er witzig und auf eine einnehmende Art gescheit sein konnte, so wenig liebte man den Schreiber, der aufgeblasen war und protzig, auch ein gefährlicherer Schleicher als der Josua. Matthäus Albiez verriet seine Schliche nie, während Josua sie frei und sich selbst verlachend zugab. Stoffel spürte des Ratsschreibers Feindschaft bis unter die Haut. An der schmalen Seite des langen Tisches stehend, blickte er über die Köpfe der Sitzenden hinweg, er sah an die Ofenwand fast starr hinüber, nur wenn er den Blick senkte in einer Pause, so mußte er jedesmal in des Schreibers Schlitzaugen fahren, die seinen Worten und Mienen auflauerten.

Bei der Abstimmung fiel das Ja auf die Verteilung der Allmend. Dem Läutenhören wollte man nicht arg vertrauen, und mit der Straße – oh, daß man nicht lache! – hatte es von Staats wegen Zeit. Wer wollte auch auf dem finsteren 137 Wald so viel Geld verbauen! Und Steuer gab das doch sicher auch und Lasten auf die Ortskasse. Man dankte, man hatte Erfahrung, man war als Gemeinderat alt geworden.

Stoffels Faust zitterte, sein Gesicht wurde kreideweiß. Der Ratsschreiber nahm den Beschluß zu Protokoll und lächelte dabei. Stoffel hatte kein Glück, und sein Herz war leer an Freude über das Amt. Die stolze Vogtsmaske überm Gesicht, mit der er durch Buchenbronn an Amtstagen schreitet, saß nur locker obendrauf; aber er gab den Kampf nicht auf. Ein andermal blieb er Sieger. Es mußte wie bei allem auf und nieder gehen, mal rechtsherum, mal linksherum. Man konnte ihm keine Falschheit nachweisen. Von dem Aufteilland wäre ihm selber ja ein Stück zugute gekommen, wenn er es hintenherum vorbereitet hätte. Aber ja nicht! Ihm langte es. Obschon selbiges guter Boden ist.

*

An einem Sonntag bissen nun Agathe und Stoffel in den saueren Apfel und stiegen zum Götzenhof hinauf. Stoffel schlupfte in den Vogtsrock hinein, aber Agathe riet, nur den Sonntagskittel anzulegen, damit der Besuch recht vertraut aussähe. Die Vogtswürde wirke auf Anna doch gewiß wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Sie sahen sich nicht um und vermieden es, die Götzenäcker zu betrachten. Nichts sollte ihren Willen zur versöhnenden Mahnung durch Mißmut trüben. Stoffel nahm einen Grashalm zwischen die Zähne, er hatte eine trockene Kehle, vielleicht vom scharfen Speck am Mittag.

Der Hof lag wie ausgestorben, nur ein struppiger Spitz kläffte wütend. Stoffel sah auf ihn nieder, da zog das Tier die Rute ein und kroch in die Hütte. Agathe trat an die Tür. Der obere Teil war offen, um Luft in den schwülen Gang zu lassen, der untere war zugeschlossen. Sie rief hinein: »Anna!«

Keine Antwort.

»Jakob!« Nichts rührte sich.

Aber Stoffel sagte: »Es ist jemand drinnen, der Fenstervorhang hat sich bewegt.«

Er pochte fest an den geschlossenen Türteil, schwang sich, da niemand Antwort gab, darüber und stand im Flur. Die Stubentür gab nach, und wer saß drinnen am Tisch? Anna und Albiez, der Schneider. Sie lasen beide in einer Schrift 138 und taten, als schrecke Stoffel sie aus tiefer Versunkenheit auf. Anna flammte rot im Gesicht, Albiez duckte sich.

»Wie kommst du herein?« fragte Anna schnell gefaßt und scharf, »es ist doch geschlossen, es laufen anfangs so viel Landstreicher herum, vorab sonntags.«

»Warum machst du nicht auf?« entgegnete Stoffel, »ich habe gesehen, wie sich der Vorhang bewegt hat, und gewußt, daß jemand da ist. Wir haben fest genug gepocht.«

Anna preßte die Lippen aufeinander, sie gab keine Antwort.

»Agathe steht draußen, schließ ihr auf«, sagte Stoffel.

Sie suchte nach dem Schlüssel und ging langsam hinaus. Albiez blieb sitzen und las weiter in der Schrift. Er flüsterte sogar die Worte, als gerate er in heiligen Eifer. Stoffel machte große Schritte, Stube auf, Stube ab.

Agathe begrüßte Anna mit milder, freundlicher Stimme. Anna sagte scharf: »Oh, was für eine Ehre, Schwägerin, daß du uns heimsuchst. Es wird dir wohl kaum gefallen bei uns armen Leuten. Wir haben's halt einfach.«

Sie wischte in der Stube mit ihrer Seidenschürze einen Stuhl ab und hieß Agathe sitzen. Diese, müde vom Anstieg und der Wärme, setzte sich auf die Ecke des Stuhles, wie es Sitte war. Auch hatte sie Sorge, sich den guten Rock voll Flecken zu machen; denn sauber war der Sitz nicht.

Alle mühten sich um ein Gespräch. Der Albiez sah aus, als wolle er sich unsichtbar machen, so klein und dünn schrumpfte er hinterm Tisch zusammen. Er wollte anfangs gehen, aber Anna sagte: »Bleib!«

Und er mußte es tun. Die Frau besaß viel Macht über ihn. Das sahen auch Stoffel und Agathe, was für ein schönes Gesicht sie hatte und wie jung sie von Gestalt war. Sie zählte dreißig Jahre, und man meinte, sie zähle erst zwanzig. Nur wenn sie sprach, kam ihre Reife heraus. Sie hatte eine peinlich häßliche Art, den Mund zu bewegen und Gesichter zu schneiden. Auch ihre Zähne waren schlecht. Es ist eine, die den Männern gefällt, dachte Agathe, selbst wenn sie schlampig und verdreckt wie eine Bettelfrau daherkommt. Der Albiez wächst fast an sie mit seinen blauen Blicken, und der Jakob, wenn er nicht in sie narret wäre, müßte sie doch längst zum Teufel gejagt haben. 139

Anna wurde gefragt, wo ihr Mann sei. Sie lachte auf: »Suchet, irgendwo im Umkreis wird er seinen Samstagsrausch ausschlafen; ich habe ihn seit Feierabend gestern nicht mehr gesehen.«

Die Unterhaltung stockte. Der Albiez wollte wieder gehen.

Anna sagte noch einmal: »Bleib!« Und er blieb.

Es ärgerte den Stoffel; denn ohne den Schneider hätte er jetzt der Anna ins Gewissen reden können. Sie fürchtete sich wohl davor.

Albiez sagte ein wenig verkniffen: »Gelt, Vogt, im Amt gibt es eben schwere Anständ. Der Ratschreiber hat mir's angedeutet.«

Stoffel putzte ihn ab: »Wenn alles ohne Anständ ging, bräucht man keinen Vogt.«

»Wohl, wohl, schon. Jedoch sollt er nicht in allem nachgeben, mein ich. Die Allmend hätte bewahrt bleiben müssen. Jeder Vernünftige meint's. Wenn es doch einen Vorteil für die Gemeinde bedeutet, an die Hochstraße zu kommen.«

Stoffel brummte Unverständliches.

Anna stichelte, stolz auf den Mut Josuas: »Man muß eben zum Vogtsein geboren werden. Jedem ist es nicht gegeben zu herrschen. Ich mein auch, Stoffel, du hättest auf den Tisch hauen sollen und sagen, die Allmend bleibt ungeteilt. Aber so geht es, einer hat Mut und kein Glück, und der andere hat Glück und keinen Mut.«

Agathe erhob sich und sagte zu Stoffel, der mitten in der Stube stehengeblieben war, Zornröte im Gesicht: »Wir gehen, mein ich, wenn der Jakob doch nicht da ist.«

Sie warf dabei den Kopf in den Nacken und mied es, Anna anzuschauen. Die sprang auf, rannte in heller Wut vor die Bäuerin und spie ihr eine Flut von Beleidigungen ins Gesicht. Sie kam gar nicht zu Atem, ihre Stimme war ganz hoch und hart. Irrsinnig, was sie alles brachte, Knechtshure war noch das wenigste, Kindstöterin und Zünslerin sagte sie wohl zwanzigmal, immer lauter, immer teuflischer. Schaum stand ihr vor dem häßlich aufgezerrten Mund. Und »Fluch über dich und dein ganzes Geschlecht!« Das war das letzte. Haß, Neid, Eifersucht fuhren aus der wirren Seele der Götzenhofbäuerin, wie vergiftete Schwerter. Sie schlugen Wunden heillos tief. 140

Stoffel und Agathe erstarrten vor Entsetzen. Unter der Stubentür stand Jakob und horchte mit offenem Mund. Er wankte von einem Pfosten zum andern im Rausch. Unter dem Fluch wollte Agathe zusammensinken.

Stoffel schrie sie an: »Halt stand!«

Sie raffte sich zusammen. Das wilde Gesicht der Anna kam ihr nahe und lachte sie gellend an. Da hob die Vögtin die Hand und schlug zu. Doch Anna, statt sich zu wehren, wandelte sich, wimmerte leise, wandte sich ab und trat, das Gesicht in der Schürze, ans Fenster. Kein Geräusch als das verzweifelte Schluchzen Annas war in der Stube. Jakob lehnte am Türpfosten, verständnislos dem Auftritt folgend, und seine verglasten Augen wanderten vom einen zum andern.

Plötzlich drehte sich Anna in die Stube zurück, blitzte Stoffel und Agathe an, hob den Arm und wies ihnen die Tür. Diese Gebärde war voller Hochmut und Macht. Vogt und Vögtin wandten sich stumm, bleich und verließen den Hof. Ein blödes Lachen krähte ihnen nach. Es kam von dem trunkenen Jakob.

*

Von Stunde an liefen Anna und Jakob wie ein besessenes Liebespaar von Hof zu Hof und erzählten von der groben Frau Vögtin, die einem ins Gesicht schlage und die alle Schlechtigkeit in ihrem Herzen sitzen habe. Und vor des Stoffels Blick würden die schärfsten Hunde furchtsam, der Satan spreche daraus. Alle Höfe hallten wider vom lauten Geschrei der haßglühenden Anna. Es wisperte hinter Vogt und Vögtin her, sobald sie sich irgendwo sehen ließen.

Wen schon einmal irgendwie ein Gerücht umflattert hat, und wer sich durch irgendeine Tat außerhalb des Gewohnten gestellt, der hat von vornherein einen großen Teil der Gesellschaft gegen sich. In den Gemeinden ohnedies, die zu klein sind, als daß ein Besonderer darinnen verschwinden kann. Er muß sich zeigen, muß tun, als ahne er nichts, muß sich wehren und wappnen. Aber wehre sich einer gegen das Geflüster hinterm Rücken, gegen die Lüge, die sich wie eine Lawine vergrößert, gegen hämische Blicke und neugierige, schlechte Gedanken!

Solche Verfolgten beschreiten den Weg des Verhängnisses. Sie haben ihn schon berührt, da sie den Schritt in das 141 Außergewöhnliche taten. Und das einfache Volk, das Bauernvolk, ist so hart und unbeugsam in seinem Gericht, wenn das Außergewöhnliche auf abergläubische, geheimnisvolle Weise vor seinen Augen geschah, daß es nie vergißt und nie milder wird. Ausgestoßen bleibt der Verdächtigte wie der Verbrecher.

Stoffel wehrte sich. Er tat als Vogt seine Pflicht. Droben im Götzenhof verkaufte man Kuh um Kuh, man verkaufte, was nicht niet- und nagelfest war im Hofe. Die Sekte legte das Haus mit Beschlag und hielt ihre Stunden dort ab.

»Wenn sie den Wald anrühren, begehre ich auf«, sagte Stoffel zu Agathe.

»Wärst ein Feigling, tätest du es nicht, Vogt«, antwortete sie.

Richtig, eines Tages kam der Peter, der im Michelshofwald Wellen machte, mit der Botschaft heim, es hieben fremde Holzhauer Stämme im Götzenwald. Da warf Stoffel den Löffel hin, riß den Kittel über und stieg zum Götzenwald hinauf. Die Holzmacher gingen gerade wieder an die Arbeit. Stoffel mußte würgen vor Wut an seiner Frage: »Wer hieß euch Holz fällen im Götzenwald?«

»Ha, der Bauer«, gaben sie erstaunt zurück. Der schlaue Jakob hatte wohlweislich die Männer aus einem Ort gedungen, der dem Schiltebach fern lag. Sie stammten aus dem Städtchen jenseits des Sees, wo für die Buchenbronner und Schiltebacher die Fremde anfing. Sie kannten Christoffel Götz nicht näher, vor allem nicht das Besitzverhältnis.

»Legt die Äxte nieder«, befahl Stoffel und wurde eisern ruhig. Einer schwankte, es zu tun, aber den maß Stoffel mit hartem Blick, daß jener sich nicht getraute, die Axt an den Stamm zu legen, der gefällt werden sollte.

Es sah bös aus im Walde. Viel blanke Holländerstämme lagen schon geschält am Schleifweg. Also fällten sie schon tagelang! Den Stoffel fror es über den Rücken vor Aufregung. Der Jakob hatte Glück, daß er nicht in der Nähe auftauchte, er hätte ihn vielleicht erschlagen.

»Vater, Vater, wenn du das wüßtest« stöhnte Stoffel, »unser schöner, starker Wald, so veraast von diesem, von diesem . . . Himmelherrgott, kannst du das zulassen!«

Stoffel kam heim, holte den Vogtstock aus dem Schrank 142 und sagte zu Agathe: »Ich mach jetzt fertig mit dem da droben.«

Unterwegs bedachte er die Sache eingehend. Plötzlich kam es ihm auch; als Vogt mußte er darauf sehen, daß nichts Unrechtes geschehe, durfte in eigener Sippe kein Unrecht dulden. Der Jakob betrog den Besitzer des Waldes, er stahl Holz, er verkaufte Gut, das ihm nach Recht und Gesetz nicht gehörte. Stoffel fühlte, wie sein Herz hart wurde. Wie der letzte Rest von Bruderliebe schwand. Wie die Schande im eigenen Nest ihn zum Rächer machte, damit er dieser Schande ledig würde, obschon ihn wahrhaftig keine Schuld traf. So ging er zum Notar und trug ihm den Fall vor. So ging er zum Gericht und verklagte den Bruder. Und so kam es Schlag auf Schlag, daß man den Jakob und die Anna auf die Straße jagte, unbarmherzig, daß ein Pächter auf den Götzenhof kam, und daß die Sekte, von der in der Gerichtsverhandlung nichts Gutes herauskam, heimatlos wurde.

Albiez schimpfte herum auf den entsetzlich gierigen und hartherzigen Bauern. Anna und Jakob irrten von Hof zu Hof, fielen da zur Last, kamen dort zupaß, weil man gerade beim Ernten war. Doch wo sie genächtigt und gegessen hatten, ließen sie feindliche Gesinnung gegen den Vogt in den Gemütern zurück. Besonders Anna verstand es, den Männern das bessere Einsehen ins Gegenteil umzukehren, mit ihrem süßen, leidenden Wesen, welches sie angenommen hatte. Die bisher vernünftig und klar denkenden Männer wandten sich nun auch von Stoffel ab. Man glaubt nicht, was ein von Haß erfülltes Menschenherz vermag, um dem Feind zu schaden: bittersüßes, wirksames Geflüster, Vermutungen mit Fragezeichen, ob das wahr sein könne, möglich sein könne, und wie leicht zum trüben Gefolge des Aberglaubens und der Lügen die Gier sich einstellt im Menschen, das blutdürstig eine Beute anzuspringen im Begriff ist.

Einmal fuhren Stoffel und Agathe durch Buchenbronn. Markus, der fünfjährige Bub, saß neben dem Vater auf dem Bock und knallte fröhlich mit seiner kleinen, neuen Peitsche. Es war Sonntag, kurz vor Dunkelwerden, und in Buchenbronn fand Kirchweih und Jahrmarkt statt. Die Wirtshäuser quollen über von Menschen, Gelächter, Dunst und Musik. Auf 143 den Plätzen dudelten Karussell und Drehorgeln, eine Gauklergruppe tummelte sich auf dem hohen Seil vom Kirchenturmfenster zum First des Gasthauses »Schwarzer Adler«. Es roch nach Lebkuchen und Schmalzgebackenem, nach rußendem Lampenöl und schlechtem Knaster. Der wahre Jakob pries Schnupftabak und Hosenträger an, Bauernhüte und lederne Ziegamriemen. Auch eingerahmte, hinter Glas gemalte Heiligenbilder und solche mit Napoleon darauf. Es gab Buden mit allen Sorten von Uhren, schönen böhmischen Gläsern, Kaffeeschüsseln und Netzschälchen für das Spinnrad. Stoffel kaufte Agathe ein Glas für ihren schönen Schrank in der Schlafstube. Es war in Äule gemacht worden und zeigte in kindlicher, farbiger Malerei die Fahrt der ersten Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth. Markus erhielt einen Lebkuchen, ein wollenes und ein rotes Halstuch. Für sich wählte Stoffel einen Tiroler Pfeifenkopf.

Wie sie, zum Heimweg gerüstet, sich gerade im Bernerwägele zurechtgesetzt hatten und Stoffel mit der Zunge schnalzte zur Abfahrt vor dem »Adler«, kam Jakob, der sehr betrunken schien, hergetaumelt und beschimpfte den Bruder unflätig. Stoffel, der einen Auflauf fürchtete, zog an. Im gleichen Augenblick stürmte Jakob vor, als wolle er den Pferden in die Zügel fallen, stürzte aber und geriet fast unter die Hufe. Stoffel konnte noch das Fahrzeug zurückzerren. Alles ging so schnell, daß niemand recht sagen konnte, wie es geschah. Jakob blutete leicht an der Stirn, aber Anna, die jetzt hergesprungen kam und nur halb hörte, daß Jakob unterm Roß gelegen, weil der Stoffel zu rasch angezogen habe, brüllte furchtbar auf und zieh den Vogt der größten Roheit und Gemeinheit. Er habe seinen Bruder totfahren wollen, man wisse schon, das böse Gewissen laufe jetzt durch Jakob vor des Hochmütigen Augen herum. Das ertrage der Herr Vogt nicht, seine Allerwerteste auch nicht.

Durch den Auflauf fahrig geworden, sagte Stoffel in die Leute hinein: »Jedes von euch weiß, daß der Jakob mir vor die Rösser gesprungen ist in seinem Rausch.«

Aber alle blieben stumm wie eine Mauer und nickten nicht. Es waren meistens Schiltebacher, die da herumstanden, heiß vom Trinken und Tanzen und in heimlicher Freude an dem 144 Schauspiel, das die feindlichen Brüder boten. Der Vogt zerbiß sich die Lippen. Er sprang vom Bock, nahm die Pferde kurz und zog den Wagen aus der schmalen Gasse der Zuschauer, sprang wieder auf und fuhr rasch die Straße hinaus. Das Schelten der anderen blieb weit hinter ihnen.

Die Eltern saßen stumm und bleich. Markus knallte mit der neuen Geißel und plauderte in einem fort. Als vom Vater gar keine Antwort kam, erzählte der Bub den Sternen und dem Monde sein Glück.

 


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