Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Markus und Sixta

1
Vater und Sohn

Markus Götz, der Uhrenmichelsbauer, ehelichte Sixta, das sechste Kind des Wendelin Ketterer auf der Gemarkung Furtwangen, der ein Uhrenmacher und Schildmaler war.

Markus und Sixta zeugten sieben Kinder.

Diese nannten sie der Reihe nach Marie und Magdalena, Andreas, Salomea, Genoveva, Urban und Martin. Die beiden ersten und die beiden letzten Kinder kamen als Zwillinge zur Welt.

Auf dem Uhrenmichelshofe gab es Platz für viele. Dafür hatte Stoffel Götz, der Vater des Markus, in harter, zäher Lebensarbeit gesorgt. Aber er durfte den Segen der Nachkommenschaft nicht mehr erleben. Vor allem der Umstand, daß die zwei Augen des Sohnes, auf denen das Hauswesen bisher allein und gefährlich unsicher gestanden, sich in so großer Vielfalt verteilt hatten, hätte ihm tief in der Seele zu reinem Glück verholfen. Als der Stoffel starb, war Markus fünfundzwanzig Jahre alt. Man stand im Ausgang der sechziger Jahre. Erdöl verdrängte mit seinem hellen Schein gerade Ölfunzel und Kienspan. Man las in den Zeitungen von der Ausbreitung der Eisenbahnen und vergaß auch langsam den Krieg vom Jahre 1866, dem mancher wackere Wälderbauer zum Opfer gefallen war. Markus hatte noch keine Frau, als der Vater in die ewige Ruhe gebettet wurde, sein Auge hing an keiner, und sein Herz war hagestolz.

Er wäre vor ein paar Jahren gern Soldat geworden, aber da ein starkes Angebot an Burschen herrschte, wurde ausgelost, und Markus kam frei. Er zeigte die Enttäuschung nicht und dachte, der Vater braucht mich nötig. Aber er schulterte damals die Flinte, verkroch sich im Wald und schoß nieder, was ihm vor den Lauf kam. Jagen war seine Leidenschaft. Mit jedem Knall und Widerhall wurde ihm leichter zumut. Und das leidige Los? Hol's der Teufel! Freies Jagen im Wald ist auch was wert, da redet ihm kein Sergeant und kein Leutnant drein, im Gegenteil! 4

Drei Tage und drei Nächte blieb Markus im Wald und kehrte nicht heim, obschon der Vater schrille Fingerpfiffe die Halde heraufsandte; denn die Heumahd lag dürr und sollte geladen werden. Markus hob die Büchse und gab trotzige Antwort, aber er kehrte nicht heim. Die Nächte standen hochgewölbt und tiefschwarz überm Wald, karg bestirnt. Der Mond kam spät. Es wehte kein Wind, so heiß war es im Land, das Blut kochte schier in den Adern mittags und lechzte nach Kühle in der Nacht. Markus strich durch Dickicht und Dobel. Unheimlich still war der Wald, nur seine Schritte schleiften schwer über die Wege, und hinter seinem Schlupfen rauschten die Beerbüsche zusammen.

Brot steckte noch im Beutel genug für nochmals drei Tage. Die Himbeeren standen reif und die Heidelbeeren, Quellwasser sprang ihm in den Mund, sooft es ihn gelüstete. Er schoß nichts mehr, knallte nur. Häher äfften ihn. Und die Drossel, die Wächterin des Waldes, zeigte ihn allem Getier als Todfeind an. Markus sagte zu sich selber: »Ich will nicht Bauernwerk tun, ich will es nicht. Jäger bin ich, Waldmensch!«

Aber das sagte er nur, weil eine Stimme in ihm etwas anderes befahl. Er riß eine falsche Freiheit an sich; wahrhaftig, dieser wurde er nicht froh! Er fragte sich sogar: »Bist wohl ein bißchen verrückt, Marks, hintersinnt hast du dich wegen einer Blechmusik! Hei was, es ist bloß wegen der Blechmusik, weshalb das Soldatsein herrlich scheint. Schäm dich, Marks!«

Als er dies erkannte, stand die dritte Nacht über ihm, wie für die Ewigkeit gewölbt, ein Bauwerk unheimlicher Größe und Stille. Markus trat in eine Lichtung. Der scharfe Grat der Wälder zeichnete sich ab am Himmel, und die Finsternis im Tannenforst gegenüber war so undurchdringlich wie ein Moor. Stille allum. Kein Baumatem hörbar, kein noch so leises Wieseln über dem Erdboden. Maus und Schlange schliefen, die Mitternacht war längst vorbei. Kein Igel und keine Eule machten ihr Jagdgeräusch. Fiel nicht einmal eine Nadel vom Baum, eine überzeitige Beere vom Busch? Nichts.

Da, was war das? Helles Huschen am Himmelsrand gegenüber, wieder und wieder, lautlos, rasch, bös. Markus fror es am Rückgrat hinab.

Was war denn? Was? Die Augen bohrten sich ins Dunkle. Ging dort jemand drüben? Unmöglich! Ein Mensch schimmerte 5 doch nicht und eilte nicht so schnell! Der Wald wuchs. Marks schaute nicht hinter sich; dort wuchs er auch empor, er wußte es, fühlte es: die Lichtung glitt zu, ringsum wuchs der Wald herein, türmte sich, drohte. Markus fror. Wie konnte man so frieren mitten im Sommer!

Wieder das helle Greifen wie von großer, grausiger Hand da drüben. Jetzt wehte ein Wind, jetzt bebten die Stauden, jetzt hörte man, daß Leben war überall. Marks konnte nicht aufatmen, die Furcht bannte ihn, in den Ohren sauste es ihm, er schloß die Augen; er konnte aber gehen, rückwärts durch das Gebüsch. Da brach es auf hinter ihm, raste an ihm vorbei und war mit dumpfem Aufschlag von Hufen davon. Ein großes, helles Tier. Markus schrie, sprang, von Entsetzen gepackt, Wald und Halde hinab, die Büchse blieb in der Hast hängen, ging los, der Knall vervielfachte sich im Hall. Es rauschte und raunte, kalter Hauch wehte dem Fliehenden ins Gesicht; er rannte und stürzte und stürmte, bis er des Vaters Hof erreichte.

Am Brunnen stand ein junger Stier und soff, schaute Markus an und stieß kurze Brülle aus. Markus lächelte verwirrt. Er wußte, was für ein gespenstisches Tier ihn genarrt hatte. Die Tür knarrte im Hause. In Hemd und Hose, barfuß und barhaupt, trat Stoffel, der Vater, heraus, ging und machte die Stalltür auf: lachte lautlos, beglückt und spöttisch zugleich.

»So, seid ihr da, Ausreißer?« fragte er nur und tatschte dem Stierlein auf den Steiß. Es rannte in den Stall, wohlig murrend, und ließ sich willig anbinden. Markus schlich ins Bett. Der Tag zitterte herauf.

Um sechs Uhr jedoch betrat Markus schon den Stall und verrichtete seine Bauernarbeit, als wäre er nie aus dem Geleise geraten. Stoffel, der Bauer, ließ nichts merken. Er dachte vielleicht bei sich: »Ha, dem wird es zu knapp in der Haut vor Kraft, ihm fehlt ein Weib.«

So verriß er nach ein paar Tagen das Maul: »Geh freien, Bursch, Zeit ist es.«

»Zeit lassen, Vater.«

Marks hatte die Büchse in der Hand und putzte an ihr herum, er lachte verlegen, indem er noch hinzufügte: »Mein Schatz ist die hier.«

»Man könnt' es meinen«, gab der Bauer in scharfem Tone 6 zurück, drückte den Daumen an die Nase und schneuzte sich. Das galt beim Bauern als Sturmzeichen. Markus wußte, diesmal hatte die Uhr letz geschlagen. Und nachher sprach der Bauer fast zwei Wochen lang nur das Nötigste mit dem Sohn.

Markus wurde zahm. Nichts quälte ihn ärger als die Kälte des Vaters, dessen helle Augen immer kristallener wurden an Härte und Klarheit. Unbestechlich war Stoffel Götz, er ließ sich nicht umbiegen zu warmer Güte, weil Markus der Frühste und der Späteste bei der Arbeit war.

Markus hatte sich aufgelehnt gegen des Vaters Herzenswunsch und gespottet über seinen Rat, das verwand ein Bauer nicht leicht. Dazu wuchs die Angst in Stoffel Götz: »Herrgott, ich muß gehen, ohne zu wissen, was aus dem Hofe wird. Wer weiß, wenn den Marks nichts mehr bindet, ob er da nicht alles im Stich läßt und mit seiner Jagd- und Waldleidenschaft nach Kalifornien fährt oder in sonst eine Wildnis, von denen man jetzt so viel berichtet bekommt. Der Alois Zuckschwerdt, der Abenteurer, hat neulich in der Michelshofstube Unglaubliches erzählt von fernen Zauberwäldern und prächtigem Wild, von Tiger- und namentlich von Büffeljagden, daß dem Markus schier die Augen herausgequollen sind vor Gier nach der Fremde.«

So mußte sich Stoffel Götz Sorgen machen um den Hof, seinen schönen, heiß errungenen Michelshof.

Vater und Sohn fuhren in jener Zeit über Land in die Stadt Freiburg, wohin es mehr denn zehn Stunden Weges zu Fuß war. Sie wollten zwei gute Pferde kaufen auf dem großen Markt. Der Kauf gelang. Vierspännig sprengten sie das Tal hinauf und wieder heimzu. Unterwegs kehrten sie kurz vor dem Schiltebachtal im heiteren Landstädtchen Buchenbronn ein. Im »Adler« wurde eine Bauernhochzeit aus dem Jakobsgrund gefeiert. Die Braut, aus der Fallersippe auf dem Siehdichfür stammend, war mit Stoffel verwandt durch seine verstorbene Bäuerin Agathe. Die Jungen tanzten schon, die Alten schöppelten und erzählten Geschichten aus den früheren Zeiten. Stoffel setzte sich an den nächstbesten freien Platz, Markus betrat den Tanzsaal. Die Schellenbauerntochter, reich gekleidet, sehr rotbackig, trat neben ihn und forderte ihn zum Tanz auf. Ihre kleinen, pechschwarzen Augen glitzerten. Es war ein schönes 7 Mädchen, stattlich und gesund, ziemlich jung noch. Ein lediges Kind, dessen Vater unbekannt blieb, versperrte den Jungbauern ein wenig den Weg zu ihr und zu ihren Talern. Markus tanzte mit ihr, drückte sich dann aber aus der Tür. Stoffel, der heimbegehrte, war schon im Hofe und schirrte an. Markus half. Plötzlich stand des Schellenbauern Tochter wieder neben ihm und fragte: »Schon heimwärts? Was habt Ihr für ein feines Gespann!«

Stoffel hob erstaunt den Kopf, sah das Paar an und hätte schier mit der Zunge geschnalzt. Der Markus schien aber auf den Mund gefallen; denn er gab der Ursula kaum Antwort.

Unterwegs fragte Markus, wie aus tiefen Gedanken hervor: »Wen meint Ihr, Vater, der in Frage käme, Michelshofbäuerin zu werden?«

Er wollte die Kälte des Vaters brechen, hatte aber im Innersten gar keinen Trieb zu dieser Frage.

Stoffel Götz ließ willentlich die Antwort sich verzögern, verriet sich dann aber doch: »Ich denke, die Schellenbauers Ursch wär schon recht.«

Markus wehrte ab: »Sie hat einen schlechten Geruch an sich.«

Da schlug sich Stoffel auflachend auf die Schenkel: »Herrjesses, Mensch, wer im Stall schafft, kann doch nicht nach Rosen riechen!«

»Es ist nicht das, Vater, ein Jäger hat seine Witterung.«

»Das mit der Witterung begreife ich«, gab der Bauer zu. »Jetzt aber, wie dünkt's dich mit des Hofbauern Kathrin, ein bissel zart ist sie, aber tüchtig und hat Geld.«

»Die Buchenbronner heiraten nicht gern in das Schiltebachtal, lieber auf den Siehdichfür«, wehrte Markus ab.

»Das wird keinen Anstand geben; denn die Mutter war ja von dort her.«

»Nun, man muß sich die Kathrin einmal beschauen«, sagte Markus.

*

Man kam nicht dazu in nächster Zeit, die Feldarbeit fraß Tage und Wochen weg. Ehe man sich's gedacht, kam der Winter, weichte die Wege auf mit viel Regen, und der Sturm durchtobte fast alle Nächte. Ein unwirtlicher und ungewohnter 8 Winter war dies. Erst im März schneite es zu, und meterhoch allum versanken die Höfe in Schnee bis gegen Mitte April. Dann taute es rasch, und man ging über die Frühlingsäcker. Da säte Markus seinen ersten Kornacker, und ein paar Tage darnach lag der Vater tot in der Stube aufgebahrt. Eine Lungenentzündung hatte ihn hinweggerafft.

Nun brauchte der Jungbauer eine Frau, so nötig wie das tägliche Brot, aber jede Bauerntochter, die ihm in den Sinn kam, entglitt seinen Plänen wieder, keine gefiel ihm oder lockte sein Herz. Auch die Kathrin, die er beim Kirchgang geprüft, fiel ab. Sie war dumm wie Bohnenstroh und lachte in einem fort ohne Grund. Turteltauben saßen ihm genug im Schlag, sie waren händelsüchtig wie keine anderen Tiere im Hofe.

 


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