Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Die Geliebten

Das Kalb wurde schon am Nachmittag abgeholt. Des Ochsners Knecht grinste frech, als er das gesperrige Vieh aus dem Hofe trieb. Sälme, die das weichmäulige Tier herzlich geliebt, heulte gottserbärmlich in die Schürze und verweigerte abends die Nahrung. So saßen mürrische, mit Zorn und Schmerz beladene Menschen in der Abendstube, Markus saß im Herrgottswinkel, eingehüllt in Rauchwolken, die Mädchen strickten und stichelten, die Zwillingsknaben spielten Domino, und Sixta suchte Saatbohnen aus für ihren Hausgarten. Magdalen hörte den Kuckucksruf aus weiter Ferne. Sie rutschte unruhig auf der Bank herum, ließ Stricknadeln auf den Boden fallen, tat unwirsch, indem sie schimpfte: »Ach, ich hab' doch keinen Dreck an den Händen, nichts gerät heut.«

Sie räumte die Stricket weg, pendelte, als wisse sie nicht, womit die Zeit vertreiben, ein paarmal zwischen Stube und Kammer hin und her, verließ die Stube und polterte im Estrich, sprach ein paar Worte mit der Kleinmagd, die noch in der Küche schaffte, und lief noch einmal durch die Stube.

»Hast kein Sitzleder?« verwies ihr Sälme das störende Gelauf; da machte sie sich beleidigt murmelnd davon. Der Kuckuck rief heillos nahe am Haus. Mußte sein Ruf nicht auffallen?

Das Jägerohr des Bauern war zu geübt, um nicht den Schwindel zu hören, dazu war keine Singzeit für den Gauch, trotzdem dieser Oktober aufreizender war als ein Frühlingsmonat.

»Da draus ruft ein Kuckuck, ich will nit, daß mir ein Kuckucksei ins Haus kommt«, sagte Markus, hart aufstehend und Sixta mit scheuem Blick streifend.

Die Kinder sahen ihn erstaunt an. 116

»Kümmer dich drum!« sagte die Bäuerin kühl, »ich hab' nichts gemerkt.«

Jedoch Markus ging hinüber in die Schlafkammer. Gleich darauf erhob sich Sixta, schickte die andern zu Bett und trat vor die Tür, ins Dunkel spähend. Drüben auf dem Martinssteg lösten sich zwei Gestalten ab. Es war Magdalen, die langsam den Garten heraufkam und ohne Zögern an der Mutter vorüber wollte.

»Wer ist bei dir gewesen?« fragte aber Sixta.

»Der Sebald vom Erlenmoos«, gab Magdalen frei zu.

»Das wär' schon recht, aber in Ehren, gelt, der Vater hat vorhin was von einem Kuckucksei gesagt, ich muß ihm recht geben. Also bleib recht, ihr seid noch jung.«

»Der Alte will's nicht haben«, schluchzte Magdalen plötzlich auf, »hilf du uns, Mutter.«

»Geh jetzt ins Bett, Mädchen, wir besprechen alles einmal, es hat noch Zeit, hoffentlich.«

Magdalen nickte wortlos und trat ab.

Lange stand Sixta, die Bäuerin, noch unter der Tür und sann in die Nacht. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit und vor Tränenlosigkeit. Sie kam auf alles mögliche zu denken. Langsam schlich der Mond aus dem Muhrseewald herauf und wanderte gegen den Dachscheitel des Michelshofes, der einen breiten Schatten vor sich warf. Der Schiltebach glänzte silbrig durch das erhellte Tal. Großen Frieden atmete diese klare Herbstnacht. Sixta spürte ihn. Die gespannten Lippen lockerten sich, sie sagte etwas leise vor sich hin, unverständlich, trat aus dem Hausschatten ins Mondlicht. Sixta wurde völlig überrascht von der Erkenntnis, daß die zwei großen Mädchen bald heiratsfähig waren und die Magdalen gar schon ein festes Verhältnis hatte. Der Sebald gefiel Sixta wohl, auch die Aussicht, Magdalen gut in ein schönes Bauerngut zu betten. Sie wollte den alten Erlenmooser schon klein kriegen, der mußte doch froh sein, endlich wieder ein Weibsbild ins Haus zu bekommen, die recht zu dem sah, was Frauensache war. Und Magdalen schaffte gern, so gern wie sie lachte. So was tat doch gut in einem finsteren Hof wie der im Erlenmoos. Nun, das wollte Sixta schon einfädeln. Sie wurde in dem Bann dieses Entschlusses eine andere Frau, wieder sorglich, klug und gütig wie vor dem 117 bösen Spiel des Bauern. Ja, als sie an den wüsten Abend im »Adler« dachte, kam ihr jetzt des Mannes Sünde gering vor, gar nicht des Grames wert, den sie daran gewendet. Einmal ist nur Gelegenheit, nicht Gewohnheit, also ist es keinmal. Sie will nicht die Geduld verlieren mit Markus. Das verliebte Gesicht des Lips taucht einen Augenblick vor ihr auf, ihre Trauer um verlorene Jugendjahre, ihre schwermütigen Gedanken über das noch blutwenig genossene Leben der Festfreuden und harmlosen Lüste. Aber das verwehte alles wieder. Es blieb das schmale, finstere Gesicht des Markus nahe bei ihr, mit der blonden Zorn- und Hornlocke über der Stirn und den Augen, die hinter dem Lidspalt etwas verheimlichten.

»Er ist ein Unerlöster vielleicht«, sagte Sixta und schaute an dem hohen Sternenbogen der Milchstraße entlang, Vater und Mutter kamen herauf, die Geschwister, ihr ganzes Dasein von Kindheit an. Da war stets viel Bewegung, hurtiges Alltagsschalten, viel Zufriedenheit und Wärme. Und nun sie Mutter großer Kinder war, junge Mutter noch, eine Siebenkindmutter, sollte das Unheil über sie kommen, mit dem Tod des Andreas beginnend? Nein, sie glaubte an diesen Fluch nicht, der überm Götzengeschlecht drohen solle. Was war denn geschehen? Ein Bub verunglückte und wurde darauf selig, der sonst im Leben gewiß ein Unseliger gewesen wäre. Und was noch? Nichts, gar nichts, was die dumpfe Angst seit Tagen schon begründete, eigentlich seit Jahren schon. Sie hatte sich vom Mißreden der anderen ins Bockshorn jagen lassen, elend ins Bockshorn. Sixta blickte noch einmal, fast tröstlich zum Mond auf, dann vollendete sie ihr Tagwerk mit der Runde durch Ställe und Haus.

*

Es brach eine merkwürdige Zeit an im Michelshofe. Neue Menschen traten in den bisher eng geschlossenen Kreis der Bauersleute und ihrer Kinder. Der eine war jener junge Bauernsohn Sebald, der nun offen zu seinem Mädchen in die Stube treten durfte, damit das Gerenn in der Nacht und das falsche Kuckucksrufen aufhörte.

Eines Tages kam dann auch Marie mit aufgestörtem Gesicht heim, sang bald und brummte bald, pützelte sich vor dem handgroßen Spiegel in der Stubenecke und wusch sich, ohne 118 daß es nötig gewesen wäre, ein paarmal die Hände am Brunnen. Abends ging sie allein noch die Straße gen Buchenbronn hinab, nachdem sie es Sälme abgeschlagen, mit ihr Domino zu spielen. Der Mutter fiel das gesperrige Wesen Maries erst auf, als sie die Haustür schließen wollte und Magdalen, gerade heimgekehrt, berichtete, daß Marie noch draußen verweile.

Sixta sagte, sie solle der Schwester entgegengehen.

»O Mutter, was meint Ihr auch« wehrte Magdalen ab und kicherte.

»So, brennt's jetzt dort auch?«

»Sicher weiß ich's ja nicht, Mutter, aber es kommt mir seit heute so vor.«

Im gleichen Augenblick erschien auch Marie über der Bodenwelle, die die Straße kurz vor dem Michelshof lustig aufhob, daß es wie zum Scherz unvermutet eine kleine Talfahrt gegen den Hof hin gab, indem man ganz köstlich wie in einer Schaukel vor die Haustür geschwungen wurde, wenn man das Hügelchen herabsprang oder fuhr und in der Wucht des Gefälles zugleich die Kraft für den Anstieg den Hof hinauf verdoppelte. Das war so verlockend spielerisch, daß selten eines langsam den Hof erreichen konnte und wollte, sondern sich unwillkürlich an der Neigung des Hügels in Trab setzte.

Wie aber jetzt Marie die Welle herabsprang und vor die Haustür schwang, wo Mutter und Schwester auf sie warteten, hatte sie etwas Wildes und Gescheuchtes an sich, auch brachte sie irgendeinen feinen Wohlgeruch in den Kleidern mit her, wie nach Duftseife oder Kölnischwasser, und Sixta fuhr es in die Knie. Das Kind wird doch nicht einem windigen Stadtfrack in die Hände geraten sein? Schön genug war sie ja, feingliedrig und feinhäutig. Sixta hatte sich schon oft gewundert, daß so etwas in einem rauhen Bauernhaus die Augen aufschlug, aber Sälme schlug gerade so wunderlich aus der Reihe der blonden, vollgliedrigen Götzenkinder, und der kleine Martin schien auch ein dunkelhaariger, großer und vornehmer Bursche zu werden.

Markus hatte einmal gemeint, die Marie und die Sälme schlügen mehr in die Bruderhofsippe, die fast alle schwarzbraunes Haar, schlanke Glieder und schmale sehnige Schultern 119 hatten. Sixta zwang sich jedoch in einem fast schmerzlichen Widerspruchsgeist dazu, festzustellen, daß die Kinder ihrem Vater, Wendelin Ketterer, ähnelten, auch in der bei den zwei Mädchen zutage tretenden Neigung zum Träumen, Basteln und Sinnieren. Die Marie wurde blaß und fiebrig vor Inbrunst, wenn sie Musik hörte, aber es sollte stets eine getragene, leise, vielleicht traurige Musik sein, wie sie auf Geigen erklingt oder auf guten, weichen Flöten oder von Menschenstimmen gesungen, die schön waren. Die Sälme indes zeichnete und malte in jeder freien Minute und stöberte in den Kammern alles Malgerät des Kußschen Nachlasses auf; denn die Vorbesitzer des Hofes waren geschickte Uhrenschildmaler gewesen.

Ach, so ein Kind muß wohl von jedem Vorfahr ein Stückchen mitbekommen, dachte Sixta, und bis das alles, das Großvater und Großmutter und das Urelternwesen, beieinander fließt im roten Blut, gibt's halt sonderliche Menschen. Vorab wenn jedes seine Nauben gehabt hat. Und welcher von uns, von den Gestorbenen und den Lebigen, hat keine? – Nun, unser Herrgott wird's schon recht mischen, redete sich Sixta über die Sorgen und bangen Erkenntnisse hinweg und vermied es gütig, in die glitzrigen Augen ihrer glühenden Tochter Marie zu schauen.

»Alleh, alleh Maidle, ins Bett, der Vater will morgen in aller Herrgottsfrüh schon mit einer von euch Futter schneiden gehen. Mit dir, Marie, wohl. Magdalen hilft mir dann Saatkartoffeln lesen.«

»Woher die Mutter nur ihre Fröhlichkeit nimmt?« fragte die vor innerster Erlebnistiefe hellfühlige Marie ihre Zwillingsschwester. Aber die warf sich schon mit der ganzen Wucht ihres schweren Körpers auf das schmale Bett und zog im nächsten Augenblick tief Atem. Sie ist wie eine junge, schöne Kuh, dachte Marie, man kann sich denken, was für eine stattliche und fruchtbare Bäuerin das einmal gibt. Ich indessen – ich –? Sie riß den Kissenzipfel unter die linke Wange und biß hinein. Albin Hebenstreit, der ledige Lehrer von Buchenbronn, war diesen Abend mit ihr eine Weile auf der Straße hin und her gegangen. Sie hatten wenig zueinander gesagt, waren nur hin und her gewandelt und hatten sehr oft in den Mond gesehen, der ein häßliches, schiefes Gesicht durch den reinen Sternenhimmel trug. 120

Albin Hebenstreit sang ein leises, fremdes Lied, das klang wie ein Streicheln, und Marie fror es leicht über den Nacken hinab. Sie spähte verstohlen zu ihm hin, sah sein scharf gezeichnetes Gesicht hell beleuchtet, die große, schwach gebogene Nase, die leuchtende Stirn, die ins Halblicht glühenden, mächtigen Augen. Und nicht zuletzt das Wunder seiner Hand, dieser schmalen, weißen Hand, mit den langen Fingern und dem herrlichen Goldring an der linken Seite. Wenn Albin sprach, bewegte er die Hände sanft und geschmeidig, sie sagten fast mehr als Worte, die hoben sie auf und trugen sie kostbar vor sich her. Albin spielte gut die Geige und tat sich im Orgelspiel von all den Orgelspielern weit und breit am meisten hervor. Wenn er auf dem Orgelbock saß und Marie von der Empore aus schon seit Monaten keinen Blick von ihm wandte, so kam es ihr vor, als verwandle sich dieser Mensch in ein höheres Wesen, nicht gerade in einen Engel, aber er schwang sich auf dem gewaltigen Rund seiner Präludien und Finalen so herrlich empor, daß er geflügelt schien und begnadet. Und sein Gesicht wurde schmal und blaß und hoch wie das des gotischen Johannes im Buchenbronner Kirchenfenster, auch blühte ihm wie dort in hellem Golde das Haar gelockt über der Stirn. Wenn er aufstand, war man eigentlich enttäuscht, daß dieser prachtvolle Kopf auf so geringen, abfallenden Schultern thronte, daß der Körper desgleichen fast klein und schmächtig war. Er hatte jedoch einen kräftigen Gang, man sah schon von weitem: der Entgegenkommende ließ sich kein X für ein U vormachen, er stand seinen Mann. Den Mann nun liebte Marie von Tag zu Tag tiefer, unheilbarer, glühender, sie wäre vielleicht zu ihm gelaufen, in seine einsame Stube im Schulhaus und hätte ihm atemlos vor Angst und Liebe gesagt: Sieh, hier bin ich, deine Magd.

Albin spielte eines Tages freigestaltend vor dem Gottesdienst, weil es noch früh war, auf der Orgel, spürte auf einmal einen Blick im Nacken und wandte sich suchend um. Da las er im selbstvergessenen Antlitz des schönen, dunklen Mädchens alles ab, was ihn anging. Und er vergaß dies Antlitz keinen Tag mehr. Schloß er die Augen, so stieg es vor ihm auf, geigte er, so kam es auf den Tönen hergeschwebt, schlief er, so blühte es durch seine Träume. Nie hatte er so nachhaltig und 121 fast in zorniger Abwehr eines Mädchens gedacht; noch am Samstagabend befahl er sich, die unsinnigen Bilder dieses Antlitzes zu vergessen, er wollte keine Liebelei, kein Abenteuer beginnen, aber er streifte durch die Nacht ohne Ruhe und Schlaflust und dachte beständig an das Mädchen. Am nächsten Tag gab es sich dann, daß er, da er aus der Seitenpforte der Kirche trat, an dem Mädchen vorüber mußte, das an einem Grab stand. Es wandte den Kopf nicht, aber starke Röte schlug ihm ins Gesicht, und Albin sah, wie die Haubenbänder zitterten. Da trat er dicht neben Marie Götz und sagte nur: »Heut' abend zwischen Tag und Dunkel auf der Talstraße.«

So trafen sie sich, legten die Hände ineinander wie langvertraute Kameraden und gingen hin und her auf der harten Landstraße, atmeten den Harzduft des Waldes ein und erzählten sich wenig. Beim nächsten Mal sollte ihm dann Marie von ihrem Vater berichten, den Albin gern kennen möchte, weil seine Art und sein Aussehen ihn rätselhaft fesselten.

Marie dachte mit Verlegenheit daran; denn was sollte sie vom Vater viel berichten können? Was er schaffte, daß er zuweilen wunderlich war, daß er den Verlust des Knaben Andreas nicht überwand? Über dieser seltsamen Sorge schlief sie endlich ein, noch indem sie Magdalens etwas schnaubende volle Atemzüge hörte, dachte sie: Sie ist eine junge, schöne Kuh und gibt gewiß eine fruchtbare Bäuerin – ich indes – ich?! –

Es träumte ihr seltsamerweise, sie sei gar nicht sie selber, sondern ihre Schwester Sälme, und die liebe Albin und würde von ihm geherzt. Sie litt unsägliche Qual der Eifersucht und war unsagbar glücklich, beides in einer Seele, die Marie und Sälme zugleich gehörte.

Morgens lächelte sie darüber; denn Sälme war doch noch ein kleines Mädchen und lief eben an den Brunnen, Griffel zu spitzen. Ein hoher, spitzer Jubelschrei sprang von Maries Lippen so unerwartet laut und schnell, daß die Mutter samt der Kleinmagd unter der Stalltür erschien, zu sehen, was es draußen gäbe.

»Es klingt, als habe sich eins in den Finger geschnitten«, murmelte die Magd, aber Frau Sixta ahnte die Ursache dieses Schreies. Sie nickte vor sich hin und dachte: »Der eine ruft Kuckuck, die andere schreit wie ein kollriges Roß, es ist ein 122 sonderbar Ding eigentlich die Liebe. Der Markus hat in jener Zeit eine Kugel in die Luft geschossen. Immer ist ein wenig Zorn und Haß dabei.«

Marie ging indes nun fast alle Abend nach dem Füttern auf die Hochstraße. Im dunklen Tor des Kiefernwaldes, das der Vater herausgehauen, standen sie dann und sahen hinab ins Schiltebachtal, sahen den Michelshof sich in Schatten und Nacht zusammenkauern, sahen die Buchenbronner Talstraße wie ein Band zwischen Matten hinziehen, in Waldstücken verschwinden, über Hügelwellen wieder auftauchen und sahen sie von verspäteten Fuhrwerken befahren, an denen die Laternen an der Deichsel schwankten. Die Buchenbronner Straße mieden sie jetzt, weil sie nicht zusammengeredet sein wollten. Es blieb keine andere Wahl, als auf die Hochstraße zu gehen und in der Nähe des Kieferntores zu bleiben, wo es leicht war, sich vor neugierigen Augen zu verstecken. Marie wollte es so, am liebsten wäre sie am Muhrsee drunten mit Albin zusammengetroffen, aber das schien ihr dann doch ein zu düsterer Ort für Liebesbegegnungen zu sein.

»Weshalb so heimlich?« fragte Albin oft, liebte es aber selber, ungesehen zu sein.

Marie sagte lächelnd: »Wenn alle es wissen, ist's nicht schön, mit dem Liebsten zu gehen. Das Heimliche ist so tief, und man meint, es währt ewig. Das weißt du doch auch, wenn man auf einen Regenbogen deutet, so verschwindet er; genau so ist es mit der Liebe, wenn sie zu viel beobachtet und beraffelt wird – ach du, ach du, du, du«, stöhnte sie mitten im Satz, krampfte die Hände an die Brüste und starrte ihn zitternd an.

Albin kannte diese leidenschaftliche Haltung Maries genau, er wußte, was für ein gefährliches Tier hinter ihnen beiden aufwuchs und die heißen Flügel über sie schlug. Er wollte nicht schlecht werden an Marie, die er nie heiraten würde, nein, geradeheraus nie! Sie war schön, wahrhaftig vornehm, schön und reich sicherlich und klug, vielleicht über das Maß begabt; aber auch über das Maß eigensinnig. Nicht weich, obwohl anmutig, nicht bescheiden, obgleich opferbereit, nicht anpassungsfähig, obwohl geschmeidig. Wo sollte er bleiben mit solch einer Frau in seinen Kreisen? Auch in seinem innersten Kreis? Sie erfüllte ihn immerwährend, er dachte nur noch an sie, jeder 123 Gedankengang endigte bei ihr. Er fieberte um sie, aber sein Wunschbegriff der Frau deckte sich niemals mit dem Mariens: Sie sollte die Verkörperung der Ruhe und Stetigkeit sein, worin er seine Unrast betten konnte. Und Marie, war sie nicht das Spiegelbild von ihm? Er verstand sie immer in all ihrem Hochmut und ihrer Glut, weil sie tat, was er an ihrer Stelle auch getan hätte, und weil sie brannte, wenn er auch brannte, weil sie schrie, wenn er es auch tat, weil sie lächelte gleich ihm und er launisch oder heiter war gleich ihr. Das würde in einer Ehe niemals gut tun. So dachte Albin und grübelte um sich und Marie herum, nahm sich auch vor, ein rasches Ende zu machen, sich versetzen zu lassen. Aber er brachte es nicht fertig, nur noch weniger konnte er es jedesmal erwarten, bis Marie in das Kieferntor zu ihm trat.

Einmal sagte sie ganz glatt zu ihm: »Schau, ich weiß, daß du eines Tages von mir gehen wirst, du überlegst es dir ja oft, ich bin ein Bauernmädchen, aber das darfst du frei glauben, ich überlebe es nicht, ich will und will es nicht überleben. Mein Vater hat Flinten genug im Schrank.«

Er hielt ihr den Mund zu, aber sie sprach dahinter weiter wie besinnungslos und irr, kristallen hart und klar, in sauberem Schriftdeutsch, wie dem Lehrer Albin Hebenstreit so etwas nur im Theater vorgekommen war. Und doch klang dies hoffnungslos echt und besessen, daß er sich gefangen sah, unfähig, diesem großen Unheil durch seine Flucht den Boden zu schaffen.

»Ich könnte auch dich treffen, mitten ins Herz. Aus dem Schlaf heraus, mit verklebten Augen fänd ich das Ziel«, sagte sie noch zum Schluß, als er die Hand von ihrem glühenden Mund genommen.

»Das klingt nach Haß und nicht nach Liebe, Marie. Die wahre Liebe tötet nicht, sie opfert.«

Da warf sie den Kopf zurück, tief erblaßt, die halbgeschlossenen Augen blinzelten, man glaubte, die langen Wimpernfächer schwirren zu hören. Auf ihrem Gesicht stand ein ebenso verzweifeltes wie hochmütiges Nein.

Er unterlag ihr nicht, aber dieses Beisammensein in unentrinnbarer Liebe war nichts anderes als ein scharfes, unausgesprochenes Ringen um die Vormacht, ein stetes Wachsamsein. 124

 


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