Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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7
Der Leibgrenadier

Urban hatte sich in stolzem Waffenrock auf den Maimarkt geträumt, um Barbara zu gefallen, statt seiner stolzte jedoch Martin prachtvoll einher und stach mit seinem Glanz nicht bloß den Bauernmädchen, sondern auch den Buchenbronner Fräulein in die Augen. Martin hatte nicht im geringsten an den 48 Maimarkt gedacht, als er den Pfingsturlaub bekam. Er war in hoher Freude aus Karlsruhe aufgebrochen am Samstagmorgen und dachte auf der ganzen Fahrt an den Wald, den Wald, den Wald. Heimkommen, Kluft raus, Bauernzeugs an, Händ in die Hosensäck, Pfeife ins Maul und dann, Freiheit, die ich meine, in einem Surr übern Schiltebach, den Strolch, mit Volldampf den Hang hinauf und nichts als verschwunden im Wald! Vielleicht mit der Kugelflinte Sauen auflauern, doch nötig war's nicht, nur droben sein, drinnen sein im Wald, im Gehürst, im Dickicht, am Moortümpel, auf den schmalen Steigen, eine Schneise hintrollend wie ein Vaterhase im Bewußtsein der Sicherheit, einen Holzabfuhrweg hinabschlitteln, eine vom Wildbach ausgeschundene Schlucht emporkräbseln mit den genagelten Schmierschuhen. Ach Gott, ach Gott, er war ja ganz ab vor Freude und Sehnsucht!

Aber nichts war's damit. Durch Buchenbronn schritt er umworben von Leierkästen, Dudelsäcken, Zigeunergeigen, angeschrien vom wahren Jakob, der ihm ein Taschenmesser mit zwanzig Klingen aufdrängen wollte. Verflucht noch einmal! Diese Kirbe! Aber er kann nun schnell denen daheim was kramen. Halt ja, da ging nun doch das Wundermesser mit für Urban, und ging ein Springerlemodel, eine tönerne Blumenampel mit für die Mutter, Gutselzeug, Zuckerstangen, Lebkuchen, Malzmocken und Magenbrot für alle, die davon wollten. Ordentlich wütend kramte Martin ein, verschlenkerte den Rest seiner Löhnung und packte alles im »Adler« in sein Soldatenköfferchen. Die Ampel nahm er an den messingenen Ketten über die Achsel. Aus dem »Adler« verschwand er rasch; denn dort tanzten sie und soffen. Dazu hatte er keine Lust. Heim – heim!

Sein Grimm legte sich auf der Wanderschaft in die Nacht hinein. Eine laue, harzgewürzte Luft bewegte sich. Am Morgen hatte es in Schnüren stundenlang geregnet, nun stand ein schwarzblauer, karg bestirnter Himmel überm Land. Gottlob, das Wetter wandte sich zum Guten. Martin pfiff und sang abwechselnd. Die Straße war leer. Sie lief hügelauf, hügelab. Sie ist doch malefizbucklig, dachte Martin. Endlich der letzte Anstieg, hinter dem ein lustiger, kurzer Abfall den Wanderer geradezu gegen den Michelshof hinabschwang: Sprung auf, 49 marsch, marsch! Die Ampel tanzte dumpf tönend auf seinem Rücken, im Köfferle schetterte es, weil die Mundharmonika und das zwanzigteilige Taschenmesser gegeneinander stießen. So stürmte er bis vor die Tür, der Hund raste an seiner Laufkette, Stiere und Kühe merkten das befremdliche Geschehen im Hofe und brüllten, sogar ein Hahn begann zu krähen. Sixta und Urban kamen gleichzeitig unter die Tür, Knechte und Mägde versammelten sich im Hausehrn und gafften den Soldaten an, der so unverhofft in den Samstagfeierabend brach.

Nun stand er in der Stube, nun schnallte er das Koppel ab, nun warf er die Schildkappe auf die Ofenbank, nun zog er den Rock aus, wickelte die Halsbinde los, warf alles zu der Kappe. Und Sixta, nach überstandener Krankheit schmal und grau, war leuchtende Mutter, zittrig in den Knien und naß in den Augen. Selbst Urbans Mund bebte, seine Augenlider zuckten seltsam, er hatte ein ganz rotes Gesicht.

»Bis willkumm«, sagte Sixta und gab Martin die Hand wie einem Fremden, sagte aber noch: »Sitz hin jetzt und iß!«

»Bist da«, sagte Urban und lachte lautlos, preßte Martins Hand, daß der gegen Aufschreien kämpfte, stürzte zum Tisch, auf dem noch sein abendlicher Heidelbeerweintrunk stand, goß das Glas voll und rief: »Sitz her jetzt und trink!«

Breit setzte sich Martin hin, so breit er konnte, er war ja mager und schmal. Und trank dem Bruder, der Mutter, Knechten und Mägden, ja in Übermut und verstellter Rührung den Ahnenbildern von Stoffel und Agathe zu, selbst dem Kussensalomon und seiner Frau Kreszenz, den Vorbesitzern des Michelshofes. Dreimal füllte Urban den Becher mit Wein.

»Er ist stark«, mahnte Sixta.

Martin und Urban lachten: »Wenn auch, Mutter!« Martin packte stolz seinen Marktkram aus, schüttete die Süßigkeiten mitten auf den Tisch, schob das Gesinde, das noch in der Stube stand, auf die Stühle und Bänke. Auf einmal saß man rings um den Tisch, ein Kaffee duftete, der Pfingstgugelhupf war angeschnitten, die Stube voller Zigarrenrauch, Wein vor den Männern, frisches Brot und Speck.

Martin erzählte, prahlte, berichtete. Der Wald war vergessen. Wer verrät denn Heimweh! Wer denkt daran, wenn man Leibgrenadier ist, man muß wissen, ein schmucker Kerl in 50 dieser großen Residenzstadt, die ein Paradies ist, in der viel zu sehen, viel zu hören! Oha, Schmerz laß nach!

Martin begriff selbst nicht mehr, wie er in seinen Spreuersack hatte beißen müssen, um das heulende Elend zu ersticken alle Nacht, alle Nacht. Wie er schon dem Feldwebel an die Gurgel gewollt hatte, wenn ihm der Drill zuwider ging. Dachte auch nicht daran, daß ihm ekelte vor dem Beisammensein mit wildfremden Menschen, zusammengetrieben wie die Schar Vieh, die der Händler aufgekauft. Man mußte, und mußte, und mußte immer! All dies verflogen. Rosig malte sich die Soldatenherrlichkeit, aus der Ferne erlebt, in die traute Heimatstube, daß die Zuhörer verzaubert hätten horchen mögen bis zum Morgengrauen. Aber der Martin machte, ohne es zu wollen, lang vorher von selber ein Ende. Er schlief mitten im Satz ein, in fast strammer Haltung, bloß den einen Arm hatte er nach seiner Gewohnheit hinter sich über der Lehne hängen. Alle lachten, obschon sie plötzlich bei diesem Anblick auch merkten, daß sie Sand in den Augen hatten.

Herjere, dachten sie, gottlob ist Pfingsten morgen und Maimarkt, herjere, wieviel Feste da auf einmal zusammenfallen! Juhu, tralala! Zum Tanz morgen, zum Tanz!

»Es wollt ein Mädchen früh aufstehn«, summte Urban und schleppte Martin, den er halb aufweckte, in die gemeinsame Kammer.

»Wollt in des Vaters Garten gehn«, summte Urban weiter noch im Bett. Es drehte sich alles wie im Karussell, nun, man hatte stark dem Heidelbeerwein zugesprochen, und der Schnaps drauf konnte dem besten Burschen den Bogen geben.

»Wollt in des Vaters – – –«

Bruder Martin drehte sich ein paarmal um im Bett, träumte und flüsterte: »Im Wald, im Wald will ich – –«, der Rest verlor sich in tiefen Atemzügen.

Urban indes kehrte sich der Magen um, mit Mühe erreichte er den Hof.

*

Die großhansige Stimmung hielt an bei Martin. Er schlief ausreichend, glunkte dann hemdsärmlig in Haus und Hof herum, begann dann ein Putzen und Fummeln an den Knöpfen seiner Kluft. Der Glanz der Sonne mußte vor ihrem 51 Messingglanz verbleichen. Ganz richtig war es wohl nicht mit Martin, diese laute, geschäftige Art stimmte schlecht zu seinem sonst so herben, knappen Wesen. Seine silberne Flinte rührte er nicht an, schaute sie nicht an. Doch sie lockte, der Wald lockte, es pochte der geheime Trieb. Martin aber wollte nicht. Konnte er denn? Da galt er doch etwas heute auf dem Maimarkt, da konnte er in seinem Waffenrock prangen; wen zog man denn sonst zu den Leibgrenadieren in der Gegend, wo die meisten Mannsleut selten übers Mittelmaß hinauswuchsen, schmal und schmächtig schienen, daß ihnen kein Mensch ansah, wie sehnig sie in Wirklichkeit waren. In der Tat ist auch der Hochschwarzwälder selten hochwüchsig, selten breitschultrig und nie fett. Die Luft zehrt, und die steilen Hänge verlangen sehnige Kerle mit Leichtgewicht. Weiß Gott, woher den Michelshofern diese stattliche Größe kam. Immer hatten sie etwas Besonderes an sich. Der Stoffel, Urbans und Martins Großvater, aus der Götzensippe stammend, einer der ältesten Familien auf dem Wald, hatte seinen Wuchs auf Kind und Kindeskinder vererbt.

Am Mittag aber zogen die beiden Zwillingsbrüder über Land auf den Buchenbronner Maimarkt. Die übrige Sippe kam im Bernerwägele hinterdrein gefahren: Sixta, die Mutter, mit Kind und Kegel aus dem Erlenmoos, die Prachtsbäuerin Magdalen, die ihre leibhaft ebenbürtige Tochter war, deren Mann, der Prachtsbauer Sebald, der aber kleinwüchsig schien neben seinem voll erblühten Weib in der bauschigen Hippe, deren Brust schier das Sammetmieder sprengte, deren Zöpfe ährenblond und wie zwei starke Seile bis zu den Kniekehlen hingen, über dem breiten, lang hinabwallenden, schwarzen Moiréband. Die Kappenbänder mußte sie lösen, es war heiß auf der Landstraße, ihr schönes, vollwangiges Gesicht blühte. Sie lachte ständig. Sebald machte lustige Witze, während er kutschierte. Sie fuhren gemächlich. Die alte Bäuerin Sixta, abgemagert, jedoch schon wieder den tüchtigen Lebenswillen im Gesicht und in den Bewegungen verratend, lachte mit. Wenn sie bei den Erlenmoosers war, schien sie anders als daheim im Michelshof, aufgeschlossener, freier. Das Glück dieser Familie, die schon reich mit Kindern gesegnet war, erfüllte sie tief. Sebald, ein froher Kerl, schlau, witzig und ungemein arbeitsfähig, war ein Mann nach ihrem Herzen: ein Bauer und nichts 52 anderes. Und nur scheinbar sah es aus, als beherrsche ihn Magdalen mit ihrer frauenhaften Klugheit und Schönheit. Seine Scherze trafen dafür zu gut die vermeintlichen Tugenden seines Weibes, listig versteckt hinter Angriffen auf die Frauen überhaupt. An Derbheit fehlte es nicht. Magdalen lachte voll und übermütig, die Pferde spitzten die Ohren und versuchten zu tänzeln. Das ganze Land atmete breit hingelachte Freude, das üppige Gelb des Löwenzahnes und das an vielen Hängen in breiten Wogen hinabfließende Gold des Ginsters rauschte förmlich vor Lust.

Es war kein Geheimnis, warum sich Magdalen so mädchenhaft und doch so frauenvoll fröhlich zeigte. Sixta ahnte es, und Sebald wußte es genau. Zum erstenmal seit ihrer Ehe fuhr sie zum Maimarkt und trug kein Kind unterm Herzen.

Die Sonne brannte förmlich hochsommerlich. Es bogen von allen Seitenwegen her viele Chaisen mit gut gelauntem Bauernvolk in die Straße ein, und der Pfad am Straßenrand war schwarz von Fußgängern, zumeist Burschen und Mädchen. Es gab kein junges Menschenkind, das nicht eine Pfingstnelke hinterm Ohr trug, die Mädchen außerdem noch Sträußchen ins Mieder genestelt. Man sah keine Paare, das schickte sich nicht. Erst auf dem nächtlichen Heimweg fand sich der Bursch zu seiner Holden. Die Kameradinnen gingen vorerst für sich in kichernden und singenden Rudeln, die Gesellen für sich in Gesprächen über die Mädel und vielleicht über das Soldatenleben.

Unter den Gesellen schritten Urban und Martin breitspurig nebeneinander dahin. Die Sonne blitzte aus Martins blanken Knöpfen, sein Wehrgehäng klirrte leise, und das Lederzeug von Riemen und Koppel krächelte ein bißchen. Erstmals auf Urlaub heimgekehrte Soldaten benehmen sich immer wie kleine Buben, welche die ersten Hosen anhaben. Urlauber sah man viele im Schwarm, aber keinen Leibgrenadier, dazu noch im Schmuck der Schützenschnur. Deshalb beachtete man Martin mehr als sonst. Die Michelshofsöhne besaßen nämlich keine Freunde. Da sie immer aneinandergehangen hatten wie Kletten, bedurften sie keines Kameraden, sie waren ungesellig, borstig gegen andere. Die anderen Kerle gegen sie auch. Dies alles schon von vornherein; denn die Schiltebacher standen weit und breit im Ruf, 53 leichterer Art und leichtfertigerer Lebenshaltung zu sein als alle übrigen Wälder. Es gab mehr als eine Schiltebacher Sippe, die verschuldete Hofgüter, in Schande gezeugte Kinder und ehebrechende Bauern und Mägde hatte. Die Höfe lagen sehr weit auseinander, das Schiltebachtal war heiter, die Äcker fruchtbar, die Weiden würzig, der Wald alt und unverbraucht. Sie lebten nicht so mühsam und finster. Hüben vom Schiltebach zog die sehr belebte Buchenbronner Straße hin und verband die Uhrenstädte Buchenbronn und Sonnenkirch zunächst miteinander. Drüben überm Bach, das heißt ob dem Bach, und über einer Halde, am Waldsaum hin, zog die alte Handelsstraße, Fuhrmannsstraße, Wanderstraße, die hoch über die Wälder und Pässe herführte und ins Simonswäldertal hinunter gen Waldkirch. Saumpfade, Holzschleifwege mündeten in sie ein oder liefen nebenher.

Ihr Leben erlebten die Siedler des langen Schiltebachtales mit, die Welt kam gewissermaßen zu ihnen auf diesen Straßen, streifte sie, lockte sie, streute Erfahrungen, Klugheiten, Träume und – Schäume in ihre Gemüter. Und da waren nun diese Schiltebacher Burschen eine helle Sorte; wo sie in einer Wirtschaft hockten, hörte man sie schon von weitem singen und prahlen.

»Looset, looset, wieder die Brüeli«, hieß es dann. Man nannte sie wegen ihres lebensvollen Wesens im Volksmund die »Brüeli« (Brüller). Von den Leuten der Nachbarzinken, von denen auf dem Siehdichfür, die im allgemeinen schwermütige, steinreiche Finsterlinge waren, von denen von der Fuchsfalle, die grüblerische Sektierer und Erfinder waren, von denen im Reichenbach, die sich als würdevolle Wald- und Wiesenfürsten benahmen, von diesen allen zum Beispiel wurden sie über die Schulter angesehen. Es wurde selten ihrerseits in oder aus dem Schiltebachtal geheiratet. Die einzige Sippe, die mit den Fallers und Bruders im Reichenbach und auf dem Siehdichfür Blutsgemeinschaft hatte, war die der Michelshofer. Stoffel nahm einst Agathe Faller, geborene Bruder, zum Weibe, auch sein Sohn Markus, der Sixta Ketterer ehelichte, die mit den Fallers irgendwie zusammenhing, half den Ring schließen. Aus diesem Grunde betrachtete man die Michelshofer, welche den schönsten Besitz im Hochtale hatten, neben dem 54 Erlenmooser, ihrem Eidam, als Besondere, fast als Eindringlinge. Daran waren nicht allein auffällige Schicksalsläufe in der unter Stoffel vereinigten Götzenhof- und Michelshofsippe schuld. Gewiß, man wurde seit Stoffels Zeiten immer wieder merkwürdiger Ereignisse gewahr, geheimnisvoller Dinge, die sich im Michelshof mit den Bewohnern abspielten, aber deren Wesen war eben auch ganz anders als das der Schiltebacher Freudensucher. Sie brüllten nicht, sie lebten auf ihre bescheidene, stille, eigensinnige, hartnäckige Art. Diese Art hatte bei Urban und Martin in der Schulbubenzeit den übrigen Knaben gegenüber stets etwas Drohendes gehabt, eine in Hosensäcken stumm zu Fäusten geballte, versteckte Gewalt. Die fürchtete und haßte man. Die Zwillinge mußten sich aus der Ferne Heimtücker schelten lassen.

Später nach der Schulzeit verloren sich die anderen auch aus den Augen, trafen sich höchstens Sonntags einmal in Buchenbronn im »Adler« oder auf dem Windkapf beim »Deutschen Jäger« Auf dem Windkapf setzte es regelmäßig etwas ab. Wenn sie sich im »Adler« am Morgen irgendwie das Blut mit Hänseleien geschärft hatten, hieß die heimliche Losung für den Abend »Windkapf«. Dort konnten sie sich ungestört die geschwollenen Montagsköpfe in allen Farben herrichten. Landjäger und Polizeidiener hüteten sich, auf dieser gottverlassenen Höhe nach dem Rechten zu sehen. Der »Deutsche Jäger« verstand sein Geschäft. Dieser Wirt, ein sehniger, kleiner Mann, mit schmalgeschlitzten Wildereraugen, wurde mit Gefährlicherem fertig als einer Meute rauf- und sauflustiger Bauernburschen. Er war seit langem Witwer und hauste mit Mutter und Schwester, zwei trunksüchtigen, halb verblödeten Geschöpfen, in der rauhen Einsamkeit der Waldblöße.

Es gab auch Zeiten, wo die Burschen ihre Geliebten hinausführten. Wenn diese mitgingen, dann waren sie zum Äußersten willig. Martin und Agnes waren auch schon dort gewesen. Martin hatte eine gewisse Vorliebe für den Wirt, weil er ungeheuer erlogene, grausliche Jägergeschichten aufzutischen wußte und weil er der beste Schütze weitum war. Dazu kam die Einsamkeit, die werktags auf dem Windkapf eine Menschenferne besaß, die wirklich den Hang zu hochfahrender Absonderung großartig unterstützte. Man konnte sich einbilden: Hier bin 55 ich allein König, König des Waldes und des Wildes. Der Kapf ist mein Thron, Adler und Hirsch meine Minister, die Winde meine Spürgesellen. Ach Traum, und Traum und Traum! So stand es um Martin auf dem Windkapf.

Nun, jetzt schritt er im Schwarm der Schiltebacher, Reichenbacher, der Erlenmooser, Schachenbronner, der Fallersgrunder, der Vogthannessen, der Schmalzjörgen, Schwander, Schwenken und Vohenloher, der Katzenlocher und Siehdichfürer, der Bachmatthiesen und Uhrenjörgens, der Schwaighöfer und Talbauern, der Mulbenjockels und Mühlenandresen, der Leihwiesers und Sägmärtes Sippen einher: breitspurig, mit klingendem Wehrgehenk, blinkenden Knöpfen, krächelndem Lederzeug und der prachtvoll geflochtenen Schützenschnur an der Brust. Man achtete auf ihn. Man stellte die Burschenfeindlichkeit hintan und bewunderte ihn.

Oh, es sollte bei Gelegenheit, dachte Martin, diesmal nicht gespart werden mit gestifteten Litern. Man konnte schon zeigen, daß man Großbauer und Waldbauer und dazu Leibgrenadier war. Solche Sprüche klopfte Martin in seinem Innern, während er neben dem Bruder, dem starkbeinigen Urban herging, der freilich nicht wußte, wie der zuchtvolle Soldat Martin, daß man die Arme nicht schlegeln läßt, als gehörten sie bloß zur Landschaft und nicht zum Körper. Martin legte die eine Hand auf das Seitengewehr, als lenke er vornehm einen Schleppsäbel, wie ein geborener Leutnant, und grüßte mit dem etwas lässigen und doch schneidigen Adel dieses bewunderten Standes.

Was man in Karlsruhe doch nicht alles lernt! Aus dem groben Bauern kann ein Herr werden, wie aus der plumpen Raupe ein Schmetterling. Martin bildete sich viel ein. Aber mitten im Gewühl des übermäßig stark besuchten Maimarktes überkam ihn ein Ekel, und ihn verlangte zurück, heim auf den Michelshof, in irgendeine Stille des Waldes. Auf einmal sah man ihn nirgends mehr. Urban fand den Entwichenen nicht, obschon er ihn wie eine Stecknadel suchte. Überhaupt, es war niemand zu finden in dem Trubel. Sollte man glauben, daß selbst Sixta, die doch einen großen Teil der Zeit im »Adler« verbrachte, weil ihr Lärm und Wärme draußen auf die Nerven gingen, wenig Leute aus ihrer Sippe zu Gesicht bekam und 56 mit knapper Not von den Erlenmoosers gefunden wurde, als es die heimverlangte? Unterwegs stießen sie auf Urban, der mißmutig heimzottelte. Er hatte von weitem Barbara gesehen, der seine Gedanken die ganze Zeit her gegolten hatten. Aber an ihrer Seite schritt nah und vertraut sein Schulkamerad David Stockburger, der zweite Sohn aus der Sägmärtesmühle. Nun, das sah man, daß da nichts mehr zu machen war, die Barbara befand sich in festen Händen. Wer so in aller Öffentlichkeit mit einem Mädchen sich zeigte, wurde bald in der Kirche aufgeboten.

Urban tat das Herz weh. Er fühlte sich verlassen und füllte sich mit Groll. Erst die Agnes, jetzt die – – ach, weg mit dem Weiberzeugs – ich bleibe ledig. Abgemacht, punktum! Kein Bein rührte er zum Tanzen. Es juckte ihn wohl, aber das verbiß man. Kein Bein – – –

Und Martin, der Strolch! – Der ganze Tag war ihm verdorben, zusammengeronnen wie Sauermilch. Pfui Kuckuck!

Gottlob, des Erlenmoosers Fuhrwerk erreichte ihn noch früh genug, daß sich das Fahren lohnte.

Die Mutter fragte nichts mehr, sie schlief schon halb, und Sebald hatte sein Weib neben sich auf dem Bock in stummer Liebe. Die Pferde liefen von selber dem Stalle zu.

 


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