Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Das Geheimnis

Eines Abends, es war ein wundervoller Tag gewesen, üppig unter eines sonnigen Himmels tiefer Bläue und üppig erfüllt vom Blust blühender Matten, da meinte Wendel, mit Markus unter die Haustür tretend: »Das Wetter bleibt nicht, die Farben waren zu schreiend und der Wald tintendunkel gen Westen, es sitzt schon Feuchtigkeit drinnen.«

»Wohl, wohl«, bestätigte Markus und schaute in die Luft.

Der Wendelin auch: »Herrjeh, was Stern«, murmelte er.

»Jetzt saget mir«, begann Marks, »saget mir, Vater, was sind das für Welten da droben. Sie stehen nicht still, das weiß ich, allfort sind andere Bilder da, und sie wandeln in Ordnung hinter den Wald und kommen wieder herauf am anderen Ende, als wäre es unter unserer Erde, unter den Füßen tief, tief, wo nichts mehr ist als Wasser oder Feuer oder Luft, was weiß ich, auch gewölbt, rund, und sie stiegen hinab, wandelten unter uns dieselbe Bahn wie über uns und kämen herauf und alles immer im Kreise, immer im Kreise. Das kann ich mir ausdenken, aber weiter komme ich nicht. Und dann noch eines, lache nicht über meine Spinnereien, auf dem Anstand, morgens vor Tag, wenn man wartet und wartet und langsam das Leben aufwacht und die Nacht verfliegt, dann denkt man über allerlei nach. Man kommt zum Beispiel auf einmal darauf, daß alle besten Dinge auf der Welt rund sind, gelt, jetzt lachst, aber ich zähl' dir's auf: der Kopf, die Augen, das Samenkorn, der Apfel, die Frucht überhaupt, die Regentropfen und so weiter. Auch wenn man etwas genau ausdenkt, geht's in die Runde hin und her, rum und num, bis man wieder im Anfang steht oder in der Mitte. Und schau, auf dem Windkapf droben, überm Götzenhof, wo dem Vater selig seine Heimat war, wenn man dort zumittest verharrt, wie ein Baum angewurzelt, dann kreist's um und um, ins Tiefe hinab, wohin man den Blick fallen läßt, geht buckelab, buckelauf der Pfad, fällt hinunter und steigt am andern Ort wieder empor, ringsum kreist der Wald, er tanzt sogar, und hoch über einem wölbt sich der Himmel, und er wandert mit seinen Bildern. Steht etwas 20 überhaupt einmal und für eine Sekunde still in allem – wie sagt man doch – in all dem, was man sieht?«

»Im Weltgebild, im All, meinst du«, half der Wendel ergriffen. Er sah dem Markus auf die Lippen wie ein Verzückter, sein Mund zuckte, als forme er die Worte mit in großem Durst, und er hatte die Hände vor die Brust gehoben, als warte er auf ein Gnadengeschenk.

»Sprich weiter, du hast Worte für Dinge, die ich weiß, aber nicht aussprechen kann.«

Aber da brach der Faden ab, den Marks gesponnen.

»Ich weiß nichts«, sagte er verlegen. »Was sollte ich auch wissen. Man grübelt eben manchmal, es liegt in der Familie bei uns.«

Da ergriff ihn Wendel bei der Hand: »Markus, Markus«, keuchte er und hüpfte an ihm empor wie ein gespenstischer Alp, »Marks, du sollst alles wissen und sehen, was ich geheim verschlossen hab' in meiner Truhe, die Welt, hi, hi, die runde, vielfältige Welt, Sonne, Mond, Sterne, Mars, Venus, Jupiter, Merkur, das Bild der Andromeda, den Orion, die Wunder des Saturn, die Zauberwandler des Wendekreises, die die Jahreszeiten machen und die Menschenwege bestimmen. Alles« . . . er machte mit seinen dünnen, geringen Armen eine große Gebärde, als umfange er ein Mächtiges – »alles.«

Markus wollte sagen: »Geh doch mit dem Aberglauben, ich will nichts wissen«, aber der schmale Wendel verwandelte sich vor seinen Augen in eine Flamme, die vor ihm herzuckte wie ein Irrlicht, dem jeder folgen muß. Das weiße Gesicht, das weiße Hemd, die beweglichen, vor die Brust gehobenen Hände, alles dies in der sternenbesäten, dunkelblauen Nacht sah geheimnisvoll aus zum Fürchten.

»Fürcht dich nicht!« murmelte Wendel vor sich hin, als wende er sich an Unsichtbares. »Fürcht dich nicht, sieh, dich erwartet große Freude.« Sie betraten die Stube.

»Dein Weib ist heim«, sagte Amei zu Markus, »es geht ihr zu lang, bis ihr aussalbadert habt, sie will allein zu Nacht schaffen.«

Wendel ließ sie kaum fertig reden und schwang den Arm. Amei stand auf vom Fensterplatz, wo sie gestrickt hatte, und ging mit leisem »Gutnacht auch, Marks!« in die Kammer. 21

Wendel saß nun eine ganze Weile auf der Bank und nickte seltsam mit dem Vogelkopf. Dann erhob er sich und trat an die Truhe. Mit dreimal Drehen sprang der Deckel auf, der Schlüssel hatte drei Bärte, bei jedem Knacks drang der nächste Bart in das seltsame Schloß. Dann kam erst die innere Truhe, da drückte man auf sieben Tasten, die wie Orgelknöpfe standen, und die Reihenfolge des Druckes ging nach geheimer Losung, nach der Zählung des Siebengestirns im Sternbild des Großen Bären: Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Zeta, Eta, die Anfangsbuchstaben dieser tönenden Wörter standen auf den weißgelackten Knöpfen der Drücker.

Der Wendel wußte nichts von einem griechischen Abc und wäre später einmal hocherstaunt gewesen, wenn ein »studierter« Enkel nach kurzem Überblick das Geheimnis der Mechanik unfehlbar erraten hätte. Wie Beschwörungsformeln sagte jetzt, in Anwesenheit des Tochtermannes Markus, der Wendel die frommen Stichworte auf und drückte die Tasten nieder, vorsichtig wägend; denn eine Taste, außer der Ordnung berührt, hätte das ganze Werk durcheinandergebracht, und der Rolldeckel wäre nie gewichen, so scharfsinnig war dies ersonnen. O Wunder, nach dem Druck auf Eta rollte leicht und langsam der Deckel zurück, und Musik ertönte, die ersten Takte »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre«. Marks erhob sich rasch und eilte an die Truhe. Da zog Wendelin glückstrahlend den Rolldeckel wieder langsam zu, daß es spielte: »Und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament«, und tastete ihn vor den Augen des Staunenden wieder auf. Langsam glitt er zurück mit seiner geheimnisvollen Musik.

»Ihr seid ein Zauberer, Vater«, brachte Marks mühsam schluckend heraus.

»Und was drinnen steckt in dieser Wunderlade«, versprach Wendelin Ketterer lächelnd überm Geheimnis, »das zeig' ich dir das ander Mal.«

Seine Hände zitterten, als er die Truhe schloß, den dreibärtigen Schlüssel dreimal drehend, bis er herausging. »Du allein sollst lernen, wie man sie öffnet, und mein Geheimnis wissen, wenn ich einmal drüber wegsterben muß.«

»Du hast noch Zeit«, lenkte Markus ab.

»Das Wann und Wie ist Gottes Geheimnis, das er in seiner 22 Einsamkeit behält, das meine, Marks, ist nur ein winziges, ein aberwinziges Gleichnis seiner Allmacht. Jetzt geh heim zu Sixta, sie wird warten, und sorgt miteinander dafür, daß euch auch ein Siebengestirn aufgeht am Himmel, ich denk', um die Weihnacht könnte es langen für den ersten Stern.«

Markus lachte hellauf: »Ihr meint es gut, Vater, wir machen, was wir können.«

»Gesegn's Gott«, sagte noch der Wendel, trat mit Markus unter die Tür, sah an den reich bestirnten Himmel und murmelte ein paarmal: »Was Stern, was Stern!«, indessen Markus zu seinem Weibe ging.

 


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