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Albin Hebenstreit stand erst eine Weile vor dem »Adler« und horchte in die grobe Dreitaktmusik des ländlichen Tanzes hinein, die aus den offenen Fenstern im zweiten Stock kam. Stampfen und Schlurfen, ab und zu ein greller Jauchzer 135 übermütiger Burschen begleiteten den Lärm des Waldhorns, der Klarinette, der Baßgeige und der Trommel. Das gehörte zur Musik wie der Schweiß zum Tänzer und die roten Wangen zur Tänzerin. Sie feierten die Hochzeit von Magdalen und Sebald. Albin Hebenstreit gehörte auch zu den Geladenen. Jedoch machte er sich nach dem Mittagsmahl davon; denn es war ihm in dem bäuerlichen Trubel nicht wohl. Er hielt es auch nur wegen Marie so lange aus, das heißt, wegen Marie hielt er es nicht mehr aus. Sie war ihm auf peinvolle Art fremd begegnet, trug sie doch den riesigen Schappel der Brautjungfern, dieses glitzrige, aus Glasschaumkugeln, Perlen und Silberdraht, aus Ketten und gefaßten Steinen erbaute Ding, das einer unförmigen Krone glich. Je stattlicher der Schappel, um so vornehmer die Trägerin, und das war der reichen Großmutter Brautkrone, der unglückseligen Agathe, geborenen Bruder, verwitweten Faller und in zweiter Ehe angetrauten Frau von Stoffel Götz. Dieser Schappel war wohl urahnenalt. Mariens schmales, bräunlich blasses Gesicht wurde klein wie das eines Kindes darunter und hatte einen gequälten Zug um den Mund, auch wenn sie sich anstrengte, zu lächeln, wie es sich für die erste Ehrenjungfer geziemt, wenn die Zwillingsschwester Hochzeit hat.
Daß in der grauen Frühe Marie sich geweigert hatte, den Schappel aufzusetzen, mit den Füßen stampfend und heulend wie ein Wickelkind, und daß Sixta fast die Hand aufgehoben hätte, ihrer großen Tochter Ohrfeigen zu geben wegen dieses bösen Willens, das merkte man nun nicht mehr, so stolz und wie verwachsen mit ihm trug sie den Schappel. Weil sie fühlte, wie unbedeutend ihr Gesicht darunter wurde, wenn sie Albin gegenübertrat, wehrte sie sich; jedoch als man ihr die Jungfernkrone aufzwang und die anderen Schappelmädchen sie ihr mit den Haaren festschnürten am Kopfe, bildete sich Marie ein, durch eine hochmütige Haltung den Anblick verbessern zu können. So mußte Albin sie sehen, und ihm war, als verflöge seine tiefe Neigung zu dem Mädchen und wandle sich in Abneigung. Der Bissen blieb ihm im Halse stecken, und der rote Wein, den er zum Essen trank, schmeckte bitter wie Gallenwasser. Dazu trat auch noch sein angeborener Aberwillen gegen Trubel und Ausdünstung erregter Menschen und seine Unsicherheit gegenüber 136 einer rein bäuerlichen Umgebung. Er fand die rechten, schlichten Worte nicht. Marie saß zu Tische mit starrer Feierlichkeit, sie fürchtete wohl, unter dem schweren Kopfschmuck sich dumm zu wenden. Später bekannte sie freilich, sie habe sehr Schmerzen gelitten, weil das Haar zu straff angezogen war. Albin paßte stundenlang auf den Augenblick, in dem er verschwinden konnte. Er war so unruhig und mürrisch, daß es ihn nicht aufbrachte, als er sah, wie der junge Kuchimüller um Marie strich und ihr schöne Dinge sagte über ihr Aussehen. Das war ein prachtvoller Bauernbursche, mit breiten, vollen Schultern vom Mehlsacktragen, mit einem gutgeschnittenen Gesicht, in dem der Mund auffiel, ein stark roter Mund mit jäh vorgeschobener Unterlippe, die ihm etwas Männliches und Verträumtes zugleich gab. Das Verträumte aber vielleicht nur, wenn man ihm in die Augen gesehen, große leuchtend blaue Sterne, voll warmen Blickes unter schweren dunklen Brauen, die sich fast trafen an der Nasenwurzel. In die Stirn, hoch und weiß im Gegensatz zum gebräunten Gesicht, fiel ein Wusch braunen Haares. Der Haaransatz floh an den Seiten leicht zurück in nahezu anmutigem Bogen und lief an den Schläfen hinab in gekräuselte Backenraupen aus. Kuchimüllers Florian sah aus wie ein schöner Stadtherr in der Biedermeierzeit. Und er hätte schon lange gern mit der Michelshoftochter Marie angebändelt; denn die Mühle verlangte nach einer jungen Frau.
Er fragte Marie, ob sie wohl später mit ihm tanzen würde, und errötete dabei. Marie sagte: »Warum nicht?«
Als Florian bekannte, sie sei die Schönste von allen Ehrenjungfern, zuckte sie die Achseln und meinte, er müsse sich falsch verguckt haben. Florian nahm eines der kleinen Bechergläser in die Faust und stieß mit Marie an. Er tat es in der Hast so ungeschickt, daß aus seinem Glas der Rotwein herausschwepperte und ein Teil davon in Mariens Glas und über ihre Hände schoß. Rot wie Blut, dachten sie und sahen sich erschrocken in die Augen! Albin beobachtete, wie die Gesichter der beiden sich wandelten, aus dem blassen Schrecken in zarte Röte getaucht wurden, sich unwillkürlich und nah zueinander neigten. Sein Herz zitterte ihm leise, auch in seine Knie lief das Zittern hinab. Immer noch standen die beiden, versunken in ihren Anblick. Von Mariens Hand tropfte der rote Wein. Albin faßte 137 sich, sprang böswilliger, als er gewollt, auf, daß der Stuhl hintenüber stürzte, und ging aus der Stube. Im Lärm des Becherns und Tafelns hatte außer dem auseinanderfahrenden Paar niemand etwas gemerkt. Den Rest des Nachmittags verbrachte Albin in dumpfem Umherlaufen am Rande des Städtchens, geriet sogar an den Muhrsee hinab und starrte eine Weile gedankenlos auf das dunkle Gewässer.
»Was ist mit dir?« sprach er zu sich, gegen sich, »was rennst du herum wie ein verscheuchtes Huhn? Bloß weil ein sauberer Kerl meint, ein sauberes Mädel wächst für ihn? Hat der Kuchimüller denn ein Wissen um Mariens Verhältnis? Der wirbt frei. Und du in kleinmütiger Heimlichkeit. Das ist ein Unterschied: hie Freiheit, hie Verlogenheit. Der Bauer wirbt nicht mit viel Worten. Er schaut und greift zu. Er weiß, was er will. Ich weiß es nicht – der Schappel war mir ein Dorn im Auge und machte mir das Mädel darunter gering, so stolz es ihn trug. Was stürmt jetzt das Herz? Ist's echt, ist's nicht? Neid – Eifersucht?«
Albin war im Zuge, sich herzhaft die Meinung zu sagen; als er in sich schaute, brodelte eine Meinung gegen die andere. Und jede log. Er bohrte in seinem Innersten wie in einem Bergwerk, er pickelte und leuchtete, es zeigte sich aber nichts Echtes. Er kam dahinter, daß seine redliche Seele tief im erzenen Bett ruhen müsse, verschlammt, verkrustet von Ichsucht und Dünkel. Wer kennt sich denn?
Er schlenderte fort, gleichviel wohin, er war in eine Wut geraten gegen sich, die ihn wie ein Krampf hin und her beutelte. Solche Anfälle hatte er hin und wieder, er machte sich dann so winzig klein, vor sich selber zu einem Nichts, zu einem reinen hinweggeblasenen Garnichts. Und hob sich nach Tagen wieder auf wie ein Almosen, wucherte und schaffte damit, geizig, gierig, vermessen, bis er wieder im ausgesprochenen Einverständnis mit seinem hochmütigen Ich war. Und der Sturz ging von neuem los.
Die Liebe zu Marie stand lange als erlösendes Erlebnis in seinen glühenden Träumen. Als kluges, in aller Einfalt starkes Mädchen erschien sie ihm anfangs. Aber je länger er sie kannte, um so tiefer trat sie in das Geheimnis einer rätselhaft duftenden, unberührbaren Persönlichkeit zurück, die ihm 138 entwich, sobald er sie aufklären wollte. Viele Reden und gescheite Gedanken sagte er an sie hin im überheblichen Glauben, sie zu bilden, sie nach einem Bilde zu formen, das sein Wunschbild der Frau schien. Marie machte aber manchmal ein geradezu starr abwesendes Gesicht dabei, künstlich abwesend. Wenn er ihr eine Falle stellte, um zu erfahren, ob sie ihm am Ende mit einwärts gewandtem Wesen eben doch zuhörte, bekannte sie frei und nicht einmal sonderlich errötend: »Schau, wer sagt denn den Bergen, den Bäumen, den Bächen, wie sie es machen müssen, um richtig zu leben? Ihr gelehrten Herren macht viel zu viel Getu darum. Ich kann nicht Französisch und weiß auch nicht einen lateinischen Brocken, und weiß auch nicht, was du mit der Seele und dem Leben in Schönheit meinst. Gell, ich hör' doch zu, aber nur halber. Ich muß immer meine Ohren zumachen und denken, he, wir leben doch, wie wir sind, Schwarzwälder, Bauersleut, und das soll klein gelebt sein, gefangen, wie du sagst? Gefangen? Das ist man doch, wenn man überall anstößt und sich nicht bewegen kann, wie man mag. Ich kann es!« Sie lachte hell auf, reckte die Arme, hüpfte wild auf einem Bein in der Runde, bis sie atemlos war, und warf sich an Albin; glühte auf, biß ihn in Wangen und Ohren, krallte ihre spitzen, kräftigen Finger in seinen Nacken und quälte ihn nicht wenig.
»Wildkatze«, sagte er und drohte, halb zornig, halb besiegt von ihrer Naturhaftigkeit: »Ich zähm' dich doch.«
Da löste sie sich rasch von ihm ab, zog die Unterlippe unter die schneeweißen Mauszähne, schlenkerte mit den dünnen, noch formlos jungen Armen und verharrte im Trotz.
»Warum sagst du nichts?« konnte er nachgebend sie zehnmal fragen. »Hast gequollenes Hühnerfutter im Hals?« Er wollte sie zum Lächeln bringen. Sie verzog keinen Muskel anders im Gesicht.
Nur beim Abschied, nachdem sie lange Zeit noch wortlos nebeneinander gewandelt, löste sie die Zähne von den Lippen, die davon rot und weiß gestreift schienen ein paar Atemzüge lang, lächelte leise, nur ein Zittern war es um den Mund, und sagte: »Heute haben wir wieder den Anschluß nicht gefunden.«
Den Satz hatte sie von Albiez gelehrig gelernt, aber er klang aus ihrem Munde wie trauriger Spott. Sie wandte sich ab, und 139 Albin konnte ihr nachsehen, wie sie federnd auf ihren dünnen Beinen davonging, wie durch ihren Körper bei jedem Schritt ein großes, freies Wiegen schwebte über die Schultern, in den Hüften. Das war Musik, ein Schreiten, wie es nur Königliche können. Und von diesem fast hinterrücks abgestohlenen Anblick träumte und beschwichtigte Albin Hebenstreit sein verstrittenes, ewig nörgelndes Herz. Merkwürdig, wenn er so mit sich händelte, stand immer sein eigenes Gesicht vor ihm wie ein regelrechter Gegner, an dem er Anteil nahm wie an einem geliebten Feind: das schmale, faltige, tiefäugige Gesicht eines unruhigen Eiferers, der immer darauf gefaßt war, daß in der Behausung des andern, des Ichs, Hohlräume zusammenstürzten und ein neuer gespannter Mensch entstand. Oh, er wartete darauf, aber der andere, der Eigentliche, stritt gut und gar ums Leben, noch hatte er Angst vor der Umwälzung.
Albin Hebenstreit konnte sein starkes, oft peinvoll empfindliches Schönheitsgefühl gewaltsam verleugnen, indem er in großem Bogen ausspuckte, als ob er ein Zimmergesell wäre mit einem Schick in der Backe. Er vernachlässigte Haar und Kleidung, war drauf und dran, jedem, der ihn betrachtete, rüpelhafte Beleidigungen zuzurufen, und betrat mit allem Aufwand an Entschlossenheit das Schulzimmer. Er wußte schon von vornherein, daß er an solchen Tagen ein unnachsichtlich arbeitsamer Lehrer war, aber unbegnadet. Er mußte den scheu und furchtsam auf ihn gerichteten Augen der Kinder ausweichen; denn die fragten viel schärfer in ihrer stummen Unbestechlichkeit als er, der ihre kleinen Gehirne mit strengem Abhören im Einmaleins ausräumte. Ihr ganzes Wissen und Können wurde vor der Klasse aufgestellt, in Reihe und Glied scharf gemustert. Und weh, wo eine Lücke klaffte, eine Zahl nicht blank geputzt am rechten Ort glänzte, das Tüpfel schief auf dem i saß und dem Schattenstrich entschwebte, wie die Kokarde beim schlampigen Soldaten immer dem strengen Zeigefinger auswich, der sie von der Nasenspitze aus genau in die Stirngrube richten sollte.
Mit soldatischen Vergleichen munterte zwar an solchen Tagen der Lehrer seine Buben nicht auf, es gab da nichts zu lachen oder verschmitzt zu schmunzeln. Und die Namen der Mädel, die zärtlich-spöttischen Spitznamen wie Rattenschwänzel, 140 Butterblümle, Wunderfitzle, Gänshäutle schienen vergessen. Die Kinder wurden nur mit einem kalten Blick aufgerufen, dem sie zitternd gehorchten, obwohl es keine eigentlichen Strafen gab. Der Stock wurde nur zum Zeigen an der Landkarte benützt und zum Rößlereiten. Wenn sonst ein Kind kein Sitzleder hatte und durch Unruhe störte, so mußte es dreimal auf dem Stock rings um die Bänke sprengen, wozu reichlich Platz war im Zimmer, und die ganze Gesellschaft durfte dazu stehend in die Hände klatschen. Merkwürdig, die Reiterlein empfanden dies als Schande, so lustig die Sache sich eigentlich abspielte, und sie hüteten sich.
Lernte eines nicht, kam ohne Hausaufgaben, so saß es unbeachtet den ganzen Tag, ein kleines, stilles, kaltgestelltes Wesen, zur Einsamkeit verdammt. Gescholten wurde es nicht. Das wortlose Abtun wirkte. Verlachte Dumme gab es nicht. Den Unbegabtesten reizte irgend etwas, auf das er mit Antworten einging; denn er wurde kaum nach etwas anderem gefragt. Das Vertrauen zu sich selber wuchs, er horchte sich in den Kreis des Könnens und Lernens der Mitschüler hinein und kam langsam, seinem angeborenen Verstand entsprechend, weiter. Er verlor sich niemals in die stumme und dumpfe Verzweiflung des ausgespotteten Dummen und Faulen, weil ihm nie gesagt wurde: Du bist dumm. Weil es eben den Kameraden verborgen blieb. Er konnte diese Sache nicht, aber er verstand sich auf jene, er konnte nicht im geringsten rechnen oder schreiben, aber er sang richtig und schnitt und klopfte im Frühjahr der ganzen Klasse Weidenflöten. Und war ein guter Hirte, der sein Vieh genau kannte und abschätzte.
Aber an solchen Tagen, da der Lehrer in böser Laune war und den Rockkragen hochgestülpt trug und die Hände in den Taschen, da er nicht ein einziges Mal auf dem Stuhl hinterm Pult saß, an solchen Tagen war kein Frohmut in der Schulstube. Der Lehrer brachte die Kinder nicht einmal zum Lachen, indem er plötzlich rief: »Schaut alle hinaus!«, und wenn sie rasch die Köpfe drehten in großer Neugier, sagte: »Es flog ein schöner Spatz vorbei« oder »Des Nachbars Bleß schaute herein und wollte wohl das große Muh schreiben lernen«, oder zu den großen Siebtkläßlern: »Was denkt ihr wohl, der Gendarm hat einmal rasch gezählt, wieviel Rekruten hierinnen sitzen 141 wegen der Musterung in ein paar Jahren; man muß das weit voraus schon wissen. Was meinst du, Fähnlesmarie, wie viele wohl?«
Fähnlesmarie hieß so, weil an ihr stets etwas zerrissen war und immer ein leichtfertiges Wimpelchen vom Rock oder vom Schauben wegwehte. Das lustige, grundgescheite Ding schaute zum erstenmal, als dieser Scherz auftauchte, scharf zufassend über die Bubenschar in der Bankreihe neben der Mädchenseite und sagte knapp und kühl: »Keine.«
Die Kerle fuhren auf wie gestochen: »So ein Luder!« »Warum?« fragte Albin Hebenstreit erstaunt.
Das gerissene Ding rührte keine Miene anders im braunen, mageren Gesicht: »Sie machen alle Schnitzbuckel und haben Igelstruwel.« Setzte sich und warf brennende Blicke aus großen dunklen Augen hinüber.
Etwas zigeunerisch Wildes lag in diesem an unbewußten Haß grenzenden Benehmen des Mädchens. Die Buben waren ihr zu schwerfällig und besonnen, mehr als einem hat sie schon nur aus Mutwillen eine Kratzerreihe ins Gesicht gekremmt. Und doch steckte ganz gewiß nur sie im Mittelpunkt, wenn sich irgendwo ein Kinderknäuel ballte. Sie wußte Spiele, Reime, Rätsel, Lieder, Geschichten, weiß Gott woher. Ihren Übernamen Fähnlesmarie, das kam Albin erst später zum Bewußtsein, hatte er in mehr als der ursprünglichen Hinsicht sinnvoll gewählt. Sie war ein ebenso gewitztes als mutiges Ding, vielleicht auch schon eine Spur gefährlich, so an der Spitze der lenkbaren Schar und schon am Ende der Kindheit schwebend.
Einmal fiel es ihm auf, wie sehr eigentlich dieses huschlige Ding der Marie Götz glich im geraden, lügenfreien Wesen, im zündenden, ganz hinten voller Scheu sitzenden Blick, im katzenhaften Bewegen. Vor nichts hatte Fähnlesmarie Angst und doch unbewußt vor etwas im Innern, vor nichts schien auch Marie Angst zu haben, aber im hintersten Blick lohte doch eine Unruhe . . .
Es nachtete. In großem Farbenspiel gab die Sonne den Wäldern den Abschied. Das Städtchen, in das Albin zurückkehrte, das ja nur eine lange Straße und sonst nur kurze Seitengäßchen besaß, war voller Musikgedudel und Kinderlärm. Im »Adler« saß die Götzenhochzeit, im »Ochsen« probte 142 der Gesangverein »Arion«, im »Lamm« jauchzte ein fröhlicher Kindtaufsvater im Kreise seiner Sippe. Da machte jeder Bürger sich ein wenig hurtiger an den Feierabend, um auch noch etwas von den Festlichkeiten zu haben, wenn auch nur einen Fetzen Musik im Vorbeigehen oder ein Schöppchen Bier mit einem Fingerhut voll Kirsch. Man mußte die Feste feiern, wie sie fielen. Die Frauen nahmen eine frische Schürze um und standen zur Nachbarin auf die Staffel.
Der Lehrer wurde sonst frei und freundlich gegrüßt, diesmal doch erstaunt; denn warum war er nicht auf der Hochzeit im »Adler«, wo die Schwester der Braut tanzte, die sein Schatz war? Aha, das litt der Markus Götz wohl nicht, der Großbauer. Ein Mädchen gab es in Flüsterworten an den Türen herum: Der Lehrer? O je, der hing am Narrenseil; denn tanzte nicht die hochnäsige Marie schon die längste Zeit mit dem Müller? Gell aber auch, das ist ein anderer Brocken, großer, fester Bursch mit Mark in den Knochen und Geld am Zins, nicht zu wenig. Dagegen der Lehrer? – freilich, verbarmen tut er einen schon –, klein und dürr mit einem zarten Mädelsgesicht, und gewiß kann man ihm alle Rippen zählen, launisch ist er auch und arm dazu. Die Marie käm' nicht mit ihm aus und er nicht mit ihr, die würden leben wie Hund und Katz. Sollte sich eine feine Buchenbronnerin nehmen, der Hebenstreit, eine Städtische. Von der Tracht wird die Michelshoftochter sowieso nicht lassen wollen. Und stellt euch die mal vor ohne die aufgefältelte Hippe, im glatten Stadtrock. Ein angezogener Bohnenstecken säh fett aus dagegen.
»He, manche Mädle sind heimlich fett, man ahnt es vorher nicht«, sagte ein schlitzöhriger Ehemann in das Rudel eifernder Frauen hinein.
»Du mußt's wissen, Jakob, vielleicht die Deinige? Der wampet wohl der Speck bis auf den Boden?«
Die Seinige stand dabei, ein kleines, ausgemergeltes Weibchen mit einem aufmerksamen Gesicht, das dem eines Eichhörnchens glich. Sie hatte eine stark beschattete Oberlippe, recht sichtbarlich Haar auf den Zähnen, dazu lüpfte sie von Zeit zu Zeit, namentlich wenn sie erregt war, den Mund wie eine Hasenmuffel. Es war ein possierliches Ding. Aus ihrer ersten Ehe stammte Fähnlesmarie. Freilich, der Mutter schlug sie 143 kaum nach, schmucker konnte man kaum angezogen sein als die Köbelschusterin und glatter gekämmt. Wie geschleckt sah das Frauchen immer aus, selbst wenn es frühmorgens den noch von Druckerschwärze nassen »Schwarzwälder Boten« in die Häuser trug. Seit die Bahn an Buchenbronn vorbeifuhr, ging das wunder wie schnell mir dem Blatt: in der Amtsstadt gedruckt vor Tau und Tag, gefalzt, abgezählt, im Bündel in den Zug geworfen, vom Schaffner herausbefördert am Bahnhof Buchenbronn, wo schon die Köbelesfrau stand und es hastig aufhob und husch husch davonstob ins erste Haus und so fort, bis nur noch ihre Freinummer in der Schürze lag, um derentwillen sie hauptsächlich es übernommen hatte, die Zeitung herumzutragen. Sie las leidenschaftlich gern, konnte sich aber nichts Lesbares leisten; denn sie kargten sehr, um ihr Haus schuldenfrei zu bekommen, eine Kunst mit acht unmündigen Kindern, und dazu dreierlei Kindern, eins von ihr, aus erster Ehe, drei von ihm, von der ersten Frau, und vier von ihnen beiden. Diese vier waren lauter Eichhörnchen, lustigzänkische, kluge Geschöpfe. Die drei Buben vom Manne hüteten bei Bauern im Schiltebach und Siehdichfür das Vieh. Alle drei ziemlich faule Früchtchen, Schulschwänzer, Weidenrammler, Fuchsfallen- und Leimrutensteller. Ach, ein unnützer Samen, obschon Köbele Ansehen genoß, brav und fleißig wie er war, bloß mit einem losen Maul gestraft. Ein Glück für sich war schon sein wackeres zweites Weib, nach dem Unsegen des ersten, das dem Schnaps seinen frühen Tod verdankte.
Albin Hebenstreit wurde also jetzt gründlich beraffelt. Sein rechtes Ohr klingelte wohl. Doch das machte ihm nicht sehr heiß. Heißer schon der Umstand, daß er vor den Fenstern des »Adlers« stand und das Stampfen der begeistert Tanzenden hörte. Dann entschloß er sich, hineinzugehen. Noch während er die Staffeln langsam hinaufstieg, kam ihm Marie aber entgegen, sich mit der Schürze Luft zufächelnd. Fast hätte er sie im Dämmerdunkel nicht erkannt, weil sie jetzt ohne Schappel war. Auch sie stutzte, noch blind in der plötzlichen Dunkelheit, faßte sich jedoch rasch und fragte in halb jammerndem Ton: »Wo bist du auch so lange, Albin, und warum tust du so fremd mit mir den ganzen Tag?«
Da sprang das Herz ihm auf wie ein wildes Pferd, und 144 er griff nach dem Mädchen, schlug den Arm um ihre Hüften und führte sie hastig die paar Stufen hinunter, an den letzten Buchenbronner Häusern vorbei auf die stille Landstraße. Hinter ihnen, aus der Tür des »Adlers«, waren die Paare gequollen, gierig nach der Abendkühle verlangend, während die Musik eine Pause machte. Sie alle suchten wohl stille Pfade und schattige Mauerwinkel auf. Diesem Geflüster und Küssen entrannen Albin und Marie eilig, bis sie atemlos ein großes Stück Wegs hinter sich gebracht hatten und nun unterm bläulich blinkenden Schein des Mondes, der seltsamerweise immer scheint, wenn Liebende ihn brauchen, sich anschauten wie neu einander begegnet und plötzlich nichts anderes taten als die Kosenden vor dem »Adler« auch, nur nicht so scheu liebend, sondern zum erstenmal heiß, unsinnig, berauscht von der Leidenschaft ihrer Zuneigung.
»Du meine wilde Himbeere«, sagte Albin immer, wenn sie eine kurze Pause machten, erschöpft, aber unersättlich und im Innersten erstaunt über die so unverhofft hereingebrochene Entscheidung.
Als die beiden sich wieder zu der Hochzeitsgesellschaft zurückfanden, gestand Marie nun so sanft und fraulich hingebend wie nie vorher: »Schau, mir ist jetzt leicht wie einer Lerche im warmen Morgen. Den ganzen Tag nistete Unzufriedenheit und böser Wille in mir. Der Schappel tat elend weh, und ich merkte doch, wie wenig ich dir gefiel. Als der Florian mich pries, war mir's zumut, als gäb die Mutter mir ein gutes Wort in einen Kummer. Er ist ein braver Kerl und verdient es nicht, daß man ihm Leids zufügt. Er hat gemeint, ich wär was für ihn. Aber schon beim Tanzen merkte ich, daß nichts stimmte. Schon wie er mich anrührte, gefiel er mir nicht, so täppisch, so überaus derb und grob vor Freude. Schau, da schämte ich mich, daß ich in meinen launischen Gedanken mit der Untreue spielte und mich als Frau Müllerin nicht schlecht gebettet sah, ich schämte mich vor dir, der du so heftig aufgestanden warst und davongerannt, weil du Gedanken lesen konntest. Hast du mir alles am Gesicht abgelesen?«
»Es war nicht schwierig, Marie, aber laß das jetzt vergessen sein. Ich war auch noch unsicher bis vorhin, als du auf die Treppe kamst. Sag, wolltest du nach mir spähen?« 145
»Ja.«
»Und wollen wir jetzt offen zeigen, wie wir zusammengehören?«
»Wir wollen den Vater und die Mutter darum fragen.«
Sie betraten gemeinsam die Wirtsstube, in der die Luft so mit Pfeifenqualm verdickt war, daß man wie durch starken Nebel kaum Gestalten sah. Sie setzten sich still und lächelnd an den Tisch der Brauteltern. Markus hob den Kopf wie ein sicherndes Wild, aufmerksam das Paar beäugend, besonders Albin. Der hielt den Blick aus. Es war ein hartes Messen in die unbewegt ruhigen, hellen, doch in unwägbarer Schwere verharrenden Augen hinein. Auf einmal hob Markus das Glas, ohne vom Schauen abzulassen, und trank dem Lehrer zu, der ebenso nach seinem Glas griff.
Dieses schweigende Jawort des Vaters beglückte sie so, daß ihr Blut rasend hämmerte und ein Fieber sie anfiel mit Hitze und Zittern. Sie spannte darauf, vom Vater auch angeschaut zu werden; aber sie schien er vergessen zu haben. Er wandte sich wieder einem allgemeinen Bauerngespräch über die Simmentaler Viehzucht zu, in das besonders seine Bäuerin Sixta mit klugen Worten hineinredete wie ein tiefes Läuten. Auch sie hatte natürlich von dem Paar Kenntnis genommen, verbarg aber geschickt ihr Erstaunen, das mehr ärgerlich als freundlich war. Konnte denn das dumme Tierchen Marie nicht warten, bis man ihr geraten, was sie tun solle, vielmehr abgeraten, mit dem Hebenstreit ein Techtelmechtel anzufangen?
Sie wandte sich mit etwas lautem Eifer dem Gespräch zu, was man an ihr nicht gewöhnt war. Marie beachtete das wohl, niemand spürt die feinen Untergründe eines Tuns, zumal eines feindlichen, gewisser als ein Liebender, dessen Traum Gefahr droht. Marie fürchtete den starken Willen der Mutter. Es gab Dinge, die schon ganz ausgemacht und klar schienen, und die doch umgestoßen wurden, sobald Sixta ihre sanfte Gewalt dahintersetzte.
Es war erstickend heiß in der Wirtsstube. Über ihren Köpfen begann man wieder zu tanzen. Unter den seßhaften Bauern in der Stube sprach es sich herum, daß die Hochzeiter leise den Aufbruch vorbereiteten. Unmerklich verschwand auf einmal Sixta. Als Marie, die in ihren Schoß gesonnen, aufblickte, fand 146 sie den Platz der Mutter leer. Der Vater indessen erhob sich ungewöhnlich rasch, kam an den Tisch und legte Albin die Hand auf die Achsel. Der stand auf und ging mit dem Bauern aus der Stube.
Marie hörte, trotz ihres rauschenden Blutes in den Ohren, daß draußen ein Wagen davonfuhr. »Magdalen«, dachte sie, »liebe Schwester, liebe Frau.«
Sie war so voller Zärtlichkeit, daß sie lächelte. Noch als sich die Mutter neben ihr niederließ auf Albins Stuhl, lächelte sie und fragte zart: »Sind sie nun heim, ist sie wohl traurig gewesen, daß sie ein anderes Heim hat? O diese gute, artige Magdalen, wir werden sie sehr vermangeln, meint Ihr nicht, Mutter?«
Sixta nickte, schier überwältigt von der Sanftmut der sonst so herben Tochter. Sie war gar nicht ganz bei der Sache gewesen draußen beim Abschied des Paares. Magdalen hatte an ihrem Halse ein paarmal trocken aufgeschluchzt, bis Sebald sie mit kraftvollem Besitzergriff in die Kutsche gehoben und sich daneben geschwungen hatte. Lebet wohl! Und einen leisen Juchzer stieß er aus, zuckte am Zügel und pfitzte die Pferde, daß sie in strammem Anlauf und festlichem Galopp im Nu entschwanden. Noch ehe das geschehen war, hatte Sixta ihren Bauern mit Albin Hebenstreit die Staffel herabkommen und ein Stück weit ins Städtchen schreiten sehen. Sie wußte schon wie alt. Der Markus also billigte Mariens Wahl. Ein kleiner Zorn überwallte sie, das hochmütige Zörnlein einer Übergangenen. Und nicht eben sanftmütig kam sie bei Marie an, die sie dann so schmeichelnd glücklich empfing.
Sie wollte ursprünglich dem Mädchen ordentlich den Marsch blasen, jedoch verlor sie auf einmal alle Worte dafür, ein Gefühl von seltsamer Scham machte ihr zu schaffen. Sie schwieg also, nahm, um die Zeit auszufüllen, ein Stück Gugelhupf von dem Teller und zerkrümelte es auf dem Tischtuch. Die ganze Hochzeitsgesellschaft, die nicht das Tanzbein schwang, schien einen toten Punkt überwinden zu müssen, eine Viertelstunde des Gähnens, des Heimdenkens in der gewohnten Stunde des Schlafengehens. Man trank jetzt allgemein Kaffee. Die Frauen hielten die Hände im Schoß auf den seidenen Schürzen, halb verlegen im Gefühl des Feierns. Die Männer hätten am 147 liebsten gejaßt, doch das tat man nicht bei einer Hochzeit. Schließlich gingen sie in Gruppen auf den Hof hinaus und verkühlten sich die heißen Köpfe. Die Weiber begannen Familienklatsch aufzuwärmen und gerieten auch langsam wieder in Stimmung. Man machte sich nochmals hinter den Wein. Die Musik spielte jetzt ziemlich bunt durcheinander, jedes Instrument machte sein eigenes Wesen geltend, die Hauptsache war, daß der Dreitakt fein herauskam, was ja Baß und Bombardon genügend besorgten. Nur keine Angst, je länger und je wilder gejuchheit wurde, je mehr Schweiß rann, und je wilder die Burschen den Boden stampften und je höher die Röcke der Mädchen flogen, um so lauter und strenger übernahmen Baß und Bombardon die Führung, sie waren die einzigen gesetzten und zuverlässigen Persönlichkeiten im Orchester, da gab es keine Seitensprünge wie bei Flöten und Geigen, jenen leichtfertigen Tonhölzern, die keine Grenzen kannten und unanständig aus der Reihe hüpften wie junge Böcke. Wenn diese beiden gewichtigen Takthalter nicht gewesen wären, die ganze Musik wäre auseinandergefallen wie Zundel und die Tanzerei verlaufen wie das Hornberger Schießen. Ohne Flöte und Geige konnte man wahrhaftig sein. Der Takt war die Hauptsache: wumtata, schrumtata, humtata, brumtata.
Geraume Zeit verging, bis die beiden Männer wieder hereinkamen. Das erste, was Sixta entdeckte, war, daß beide die gleichen Zigarren rauchten und so ein hohes Einvernehmen verrieten. Außerdem sprach Markus, indem sie mehrmals ihr Herschlendern unterbrachen, lebhafter als sonst und ziemlich an einem Stück. Im Näherhinhorchen gewahrte man dann, daß sie es vom Feldzug von 1870 hatten, den Albin Hebenstreit als grünes Bürschlein kriegsfreiwillig mitgemacht hatte. Daraus schloß Sixta auf das Alter des Lehrers, das vermutlich ziemlich höher war, als er aussah. So bekam also Marie keinen Allzuheurigen. Sixtas Gedanken schwenkten unwillkürlich und fast ein wenig vom Heimweh angegriffen zu Magdalen über, die jetzt vielleicht mit ihrem jungen Mann das eigene Heim betrat, wo der alte Griesgram, der Erlenmooser, sie wohl mit einem schiefen und einem wohlgefälligen Blick empfing. An Magdalen hatte sie stets so etwas wie eine Stütze gehabt, das Mädchen ähnelte ihr aufs Haar. Es würde sehr, sehr fehlen im 148 Michelshof. Nun, dann kam jetzt die Genoveva mehr daran, der Mutter an die Hand zu gehen. Sie schlug von den andern allein wieder auf ihre Seite, vielleicht auch der Urban. Sie waren blond wie Magdalen, hellhäutig, heiter. Seltsam, wenn man sich Markus so rasch vorstellte in Gedanken, sah er dunkel aus, obschon er helles Haar hatte und helle Augen, aber dieses Blond und Blau schien ganz anders als jenes der Kinder. Marie und Sälme und Martin ähnelten mehr dem Vater, obschon sie dunkelhaarig und dunkeläugig waren. Genauer als im Michelshof konnte sich das Vaterblut und das Mutterwesen nicht ausweisen. Hinterm Vaterblut stand eine glühende, fackelnde Reihe begabter, aber schwerblütiger Ahnenseelen, hinterm Mutterwesen ein Reigen kluger, heiterer, lebenstüchtiger Liebesherzen. Das schien sich nicht mischen zu wollen. Wenn Sixta jetzt tiefer und bewußter weitergesonnen hätte, wäre sie ganz nahe an die Lösung des Rätsels gekommen, weshalb Markus und sie trotz allen guten Willens, trotz der anfänglichen Zuneigung nicht glücklich mit einander lebten, gewiß auch nicht unglücklich, aber auf eine immer ernst gespannte, sachliche Art, nebeneinander her, ohne Innigkeit und Wärme. Wenn Sixta sich mit bewegtem Herzen um Markus kümmerte, so sprach nur die Güte an, die aus Mitleid und Furcht kam. Die gute Bäuerin Sixta geriet jedoch, da die längst heimgekehrten jüngeren Kinder in ihre Träume gekommen und wieder hinausgeschwebt waren, in verwirrte Gedanken, Bilder kreuzten sich, fielen über- und ineinander, und es begab sich zum erstenmal, daß die Michelshoferin in aller Öffentlichkeit sich dem Schlaf unterwarf. Als Marie, die inzwischen mit einem Burschen getanzt hatte, dem sie nicht einen Korb geben mochte, zurückkehrte, fand sie also die Mutter schlafend, nur ganz wenig zusammengesunken im Sitz, aber tief Atem ziehend. Sie trat zu dem Vater und dem Geliebten, die an einem offenen Fenster lehnten und sich wohl unterhielten, blinzelte den Vater vertraut an und deutete mit dem Kopf nach Sixta. Niemand merkte es weiter, wie müde die Brautmutter war; denn überall standen und saßen die Bauern und Bäuerinnen in schwatzhaften Rudeln beisammen.
Markus lächelte ein wenig schmerzlich, als er sein Weib so hilflos sah. »So, ist die auch mal müd, ehe sie ins Bett kommt?« wunderte er sich und befahl Marie, alles für die 149 Heimfahrt zu rüsten. Er konnte sich scheinbar nicht leicht von Hebenstreit trennen. Beim Anspannen summte sie leise und mit anfälligem Herzklopfen in der Beseligung, daß nun alles sich zum besten wenden müsse. Sie dachte an Albin in einem Gefühl grenzenloser Geborgenheit. Florian und ein Mädchen strichen durch den Hof. Im Mondlicht sah man seine weiße Müllershand breit auf dem schwarzen Samtmieder der Kettererskathrin ruhen. Er sah jedoch kaum Marie, als er kurz seine Tänzerin warten hieß und der Michelshoftochter beim Geschirren half. Marie ließ es geschehen ohne Abwehr. »Also ist es nichts mit uns?« fragte Florian, als er die Stränge befestigte. Seine Stimme klang heiser.
»Nein, Florian.«
Und als er nichts mehr weiter sagte, sondern auf eckige und zornige Weise weiterschaffte, glaubte sie dem schönen, wilden Burschen, der ein so kindhaft gutes Wesen ihr gezeigt, die Wahrheit schuldig zu sein.
»Schau, Florian, ich bin ja schon lang dem Lehrer heimlich versprochen. Du hättest früher zum Mahlen kommen sollen, Müller.«
Sie konnte mit der kleinen Neckerei zuletzt nur gut Wetter bei ihm machen. Man sah genau, wie er davon aufgerichtet wurde aus seiner Gedämpftheit.
Er legte seine Tatze in Mariens hingestreckte Hand und meinte: »Nun, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, dann viel Glück dir und ihm.«
Und er begab sich mit wuchtigen Schritten zur Kettererskathrin hinüber, die er dann auch einige Monate später zu seiner stattlichen Müllerin gemacht hat.
Noch ehe Marie die Eltern rufen wollte, kamen sie schon die Staffel herunter, Frau Sixta verlegen, weil man sie gehörig hatte wachschütteln müssen unterm Gelächter der gut aufgelegten Bauern ringsum, denen Markus sein ungewohnt fröhliches Gesicht zeigte, das ihm, wie nachher behauptet wurde, gar nicht übel stand. Doch über das sprach man nicht lange; denn es erregte alle viel tiefer, daß Albin Hebenstreit gerade so, als gehöre er schon unzertrennlich zur Familie, mit den Brauteltern den »Adler« verlassen hatte.
Er half den Frauen in den Wagen und gab Markus noch 150 einmal Feuer an die Zigarre. Sixta fing den langen Blick wohl auf, den Marie und Hebenstreit zum Abschied wechselten, sie war völlig munter und fühlte sich plötzlich wieder übergangen. Von schlechter Laune befallen, wechselte sie kein Wort mit Marie oder Markus. Marie sah mit glänzenden Augen immer in das Sternbild der Kassiopeia, das am Nordhimmel stand. Sein W-Zeichen stand umgekehrt, hieß jetzt M.
»Marie steht am Himmel geschrieben«, hatte Albin zärtlich gesagt, als sie kurz vorher in stummer Liebesfeier in den Sternenglast sannen.
Sie seufzte mehrmals aus gespanntem Herzen auf, so daß der Vater sich auf dem Kutscherbock nach ihr umdrehte und ihr ganz offen ins Gesicht lachte. Er schien sehr gut aufgelegt zu sein, man kannte ihn gar nicht. Seit undenklichen Zeiten hatte er doch der Schwermut nachgehangen. Marie verließ ein wenig den Gedankenkreis um Albin und sann dem Wesen des Vaters nach. Dann fielen ihr die Augen zu. Am Osthimmel huschten schon helle Scheine herauf, als das Fuhrwerk mit schier schlafenden Pferden und träumenden Menschen im Michelshof anlangte.