Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Im Uhrenmichelshof

Agathe war nicht zu bewegen, noch einmal zum Bruderhof zu gehen. Wenn Stoffel sagte: »Komm mit mir, wir wollen schauen wie es aussieht«, wurde sie linnenweiß im Gesicht und wehrte scheu ab. Sie bringe es nicht übers Herz. Und Stoffel ging allein in tiefem Mißmut, wühlte in der Asche mit dem Schuh, ohne es zu merken, umschritt das schwarze Trümmerfeld des Hofes und wußte nicht, was er tun sollte: das Haus wieder aufbauen oder, wie Agathe es ersehnte, ein anderes Gut im Tale kaufen.

Man machte ihm zwar den letzteren Weg leicht. Der schwerreiche Fallerbauer spannte schon lange auf Feld und Wald der Nachbarschaft und bot Stoffel an, das Zeug, wie er ein wenig abfällig sagte, zu gutem Preis zu kaufen. Er erntete auch bereits das Getreide, das Stoffel gesät, in die Scheunen des Fallerhofs, wo hätte Stoffel damit auch bleiben sollen!

Dann erschien eines Tages der Uhrenmichel im Fallerhof, unterhielt sich mit dem Fallervetter auf geheime Weise im zugesperrten Schopf, worauf sie in die Feierabendstube traten zu Stoffel und Agathe und einen völlig ausgeklügelten Plan vor den beiden ausbreiteten.

»Ich red' nix und rat' nix«, sagte der schlaue Faller und hieß den Uhrenmichelshofer seine Sache selber vertreten. Da kam nun heraus, daß dem David Kuß schon lang das Fell nach fremdem Lager jucke, kurzum, er wolle nach Rußland 79 zurück, wolle Haus und Hof verkaufen mit allem Drum und Dran. Und wie mundgerecht läge nun das schöne Gut dem Stoffel und der Agathe, die sich eben nur in das warme Nest zu setzen brauchten. Die Bäuerin habe es sich schon einmal beschaut im Vorbeigehen und Freude geäußert am guten Zustand der Stuben und Kammern. Das Dach sei frisch hergerichtet, die Ställe neu verschalt und geweißelt, alles Gerät in Ordnung, das Vieh gesund, der Wald alt und gut gehalten, die Äcker fruchtbar, die Wiesen fett, nicht eine sauere dabei, und das Weidland sei immerhin nicht so mager wie anderwärts. Ein Einödbauer könnte es sogar mit einem Auge für eine Ohmdwiese halten.

So pries der Uhrenmichel seinen Hof mit freiem Anstand, ohne daß er übertrieb; selbst die Bemerkung über die Weide, mit dem Hieb auf die Siehdichfürbauern, die einen Mangel an Matten hatten, klang nicht überheblich, sondern galt nur als kleiner, boshafter Scherz. Zum Schluß meinte er noch, da Stoffel beharrlich schwieg und sein Gesicht hinter dichten Tabakwolken barg, er könne natürlich dem Götzenvetter kaum verdenken, wenn er nicht die Katze im Sack kaufen wolle. Auch wenn es hernach krumm mit dem Handel gehe, nehme er's nicht in Übel, wenn Stoffel in aller Gemütsruhe komme, den Hof in- und auswendig zu beschauen und gehörig zu prüfen. Und dann, es kämen zwar noch andere Käufer in Betracht, eile es nicht mit dem Entschluß. Niemals soll Stoffel sagen dürfen, man habe ihn in den Handel, der ein Mißhandel geworden in seinen Augen, hineingezerrt und ihn übertölpelt.

Stoffel schwieg noch eine Weile, dann meinte er: »Ihr steckt wohl alle unter einer Decke«, schlug die Tabakwolke vor seinem Gesicht auseinander und sah scharf zu Agathe hinüber. Die, über und über rot, erhob sich hastig und schritt aus der Stube.

»Recht so, Weiber gehören nicht zum Handel«, lachte David. »Aber sie wußte nichts von meinem Plan«, verteidigte er dann die Frau, »ich pflüg nie mit des andern Kuh.«

Der Fallervetter, dem das Herz schon an dem Bruderhofsland hing, vergaß seine Zurückhaltung und schlug Stoffel fest auf den Rücken: »Nun, Bauer, wollen wir einmal rechnen!«

Ein klein wenig klang durch, daß Stoffel ehedem Knecht gewesen. Da ließ der es darauf ankommen. »Jawohl ich bin 80 bereit zum Rechnen«, sagte er und schlug wieder die Tabakswolken auseinander, nun dem Faller einen hellen Blick hinzusenden, der künden sollte: »Hab' acht, ich nehm es mit allen auf.«

Und Faller wie auch Kuß, die gerissene Kerle waren, wenn es sich um Geld drehte, merkten, der Stoffel meistere sie; aber etwas anderes merkten sie auch mit kaum zu verbergendem Lächeln. Weil der Stoffel besonders zeigen wollte, wie scharf er rechne und handle, geriet er mit Leidenschaft in den Plan der beiden und gerade auf den Punkt, wo sie ihn haben wollten. Er verbiß sich in den Uhrenmichelshof, weil er ihm zu teuer schien und es ihn trieb, davon herunter zu handeln, und er kämpfte um den Verkauf des Bruderhofgeländes, eben weil der Faller einen Spottpreis dafür bot und er diesen zwingen mußte, mehr zu zahlen.

Die beiden stießen dem unerfahrenen Stoffelbock wider die starken Hörner, daß die Funken stoben, und handelten hartnäckig mit gemachter Zähigkeit, bis Stoffel, im Bewußtsein, auf allen Seiten gesiegt zu haben, in die Hände der beiden schlug, zum Zeichen des festen Kaufes und Verkaufes. Tatsächlich machte er auch keinen ungünstigen Tausch, indem er den Michelshof bekam; denn der Preis war mäßig, David hatte sein Gut nicht zu hoch gerühmt. Bis zum Frühjahr konnten Agathe und Stoffel im Leibdinghaus des Michelshofes wohnen, bis dahin blieb der David Kuß noch im Lande.

Agathe nahm die Nachricht, daß sie im hellen Tal des Schiltebach fernerhin leben solle, mit stillem Lächeln auf. Man kam nicht draus aus der Frau. Die Männer riefen sie herein, als alles im Blei war und sie bereits beim Kirschwasser mit heißen Köpfen saßen. Sie gab allen die Hand, auch Stoffel, ging dann in die Küche zurück.

»Dein Weib ist still geworden, Stoffel«, meinte David. »Sie schien mir früher lustiger und stellte sich kecker.«

»Sie leidet an der Schwermut«, sagte Faller, »das liegt in der Familie.«

Ja, das findet man oft auf dem Wald, das Dunkle waltet gern im dunklen Lande, wo es nur im Tale heiter ist, wenn dieses nicht zu schmal ist, und man fast den Atem verliert zwischen den steil aufstrebenden Wäldern. 81

Auch der David fing an, düstere Geschichten zu erzählen: Hinrichtungen auf dem Siehdichfür soll es oft gegeben haben, man nenne nicht umsonst eine Stelle der Ebene den Galgen. Auch sollen Gerichtstage dort abgehalten worden sein, zu denen die Bauernschaft der ganzen Gegend zuhauf herbeigewandert. Und dann, das Schlimmste war die Verbrennung der Hexe, keiner alten, ausgemergelten Schäg etwa, die von selber schier brenne, sondern einer festen, jungen Magd, die es mit dem Teufel gehabt alle Nacht und die der Prior vom Buchenbronner Kloster in der Buhlschaft betroffen habe. Sei die Magd, schön von Antlitz und engelhaft von Wuchs, an einer offenen Stalltür vorbeigelaufen, wo gerade gemolken wurde, und habe ihren Blick auf die Euter geworfen, sei Blut statt Milch in den Melkkübel gesprungen. Und kalbete gerade eine Kuh, so hatte das Neugeborene zwei Köpfe oder sechs Beine oder war sonstwie ungestalt und starb kurz nach der Geburt. Wenn es irgendwo brannte, so tanzte sie in der Nähe des Hauses; wenn jemand starb, so lachte sie nachts unterm Fenster. Alle Liebenden brachte sie ins Unglück, indem sie ihr Blut sündig wünschte; die schönen Kinder erschreckte sie, daß sie ihr ganzes Leben lang schielten, und den häßlichen flüsterte sie Bosheiten ein. Niemand wußte, wessen Kind sie selber war, ein Findelkind eben, von einer Teufelin geboren und vor einer Stalltür niedergelegt.

Den Zuhörern grauste es. Agathe saß wieder da mit des Fallers Frau und Magd.

»Nun«, schloß David Kuß, »das Hexlein wäre so richtig ein Weib für mich gewesen, so Wilde mag ich und so Besondere. In der Stadt gibt's deren schon noch, in Moskau etwa, die Kunstmaler malen sie, und die Fürsten hängen diese schönen Weibsbilder in ihre Wohnzimmer.«

»Davon können sie auch nicht runterbeißen«, sagte der Faller trocken und trank sein Schnapsglas aus.

David stand auf und setzte die dünnen Beine wie Stecken voreinander. »Gut Nacht, beisammen!«

Draußen pfiff er fein, klingelte mit dem Geld in der Brusttasche, und wie ein Schatten huschte die Magd Marie des Bruderhofes an seine Seite. 82 Nun es eine ausgemachte Sache war, daß die Bruderhofer in dem Schiltebach ihre neue Heimat finden sollten, im heiteren Grunde, auf den Stoffel so oft geschaut hatte von seiner väterlichen Viehweide herab, breitete sich ein neues Wesen über Agathe aus und auch über Stoffel. Sie verlor die brütende Traumsucht, der sie oft verfallen schien, und zuckte nicht mehr furchtsam zusammen, wenn ein Schritt sie aufscheuchte. Stoffel hob seine starke Stirne der Zukunft entgegen. Seine Augen blickten fest, nicht mehr unsicher und von heimlichem Kummer beschattet. Er lief jetzt tagelang in Sonntagskleidern herum, zum Notar und zum Gericht, zum Grundbuchamt und zum Ratschreiber, ins Pfarrhaus und zum Bürgermeister, bis alles, was mit Kauf und Verkauf der Höfe zusammenhing, geregelt war. Es gab in diesen Wochen manchen Fluch und manches Gelächter, auch manchen Rausch heimzutragen. Die Schiltebacher überredeten den Stoffel zu derben Freundschaftstrünken, die er annehmen mußte, um nicht in schlimme Nachbarschaften zu geraten. Die Schwägerin Anna traf er hie und da, was ihn peinlich berührte, und er wünschte ihre süßsauere Freundlichkeit ins Land, wo der Pfeffer wächst. Im Grunde sorgte sie doch dafür, daß die Klatschmäuler über seine Person und vorab über sein Glück in hämischer Bewegung blieben.

Manchmal mußte Agathe mit, irgend etwas zu unterschreiben, was ihr aber ein Graus war. Sie nahm nicht gern eine Feder in die Hand. Stoffel verstand schön und klar seinen Namen zu ziehen, in kleinen, stark geneigten Buchstaben, unter die er den Schleifenschwung des z bei Götz in stolzen Schnörkeln herzumalen sich angewöhnte, was auf allen Ämtern einen guten Eindruck machte; denn auf kühne und feine Schnörkel wurde dazumal viel Wert gelegt.

Agathe mußte lachen, als sie diese Kunst Stoffels entdeckte, aber sie war doch stolz darauf. Vielleicht würde er sogar Vogt, wenn man in der Gemeinde merkte, wie geschickt der ehemalige Knecht sich anstellte.

Sie gingen im Uhrenmichelshof schon aus und ein, so oft sie Muße hatten. Der David Kuß machte stets ein freundliches Gesicht, wenn sie kamen, er liebte Stoffel auf seine Art und versuchte zuweilen mit Agathe einen schalkhaften Liebeshandel, 83 den sie heiter abwehrte, weil sie es mit ihm nicht verderben wollte.

Stoffel war zufrieden, wenngleich er auch vieles weniger schön und genehm fand als auf dem Bruderhof, so die Wasserversorgung, die nicht so rein war wie die auf dem Berge, wo das Wasser durch sieben Brunnen ging und vom Holz der Röhren und Tröge lieblichen Geschmack bekam. Das bilde er sich ein, sagte Kuß dawider, aber so Dickköpfe wie der Stoffel mußten alles umständlicher haben als andere Leute. »So muß halt das Wasser sieben Brunnen brauchen bis ins Maul, statt nur vor dem Haus als Bach vorbeizufließen, leicht zu fassen durch einen einzigen Brunnen.« Auch bemängelte Stoffel, daß das unterschlächtige Mühlrad in wasserarmen Sommern stillstehe.

»Ha, brauchst du es im Sommer?« schimpfte David Kuß mit Recht; denn Stoffel brummte bloß, weil er das dunkle Weh nicht los wurde, wenn er des Bruderhofes gedachte, wo ihm alles ans Herz, nein doch, ins Blut gewachsen war.

David Kuß legte ihm aber, da er merkte, wo den Stoffel sein Weh drückte, ein gutes Pflaster auf: »Was murrst du auch, sieh nur, droben warst du halt immer noch der Knecht, der auf den Hof der Frau geheiratet hat, hier bist du der Bauer; denn mit nichts kann Agathe dich hier abtrumpfen.«

Stoffel sah das ein und ließ darum das ewige Hadern.

*

Noch merkte Agathe nicht viel von der Nähe der Menschen, sie fühlte sich jetzt oft elend in ihrem Zustand. Das werdende Leben plagte sie, auch war sie eine ungeduldige Leidende. Stoffel zuckte die Achseln, wenn sie klagte, und sagte kühl: »Es ist halt so, du mußt es tragen, nachher kommt die große Freude.«

Und wenn sie jammerte, es drücke ihr das Leben ab, sie habe eine stark würgende Angst in sich fast zu jeder Stunde, daß des Unheils noch nicht genug sei und ein widriges Schicksal sie jetzt zu quälen beginne, sagte er: »Du mußt halt nicht an Schlimmes denken, der Brand war wüst, er hat dich die Heimat gekostet, und mich vielleicht auch, aber dein Wille ist doch geschehen. Du bist im heiteren Tal, und es dünkt mich fast, du willst ein Jammertal daraus machen. Schäm dich, tausend 84 Mutter tragen ihre Kinder aus, ohne Unmut, und du willst dran sterben!«

Wenn eine Nachbarin sich sehen ließ, stand Agathe stundenlang mit ihr herum und klagte und klatschte. »Sie hat zu wenig zu schaffen«, dachte Stoffel; denn im Michelshof, solang der David darauf waltete, gab es für sie nichts zu tun. Der David liebte es nicht, schon dreingeredet zu bekommen. In seiner Stube saßen Schneider und Schuster zugleich, ihm die Reiseausrüstung für Rußland zu machen. Auf neue Mode paßte ihm Josua einen langen Rock an, helle, enge Beinkleider, und dazu kamen Schuhe aus feinem Leder, das David in Freiburg selber ausgesucht hatte. Sie befragten eine Zeitschrift um Rat, in der die Beschreibung zu den feinen Stadtherren in französischer Sprache stand, die dem Albiez, wie er behauptete, geläufig war wie das Deutsche. Man konnte es ja glauben; denn solche Schneider aus dem Walde sind überall herumgekommen, haben ein windiges Sitzleder, und so sammelt sich Klugheit und Wissen bei ihnen an. Der bewegliche Mensch ist ja überhaupt immer ein halbes Genie, es braucht nicht gerade ein Schneider zu sein; schon mancher Künstler ist seines langen Haares und seiner schlanken Gestalt wegen für einen Schneider und umgekehrt mancher Schneider ob seiner ausgehungerten Magerkeit und unheimlichen Lockenfülle für einen Künstler irgendwelcher Art gehalten worden.

Der David Kuß stolzte eines Sonntags, als der Staat fertig war, wie ein geborener Baron in der Kirche zu Buchenbronn umher. Man hätte es dem gescheiten, launischen Manne kaum zugetraut, daß er so eitel ist, jedoch stach ihn wohl der Haber ob einiger Jungfern begehrlicher Blicke, die das etwas Schnörkelhafte des Kussendavid gern mit in Kauf nahmen wegen seines städtischen Auftretens, hinter dem ein wohlgefüllter Geldsack und eine kleine Berühmtheit stand. Die Berühmtheit dessen, der eben von weither war, eigentlich kein Schwarzwälder, sondern im sagenhaften Rußland geboren, von dem die Uhrenhändler, die dort guten Absatz hatten, beim Erzählen nicht genug Rühmens machen konnten, namentlich was die goldenen Kirchen, die reichen Fürsten und die wundervollen Prinzessinnen anbetraf.

So machte David sich, ehe er abreiste, im Städtchen noch ein 85 paar zärtliche und abwechslungsreiche Tage; denn jede Heiratslustige wollte sich am tiefsten in sein Herz einschmeicheln, was der ältliche Racker gern geschehen ließ. Die Törichten hätten ihn wohl zu Tode geliebt, wenn nicht der Zeitpunkt der Abreise so nahe gewesen und vom hohen Postillonbock vor dem »Schwarzen Adler« Abschied geblasen worden wäre.

Eines mußte man dem Schneider Albiez lassen, er konnte vorzüglich auf den Leib schneidern, er richtete sich nach jeder Eigenart der Person, für die er schaffte, geschmeidig wie ein echter Schneider sein muß, dem man es glauben soll, er könne sich selber durch ein Nadelöhr fädeln. So durfte auch der Josua, weil er es nötig hatte, im Schwäbischen eine Brudersekte zu besuchen, mit dem David Kuß ein Stück weit fahren, bekam noch weiterhin ein gewichtiges Zehrgeld auf die Hand; denn der Anzug saß, das fühlte David jeden Tag mehr, wie das leibhaftige Glück um seinen Körper, nein schier gar wie die leibhaftige Jugend. Trotzdem war er zuletzt froh, den Josua Albiez los zu sein, der ihm bei den Weibern gern ins Gehege kam und mit seinen himmelblauen Blicken selbst Tugendsame betören konnte.

So war nun der David Kuß in seine fremde Geburtsstadt davongereist, noch ehe das Frühjahr richtig auf den Wald kam. Agathe und Stoffel zogen im Michelshofe ein mit starkem Aufatmen, dem Notbehelf im Leibdinghaus entronnen zu sein. Agathe scherzte und lachte zum erstenmal wieder seit langer Zeit, als sei ihr eine Last von der Seele genommen. Und Stoffel wandte seit Wochen wieder einmal ein warmes Wort und eine zärtlich stolze Gebärde an sie. »Nun sieht sie sich doch endlich wieder ähnlich«, dachte Stoffel und war von Freude und Helle erfüllt.

In alle Stuben schien die Sonne, das Haus lag im Licht wie keines. Agathe lachte darüber und hielt die Hand in die Bahn der Sonnenstäubchen, die vom Fenster auf den Tisch lief.

*

Eine sonderbare Geschichte widerfuhr ihnen noch in den ersten Wochen, die bald neues Unheil heraufbeschworen hätte. Die Versicherungsgesellschaft, die für den Schaden des Brandes aufkommen sollte, bezweifelte das Zünden des Blitzes; sie 86 glaubte an Brandstiftung, und zwar habe eine Magd des Bruderhofes belastend ausgesagt.

Das war Marie, die von Stoffel nicht mehr eingestellt worden war. Sie zog gekränkt von dannen; dazu gab ihr auch Agathe, im Umtrieb damals vergeßlich, kein Schmerzensgeld für die verbrannten Kleider und Schuhe, was noch den Zorn des sonst gutmütigen Mädchens erhöhte.

Und daß die Bäuerin so ruhig gewesen und vor allem nicht mit Hand angelegt habe, sei ihr verdächtig vorgekommen, sagte sie dem Landjäger in Buchenbronn; auch habe es schon Tage vorher nicht gestimmt mit ihr; sie sei so oft mit der Kerze durch die Speicherkammern gelaufen, abends spät; man habe sich nicht denken können, was sie suche. Auch kurz vor dem Wetter glaubte sie die Bäuerin oben gehört zu haben. Überhaupt, es sei eine Falsche, der Bauer lebe nicht gut mit ihr, vor Geiz und Hochmut gönne sie keinem was. Der Landjäger, ein Landfremder, nahm die Anzeige der Marie wichtig und rief die Gesellschaft auf den Plan.

So lud man Agathe und Stoffel vor Gericht. Agathe wollte, da die Ladung kam, schier zusammenbrechen vor Schrecken; aber sie raffte sich auf und konnte es später nie begreifen, wie stark und unbeugsam sie vor den Richtern gestanden und gesprochen hatte. Sie leugnete alles ab. Keine noch so verzwickte Frage brachte sie in Widersprüche. Stoffel, aus Furcht, Marie könne für ihn unangenehme Aussagen machen, benahm sich unsicher. Er stotterte, wenn er rasch gefragt wurde, verlor Worte und zeigte sich scheu. Marie, deren Klatschmaul von den Richtern streng im Zaum gehalten wurde, sagte nur aus, was die Bäuerin betraf. Man kam dahinter, daß die Magd aus Rachsucht gehandelt. Agathe sagte, sie habe das Schmerzensgeld nur vergessen, und Marie könne es holen. So zerschlug sich der Prozeß. Agathe ging jedoch tagelang finster umher, keifte und weinte, und man sah, sie litt unsäglich. In den Höfen ringsum deutelte man an der Ursache des Brandes. Die Fremde vom Siehdichfür, der wohlgehaßten Gemeinde, mußte das Mißtrauen spüren, das um sie lauerte, obgleich die Bäuerinnen freundlich und die Bauern höflich zu ihr waren.

Marie, die beim Schneider Albiez Unterschlupf fand, blieb, wenn darauf flüsternd die Rede kam, bei ihrer Beobachtung; 87 sie gehörte zu den Menschen, die sich wichtig fühlen, wenn sie etwas zu wissen glauben, was das Tageslicht scheut, und sie dichtete bei jedem neuen Bericht irgendeine Kleinigkeit dazu. Wenn sie mit dem Albiez darüber sprach, so redete er ihr nichts aus, im Gegenteil, er sagte fast jedesmal: »Ich weiß, was ich weiß, aber ich will nichts wissen«, und machte eine hämische Grimasse dazu.

Beim Albiez war Marie über die Maßen gut aufgehoben; man munkelte sogar, er werde sie eines Tages heiraten. Sie besaß so viel Geld, daß der immerhin nicht kleine Füßling ihres Sparstrumpfes prall mit Talern angefüllt war, was das Häuschen des Schneiders schon ein Stück weit aus den Schulden heben konnte.

*

Agathe und Stoffel wurden so von Arbeit bedrängt, daß sie bald vergessen mußten, was ihnen das Herz beschattete. Das Gut war tatsächlich ein starkes Stück größer als die Länderei des Bruderhofes, und es erfüllte mit Freude, dies alles zu schaffen in dem geschützten, ertragreichen Schiltebachtal. Agathens schwerfälliger Körper durfte zwar nicht überanstrengt werden. Stoffel gebot dies. Er stellte zur alten Christin noch eine junge Magd ein, die derb und voll gestaltet, fröhlich und arbeitsam, gleich fest ins Tagwerk griff. Das Hüterbübchen Peter bekam seine Treue gut belohnt und wurde freundlich, wenn auch streng in Pflichten gehalten. Es ging wenigen Hüterbuben so gut wie dem Peter Obergsell. Die meisten lebten übel. Sie mußten morgens die ersten sein und kamen abends nicht früher als die Erwachsenen in den Feierabend, dazu schliefen sie beim Knecht oft im gleichen Bett, in dürftiger Kammer, und niemand fragte, ob sie sich gewaschen hätten, ob sie etwas lernten, ob sie gesund oder krank seien. Ein Stück Holz im Hofe wird sorgfältiger behandelt in den meisten Bauernfamilien als solch ein fremder Bub, der meistens das Kind einer ledigen Magd oder Waislein oder Findelkind ohne Nam und Art ist. Peter konnte von Glück sagen. Er war ein tapferer, kleiner Kerl, der für seinen Bauern durchs Feuer ging.

Da der Viehstand Stoffels, mit dem größten Teil des Kußschen vereinigt, um die Hundert herum zählte und gehütet sein 88 wollte, nahm Stoffel noch einen Knaben hinzu, einen kleinen, breitschultrigen, krummbeinigen Kobold, den man das Dächsle nannte. Dieser Fritz Lauble pfiff, lachte und neckte den ganzen Tag. Keine zwei Wochen sprang er im Hof umeinander, so kannte er schon alle Wege und Winkel, alles Wesen und Wirken. Wie ein Schelm fuhr er in den Ernst des Hauses und wischte viele Gramfalten aus den Gesichtern. Stoffel ärgerte sich oft über Fritz, weil er bodenlos keck war, und Agathe wich ihm sogar manchmal aus, um nicht vor Lachen ihre Würde einzubüßen. So lockerte wenigstens jemand das schwere Leben der Michelshofer und brachte es fertig, daß zuweilen die Sonne heiter schien.

Der Frühling ließ sich sehr regnerisch an. Bis auf die Haut durchnäßt kamen sie oft vom Felde heim oder aus dem Wald. Stoffels Wald war so groß, daß er Jagdrecht darin genoß. Nun sah man ihn zuweilen mit der Flinte fortgehen in aller Herrgottsfrühe am Sonntag, um einen Hasen zu schießen. Aber er verträumte sich und ließ die Beute fröhlich vorüberspringen. Agathe lachte ihn aus.

Buchenbronn lag nun näher. Sie konnten ohne Beschwer leicht in die Kirche kommen, dennoch sperrten sie sich gern dagegen. Auf dem Einödhof hatten sie das Geselligsein anscheinend verlernt. Selbst Agathe, deren Sehnsucht immer nach Menschennähe gegangen war, schloß sich schwer an.

Endlich sollte ihre schwere Stunde kommen. Ratlose Angst peinigte sie stundenlang. Die Hebamme kam, und in einer quälenden Geburt brachte Agathe Stoffels Sohn zur Welt, ein zartes, doch gesundes Kind. Stoffel hielt es eine Weile in seinen großen, lederharten Händen, sah es grübelnd an und wurde weich.

»Junge Kälber sehen schöner aus als dieses runzlige, rote Kind«, dachte er; »aber ich will froh sein, daß es da ist, und ihm eine gute Heimat schaffen. Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser, so soll es bei uns auch gehalten werden.«

Und er fügte laut hinzu, das erschöpfte Weib anredend: »Er soll Martin heißen; man denkt dabei an eine Faust voll Gotteserde. Martin Götz soll ein starker Mensch und ein guter Bauer werden.« 89

»O Stoffel, was er werden will, wird er von selber, sein Lebensbuch ist schon geschrieben; das ist es ja, man tut, was man muß, nicht was man will. Ich spür's.«

»Meinst, Agathe«, sagte Stoffel kleinmütig; »es bleibt also für uns nichts anderes zu tun, als ihn das Laufen, Sprechen, Essen und Trinken und das Schaffen zu lehren. Wahrhaftig keine große Unmuße!«

»Wir werden es ja sehen und wollen nicht neugierig sein«, tröstete die Frau lächelnd und strich Stoffel, der an ihrem Bette stand, am Ärmel herunter.

Aber der kleine Martin wollte nicht recht gedeihen. So regentrüb und verloren das Frühjahr in den Sommer schlich, so kraftlos lag das Kind in seiner Wiege, nahm gierig der Mutter Brust, erbrach heftig die Nahrung wieder und war zuletzt fast nur noch Haut und Beinchen.

Stoffel gab Agathe Schuld. Statt daß die Schwermut sich verlor, blieb sie in der Frau hocken, ja, wurde schlimmer mit jedem Tag. Sie wurde sogar nachlässig mit dem Kinde. Einmal kam Stoffel am Spätnachmittag müde und durchnäßt vom Felde heim. Da gellte ihm das Geschrei des Kindes aus der Kammer entgegen. Er sprang hinein, nahm mit linkischen Händen das Bündelchen, das blaurot im Gesicht war und krämpfig geballte Fäustchen zitternd vor den Mund hielt. Es beruhigte sich nicht. Er lief mit ihm durch Kammern und Stuben, die Mutter zu suchen. In der dunklen Küche kauerte sie vor dem Herd und starrte in die Asche. Stoffel erschrak zuerst, dann übermannte ihn jäher Zorn. Er redete hart mit der Frau, bittere Anklagen prasselten auf sie nieder, er sagte alles, was ihm auf die Lippen kam, selbst geheime Gedanken quollen heraus im Wust von Vorwürfen und Bekenntnissen, mißtrauischen Fragen und törichten Gewißheiten. Das Getuschel mit Albiez und die Aussagen der Magd, die Unrast und dann wieder die Gleichgültigkeit warf er ihr vor und ließ keinen guten Faden an ihr. Das Kind schrie immer noch. Sie nahm, ohne daß er es wehren konnte, den Knaben von seinen Händen und legte ihn an die Brust, wo er sofort zu trinken begann. Stoffel, voll Zorn und Traurigkeit, wartete auf ein Wort Agathens. Er bereute schon seine Härte. Agathe war ein sieches Weib, fast ein irres. Kein anderer Laut erhob sich in der Küche als das 90 Schmatzen des trinkenden Kindes. Da ging Stoffel mit mühsamen Schritten wieder zu seiner Arbeit.

Zwischen den Eheleuten hockte seit der düsteren Stunde am Herde der Gram. Stoffels Worte waren zu zählen. Er schaffte wie ein Roß, schwitzend, keuchend, hetzend. Agathe sagte nur Herbes. In ihren federnden Gang war ein Schleichen gekommen an Wänden hin, sie erschrak vor lauten Stimmen, versteckte die Blicke, wenn sie mit jemand sprach.

Der kleine Martin fiel ab, so sehr sie ihn jetzt pflegte. An seiner linken Körperseite wuchs ein brandrotes Muttermal immer breiter in die weißgraue Haut und drohte den ganzen Leib zu umfassen. Darin wurzelte Agathens Schwermut: Er ist gezeichnet. Ich habe den Brand herbeigewünscht und büße dies mit der Mißgestalt des Kindes. Ich muß mein Verbrechen auf mich nehmen wie der Christ die Sünden der Welt. Sie biß die Lippen wund, daß niemand von ihr die große Schuld erfahre.

Und Martin starb. Ganz unerwartet und wie ohne Schmerzen streckte sich das magere Gestältchen, hauchte einen dünnen Sterbelaut aus und fiel zusammen.

Agathe wandelte sich von Stund an. Sie dachte: »Er hat das Leid mit sich genommen, er hat von meinem Herzen die Last genommen und mich erlöst.« Sie lächelte, da sie ihn begruben, und ging am Tage nach der Beerdigung an die Arbeit als die frühere, junge Frau, allerdings gelassener und stiller als ehemals.

 


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