Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Der Doppelgänger

Mit dem hinkenden Soldaten Simon Gsell, aus dem Todtnauberg stammend, einer ledigen Magd heimatloser Sohn, kam den Michelshofern ein seltsamer Insasse ins Haus. Zur Feldarbeit war er seines lahmen Beines wegen kaum zu brauchen, aber daheim stellte er sich prächtig an. Er hielt die Ställe rein, die Schöpfe aufgeräumt, er hütete die Kinder, kochte, putzte und wusch wie eine Bäuerin. Was seinem Hinkefuß nicht schlimm in den Weg kam, griff er wacker an, und man sah ihn nie unbeschäftigt in einer Ecke hocken und dösen oder sich den Magen vollschlagen am Überfluß des Brotes im freigebigen Michelshof. Die Sixta war herzlich froh um ihn; denn sie ging schon wieder gesegneten Leibes. So dachte niemand mehr daran, den Soldaten zu entlassen, und Markus setzte ihn in festen Lohn und zählte ihn zu seinem Gesinde.

Freilich mahnte eine innere Stimme Markus ständig, nicht allzuviel Vertrauen auf den Simon zu setzen. Manchmal, wenn Simon vor dem Bauern herhinkte mit der anscheinend festgewachsenen Holzmütze auf dem Kopfe: groß, schmal, ganz leicht vornübergeneigt mit den Schultern, genau so wie Markus 52 früher aussah, als er noch das schlimme Bein hatte, da beschattete den Großbauern eine dunkle Stimmung, die fast wie Angst war.

Ist der Simon ein Gespenst, ein zweiter Markus im Hofe und so geartet, wie er hätte sein sollen, im Besitz dieses Weibes Sixta, im Besitz dieser gesunden, rotbäckigen Zwillinge, des klugen, wenn auch sprachplumpen Knaben Andreas, des zarten, dunklen Mädchens Salome, der blauäugigen, lichten Genoveva, des herrlichsten Viehes im Rund, des wildreichsten Waldes weit und breit, des stattlichsten Hofes im Schiltebachtal und der vielen ungezählten Taler am sicheren Ort? Wie hätte er sein sollen? Heiter, zufrieden und stets ein bißchen zärtlich um Sixta, Hansnarr im Feierabend mit den Kindern, mutig gegen fremde Männer im Wortgefecht, ein Freund des Gläserlupfes in der Nachkirche, ein wenig auf das Kartenspiel versessen und stets bewegt von neuen Ideen, der Politik, dem Ortsklatsch nicht abhold, Meister im Tauschhandel mit dem Vieh und den Tauben, geduldig beim Basteln und heißblütig beim Händeln. Würdevoll im Rat der Männer und ernst bei ernsten Dingen, zu Frauen gut, zu Knechten derb und herrisch-gütig. Dies alles lag dem Simon so tief im Wesen, wie es Markus mangelte. Vielleicht mangelte es ihm auch nicht, da er wußte, so gab er sich nie, sondern es ruhte nur zu tief beschlossen in ihm und konnte sich nur sehnen, aber nicht befreien. Wie hätte er sonst darauf kommen können, der leibhaftige Simon Gsell sei ein Gespenst; aber die Ähnlichkeit im Äußeren war augenfällig genug.

Sixta fiel sie erst spät auf, als die beiden Männer einmal nebeneinander im Hofe standen. Sie erschrak bei der Entdeckung, daß sie nicht fähig war, auf den ersten Blick zu sagen, das ist Markus, und das ist der Knecht Simon. Wie Brüder wahrhaftig standen die beisammen. Aber da gingen sie auseinander, Markus mit seinem lässigen Schritt, Simon hinkend, aber viel frischer als der Bauer. Die seltsame Übereinstimmung der Gestalten verlor sich auch jetzt noch nicht. Am Abend verglich Sixta in heimlicher Unruhe die Gesichter der beiden, und wiederum lag der Unterschied nur im Ausdruck. Dieselben schmalen Köpfe, schmalen Lippen, scharfrückigen, großgeflügelten Nasen, die etwas abstehenden, kleinen Ohren hinter den blonden 53 Bartraupen, die vom reichen, leicht gewellten Haar herab bis tief in die Wangen hineinliefen. Nur die Augen unterschieden sich schärfer. Die des Markus sahen überhell und kühn aus, so als faßten sie die Nähe überhaupt nicht, nur wenn er in Erregung geriet, schienen sie dunkel. Die des Simon Gsell indessen leuchteten in unwahrscheinlichem Blau, es waren frohe Augen mit unwiderstehlicher Wärme im Blick. Man sah gern hinein, sie steckten an mit ihrer lichten Flamme. Sixtas forschender Blick tauchte, ohne es zu wollen, tief in den des Knechtes, eine Blutwelle schoß ihr ins Gesicht, als sie merkte, wie der Simon verlegen und doch bedeutsam zu ihr herüberlächelte. Ein Glück, daß Markus vor sich hin sann!

Als Sixta später noch im Stall werkte und nach den jungen Kälbern sah, stand Simon, ohne daß sie ihn hatte kommen hören, neben ihr, half ein wenig. Sixta merkte dabei, daß seine Hände bebten. Sie wollte weggehen, da sagte Simon, ohne ihren Blick zu meiden: »Was hat die Bäuerin an mir zu schauen gehabt, diesen Abend?«

»Wundert dich das denn?« gab Sixta ruhig zurück. »Es ist mir zum erstenmal aufgefallen, daß du meinem Bauern gleichsiehst, wie ein Bruder.«

»Davon reden die Leute schon lang«, sagte Simon, schämte sich plötzlich vor der Bäuerin, der kecken Gedanken wegen, die ihn zu seinem Fragen gebracht, und er verließ mit leisem Gruß den Stall.

Sixta fühlte, wie enttäuscht er war, sie mußte lachen über den leichtsinnigen Pinsel, der meinte, wenn ihn die Bäuerin richtig angucke, so habe er ein Recht an sie. Nun, er wußte jetzt hoffentlich wie alt! Sie ging in die Stube. Dort saß Markus und las in der Bibel den Abendsegen.

*

Es war Wintersanfang. Der Himmel hing schon seit Tagen voller Schneegewölk; aber ein starker kalter Nord trieb es hinüber in die Schweiz, wo es wohl an den hohen Alpen hangen blieb.

Sixta spann Schafwolle auf dem niederen Spinnstuhl und war aufgelegt, mit dem Bauern zu plaudern. Sie wollte nicht in der Stille sitzen, das Blut war ihr zu unruhig geworden nach 54 dem Erlebnis mit Simon Gsell. Als Markus die Bibel zuschlug und auf das Eckbrett im Herrgottswinkel legte, versuchte sie ein Gespräch mit ihm. Sie wußte, er hatte das nicht gern, er rauchte seine Pfeife und sann den blauen Dämpfen nach, die emporschwebten und um die Hängelampe flossen in federleichten Schwaden. Zuletzt war das sonst helle Licht so eingehüllt in die Schattenströme, daß nur noch ein Glimmen die Stube rötlich erhellte. Sixta brauchte nicht viel zu sehen bei ihrer Arbeit, sie griff gut. Das Spinnrad surrte dunkel, die Uhren tickten, die Buchenklötze im Ofen knisterten. In der Balkendecke rannte ein Hausmarder hin und her, fing Mäuse. Ab und zu zirpte eines der Vögelchen im Schlaf. Sie liebten den Tabakrauch nicht und wachten oft auf davon, obschon Sixta ihre Vogelbauer mit Tüchern verhängt hatte. Hin und wieder mußte sie aufstehen und in die Kammer gehen, wenn eines der Kinder unruhig träumte. Der Andres, so groß er schon war, schrie gern in der Nacht, ihn plagte der Alb oft gräßlich. Als Sixta wieder aus der Kammer kam, meinte Markus, man müsse mit dem Andreas zum Professor nach Freiburg, daß der einmal schaue, weshalb der Bub nicht recht reden lerne. Sixta war selber bekümmert wegen dieser Unfähigkeit des Kindes, aber sie wollte nichts merken lassen, sie glaubte, je weniger sie aus der Sache ein Gejammer mache, um so leichter trage der Bauer dieses unbegreifliche Geschick, das auf dem Wald vor den Leuten wie eine Schande verborgen werden mußte; denn ein angeborenes Gebresten wird fast stets als Sündenschuld der Eltern oder Ahnen aufgefaßt. Markus gab indes für den Sohn viel mehr offenkundige Güte her als für die anderen Kinder. Sonntags verbrachten Bauer und Sohn ganze Mittage auf der Weide, ohne ein Wort zu sprechen, aber in stummem Beisammensein glücklich.

Sixta hatte schon mit den Mädchen in einiger Entfernung dabeigesessen und mit Staunen beobachtet, wie die beiden Hand in Hand saßen und seltsam geformten Wolken zusahen oder kein Auge von einem Raubvogel ließen, der in blauer Höhe seine Kreise schwang. Markus wollte an solch einem Mittag den Sohn lehren, wie man mit dem Gewehr umgehe, aber Andres zeigte große Angst, auch nur das Holz der Flinte zu berühren. Als Markus dicht neben des Andreas Schläfe abschoß ins Blaue hinaus, fiel der furchtsame Knabe ins Gras und schrie wie 55 getroffen, daß den Bauern der Zorn übermannte. Er schlug den Buben deshalb und ließ ihn wimmernd liegen; aber Sixta fürchtete umsonst eine Entzweiung von Vater und Sohn. Am nächsten Sonntag trieb sich der Bub so eifrig in der Nähe des Vaters herum, scheu, doch unabweisbar wie ein geschlagener Hund, daß sie sich wunderte, weshalb der Bauer, dem alle Unterwürfigkeit verhaßt war, ihn nicht fortjagte. Im Gegenteil, sie sah sogar, daß er die Hand auf des Buben Schulter legte und mit ihm zum Weideplatz hinaufging.

An diesem Abend nun, nach ihrem Erlebnis mit Simon, dem Knecht, mußten sie wieder wegen Andreas in Streit geraten, das heißt Streit ist zuviel gesagt. Sixta besaß eine weiche, volle Stimme, die nie scharf wurde. Alles kam sachlich klar aus ihrem Mund, sie verhehlte nichts. Markus wußte stets, was sie dachte, sie überrumpelte ihn nicht mit Verdrehungen und Halbgewußtem, woraus meistens der Zank bei Eheleuten entsteht. Sie besaß keine Geheimnisse vor ihm. Er eher; denn er vermied es oft, klar Willen und Meinung auszudrücken. Man sollte ihm dies vom Gesicht ablesen. Jetzt sagte er auch nicht, daß er den Plan, mit Andreas zum Professor zu fahren, wahrmache; er sagte weder ja noch nein. Er schaute dem Rauch zu und schwieg nach Sixtas Worten.

Der Knecht Simon kam noch einmal in die Stube. Zwischen der Bäuerin und dem Knecht schwebte ein Geheimnis. Darüber gingen zwei Tage hin. Sie mieden ihre Blicke und sprachen nichts miteinander. Dennoch war Sixta froh, daß Simon in der Stube saß, mit den Kindern scherzte, abends dann mit dem Bauern würfelte oder auf der Ziehharmonika oder der Zither Musik machte. Sie sangen zuweilen dazu, doch der Simon schien alle lustigen Weisen vergessen zu haben. Es kamen ihm lauter todtraurige Liebes- und Abschiedslieder in den Sinn. Sixta bat um andere, aber Markus sagte: »Laß doch, die gefallen mir.«

Drei Tage saß auch Simon da und flickte, sohlte, riesterte alle Schuhe im Haus. Was der nicht alles konnte! Er war der Abgott der Kinder.

Markus stampfte mittags durch den Schnee. Die ganze Welt schien zu Eis erstarrt. Klirrende Kälte quälte den Wald und das Wild. Beide litten unter tödlichem Durst. Die Luft war so ausgeblasen dünn, daß alle Töne, laut und größer werdend, 56 darin umherirrten wie in einer gläsernen Glocke. Markus' Flintenschüsse erschütterten Tal und Berge. Alles war hart und leer. Die Sonnenstrahlen flirrten zwischen dem stählernen Glanz des Himmels und dem harten Weiß der Erde hin und her wie Speere. Es tat den Augen weh.

Weihnachten kam. Sixta hatte Brot und Lebkuchen und Schnitzwecken gebacken. Simon hängte ein Tännchen an die Decke. Aus Bienenwachs zog Sixta zwölf Kerzen, rieb auch kleine, rote Metzgeräpfel blank und hängte sie an das Bäumchen. Die Kinder bekamen Strümpfe und Nastücher, Staucherle für die Hände und Griffel, zwei harte, schwarze und zwei Milchgriffel, mit goldenem Sternenpapier umklebt. Markus bekam Tabak und ein Halstuch. Das Gesinde die ausbedungenen Schuhe und Strümpfe, dazu Äpfel, Lebkuchen und Schnitze. Sie sangen Weihnachtslieder und tranken heißen Heidelbeerwein. Simon hatte eine kleine Krippe gebastelt aus Baumrinde und Moos. Die Figürchen der Heiligen Familie, der Hirten und der Heiligen Drei Könige hatte er mit Andres geschnitzt und angemalt. Die Freude war groß, als das Kunstwerk enthüllt wurde, das er bis zuletzt unter einem Tuch verborgen gehalten hatte. Sixta wirkte gütig und heiter wie die Mutter von allen. Sie gab sogar Markus einen leisen Kuß, weil er ihr verlegen eine Seidenschürze, in grobes Papier eingewickelt, in den Schoß gelegt hatte und nicht wußte, was er anders dazu sagen sollte als: »Liebe Frau!« Markus schenkte selten und ungern wie alle Bauern, er war so unbeholfen, wenn er es tat und geschämig.

Simon Gsell benahm sich eine Weile merkwürdig. Ihn überfiel auf einmal närrische Sehnsucht, von Sixta irgendwie warm angesprochen und beachtet zu werden. Er drückte sich in die Ofenecke und weinte in seine Kappe.

»Jetzt guck dahin, der alte Esel!« rief die derbe Magd Rosine aus, als sie das sah.

Auch die Kinder und der Knecht mußten lachen, sie glaubten vielleicht, der lustige Simon mache nur Spaß. Der Bauer indessen ging hin und zog dem Gsell leicht die Kappe vom Gesicht, wie neugierig, sah die nassen Wangen und erschrak ein wenig.

»Gell, der Krieg?« murmelte er und ließ die Soldatenkappe los. 57

Die Bäuerin aber ging hin und strich dem Traurigen ein paarmal über das wellige Haar und sagte leise: »Wenn man auch niemand auf der Herrgottswelt hat!«

Da rüttelte es den Menschen heftig: »Euch hab' ich, Euch«, brachte er nur hervor, riß sich plötzlich zusammen, stand auf, sein Gesicht zuckte noch vom Schluchzen, aber den Mund umzitterte ein Lächeln. Er hinke an den Tisch, nahm ein Glas und trank es in vollem Zuge aus.

»Nichts für ungut!« sagte er rauh, fuhr über die Zither und spielte einen Ländler. Sang ein lustiges Lied, dann ein trauriges, sang neue Lieder, derbe und wehmütige, und der Abend verflog. Als alle schon lagen, hörte ihn Sixta noch summen: »Mei Mueter mag mi nit, un koi Schatz han i nit.«

»Armer Kerl, heimatlos«, sagte auch Markus, schon halb im Schlafe.

Am nächsten Morgen hörte Sixta den Knecht Jörg zum Bauern sagen, als Simon den Schlitten im Schopf anschirrte für die Kirchfahrt: »Die Rosin hat sich seiner erbarmt«, und beide Männer lachten darnach, daß Sixta rot wurde.

Simon konnte den ganzen Tag der Bäuerin nicht gerade in die Augen schauen, und Rosine strich des öfteren nahe am Knecht vorbei, als alle am Nachmittag in der Stube saßen und bei Spiel und Sang vergnügt waren, während draußen ein wüstes Wetter niederging, Schnee und Sturmregen durcheinander.

Als es an das Zunachtschaffen ging, das an diesem Festtag stets die Arbeit von Bauer und Bäuerin war, denn das Gesinde hatte reinen Feiertag, erhob sich Simon und half im Stalle mit, obwohl sich die Bauersleute dagegen wehrten und Rosine und Jörg, auch der junge, neue Hirte Hans leise murrten, weil er sich die Ausnahme erlaubte. Um bei ihnen gut Wetter zu machen, klimperte Simon später doch das alte Necklied des Gesindes herunter und summte es schalkhaft dem Brotherrn an die Ohren:

»Wenn einer Bure diene tuat,
der het's nit guat.
Het nur ei Paar Schuhe,
und selle sind schlecht gnua. 58
Schueh un kei Sohle dra,
Bur isch kei Edelma,
schön, schön von Natur.

Wenn einer Bure diene tuat,
der het's nit guat.
Het nur ei Paar Strümpf,
und die sind schlecht gnua.
Strümpf un kei Ferse dra,
Bur isch kei Edelma,
schön, schön von Natur.

Wenn einer Bure diene tuat,
der het's nit guat.
Het nur ei Paar Hose,
und selle sind schlecht gnua.
Hose un kei Lade dra,
Bur isch kei Edelma,
schön, schön von Natur.«

Später wurde sogar Markus gesprächig; der Wein machte ihn heiter und der gute Tabak. Er erzählte vom Krieg, wie auch der Simon viele schaurige Geschichten aus dem Feldzug wußte, und die anderen lauschten und lachten, waren warm geborgen in geheizter Stube wie eine große Familie.

*

Nachts brach der große, alte Fuchs zum erstenmal im Hühnerstall ein und schaffte eine feiste Henne weg. Man konnte keine Spuren mehr verfolgen, weil der Schnee weggeschmolzen war. Sixta trauerte über den Verlust. Einige warme Tauwindtage vergingen, ohne daß der Räuber seinen Besuch wiederholte. In der ersten frostkalten Mondnacht jedoch fensterlte Meister Reineke wieder vor dem Haus des Federviehes und holte sich den Hahn der weißen Hennen weg. Nun setzte Markus den Jagdhund Tell an und nahm die Spur auf. Sie entdeckten oben im Michelswald den Bau, auch die weißen Hahnenfedern hinterm Gebüsch, aber von dem alten Gesellen keine Spur. Markus kannte ihn. Er hatte ihn schon ein paarmal das Schiltebachtälchen entlang schnüren sehen, vermutlich fing der Schlaue sich ab und zu eine Forelle. Füchse bringen alles fertig. Markus 59 spürte keine Lust, dem Räuber den Garaus zu machen, etwas vom tiefen Wesen seines Waldes hing an der roten, schlanken Schönheit des klugen Tieres, das, wenn es nicht in den Hühnerstall geriet, eher nützlich als schädlich war; denn es verschmähte Mäuse nicht, und wenn es einen Hasen erwischte oder sonst ein Tier, so waren die meist krank oder irgendwie im Lebenskampf unfähig. Daß Sixta nun dieses Pech hatte, war schade; aber man konnte den Stall besser schließen, daß Reineke das Räubern verging.

So pfiff Markus den Hund herbei, als sie den Bau besichtigt hatten, ließ den Fuchs in Ruhe, pilgerte kreuz und quer im Wald umher, prüfte die Stämme, achtete auf Wildspuren und hatte heimlich Hoffnung, eine Sau vor die Kugel zu bekommen. Um diese Zeit suhlten sie wohl im Moore. Er schlich sich dorthin, aber es zeigte sich nichts. Er fand das Gewöll eines Bussards und den Kot von Schmaltieren. Wild genug im Wald. Die Jägerlust ergriff ihn unversehens mit der alten Leidenschaft. Wenn nun der alte Fuchs aufgetaucht wäre, er hätte ihm eine auf den roten Pelz gebrannt. So kam ihm nichts vor die Flinte; aber frohen Mutes kehrte er heim und berichtete Sixta heiter, er habe den Schlupf des Räubers gefunden. Ihn selber zu überrumpeln sei bloß eine Kleinigkeit. Das Fell solle einen warmen Fußsack für Sixta geben in den Schlitten und in den Kirchenstuhl.

»Man muß nicht verschenken, was man noch nicht hat«, neckte ihn Sixta, fröhlich über seine gute Laune; dafür nahm er sie fest an sich und ließ sie seine Kraft spüren.

Am nächsten Morgen traf er den alten Fuchs und mußte ihn, an Sixtas Spötterei denkend, erlegen. Es war ein mächtiger Kerl; die Frau konnte später Staat machen mit ihrem schönen Pelz. Aber sie fuhr selten in die Kirche; denn ihr Umstand machte ihr diesmal viel zu schaffen, ihre Wangen wurden hohl und bleich und ihre Stimme müde. Oft kam ihre Schwester Prima und half im Hause, besonders beim Hanfbrechen.

Im Uhrenwendelshof gab es eine bescheidene Hochzeit nach der anderen, die Töchter gingen ab wie warme Wecken, meistens wurden sie von Uhrenmachern aus nahen Ortschaften heimgeholt, drei zogen in Furtwangen ein, davon Sekunda in das Haus der Kirners, ins Schualipeters. Sie trat bei einem Witwer drei Kinder an, setzte sich aber warm und gut ins Nest. 60 Nun wurde es langsam still um die heiteren Wendels, sie ertrugen es nicht leicht, obschon die Sorge für den großen Laib täglichen Brotes geringer wurde. Immer noch flochten die Daheimgebliebenen Stroh, die Burschen tüftelten Uhren zusammen, und die Mutter ging auf den Handel mit Hüten, einfachen Uhren und Kräutertee. Das ließ sie sich nicht nehmen, wenn auch die Füße nicht mehr so recht mitwollten; ins Tal hinabwandern mußte sie, ihre Simonswälderkundschaft besuchen im Herbst und Neuigkeiten einheimsen für den langen Winter. Sie kam bis nach Elzach und Waldkirch, nahm unterwegs von einem Hof zum andern auch Botenbriefe mit und ward, wohin sie kam, gern gesehen und wirtlich aufgenommen.

Der Wendelin selber kümmerte sich nicht mehr so viel ums Uhrenmachen, das überließ er dem ältesten Sohn Adam, einem stillen, besinnlichen Menschen, der nur Sonntags auf dem Heimweg aus der Wirtschaft seine jähe Männlichkeit durch lautes Singen bewies und hin und wieder sich randvoll betrank, dann ein gefährlicher Raufbold wurde, wenn ihn einer reizte. Aber seinem Fleiße kam keiner nach beim Uhrenmachen, und er erfand dabei viel Neues. Wendelin indessen war ganz besessen von seinen Plänen, das Weltbild in Bewegung darzustellen durch geheimes Uhrwerk, das in seiner Art das Herz der Welt sein würde, wie Gott der ewig allmächtige Erzeuger des Lebens ist, und das in seiner freilich auf den Ablauf der stählernen Feder beschränkten Zeitlichkeit die wundersame Ordnung der kreisenden Dinge zeigen würde als Beispiel und Vorbild der allumfassenden und alldurchströmten Macht des Herrn des Himmels und der Erde. Er las jeden Abend die Schöpfungsgeschichte und grübelte an den Geheimnissen herum, er fragte jedoch niemand und verriet nichts. In einer eigens für ihn ausgeräumten Kammer, die vordem voll alter Geräte, Uhrenholz, Gewichte, Schraubstöcke, Messer, unbemalter Schilder und ausgeleierter Musikwerke war, trieb er tagelang sein Unwesen und kam kaum zum Essen und Schlafen heraus. Er hatte vom Glaserjobbi, einem Glasträger und Bastler, die unzulängliche und falsche Darstellung eines Weltbildes vor Monaten gekauft und war dabei, es nach seinen Plänen umzuschaffen.

Markus durfte zuweilen in die Kammer schauen. Wendelin schien sich zwar anders besonnen zu haben, weil er nicht mehr 61 davon sprach, den Tochtermann ganz in die Geheimnisse seiner Truhe einzuweihen. Vielleicht weil ein anderer Markus aus dem Krieg heimgekehrt war, als fortgegangen. Diesem Markus schaute nicht mehr die staunende Demut aus den Augen, die den alten Wendelin mit so großer Zärtlichkeit für den Mann seiner Lieblingstochter erfüllt hatte, besonders damals nach dem Sternengespräch. Nun lauerte ihm Ungläubigkeit im Blick; dennoch sah er es gern, wenn Markus kam und durch die Stube ging, mit den Geschwistern der Sixta freundliche, wenn auch dürftige Zwiegespräche hielt und der Mutter ein wenig bei der Arbeit zusah. Für die Mutter schien er das meiste übrig zu haben, mit ihr scherzte er auch.

Markus war ein scheuer Mann geworden, das fiel auch allen Schiltebachern auf. Er wich den Bauern gern aus. Sein einziger guter Kamerad schien der Knecht Simon zu sein. Manche mußten auch hören, wie die beiden, namentlich während der Waldarbeit, Soldatenlieder sangen, recht derbe oft und laut genug, daß man es über Berg und Tal hörte. Markus brachte den Simon in den Wendelshof mit. Man nahm ihn dort wohl auf, aber Mutter Amei konnte ihn nicht leiden, vom ersten Blick ab.

»Er ist nicht ohne Falsch«, sagte sie mahnend zu Sixta.

Sixta nahm ihn in Schutz: »Man muß auch einmal vergessen können, daß so einer Knecht ist, man muß ihn, weil er es verdient, mehr achten als ein Tier, das nur gut zum Schaffen ist. Simon ist nicht wie die anderen. Er flucht nicht und dient gern, auch ohne daß man ständig hintendran steht und sagt: Mach dies, mach das. Er sieht, wo etwas zu tun ist, und packt mit an.«

So verteidigte ihn Sixta, aber ihr war nicht recht wohl dabei. Das Blicketauschen neulich hatte sie verwirrt in ihrer Meinung über ihn. Sie verglich ihn immer wieder mit Markus, und quälerisch hieß es heimlich: Wenn Markus das machte, wie Simon es tut, wenn er das sagte wie dieser, wenn er soviel nur Bauer wäre wie dieser und ebenso dem Gejaid abgeneigt. Mit gesunden Füßen würde Simon den ganzen Michelshof umgekehrt, erneuert, ausgiebiger und reicher gemacht haben, so leicht und frei, als hinge ihm das ganze riesige Gut nur am kleinen Finger. Aber das oft schmerzende Hinkebein schwächte seine Kraft. 62

Wenn Markus auf der Jagd war, blies sich Simon gern vor der Bäuerin auf mit dem, was er an Stelle des Bauern tun und lassen würde in der Haus- und Landwirtschaft. Da er die Worte vielfältig und treffend zu setzen verstand, immer so gebändigt leise und lind im Tone, als wärme sie eine mitleidige Zärtlichkeit, verfiel Sixta seinem priesterlich seelsorgerischen Zureden und fühlte sich manchmal von Markus im Stich gelassen, leidend unter seinem schroffen Wesen und der Dunkelheit seiner Launen.

Simon Gsell hängte selten den Kopf, man hätte stets meinen können, er schwimme in einem Strom von Fröhlichkeit; auch wenn er etwas Ernstes sagte, schimmerte ein Lächeln um Augen und Mund. Das war die Art, die Sixta selbst in sich trug. Sie machte gern Spaß und lachte, sobald es Gelegenheit dazu gab.

Markus ging nicht so blind, wie beide glaubten, an ihrem Spiel der Zuneigung vorüber. Er nahm Simon Gsell mit auf seine Waldgänge aus einer grimmigen Freundschaft; er gönnte natürlich der Frau ein heiteres Gesicht, auch wenn Simon daran schuld war, aber er konnte es nicht ertragen, daß sie bei der wunderlichen Ähnlichkeit von Bauer und Knecht Vergleiche machte und er vermutlich als der Nüchterne und Ernste den Kürzeren zog, nicht weil sie untreu wurde, daran dachte er gar nicht, sondern weil sie seine Fehler um so gröber sah und ihm ihre gleichmäßig lichte Güte vorenthielt. Auch Neugier bewog Markus, den Simon nahe bei sich zu haben; wie verhielt der sich, warum blieb er so heiter, trotz seines elenden Knechtdaseins, das nichts war als Mühsal, Arbeit für geringen Lohn? Sie sprachen darüber. Da sagte Simon: »Wer wenig hat, braucht wenig, was den Lohn betrifft. Und was die Arbeit angeht, so ist sie da, um das Leben ohne Arbeit begehrenswert zu machen und es mit Wünschen zu erfüllen. Wünsche aber sind das höchste Glück, mit ihnen reitet man durch die Träume. Träumen ist eine Lust, und in ihr geht die Mühsal unter wie ein schwerer Stein im hellen, tiefen See. Ich habe diese Philosophie mir ausgedacht und bin daher immer lustig. Ich habe vielleicht auch ein Vogelherz, schnell vergißt es die Angst, wenn eine böse Hand es gefangen und wieder freigelassen hat, und schnell freut es sich wieder im Liede des Lebens.« 63 Markus spürte, daß Simon zu große Gebärde in seine Antwort legte und unwahrhaftig sprach.

Ob Simon an Gott glaube, der die Geschicke lenke?

Ja, er glaube. Wie man nur fragen könne! Ein Mensch, der solches frage, müsse ein Abtrünniger sein, ein Antichrist. Man nehme diese Frage überhaupt nicht in den Mund. Simon hieb mit einer Haselgerte Terzen in die Luft. Markus lachte herb und kurz auf, erhob sich und trat ab.

Simon dachte, der Bauer ist ein Heimtücker. Er hat ein dunkles Herz und ein unbäuerliches Wesen. Er, Simon, wollte anders ausschreiten über solch ein Gut, wollte den Kopf in den Nacken rücken statt gegen den Boden, wollte werken und stark sein, laut reden und lachen, rüstig schaffen und üppig feiern. Der Michelshofer lebte so dahin, immer in Gedanken bei fremden Dingen, immer finster, still und trotzdem unruhig. Ging herum wie das böse Gewissen. Er wollte anders um Sixta sein und um die schönen Kinder. Er wollte im Kirchspiel was gelten, im Gemeinderat, überall. Auf Ehr' und Seligkeit, ein Kerl wie ein Fürst würde er sein, so stolz und so reich. Simon geriet in große Träume. Er schlug dabei immer mit der Haselgerte fauchend durch die Luft. Ob man an Gott glaube? Ha – so etwas nur zu fragen!

Sixta, die Bäuerin, kam, bat ihn, überall rührig nach dem Rechten zu sehen. Er sah ihr forschend ins Gesicht, das verzerrt schien. Markus trat herzu, fragte barsch: »Was gibt's denn?« Eine gefährliche Glut stieg ihm in Schläfen und Stirn. Was tuschelten die beiden? Was standen sie so nahe beisammen?

Simon wandte sich lächelnd ab und hinkte vom Hofe. Sixta legte Markus schwer die Hand auf die Achsel: »Ich hab' ihm gesagt, er soll nach dem Rechten sehen. Du mußt dich um anderes kümmern. Ich komme jetzt ins Bett.«

Da wurde Markus blaß und führte sie wortlos in die Stube.

 


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