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Dreizehntes Kapitel.

In te omnis domus inclinata recumbit,

Virgil.

Lord Lilburne, vor einem Speisenbrett im Besuchzimmer sitzend, beendigte seine einsame Mahlzeit, und Dykeman stand dicht hinter ihm, angegriffen und aufgeregt. Eine vieljährige Vertraulichkeit zwischen dem Herrn und dem Diener – die eigenthümliche Gemüthsart Lord Lilburne's, welche jede Freundschaft mit Seinesgleichen ausschloß, – hatten zwischen den Beiden jene Art von engem Verhältniß begründet, wie es sich so häufig fand bei dem Edelmann und dem Kammerdiener des alten französischen régime; und in der That glich Lilburne in Vielem mehr den Männern jener Zeit und jenes Landes, als dem edleren und stattlicheren Wesen, das unsrem Lande eignet. Aber bis ans Ende der Zeiten wird, was lasterhaft, feingebildet und geistreich zugleich ist, eine gemeinsame Aehnlichkeit haben.

»Aber, mein Lord,« sagte Dykeman, »bedenkt doch nur! dies Mädchen ist im Ort so gut bekannt; gewiß wird sie vermißt werden; und wenn irgend Gewalt gegen sie angewendet wird, so ist es ein Kapitalverbrechen, mein Lord – ein Kapitalverbrechen! Ich weiß, man kann einen vornehmen Lord wie Ihr seyd nicht hängen; aber alle dabei Betheiligten können –«

Lord Lilburne unterbrach den Redenden mit den Worten »Gebt mir Wein und haltet das Maul!« Dann, nachdem er sein Glas geleert hatte, rückte er näher an das Feuer, wärmte sich die Hände, sann einen Augenblick nach, und wandte sich gegen seinen Vertrauten:

»Dykeman,« sagte er, »obgleich Ihr ein Esel und eine Memme seyd, und nicht verdient, daß ich so herablassend gegen Euch bin, will ich doch Eure Besorgnisse auf einmal heben. Ich kenne das Gesetz besser als Ihr, denn ich habe mein ganzes Leben hindurch immer eben nach meiner Lust und Neigung gehandelt, ohne mich je der Macht des Gesetzes zu überliefern, welches der Lust und Neigung anderer Leute oft störend Eintrag thut. Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, Gewaltthätigkeit wäre ein Kapitalverbrechen. Nun ist aber der Unterschied zwischen Laster und Verbrechen dieser: Laster ist, wogegen die Pfaffen Predigten schreiben, – Verbrechen das, wogegen wir Gesetze machen. Ich habe in meinem ganzen Leben kein Verbrechen begangen, – im Alter zwischen funfzig und sechszig will ich nicht den Anfang machen. Laster sind etwas Sicheres; ich habe vielleicht meine Laster so gut wie Andere; aber Verbrechen sind gefährliche Dinge – gesetzwidrige – Dinge, vor denen man sich sorgfältig hüten muß! Seht Ihr,« (und hier brach der Redende seinen verblüfften Zuhörer mit dem Auge fixirend, in ein Grinsen erhabenen Hohnes aus,) »laßt mich annehmen, Ihr wäret die Welt, – die Welt dieser kriechende Kammerdiener der Kammerdiener! – so würde ich so zu Euch sprechen: ›Meine liebe Welt, Ihr und ich verstehen einander recht gut wir sind für einander gemacht – Ihr kommt mir und ich Euch nie in den Weg. Wenn ich jeden Tag in meinem Zimmer mich betrinke, so ist das Laster – da könnt Ihr mir Nichts anhaben; wenn ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Glas zu viel trinke und den Nachtwächter zu Boden schlage, so ist das ein Verbrechen, das mich, wenn ich reich bin, ein Pfund – vielleicht auch fünf Pfund kostet, – wenn ich arm bin, mich auf die Tretmühle bringt. Wenn ich funfhundert alten Vätern das Herz breche, indem ich mit Gold oder Schmeicheleien die Umarmungen von fünfhundert jungen Töchtern erkaufe, so ist das Laster – gehorsamster Diener, gnädige Welt! Wenn ein ungestümes Weibsbild mir das Gesicht zerkratzt, einen Lärm erhebt, und mit eherner Stirne nach Old-Bailey geht, um selbst ihre Schande zu beschwören – ha, so ist das Verbrechen, und meine Freundin, die Welt, zieht einen hänfenen Strick aus der Tasche.‹ Versteht Ihr mich jetzt? Ja, ich wiederhole es,« fuhr er mit veränderter Stimme fort, – »ich bin auch nicht einmal verklagt worden – habe nie einen Prozeß wegen unerlaubten Umgangs, wegen Verführung zu bestehen gehabt. Ich verstehe mich besser darauf, solche Sachen einzurichten. Ich war genöthigt, dies Mädchen zu entführen, weil ich kein anderes Mittel hatte, mich um sie zu bewerben. Mich um ihre Gunst zu bewerben, ist Alles, was ich jetzt im Sinn habe. Ich weiß ganz wohl, daß eine Klage wegen Gewaltthat, wie Ihr es nennt, noch angenehmer wäre gerade wegen der Geistesschwäche, woran das Mädchen leiden soll – ein Gerücht, wovon ich kein Wort glaube. Ganz gewiß werde ich auch den entferntesten Schein vermeiden, der so gedeutet werden könnte. Aus diesem Grunde soll Niemand im Hause das Mädchen bedienen, als Ihr und Eure Nichte. Auf Eure Nichte, das weiß ich, kann ich mich verlassen; ich bin gütig gegen sie gewesen; ich habe ihr einen guten Mann verschafft, ich werde ihrem Mann einen guten Platz verschaffen – ich werde ihrem ersten Kind Pathe seyn. Allerdings werden die andern Dienstboten erfahren, daß ein Frauenzimmer im Hause ist; aber daran sind sie gewöhnt; ich gebe mich nicht für einen Joseph aus. Sie dürfen nicht Mehr erfahren, wenn nicht etwa Ihr es ausplappern wollt. Nun denn, gesetzt, daß nach Verfluß einiger Tage, mehr oder weniger, ein junges Frauenzimmer, ohne alles heftige oder unartige Benehmen meinerseits, nachdem sie einige Juwelen, und schöne Kleider, und ein hübsches Haus gesehen, und es ihr recht gut ergangen, und sie die Gewißheit erlangt hat, daß für ihren Großvater gesorgt werden werde, ohne daß sie sich zu Tod arbeitet, von freien Stücken sich entschließt, mit mir zu leben: wo ist da ein Verbrechen, und Wer kann sich da einmischen?«

»Gewiß, mein Lord, das ändert die Sache,« sagte Dykeman, bedeutend erleichtert. »Aber dennoch,« fuhr er ängstlich fort, »wenn eine Nachforschung angestellt wird – wenn man, ehe dies Alles ins Reine gebracht, herausbringt, wo sie ist?«

»Ha! dann ist ihr kein Leid geschehen – keine Gewalt ist ausgeübt worden! Ihr Großvater – kindisch und geizig, sagt Ihr, – wird sich mit Etwas Geld beschwichtigen lassen– und es wird Niemand angehen, und es kann keine Klage angestellt werden. Still, Mann! Ich sehe immer vorher zu, ehe ich springe! Die Leute in dieser Welt sind nicht so menschenfreundlich wie Ihr glaubt. Was ist natürlicher, als daß ein armes und hübsches Mädchen – nicht so klug wie die Königin Elisabeth! – sich verlocken ließe, einem reichen Liebhaber einen Besuch zu machen? Alles was man von dem Liebhaber sagen kann, ist: er sey ein sehr lebenslustiger, oder ein sehr schlimmer Mann, und das heißt Nichts Neues von mir sagen. Aber ich glaube nicht, daß man dahinter kommen wird. – Halt mir doch diesen Schemel; – es ist das ein sehr lästiges Stück Arbeit gewesen – hat mich ziemlich ermüdet – und ich bin nicht so jung, als ich war. Ja, Dykeman, Etwas, das dieser Franzose Vaudemont oder Vautrien Zu deutsch »Nichtswürdiger«. – Anm.d.Hrsg., oder wie er heißt, einmal zu mir sagte, hat einen gewissen Grad von Wahrheit. Ich fühlte es bei meinem letzten Podagraanfall, als meine hübsche Nichte mir meine Kissen zurecht machte. Eine Pflegerin, wenn man älter wird, kann Einem von Nutzen seyn. Ich wünschte, daß dies Mädchen Gefallen an mir fände, oder dankbar gegen mich würde. Ich denke an eine längere und ernstere Neigung als gewöhnlich – an eine Lebensgesellschafterin!«

»Eine Lebensgesellschafterin, mein Lord, dies arme Geschöpf – so unwissend! so ungebildet!«

»Um so besser. Diese Welt wird mir schaal,« sagte Lilburne, in beinahe düsterm Tone. »Ich werde überdrüssig der erbärmlichen Charlatanerien, – der jämmerlichen Einbildungen, welche bei Männern, Weibern und Kindern ›Wissen‹ heißen. Ich wünsche, ehe ich sterbe, einen Blick in reine Natur zu thun. Dies Geschöpf interessirt mich, und das ist schon Etwas in diesem Leben. Räumt diese Sachen weg und verlaßt mich.«

»Ja,« murmelte Lord Lilburne, indem er sich nunmehr allein über das Feuer hinbeugte, »als ich zuerst hörte, daß dies Mädchen die Enkelin von Simon Gawtrey sey, und somit die Tochter des Mannes, dem ich es zu danken habe, daß ich ein Krüppel bin – da war mir, als ob meine Liebe zu ihr ein Theil des Hasses wäre, den ich ihm schuldig bin – ein Segment im Kreise meiner Rache. Aber jetzt, armes Kind, vergesse ich das Alles. Ich fühle für sie nicht Leidenschaft, sondern, was ich nie zuvor empfunden – Zärtlichkeit! Ich fühle, daß, wenn ich ein solches Kind hätte, ich verstehen könnte, was die Menschen meinen, wenn sie von der Zärtlichkeit eines Vaters schwatzen. Ich habe nicht Einen unreinen Gedanken gegenüber diesem Mädchen – nicht Einen. Aber ich wollte Tausende geben, wenn sie mich lieben könnte! Seltsam! – seltsam! – in all diesem erkenne ich mich selbst nicht wieder!«

Lord Lilburne begab sich in dieser Nacht zeitig zur Ruhe; er schlief gesund; stand erfrischt und früher auf als gewöhnlich, und was er als einen Anfall von Taumel und Schwindel in der vorigen Nacht ansah, war vorüber. Er sah mit Verlangen einer Zusammenkunft mit Fanny entgegen. Stolz auf seinen Verstand, sich gefallend in allen jenen unheilvollen Anwendungen, welche davon zu machen ihm die Grundsätze und Gewohnheiten seines Lebens so lange gestattet, faßte er den Sieg über seine schöne Gegnerin mit dem Interesse an einem wissenschaftlichen Spiel, so zu sagen, ins Auge. Harriet ging in Fannys Zimmer, um sie auf den Besuch des Herrn vom Hause vorzubereiten; und Lord Lilburne beschloß jetzt, seinen eigenen Besuch minder unwillkommen dadurch zu machen, daß er zu einem besondern Geschenk einige ins Auge fallende, wenn auch nicht werthvolle Schmucksachen bestimmte, die für solche Zwecke nie fehlten in den Behältnissen der Villa, welche er für seine Vergnügungen eigens gekauft.

Er erinnerte sich, daß diese Zierrathen in dem Schreibtisch des Arbeitszimmers lagen, worin er, weil derselbe ein Schloß von ausländischer, sehr künstlicher Arbeit hatte, gewöhnlich Alles-verwahrte, was während seiner häufigen und langen Abwesenheit, wo das Haus nur von zwei Dienerinnen behütet war, die Habsucht reizen konnte. Als er erfuhr, daß Fanny ihr Zimmer noch nicht verlassen, hinkte er, während Harriet hinaufging sie zu bedienen und ihr zu predigen, in das Arbeitszimmer unten, schloß den Schreibtisch auf, und suchte in den Schiebladen, als er oben die Stimme Fannys vernahm, etwas laut, wie Vorstellungen machend oder flehend; und er hielt inne um zu horchen.

Er konnte jedoch die Worte nicht vernehmen, und mittlerweile waren, ohne daß er recht darauf achtete, was er that, seine Hände immer noch geschäftig, die Schiebladen auf und zu zu machen, in den Fächern herumzutasten, und nach einer Topasbroche zu suchen, die, wie er glaubte, unfehlbar dem einfältigen Auge Fannys gefallen müßte. Eines der Fächer war tiefer als die übrigen, er dachte, die Broche könnte hier seyn; er streckte die Hand hinein; und da das Zimmer halb dunkel war, weil man die untern Läden von Außen geschlossen hatte, um jeden Fluchtversuch seiner Gefangenen zu vereiteln, konnte er sich nur mit seinem Tastsinn helfen; da er die Broche nicht fand, tastete er immer weiter hinein, bis er an das Ende des Faches gelangte und plötzlich einen stechenden Schmerz empfand; das Fleisch schien gepackt zu werden, wie von einer Falle, er zog den Finger mit einem plötzlichen Ruck und einem halbunterdrückten Schrei zurück, und bemerkte, daß der Grund oder der Boden des Faches zurückwich, oder sich wegschob.

Seine Neugier ward rege; er tastete wieder, behutsam und schlau hin und entdeckte eine sehr geringe Unebenheit und Erhabenheit am Ende des Faches. Er erkannte sogleich, daß hier eine verborgene Feder seyn müsse; er drückte mit einiger Kraft auf die Stelle, und fühlte die Diele nachgeben; er zog sie heraus an sich, und sie glitt plötzlich mit einem schwirrenden Getöse weg, und zeigte seinem Auge eine Vertiefung darunter. Er schielte hinein und zog ein Papier heraus; er öffnete es zuerst gleichgültig, denn sein Ohr horchte immer noch auf Fannys Worte. Sein Auge flog rasch über einige einleitende Zeilen, bis es auf Folgendem haften blieb:

 

» Trauung. Jahr 18**.

Nro. 83. Bl. 21.

Philipp Beaufort, von diesem Kirchspiel A*** und Catharine Morton, vom Kirchspiel St. Botolph, Aldgate, London, wurden getraut in dieser Kirche, nach geschehenem Aufgebot, heute den 12. November im Jahr Eintausend achthundert und **, von mir.

Caleb Price, Pfarrer.

Diese Heirath ist feierlich geschlossen worden von uns

Philipp Beaufort.
Catharine Morton,

in Gegenwart von

David Apreece.
William Smith.

Obenstehendes ist eine treue Abschrift aus dem Register der Trauungen im Kirchspiel A***, gefertigt den 19. März 18** von mir

Morgan Jones, Pfarrer in C***.«

 

Lord Lilburne warf noch einmal einen Blick auf die diesem überraschenden Dokument vorgesetzten Zeilen, die wir, da es eben die auf Calebs Verlangen von Mr. Jones an Philipp Beaufort geschriebenen sind, hier nicht zu wiederholen brauchen. In diesem Augenblick stieg Harriet die Treppen herunter und kam in das Zimmer; sie schlich auf den Zehen zu Lilburne und flüsterte:

»Sie kommt herunter, glaube ich; sie weiß nicht, daß Ihr hier seyd.«

»Ganz gut – geht nur!« sagte Lord Lilburne, und kaum hatte Harriet das Zimmer verlassen, als ein Wagen in rasender Eile vor dem Thor anfuhr und Robert Beaufort ins Zimmer stürzte.



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