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Viertes Kapitel.

Le bien, nous le faison; le mal, c'est la Fortune;
On a toujours raison, le destin toujours tort.«

La Fontaine.

Am frühen Morgen des Tages, an dem die Ereignisse unseres letzten Kapitels vorfielen, wurden zwei Männer abgesetzt von einer Seitenkutsche in der Herberge eines Fleckens etwa zehn Meilen von der Stadt, wo Mr. Roger Morton wohnte. Obgleich der Flecken klein war, war doch die Herberge groß, denn sie lag dicht bei einem ungeheuern Wegweiser, der nach drei großen Straßen hinwies; die eine führte nach der eben erwähnten Stadt, die zweite in das Herz eines Manufakturdistrikts, und eine dritte nach einem bevölkerten Hafenplatz. Das Wetter war schön, und die zwei Reisenden bestellten, daß man ihnen das Frühstück, so wie die Becken und Tücher zum Waschen in eine Gartenlaube bringe.

Der Aeltere von den Reisenden hatte unverkennbar ein ausländisches Aussehen; man konnte ihn sogleich für einen Deutschen ansprechen. Er trug – was damals in England sehr ungewöhnlich war – eine weite, braune, linnene Blouse, zugeknüpft bis an das Kinn, mit einem ledernen Gürtel, worin ein deutscher Meerschaumkopf und ein Tabacksbeutel stacken. Er hatte sehr lange, flachsgelbe, falsche oder eigene Haare, welche halb über seinen Rücken hinabfloßen, großen hellen Schnurrbart, und hatte eine rauhe, sonngebräunte Gesichtsfarbe, welche die hellen Haare um so auffallender hob. Er trug eine ungeheure grüne Brille, und beklagte sich sehr, in gebrochenem Englisch, über die Schwäche seiner Augen. Alles an ihm, bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus, verrieth den Deutschen; nicht nur der große, muskulöse Körper, die breiten Füße und die gewaltigen, obschon wohlgeformten Hände, sondern auch die offenbar von einem Juden auf einem großen Markt gekaufte Broche, die prahlerisch und überflüssig an seine Halsbinde gesteckt war; der artige, komisch aussehende Ranzen, den er sich weigerte dem Stiefelputzer anzuvertrauen; und der große, massive, schmutzige Ring, den er am Zeigefinger trug.

Der Andere war ein schlanker, auffallend aufrechter und sehniger Jüngling, in einem blauen Frack, über den ein großer Mantel geworfen war, einer Reisemütze mit einem Schild, der den ganzen obern Theil seines Gesichtes verbarg, bis auf ein dunkles, lebhaftes Auge von ungemeinem Feuer, und einem Shawltuch, das ebenso gute Dienste that, den untern Theil des Gesichts zu verbergen.

Beim Aussteigen aus dem Wagen machte der Deutsche mit einiger Mühe dem Hausknecht begreiflich, daß er binnen einer Viertelstunde eine Postchaise zu haben wünsche; und dann begaben er und sein Freund sich, ohne in das Haus zu treten, in die Gartenlaube. Während das Dienstmädchen den Tisch mit Brod, Butter, Thee, Eiern und einem ungeheuern Stück Roastbeef besetzte, war der Deutsche geschäftig seine Hände zu waschen, und sprach in seiner Muttersprache zu dem jungen Mann, der keine Antwort gab. Aber sobald das Mädchen mit ihrem Geschäfte zu Ende war, wandte sich der Ausländer um, und als er sah, daß ihre Augen mit großer weiblicher Bewunderung auf seine Broche geheftet waren, machte er einen Schritt ans sie zu.

»Der Teufel, mein gutes Mädchen – ei, Ihr seyd ein sehr hübsches – wie heißt es doch –« und er gab ihr, wie er so sprach, einen so herzhaften Schmatz, daß das Mädchen über seine Artigkeit mehr verdutzt als geschmeichelt war.

»Bleibt für Euch, Sir,« sagte sie sehr schnippisch; denn Kellnerinnen lassen sich nie gern von einem Mann mittleren Alters küssen, wenn ein jüngerer dabei ist: worauf der Deutsche mit einem Kniff antwortete – es ist unwesentlich zu bemerken, wo er diese zarte Liebkosung applicirte. Aber diese neue Beleidigung war so unaussühnbar, daß das Mädchen mit einem Gesicht wie Scharlach davon lief, und mit dem Ruf: »Sir, Ihr seyd kein Gentleman – nein, das sein Ihr nicht!« Der Deutsche streckte seinen Kopf aus der Laube und verfolgte sie mit seinem lauten Gelächter; dann, sich wieder zurückziehend, sagte er mit ganz anderem Accent und in sehr gutem Englisch: »So, Mr. Philipp, jetzt sind wir des Mädchens für den übrigen Morgen los, und das hab ich gerade gewollt – der Weiber Witz ist verdammt scharf. Nun, hab' ich's Euch nicht gesagt, wir haben alle die Bluthunde getäuscht.«

»Und also hier müssen wir uns trennen, Gawtrey,« sagte Philipp traurig.

»Ich wollte Ihr besännet Euch besser, mein Junge,« versetzte Mr. Gawtrey, indem er ein Ei zerbrach; »wie könnt Ihr Euch selbst forthelfen, ohne Verwandte und Sippen, ja selbst ohne wichtige Maschine zum Rathgeben, Freund genannt, ja, ohne einen Freund,wenn ich fort bin. Ich sehe voraus, wie es enden muß. – Zum Henker, gesalzne Butter, beim Jupiter!«

»Wäre ich allein in der Welt, vielleicht, wie ich Euch schon zu wiederholten Malen gesagt, vielleicht heftete ich mein Schicksal an das Eurige. Aber mein Bruder!«

»Da liegt's! immer falsch, wenn wir nach unsern Gefühlen handeln! Mein ganzes Leben, das ich Euch schon einmal erzählen will, beweist das. Euer Bruder – bah! Geht es dem nicht ganz gut bei seinem Oheim und seiner Tante? – Genug zu essen und zu trinken, gewiß! Kommt, Freund, Ihr müßt so hungrig seyn wie ein Sperber – ein Stück vom Rindbraten. Laßt Andre laufen und sorgt für Euch selbst. Was könnt Ihr Eurem Bruder Gutes thun?«

»Ich weiß nicht, aber ich muß ihn aufsuchen; ich hab' es geschworen.«

»Wohl, so geht und seht ihn, und dann kommt wieder zu mir herüber. Ich will einen Tag auf Euch warten – jetzt hier!«

»Aber sagt mir erst,« sagte Philipp sehr ernst und heftete seine dunkeln Augen auf seinen Begleiter; »sagt mir – ja, ich muß offen sprechen, sagt mir, da Ihr mein Schicksal an das Eurige heften und ketten möchtet – sagt mir: Was und Wer Ihr seyd?«

Gawtrey schaute auf.

»Was denkt Ihr denn von mir?« sagte er trocken.

»Ich scheue mich, Etwas zu denken, womit ich Euch zu nahe treten könnte; aber der sonderbare Ort, an, welchen Ihr mich an dem Abend führtet, wo Ihr mich vor der Verfolgung gerettet, die Personen, die ich dort traf –«

»Wohl gekleidet und sehr artig gegen Euch?«

»Wahr; aber mit einer gewissen wilden Leichtfertigkeit in ihrem Gespräch, die – – Aber ich habe kein Recht, Andere nach dem äußern Schein zu beurtheilen. Auch ist es nicht das, was mich ängstlich, oder wenn Ihr wollt, argwöhnisch gemacht hat.«

»Was denn?«

»Euer Anzug – Eure Vermummung!«

»Und Ihr seyd doch selbst vermummt! ha! ha! – da seh' Einer die Menschenliebe der Welt! Ihr entflieht einer Gefahr, einer Verfolgung, verkleidet – Ihr, der Ihr Euch schuldlos glaubt – Ich thue dasselbe, und Ihr haltet mich für schuldhaft – für einen Räuber, vielleicht– wohl gar für einen Mörder! Ich will Euch sagen, was ich bin: ich bin ein Sohn Fortunas, ein Abenteurer, ich lebe von meinem Witze – wie die Poeten und Advokaten und alle Charlatans der Welt; ich bin ein Charlatan, ein Chamäleon. ›Jeder spielt viele Rollen zu seiner Zeit.‹ Ich spiele jede Rolle, bei der mir der große Bühnendirektor – Herr Mammon – meinen Unterhalt verspricht. Seyd Ihr zufrieden?«

»Vielleicht,« versetzte der Knabe traurig,« wenn ich Mehr von der Welt kenne, verstehe ich Euch besser. Sonderbar – sonderbar, daß Ihr gerade unter allen Menschen in meiner Noth und Bedrängniß gütig und freundlich gegen mich gewesen!«

»Gar nicht sonderbar. Fragt den Bettler, von Wem er die meisten Penny's bekommt – von der vornehmen Lady in ihrem Wagen – von dem Stutzer, der nach Eau de cologne duftet? Pah! die Leute, die selbst am nächsten daran sind, Bettler zu werden, fristen dem Bettler das Leben. Ihr waret freundlos, und der Mann, dem alle Welt feind ist, schützt Euch. Das ist der Lauf der Welt, Sir – der Lauf der Welt. Kommt, eßt, so lang Ihr könnt; über ein Jahr von heute habt Ihr vielleicht kein Roastbeef zu Eurem Brod!«

So kauend und philosophirend zu gleicher beendigte Mr. Gawtrey endlich ein Frühstück, das die ganze Corporation Londons würde in Erstaunen gesetzt haben; und dann eine große alte Uhr, mit emaillirter Rückseite herausziehend – ohne Zweifel deutscher als ihr Besitzer – sagte er, indem er seinen Ranzen aufnahm:

»Ich muß aufbrechen – tempus fugit, und ich muß zu rechter Zeit ankommen, die Schiffe noch zu treffen. Werde nach Ostende oder Rotterdam segeln, sicher und bequem; von da nach Paris. Wie meine hübsche Fanny wird groß geworden seyn! Ha, Ihr kennt Fanny nicht – gibt Euch über kurz oder lang ein hübsches kleines Weibchen! Lustig, Mann, wir sehen uns wieder. Seyd dessen gewiß! und hört Ihr, der sonderbare Ort, wie Ihr es nanntet, wohin ich Euch führte – könnt Ihr ihn wieder finden?«

»Nein, ich nicht.«

»Nun, so ist hier die Adresse. Wenn Ihr meiner benöthigt seyd, geht dorthin, fragt nach Mr. Gregg – ein alter Kerl mit Einem Aug', wenn Ihr Euch erinnert, schüttelt ihm die Hand genau so – Ihr merkt Euch den Kunstgriff – probirt es noch einmal. Nein, den Zeigefinger so – das ist recht. Sagt: ›Blater‹, Nichts weiter – ›Blater‹; – halt, ich will es Euch aufschreiben; und dann fragt nach William Gawtrey's Adresse: Er wird sie Euch sogleich ohne weitere Fragen geben, wenn er diese Zeichen verstanden hat; und wenn Ihr zu Eurer Reise Geld braucht, wird er Euch das auch geben, und guten Rath in den Kauf. Immer mir herzlich willkommen, und so habt denn Acht auf Euch und lebt wohl! Ich sehe, mein Wagen ist vor der Thüre.«

Unter diesen Worten schüttelte Gawtrey dem jungen Mann mit herzlicher Lebhaftigkeit die Hand, schritt hinaus zu seinem Wagen und murmelte:

»Wohl ausgelegtes Geld ist ein Gewinn! ich bekomme ihn, und bei Gott, ich hab' ihn gern – den armen Teufel!«



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