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Achtes Kapitel.

                    Wie der Wind
Seufzt, dringt ein namenloser Wohlgeruch
Von den Orangenbäumen her.
           *             *             *
Steh auf Olympia. Sie schläft gesund!
Ho! endlich regt sie sich.

Barry Cornwall.

Am nächsten Tage sah Sarah Fanny den kleinen Schatz zählen, den sie so lange und so mühselig für das Grabmal ihres Wohlthäters zusammengespart hatte. Sie brauchte das Geld nicht mehr für diesen Zweck; Fanny hatte einen andern aufgefunden; sie sagte Sarah und Simon nichts davon. Aber es schwebte ein eigenthümliches, selbstgefälliges Lächeln um ihren Mund, als sie mit ihrer Arbeit sich beschäftigte, welches die Alte betroffen machte.

Spät Mittags ertönte des Postboten ungewohntes Pochen an der Thüre. Ein Brief! – Ein Brief für Miß Fanny! Ein Brief – der erste, den sie in ihrem Leben erhalten, und er war von ihm! und er fing an: »Liebe Fanny!« Vaudemont hatte sie hundertmal »liebe Fanny« genannt, und der Ausdruck war etwas ganz Gewöhnliches geworden. Aber das »Liebe Fanny!« erschien ihr geschrieben ganz anders! Der Brief konnte nicht leicht kürzer, und, Alles erwogen, kälter seyn. Aber das Mädchen fand keinen Fehler darin. Er fing an mit: »Liebe Fanny!« und schloß mit: »Aufrichtig der Eurige!« »Aufrichtig der Eurige – Aufrichtig der Meinige – und wie freundlich, nur überhaupt zu schreiben!«

Nun traf es sich, daß Vaudemont, der nie die Kunst des Schreibens zu jenem hastigen Sudeln entwickelt hatte, in welches Leute, die genöthigt sind, immerfort und schnell zu schreiben, verfallen, eine auffallend gute Handschrift schrieb – frei, klarsymmetrisch – eine beinahe zu gute Hand für einen Mann, der nicht durch Schönschreiben Geld verdienen mußte, und nachdem Fanny die Worte auswendig gelernt, schlich sie leise zu einem Wandschrank und nahm einige Proben ihrer eignen Handschrift – Haushaltungs- und Arbeitsrechnungen, und Auszüge, die sie sich, dem Gedächtniß zur Nachhülfe, aus dem ihr von Vaudemont gegebenen Band Gedichte gemacht hatte, heraus. Sie legte ernsthaft seinen Brief neben diese Proben hin und erröthete über den Contrast, und doch war ihre Handschrift, obgleich zitternd und ungleich, keineswegs gemein oder schlecht. Aber die Nacheiferung war jetzt lebhaft in ihr geweckt.

Vaudemont, durch ihm wichtigere Gedanken in Anspruch genommen, und wirklich eine Gefahr vergessend, welche so gänzlich vorübergegangen zu seyn schien, warnte in seinem Briefe Fanny nicht davor, allein auszugehen. Sie bemerkte dies; und da sie sich gänzlich erholt von der Angst und Unruhe über den auf ihre Freiheit gemachten Angriff, glaubte sie sich jetzt ihres Versprechens entbunden, vor einer verschwundnen und eingebildeten Gefahr auf der Hut zu seyn.

So eilte sie nach Tisch allein fort und begab sich zu der Schullehrerin, wo sie den Elementarunterricht erhalten. Sie hatte seitdem immer die Bekanntschaft mit dieser Frau fortgesetzt, die gutherzig und von ihrer Lage gerührt, oft ihrem Fleiß Etwas zu verdienen gab, und keineswegs blind war gegen die Entwicklung, welche seit einiger Zeit in der Seele ihrer frühern Schülerin vor sich ging. Fanny hatte eine lange Besprechung mit dieser Frau und brachte einen Pack Bücher mit nach Haus. Man konnte in dieser und vielen folgenden Nächten das Licht bis spät hinter ihrem kleinen Fenster brennen sehen, und da sie ihre alte Freiheit in ihrem Thun und Treiben wieder erlangt hatte, was Simon der arme Mann nicht bemerkte, und Sarah geschehen ließ, weil sie dachte, es sey doch Alles besser, als zu Hause zu hocken, ging Fanny regelmäßig zwei Stunden, oder manchmal auch länger, jeden Abend aus, nachdem der alte Simon sich zu dem Schläfchen zurecht gesetzt, welches die Zeit zwischen Mittagessen und Thee ausfüllte.

In sehr kurzer Zeit – einer Zeit, die bei gewöhnlichen Antrieben wunderbar kurz erschienen wäre – war Fannys Handschrift gar nicht mehr dieselbe; ihre Art zu sprechen wurde anders; sie nannte sich nicht mehr Fanny, wenn sie von sich sprach; die Musik ihrer Stimme war ruhiger und gehaltener; ihr holder Ausdruck in den Zügen war ernster; die Augen schienen eine tiefere Färbung bekommen zu haben; man hörte sie nicht mehr im Gehen vor sich hin summen. Die Bücher, mit denen sie sich Nachts beschäftigte, gingen in ihren Geist über; die Poesie, welche immer unbewußt ihre jungen Jahre umschwebt und umspielt hatte, fing jetzt an in ihr selbst Poesie zu erwecken. Ja, es konnte sogar scheinen, als ob die unruhige Unordnung ihres Geistes, welche Dummköpfe Blödsinn genannt, die wilden Anstrengungen nicht des Wahnsinns, sondern des Genius gewesen wäre, Pfad und Ausweg zu finden aus der kalten und schauerlichen Einsamkeit, wozu die frühern Umstände ihres Lebens ihn verurtheilt hatten.

Tage – Wochen verstrichen – und sie sprach nie von Vaudemont, und einmal, als Sarah, erstaunt und verblüfft über den mit ihrer jungen Gebieterin vorgegangenen Wechsel, fragte:

»Wann kommt der Gentleman zurück?«

Antwortete Fanny mit geheimnißvollem Lächeln: »Noch nicht, hoffe ich, noch nicht so bald!«



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