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Siebentes Kapitel.

Org. Willkommen Eis, das ihm ums Herz sich thürmt!
Dich macht nie Hitze thauen!

Ford. Das gebrochne Herz.

Nearch. Ehrenhafte Ehrlosigkeit.

Ebendaselbst.

Amyk. Ihr sanftes Herz verdiente keine Härte,
Also verstört zu werden vom Geschick.
Arm.  Ihr gebt ihm eine falsche Deutung, Herr;
Laßt mich mit Gunst ansprechen, was Apollo
In trübem Sinn dämmernd umwölkt.

Ebendaselbst.

Wenn Vaudemont in Betracht von Simons Alter und Armuth es für seine Pflicht gehalten hatte, zu sehen, ob der zwar nicht in höherem Grade gesetzliche, wohl aber natürliche Beschützer Fannys wirklich der unverbesserliche und hartgesottene Egoist sey, als welchen Gawtrey ihn geschildert, so genügte die Unterhaltung Einer Nacht, ihn für immer den Gedanken aufgeben zu machen, ihre Ansprüche an Lord Lilburne vorzubringen.

Aber Philipp hatte noch einen andern Grund seine Bekanntschaft mit diesem Manne fortzusetzen. Der Anblick von seiner Mutter Grab hatte in ihm das Bild jenes verlorenen Bruders wieder hervorgerufen, über welchen zu wachen er gelobt hatte, und trotz des tiefen Gefühls schnöde mißhandelter Liebe, mit dem er noch des grausamen Briefes gedachte, der ihm die letzten Zeitungen »Tidings«: Nachrichten. – Anm.d.Hrsg. von Sidney gebracht, hing doch Philipps Herz mit unauslöschlicher Zärtlichkeit an jener lieben Gestalt, welche mit all den glücklichen Erinnerungen aus der Kinderzeit verknüpft war; und sein Gewissen ebenso wie seine Liebe fragten ihn, so oft er an dem Kirchhof vorbeiging: »Willst du keinen Versuch machen, der letzten Bitte der Mutter nachzukommen, die ihren Liebling Deiner Obhut empfahl?« Vielleicht wenn Philipp in Dürftigkeit, oder der Name, den er trug, durch sein Thun befleckt gewesen wäre, wäre er davor zurückgebebt, den Bruder aufzusuchen, dem er nur schaden, aber nicht dienen konnte. Aber obwohl nicht reich, besaß er doch mehr als genug für eine so einfache und harte Lebensweise, wie kaum je ein Glückssoldat zu führen sich freiwillig begnügte, und er sagte sich mit einem Gefühl gerechten und edlen Stolzes, daß er den von Eugenien ihm aufgedrungenen Namen so fleckenlos wie das Hermelin bewahrt habe in all den Prüfungen und Schicksalswechseln, die er durchgemacht, seit er ihn angenommen. Sidney konnte ihm Nichts geben, und daher war es seine Pflicht Sidney aufzusuchen.

Nun hatte er immer in seinem Herzen geglaubt, die Beauforts seyen mit einem Geheimniß bekannt, welches zu ergründen sein Herz schmachtete. Er wollte, um Sidneys willen, seinen Haß gegen die Beauforts unterdrücken; er wollte die Bekanntschaft mit ihnen nicht zurückweisen, wenn sie sich ihm aufdrängte; ja, durch seinen Namenwechsel und die Veränderung seiner Gesichtszüge gegen jeden Verdacht von ihrer Seite gesichert, wollte er diese Bekanntschaft suchen, um seinen Bruder zu finden und Catharinens letzten Geboten zu genügen. Sein Verkehr mit Lilburne mußte ihn nothwendig auch leicht mit Lilburnes Familie in Berührung bringen, und in dieser Voraussicht wies er die ihm dringend zugesandten Einladungen nicht zurück.

Auch empfand er ein düsteres und hinreißendes Interesse daran, einen Mann zu studieren, welcher für sich die wahre Inkarnation der Welt war – der Welt des Truges und der List – der Welt, wie der Prediger sie schildert, – der hohlen sinnlichen, scharfblickenden und in Selbstsucht verhärteten Welt – der Welt, die Alles ist für dieses Leben, und an keine Zukunft und an keinen Gott denkt!

Lord Lilburne war in der That ein Studium für tiefere Beobachtung; ein Studium, das den gewöhnlichen Denker irre machen, und die Analyse eines tiefern Nachdenkens aufs Aeußerste beschäftigen und üben konnte. William Gawtrey hatte nicht gemeine Talente besessen; er hatte entdeckt, daß sein Leben Eine große Verirrung gewesen; – Lord Lilburnes Verstand war weit schärfer als Gawtreys, und er hätte nie, und wäre er so alt geworden wie der alte Parr Thomas Parr (angeblich 1483-1635), genannt Old Parr oder Old Tom Parr; ein Engländer, der angeblich 152 Jahre und neun Monate alt wurde. – Anm.d.Hrsg. selbst, er hätte nie eine solche Entdeckung gemacht. Er kämpfte nie an gegen ein Gesetz, obgleich er durch alle Gesetze sich durchwand! Und er kannte keine Reue, denn er kannte keine Furcht!

Lord Lilburne hatte frühe eine Dame von Vermögen, die Tochter des damaligen Premierministers, die beste Parthie seiner Zeit, geheirathet, die er lange überlebte, und während einer sehr kurzen Zeit seines Lebens hatte er sich auf das Gebiet der Politik verlocken lassen – der einzige Ehrgeiz, den er mit Männern von gleichem Rang theilte. Er zeigte Talente, die einen von den Umständen so Begünstigten hätten hoch emporheben können, und kehrte dann auf einmal zu seinen alten Lebensgewohnheiten und seinem System des Genusses zurück.

»Ich wollte eine Probe machen,« sagte er einmal, »ob der Ruf nur Ein Kopfweh werth ist, und ich habe mich überzeugt, daß derjenige, der den Knochen, den er im Munde hat, dem Schatten des Knochens im Wasser opfern kann, ein Narr ist.«

Von dieser Zeit an besuchte er das Haus der Lords nicht mehr, und erklärte, daß er es weder mit dieser noch mit jener politischen Ansicht halte. Dennoch hatte die Welt im Allgemeinen eine hohe Meinung von seinen Talenten, und mit Widerstreben stimmte Vaudemont der Meinung der Welt bei, und doch hatte er nichts gethan – hatte nur Wenig gelesen, lachte der Welt ins Gesicht – und das war am Ende das hauptsächliche Geheimniß seines Ansehens und Einflusses bei denen, die er in seine Kreise zog. Diese Verachtung der Welt legte ihm die Welt zu Füßen.

Seine sardonische, glatte, weltmännische Gleichgültigkeit, sein offen gestandenes moralisches Glaubensbekenntniß, daß er kein andres Leben als das seinige einiger Sorgfalt und Rücksicht werth halte, seine Entfernung von aller Heuchelei, Vorurtheil und Maske, die kalte Glätte, mit welcher er den Fesseln des Conventionellen sich entwand, so oft es ihm beliebte, ohne doch das Dekorum zu verletzen, dessen Organ das Ohr ist, und das nicht durch die That, sondern durch den Lärm empört wird – das Alles hatte das Mark und Wesen eines Systemes an sich, welches bei der Menge triumphirte; denn kleine Geister geben dem Mann eine Wichtigkeit, dem Nichts als wichtig gilt.

Lord Lilburnes Autorität nicht nur in Sachen des Geschmacks, sondern auch was die Welt Urtheil und gesunden Sinn nennt, galt als ein Orakel. Er kümmerte sich nicht einen Strohhalm um die Armseligkeiten und Spielereien, die gewöhnlich seinen Stand reizen; er hatte eine Beförderung in der Peerschaft und den Hosenbandorden ausgeschlagen, und dies ward oft zu seiner Ehre angeführt. Aber man erprobt die Tugend eines Menschen erst, wenn man ihm Etwas anbietet, wornach ihn gelüstet. Die Grafenwürde und der Hosenbandorden waren für Lord Lilburne so wenig versuchende Lockungen, als eine Puppe oder ein Sprungsail; hätte man ihm ein unfehlbares Heilmittel für das Podagra, oder ein Antidoton gegen das Alter gegeben, man hätte ihn, wie einen Lakaien, zu jeder Bedingung erkaufen können.

Lord Lilburnes nächster Erbe war der Sohn seines einzigen Bruders; ein Mensch, der gänzlich von seinem Oheim abhing. Lord Lilburne gab ihm jährlich 1000 Pfund und hielt ihn immer außer Lands in einer diplomatischen Stellung. Er sah seinen Nachfolger als einen Mann an, dem es nur an der Macht, nicht an der Lust fehlte, ihn meuchlerisch zu morden.

Obgleich Lord Lilburne kostbar lebte und sich Nichts abgehen ließ, war er durchaus kein Verschwender; man konnte ihn in der That für sparsam halten; denn er wußte, wie viel Genuß und Ansehen er seinem Geld verdankte, und schätzte es demgemäß; er kannte die besten Spekulationen und die besten Arten es anzulegen. Wenn er sich bei einem amerikanischen Kanal betheiligte, konnte man sicher seyn, daß die Aktien bald den doppelten Werth haben würden; wenn er eine Besitzung an sich brachte, so war es gewiß ein vortheilhafter Handel. Sein Takt und Glück in Geldsachen erhöhten natürlich den Ruf seiner Klugheit.

Er war im frühern Leben ein glücklicher Spieler gewesen, und es waren verdächtige Gerüchte hinsichtlich der Redlichkeit seines Spielens im Umlauf gewesen; aber, wie man in neuesten Zeiten gesehen hat in dem Fall eines Mannes von gleichem Rang wie Lilburne, obwohl vielleicht von minder scharfem, wenn auch gebildeterem Geiste, es dauert lang, bis die Taube sich gegen einen Falken von ächter Zucht und Schule wendet. Die Gerüchte waren in der That so unbestimmt, daß sie kein Gewicht hatten. In der Mitte seiner Laufbahn, in der besten Blüthe seiner Gesundheit und seines Glücks, hatte er dem Spieltisch entsagt. In spätern Jahren, als sein vorgerücktes Alter ihn schwerfälliger machte, hatte er jene Unterhaltung wieder aufgenommen, ganz mit seinem früheren Glück.

Der Geldmarkt, die Tafelfreuden, das andere Geschlecht waren die andern Beschäftigungen und Zerstreuungen, womit Lord Lilburne seine rosenfarbene Muße ausfüllte.

Ein andrer Grund, warum dieser Mann den Ruf großer Talente sich gewonnen, war der: er maßte sich nie an, von einem Zweig des Wissens etwas zu verstehen, von dem er Nichts wußte, so wenig als eine Tugend, die ihm fehlte. Die Ehrlichkeit selbst konnte nicht freier seyn von Quarksalberei und Täuschung, als dies eingefleischte, wandelnde Laster. Wenn auch die Welt ihn zu achten beliebte; er erkaufte ihre Meinung nicht durch Betrug. Kein Mensch sah je Lord Lilburnes Namen in einer öffentlichen Unterzeichnung für eine neue Kirche, oder eine Bibelgesellschaft, oder eine nothleidende Familie – Niemand hörte je, daß er eine großmüthige, wohlthätige, menschenfreundliche Handlung ausgeübt, – Niemand ward je überrascht durch einen philanthropischen, frommen oder verbindlichen Ausspruch aus diesem höhnischen Munde. Trotz all diesem stand Lord Lilburne nicht nur in Achtung, sondern auch in Gunst bei der Welt, und ward auf den Stuhl ihrer Rhadamantusse gehoben.

Mit einem Wort, er erschien Vaudemont, und so war es auch, als ein glänzendes Beispiel von der Macht der äußern Umstände – als eine Probe davon, welchen Ruf und Einfluß ein reicher Mann von hoher Geburt sich verschaffen kann, dem sein Wille ein Königreich ist. Ein wenig Genie – und Lord Lilburne hätte seinen Lastern und Mängeln eine auffallende, in die Augen springende Oeffentlichkeit gegeben; ein wenig Herz – und seine Lebensgewohnheiten hätten ihn in zahllose Thorheiten und mißliche, unehrenhafte Verlegenheiten gestürzt. Das Blei und der Stein, die er, wie jener, dürre Dichter bei einem Sturm, mit sich führte, waren es, die ihn immer im Gleichgewicht erhielten, von welcher Seite her auch immer der Wind wehen mochte.

Aber alle seine positiven und negativen Eigenschaften würden ihm Nichts genützt haben ohne die Stellung, die ihn in Stand setzte, sich's in dem Gasthofe der Welt ganz bequem zu machen – welche jeder Entdeckung des Mangels an innerem Adel an ihm die tadellose Respektabilität eines hohen Namens, ein glänzendes Haus und ein Pachtregister ohne Fehl entgegenstellte. Vaudemont zog Parallelen zwischen Lilburne und Gawtrey, und er begriff endlich, warum der Eine ein gemeiner Schurke, der Andere ein vornehmer Mann war.

Obgleich erst wenige Tage seit ihrer ersten Bekanntschaft verflossen waren, war doch Vaudemont schon zweimal bei Lord Lilburne gewesen, und sie standen schon auf einem ganz bequemen Fuß, als eines Nachmittags der Erstere, wie er durch die Straßen H*** zuritt, dem Peer begegnete auf einem kräftigen Pferd, das durch seine Kraft und Symmetrie, rein englische Zucht und ausnehmend feine Schule an jenen Geschmack für die Uebungen der Jagd und des Feldes erinnerte, wodurch Lord Lilburne in jüngeren Jahren sich ausgezeichnet hatte.

»Ei, Monsieur de Vaudemont, was führt Euch in diese Gegend der Stadt? Neugierde und Forschungslust?«

»Das möchte bei mir natürlich genug seyn; aber Ihr, der Ihr London so gut kennt, was führt Euch hieher?«

»Ha, ich komme zurück von einem langen Ritte. Ich spürte Symptome von einem Anfall des Podagras, und versuchte es mir durch Leibesübung vom Leib zu halten. Ich war in einem Landhause, das mir gehört, einige Meilen von der Stadt entfernt – beiläufig bemerkt, ein ganz hübscher Sitz – Ihr müßt nächsten Monat kommen und mich dort besuchen. Ich werde das Haus füllen für eine battue. Ich habe einige erträgliche Wildplätze – Ihr seyd ein guter Schütze denk' ich?«

»Ich habe mehrere Jahre keine Uebung gehabt, als mit der Büchse.«

»Das ist Schade; denn da ich eine Woche Schießen fürs Jahr genug hatte, dürfte zu meinem Bedauern Euer Besuch bei mir in Fernside nicht lang genug seyn, um Eure Hand einzuüben.«

»Fernside?«

»Ja! Ist Euch der Name bekannt?«

»Ich meine ihn gehört zu haben. Hat Euer Lordschaft es gekauft oder geerbt?«

»Ich habe es gekauft von meinem Schwager. Es gehörte seinem Bruder – einem lustigen, wilden Gesellen, der den Hals brach, als er über ein hohes Thor setzte; – durch dies Thor spazierte mein Freund Robert desselben Tages in eine sehr schöne Besitzung!«,

»Ich habe davon gehört. Der verstorbne Mr. Beaufort hinterließ also keine Kinder?«

»O ja, zwei. Aber sie kamen auf die Welt in jener primitiven Weise, wie Mr. Owen Robert Owen (1771-1858), britischer Unternehmer und Frühsozialist; gilt als der Begründer des Genossenschaftswesens. – Er forderte Kooperation als neue Form des Zusammenlebens und wollte sie in »Dörfern der Zusammenarbeit« verwirklichen. Jedes Dorf sollte aus ungefähr 1200 Personen bestehen, die auf 1000 bis 1500 Morgen leben; alle würden in einer großen Struktur in Form eines Quadrats mit öffentlicher Küche und Essräumen leben – daher der Spitzname »Owens Parallelogramme«. Jede Familie sollte bis zum Alter von drei Jahren die Kinder in der eigenen Wohnung selbst betreuen, bevor sie von der Gemeinde durch qualifizierte Kräfte aufgezogen würden. – Anm.d.Hrsg. wünscht, daß wir Alle kämen – zu natürlich für den dermaligen Gesellschaftszustand, und Mr. Owens Parallelogramm war für sie nicht bereit. Beiläufig bemerkt – der eine Sohn verschwand in Paris, – vermuthlich ist er Euch nie aufgestoßen?«

»Unter welchem Namen?«

»Morton.«

»Morton! – hm! Welchem Taufnamen?«

»Philipp.«

»Philipp! – nein. Aber that Mr. Beaufort Nichts für die jungen Leute? Ich meine einmal gehört zu haben, daß er sich des Einen erbarmte?«

»Habt Ihr? Ha! mein Schwager ist einer der trefflichen Männer, von welchen die Welt immer gut spricht. Nein; er hätte sehr gerne eines oder beider Knaben sich angenommen, aber die Mutter schlug alle Anerbietungen aus und fing, glaub' ich, einen Prozeß an. Der ältere der Bastarde wurde ein schlimmer Kamerade, und der jüngere – ich weiß nicht genau, wo er ist, aber ohne Zweifel bei einem Verwandten seiner Mutter. Ihr scheint Euch für natürliche Kinder zu interessiren, mein lieber Vaudemont?«

»Vielleicht habt Ihr gehört, daß die Leute den Verdacht hatten, ich sey ein natürlicher Sohn?«

»Ha! Jetzt versteh' ich.Aber Ihr geht dort hinaus? Ich hatte gehofft, Ihr würdet mit mir umkehren, und –«

»Ihr, seyd sehr gütig; aber ich habe eine bestimmte Verabredung und komme schon zu spät. Guten Morgen, Lord Lilburne.«

 

Sidney bei seiner Mutter Verwandten! Vielleicht zurückgekehrt zu den Mortons? Wie, war er nie zuvor auf eine so naheliegende Vermuthung verfallen? Er wollte sogleich hin! – noch in dieser Nacht wollte er nach dem Haus eilen, aus dem er seinen Bruder entführt hatte. Wenigstens und im schlimmsten Falle, würde er dort auf eine Spur geleitet werden.

Lebhaft erfüllt von dieser Hoffnung und diesem Entschluß ritt er eilig nach H***, um Simon und Fanny anzukündigen, daß er vielleicht erst in zwei bis drei Tagen zu ihnen zurückkehren werde. Als er in die Vorstadt einritt, hielt er sein Pferd an bei dem Bildhauer, bei dem er seiner Mutter Grabstein gekauft hatte. Der Mann des traurigen Gewerbes war in seinem Hof an der Arbeit.

»He, da!« sagte Vaudemont, über das niedere Geländer schauend, »ist der Grabstein, den ich bestellt, bald fertig?«

»Ha, Sir, da Ihr so Eile habt, und es lange Zeit erfordern würde, einen neuen zu fertigen, dachte ich Euch diesen anzubieten, der ganz fertig ist bis auf die Inschrift. Er war für Miß Deborah Primme bestimmt; aber ihr Neffe und Erbe besuchte mich gestern, mir zu sagen, da die arme Dame um 5000 Pf. ärmer gestorben sey, als er erwartet, werde ein hübsches hölzernes Grabmal dieselben Dienste thun, wenn ich ihm dies anbringen könnte. Es ist eine Pracht, Sir. Es wird sich so heiter ausnehmen –«

»Gut, das wird recht seyn; und Ihr könnt es jetzt da aufstellen, wo ich Euch gesagt.«

»Innerhalb drei Tagen, Sir.«

»So sey es.«

Und er ritt weiter und murmelte: »Fanny! dein frommer Wunsch wird erfüllt. Aber Blumen – werden die zu diesem Stein passen!«

Er gab sein Pferd ab und schritt durch die Straßen nach Simons Hause.

Als er sich dem Hause näherte, sah er Fannys glänzende Augen am Fenster. Sie wartete auf seine Rückkehr. Sie eilte, ihm die Thüre zu öffnen, und der Pilger der Welt fühlte, welche Musik in den Schritten, welcher Sommer im Lächeln derer liegt; die Einen Willkommen heißen.

»Meine liebe Fanny,« sagte er, gerührt von ihrer freudigen Begrüßung, »das Herz wird mir warm, wenn ich Euch sehe. Ich habe Euch ein Geschenk von der Stadt mitgebracht. Ich erinnere mich aus meinen Knabenjahren, daß meine arme Mutter gern einige einfache Lieder sang, die, ich weiß selbst nicht wie, mir einfallen, wenn ich Euch sehe und höre. Ich denke mir, Ihr würdet sie wenigstens ebenso sehr verstehen und lieben wie ich – denn weiß der Himmel, (sagte er vor sich hin,) mein Ohr ist im Ganzen stumpf genug gegen das Reimgeklingel.«

Und er gab ihr ein kleines Bändchen jener ausgesuchten Lieder in die Hand, worin Burns die Natur in Musik gesetzt hat.

»Oh! Ihr seyd so gütig, Bruder!«, sagte Fanny mit Thränen in den Augen, und küßte das Buch.

Nach einem einfachen Mahl eröffnete Vaudemont Fanny und Simon sein Vorhaben, für einige Tage zu verreisen. Simon hörte es an mit der stummen Apathie, welche mit seltenen Ausnahmen die beständige Stimmung seines Lebens war. Aber Fanny wandte ihr Angesicht ab und weinte.

»Es ist nur auf einen oder zwei Tage, Fanny.«

»Eine Stunde ist manchmal sehr – sehr lang,« sagte das Mädchen, den Kopf schüttelnd und traurig.

»Kommt, ich habe noch ein wenig Zeit übrig, und die Luft ist mild; Ihr seyd heute noch nicht draußen gewesen – wollen wir einen Gang –«

»Hm!« unterbrach ihn Simon, sich räuspernd und anscheinend zu plötzlicher Belebung sich aufraffend; »wär' es nicht gut, wenn Ihr Kost und Wohnung berichtigtet, ehe Ihr geht?«

»Oh! Großvater!« schrie Fanny aufspringend, mit einem starken Erröthen auf der Wange.

»Nein, Kind,« sagte Vaudemont lachend, »Euer Großvater kommt nur meinem Gedanken zuvor. Aber sprecht nicht von Kost und Wohnung; Fanny ist mir eine Schwester, und unsre Börse ist gemeinschaftlich.«

»Ich möchte gern eine Guinee befühlen – nur befühlen,« murmelte Simon in einer Art von entschuldigendem Ton, der in der That pathetisch war, und als Vaudemont einige Geldstücke auf den Tisch warf, raffte der Alte sie auf, vor sich hin kichernd und schwatzend; und mit großer Lebhaftigkeit aufstehend, tappte er eilends aus dem Zimmer, wie ein Rabe, der einen schlauen Diebstahl in seinen Versteck schleppt.

Das war für Vaudemont so belustigend, daß er ohne Weiteres in ein unbezwingliches Gelächter ausbrach. Fanny sah ihn einige Augenblicke gedemüthigt und erstaunt an; dann schlich sie zu ihm, legte ihm die Hand sanft auf den Arm und sagte:

»Lacht nicht – es thut mir weh. Es war nicht hübsch von Großpapa: aber – aber, es bedeutet Nichts. Es – es – Lacht nicht! Fanny wird so betrübt zu Muthe!«

»Ja, Ihr habt Recht. Kommt, setzt Euren Hut auf, wir wollen ausgehen.«

Fanny gehorchte, aber mit minder bereitwilliger Freude als gewöhnlich. Sie machten ihren Spaziergang durch Wege, über welchen in der kühlen Luft noch die Blätter des gelben Herbstes hingen.

Fanny brach zuerst das Schweigen.

»Wißt Ihr, sagte sie schüchtern, »daß die Leute hier mich für sehr einfältig halten? seyd auch Ihr dieser Meinung?«

Vaudemont war betroffen über die Unbefangenheit dieser Frage und besann sich. Fanny schaute ihm ängstlich und forschend in sein dunkles Angesicht.

»Nun,« sagte sie, »Ihr antwortet nicht.«

»Meine liebe Fanny, es gibt Dinge, in welchen ich Euch minder kindisch, und vielleicht minder bezaubernd wünschen möchte. Die seltsamen Bruchstücke von Liedern zum Beispiel – –«

»Was! Habt Ihr es nicht gern, wenn ich singe? Es ist meine Art zu sprechen.«

»Ja, singt immer, Holde! Aber singt Etwas, das wir verstehen können – singt die Lieder, die ich Euch gegeben habe, wenn Ihr wollt. Und jetzt, darf ich fragen, warum Ihr diese Frage an mich gethan?«

»Ich hab' es vergessen,« sagte Fanny, abwesend vor sich hinstarrend.

Und in diesem Augenblick, als Philipp Vaudemont sich über die ausnehmende Anmuth dieses jugendlichen Gesichts hinbeugte, durchzuckte ein plötzlicher Schauer sein Herz, und auch er wurde schweigsam und versank in Sinnen. War es möglich, daß in sein Herz ein wärmeres, heftigeres Gefühl für dies Geschöpf sich einschlich, als das des zärtlichen Mitleids? Er war betroffen, als dieser Gedanke ihm durch die Seele fuhr; er bebte davor zurück als einer Entweihung – einem Verbrechen – einem Wahnsinn. Er mit seinem so unsichern, durchkreuzten Schicksal – er sich knüpfen an ein so hülfloses Geschöpf! – er die Poesie, welche selbst der geistigen Stimmung dieses reinen Wesens anhaftete, entwürdigen mit Gefühlen, wie sie jedes hübsche Gesicht jedem rohen Herzen einflößen kann – er Fanny lieben! Nein, es war unmöglich! Denn was konnte er an ihr lieben als Schönheit, welche der Geist in seinen Schutz zu nehmen vergessen hatte? Und sie – konnte sie auch nur wissen, was Liebe sey?

Er verachtete sich selbst, daß er nur einen solchen Gedanken in sich aufkommen ließ; und mit der seinem Geist eigenen eisernen und harten Kraft beschloß er, streng auf der Hut zu seyn gegen jede Phantasie, welche die feenhafte Grenze überschreiten wollte, die Fanny von der Welt der Weiber schied.

Er ward aus diesem stummen Zwiegespräch mit sich selbst aufgeweckt durch einen plötzlichen Ausruf seiner Begleiterin:

»Oh! jetzt fällt es mir ein, warum ich die Frage an Euch that. Es ist Etwas, das mich immer irre macht – ich möchte gern, daß Ihr es mir erklärtet. Warum hängt denn Alles im Leben vom Geld ab? Ihr seht, wie selbst mein armer Großvater vergaß, wie gut Ihr gegen uns Beide seyd, als – als – Ach! ich verstehe es nicht – es thut mir weh – es macht mich irre!«

»Fanny, schaut dorthin – nein, links – Ihr seht das alte Weib in Lumpen, das sich mühsam hinschleppt; jetzt wendet Euch rechts – Ihr seht das schöne Haus, das durch die Bäume glänzt, mit dem Wagen mit vier Pferden vor der Thüre! Der Unterschied zwischen dem alten Weibe und der Besitzerin dieses Hauses ist – Geld; und Wer wollte Euren Großvater schelten, daß er das Geld liebt?«

Fanny verstand ihn; und während der kluge Mann so moralisirte, eilte das Mädchen, das er selbst in seinem Mitleiden so hochmüthig verachtete, zu dem alten Weibe hin, um nach ihren schwachen Kräften ihr Möglichstes zu thun, um jene Ungleichheiten zu mildern, die durch Klugheit und Moralisiren nicht um ein Sandkorn vermindert werden! Vaudemont fühlte dies, als er sie zu der Bettlerin hineilen sah; aber als sie zu ihm zurück hüpfte, hatte sie seine Abneigung gegen ihre Lieder vergessen, und summte in der Freude ihres durch eine gute That erheiterten Herzens eine ihrer improvisirten Melodien.

Vaudemont wandte sich ab. Die arme Fanny hatte unbewußt seinen Sieg über sich selbst entschieden; sie ahnte nicht, was in ihm vorging, aber sie besann sich plötzlich, was er ihr über ihre Lieder gesagt hatte und glaubte ihn mißvergnügt.

»Ach, ich will es nie wieder thun. Bruder, wendet Euch nicht weg!«

»Aber wir müssen nach Hause. Horcht die Glocke schlägt sieben – ich habe keine Zeit zu verlieren, und Ihr versprecht mir, nie auszugehen, bis ich zurück bin?«

»Ich werde kein Herz zum Ausgehen haben,« sagte Fanny traurig; und dann fuhr sie in fröhlicherem Tone fort: »Und ich werde die Lieder singen, die Euch gefallen, bis Ihr wieder zurück kommt!«



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