Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eilftes Kapitel.

                                 Leis' bewegt
Vom sanften Rauschen seidener Gewänder.

Decker.

Der Leser erinnert sich vielleicht, daß, während Monsieur Favart und Mr. Birnie in dem Gäßchen Zwiesprache hielten, man von einem Haus in der anstoßenden Straße die Töne eines Festes vernahm. Zu diesem Hause wendet sich jetzt unsere Erzählung.

In Paris sind, glaube ich, die Vergnügungen der Bälle oder soirées sehr selten in der Zeit des Jahres, wo sie in London am häufigsten sind. Das heute gegebene Fest war einer Taufe zu Ehren; die Dame, die, es gab, eine Verwandte des Neugebornen.

Madame de Merville war eine junge Wittwe; noch vor ihrer Vermählung hatte sie sich in der Literatur ausgezeichnet; sie hatte Gedichte von ungewöhnlicher Trefflichkeit geschrieben; und da sie schön, von guter Familie und sehr reich war, machten ihre Talente sie zum Gegenstand eines lebhafteren Interesses, als ohne jenes der Fall gewesen seyn dürfte. –

Ihre Poesie zeugte von viel Gefühl und Gemüth. Wenn die Poesie ein Spiegel des Herzens ist, so durfte man wohl annehmen, daß sie ein Wesen sey zu tiefer und ächter Liebe bestimmt. Demungeachtet, da sie, wie die Mädchen in Frankreich gar häufig, nicht aus eigner Neigung, sondern ihren Eltern zu gefallen heirathete, machte sie eine marriage de convenance.

Monsieur de Merville war ein nüchterner verständiger Mann, über das mittlere Alter hinaus. Da er kein Freund von der Poesie war und durchaus nicht wünschte, eine eigentliche erklärte Schriftstellerin zur Frau zu haben, hatte er während ihrer Ehe, welche vier Jahre dauerte, seiner Gattin liaison mit Apollo nicht begünstigt. Aber ihr Gemüth, lebhaft und feurig, verzehrte sich dafür in innerer Thätigkeit und Ungeduld. Mit vierundzwanzig Jahren wurde sie Wittwe, mit einem Einkommen, dass Selbst in England für eine einzelne Frau groß heißen konnte, und das in Paris für ein ansehnliches Vermögen galt.

Madame de Merville jedoch war, obgleich eine Dame von feinem Geschmack, weder prachtliebend noch selbstsüchtig; sie hatte keine Kinder, und sie lebte still in einer Wohnung, die zwar schön, aber doch nur eben genügend war für die Einrichtung, die ihre Dienerschaft erheischte, da sie, wie auf dem Continent gewöhnlich, nicht den kostbaren Aufwand machte, ein ganzes Haus für sich zu haben. Sie widmete wenigstens die Hälfte ihres Einkommens, das gänzlich zu ihrer freien Verfügung stand, theils der Unterstützung ihrer Verwandten, die nicht reich waren, theils der Aufmunterung der Literatur, die sie kultivirte.

Obgleich sie zurückbebte vor der Feuerprobe der Oeffentlichkeit, las sie doch ihre Gedichte und Entwürfe von Romanen ihren Freunden vor, und sie besaß eine Beredsamkeit, die selten mit so großer Bescheidenheit gepaart ist. So war ihr Ruf, obwohl nicht von den Winden herumgetragen, doch groß in ihrem Kreise, und vermöge ihrer Stellung, dem Vermögen und vornehmen Tone nach, ward sie von ihren Verwandten als das Haupt der Familie betrachtet; sie sahen sie an als femme supérieure und ihr Rath galt bei ihnen gleich einem Befehl.

Eugenie de Merville war eine wunderbare Mischung von zugleich männlichen und weiblichen Eigenschaften. Einerseits hatte sie einen starken Willen, unabhängige Ansichten, einige Verachtung der Welt, und folgte ihren eignen Neigungen ohne sklavische Rücksicht auf die Meinungen Anderer, aber auf der andern Seite war sie empfindlich, reizbar, romantisch, von weicher, liebevoller, wohlwollender Gemüthsart. Ihr Besuch bei Mr. Love war, obwohl unklug, nicht minder ihrem Charakter gemäß als ihre Mildthätigkeit gegen die Frau des Arbeiters; männlich und gleichgültig, wo etwas Excentrisches zu thun, eine Neugierde zu befriedigen oder ein Zweck weiblicher Diplomatie zu erreichen war; – weiblich, zartfühlend und sanft, sobald ihr Wohlwollen in Anspruch genommen, ihr Herz gerührt war.

Sie war jetzt seit drei Jahren Wittwe, mithin siebenundzwanzig Jahre alt. Trotz der Zärtlichkeit ihrer Poesie und ihrer Gemüthsart war ihr Ruf fleckenlos. Sie war nie verliebt gewesen. Leute, die viel beschäftigt sind, verlieben sich nicht so leicht; zudem war Madame de Merville auspruchslos, wählerisch, und wünschte Helden zu finden, wo sie nur hübsche Dandys oder häßliche Autoren fand. Ueberdies war Eugenie auch eitel und stolz – eitel auf ihre Celebrität und stolz auf ihre Geburt. Sie war eine Frau, deren Herzensgüte sie immer trieb, das Glück Anderer zu befördern. Sie war nicht nur großmüthig und mildthätig, sondern geneigt, den Menschen ebenso mit Gefälligkeiten wie mit Geld zu dienen.

Jedermann liebte sie; das neugeborne Kind, dessen Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen durch das Fest dieses Abends gefeiert wurde, war das Pfand einer Verbindung, welche Madame de Merville zu Stande gebracht hatte zwischen zwei jungen Leuten, die unter sich und mit ihr verwandt waren. Bedenklichkeiten von Seiten der Eltern waren zu überwinden – Geldsachen ins Reine zu bringen gewesen – Eugenie hatte Alles glatt und eben gemacht. Gatte und Gattin, noch Liebende, sahen zu ihr als der irdischen Schöpferin ihres Glückes empor.

Die Festlichkeit dieser Nacht war daher ungewöhnlich vergnügter Art, und die Freude klang nicht hohl, sondern erscholl aus dem Herzen, und doch, wenn Eugenie von Zeit zu Zeit das junge Paar betrachtete, dessen Augen immer einander suchten, – so schön, so zärtlich, so fröhlich sie erschienen – umwölkte ein melancholischer Schatten ihre Stirne und sie seufzte unwillkührlich.

Einmal sagte die junge Frau Madame d'Anville, sich ihr schüchtern nähernd:

»Ach, meine holde Cousine, wann werden wir Euch so glücklich sehen, wie wir es sind? Es ist ein solches Glück,« fuhr sie unschuldig und mit Erröthen fort, »Mutter zu seyn. Das kleine Leben, das Einem ganz gehört! es ist Etwas, an das man allstündlich denkt!«

»Vielleicht,« sagte Eugenie lächelnd, und bemüht dies Gespräch abzulenken von einem Gegenstand, der zu nahe Gefühle und Gedanken berührte, welche ihr Stolz nicht kund werden zu lassen wünschte, – »vielleicht seyd also Ihr es, die unsern Cousin, den armen Monsieur de Vaudemont, so entschlossen gemacht, sich zu vermählen? Bitte, seyd vorsichtiger mit ihm! Wie schwer ist es mir geworden zu verhindern, daß er nicht in unsere Familie eine Person brachte, die uns Alle lächerlich gemacht hätte!«

»Wahr!« sagte Madame d'Anville lachend. »Aber der Chevalier ist ja so arm und verschuldet. Er verliebte sich nicht in die Demoiselle, sondern in das Heirathgut. A propos hievon, wie geschickt habt Ihr seine prahlerische Erklärung benützt, um seine liaisons mit jenem Bureau de mariage abzubrechen!«

»Ja; ich gratulire mir selbst zu diesem Manöver. So unangenehm es war, in ein solches Haus zu gehen (denn natürlich konnte ich Monsieur Love nicht hieher kommen lassen,) so wäre es doch noch weit unangenehmer gewesen, eine solche Madame de Vaudemont zu empfangen, wie unser Cousin uns Eine vorzustellen beabsichtigte. Bedenkt nur! er war der Nebenbuhler eines épicier! Ich habe gehört, die Farce dieses Etablissements habe ein seltsames denoûment gehabt; aber ich konnte von Monsieur de Vaudemont nie die näheren Umstände herausbekommen. Er schämt sich der Sache, glaube ich.«

»Was für komische Professionen es doch in Paris gibt!« sagte Madame d'Anville; »als ob die Leute nicht heirathen könnten, ohne sich auf einem Bureau nach einem Gemahl umzusehen, wie man Dienstboten sucht! Und also hat das Etablissement aufgehört? Und Ihr habt den schwarzen, wildaussehenden Jungen nicht mehr gesehen, der Euch so auffiel und beschäftigte, daß Ihr ihn als Original benütztet für die murilloartige Skizze des Jünglings in der Erzählung, die Ihr uns Abends einmal vor Kurzem vorlaset? Ach, Cousine, ich glaube, Ihr hattet Euch ein wenig in ihn vergafft; das Bureau de mariage hatte für Euch so gut seine Verlockung, wie für unsern armen Cousin!«

Die junge Mutter sagte dies lachend und gleichgültig.

»Pah!« antwortete Madame de Merville, ebenfalls lachend; aber eine leichte Röthe flog über ihre natürliche Blässe. »Aber à propos von dem Vicomte. Ihr wißt, wie grausam er sich benommen gegen seinen armen Jungen von seiner englischen Gattin – daß er ihn seit der Kindheit nicht mehr gesehen – daß er ihn in England in eine Schule gethan hat; und das Alles, weil seine Eitelkeit der Welt nicht wissen lassen will, daß er einen neunzehnjährigen Sohn hat. Nun, ich habe ihn bewogen, diesen armen Jungen zurückzurufen!«

»Wirklich! und wie das?«

»Je nun,« sagte Eugenie, »er war eines Anlehens benöthigt, der arme Mann, und ich konnte ihm somit Bedingungen auferlegen, als Zinse. Aber ich wußte ihn auch mit dem Vorschlag auszusöhnen, indem ich ihm vorstellte, daß, wenn der junge Mann ein hübsches Aeußere habe, er, vermöge unserer Verbindungen u. s. w, eine vortheilhafte Heirath machen könnte; und daß er in diesem Fall, wenn der Vater ihn jetzt billig und freundlich behandle, natürlich mit dem Vater alle Vortheile theilen würde, in deren Besitz ihn die Heirath setze.«

»Ha! Ihr seyd eine vortreffliche Diplomatin, Eugenie; und Ihr bringt den Leuten den Kopf herum, indem Ihr immer nach Eurem Herzen handelt. Still! da kommt der Vicomte.«

»Ein entzückender Ball,« sagte Monsieur de Vaudemont, sich der Wirthin nähernd. »Bitte, hat die junge Dame dort, in dem rosenfarbenen Kleide wohl Vermögen? Sie ist hübsch – he? – Ihr bemerkt, sie sieht nach mir – ich meine nach uns!«

»Mein lieber Cousin, welches Compliment Ihr doch dem Ehestand macht! Ihr habt zwei Frauen gehabt, und seyd immer auf dem qui vive nach einer dritten!«

»Was hätte ich machen sollen? Wir können den Lockungen Eures bezaubernden Geschlechtes nicht widerstehen. Hm – wie viel Vermögen hat sie?«

»Nicht einen Sou; überdies ist sie versagt.«

»Oh, jetzt seh ich sie erst recht – sie ist nicht hübsch – gar nicht. Ich irrte mich – ich meinte sie nicht. Ich meinte die junge Dame im blauen Kleide.«

»Immer schlimmer – die ist schon vermählt. Soll ich Euch vorstellen?«

»Ach, Monsieur de Vaudemont,« sagte Madame d'Anville, »habt Ihr ein neues Bureau de mariage aufgefunden?«

Der Vicomte gab sich die Miene, die Frage zu überhören. Aber er wandte sich zu Eugenie, nahm sie beiseite, und sagte mit einer Miene, in welche er viel Kummer zu legen sich bestrebte:

»Ihr wißt, meine theure Cousine, daß ich Euch zu gefallen einwilligte, meinen Sohn hieher zu berufen, obgleich es, wie ich immer gesagt, sehr unangenehm ist für einen Mann wie ich, in der Blüthe des Lebens, mit einem großen Jungen von neunzehn bis zwanzig Jahren herumzuziehen. Die Leute sagen dann bald: der alte Vaudemont und der junge Vaudemont. Indeß an die Gefühle eines Vaters wendet man sich nie vergebens.« Hier führte der Vicomte sein Taschentuch an die Augen und fuhr nach einer Pause fort: »Ich habe nach ihm geschickt – ich ging sogar zu Eurer alten Bonne, Madame Dufour, um ein Logis bei ihr zu miethen, und heute – denkt Euch meinen Schmerz – erhalte ich einen schwarzgesiegelten Brief. Mein Sohn ist todt – ein plötzliches Fieber – es ist schrecklich!«

»Entsetzlich! Euer Sohn, den Ihr kaum je gesehen – nicht mehr seit seiner Kindheit!«

»Ja, das lindert den Schlag sehr, und jetzt, seht Ihr, muß ich heirathen. Wenn der Junge ein hübsches Aeußere gehabt hätte, mir ähnlich gesehen u. s. w. nun, dann hätte er, wie Ihr bemerkt, eine gute Partie machen und mir eine gewisse Summe aussetzen, oder wir hätten Alle mit einander leben können.«

»Und Euer Sohn ist todt, und Ihr kommt auf einen Ball.«

» Je suis Philosophe!« sagte der Vicomte die Achseln zuckend. »Und wie Ihr gesagt, ich sah ihn gar nie. Es erspart mir jährlich 700 Franks. Sagt gegen Niemand ein Wort – ich werde nicht bekannt machen, daß er todt ist, der arme Junge! Bitte, seyd verschwiegen; seht, es gibt böswillige Leute, die es seltsam finden könnten, daß ich mich nicht einschließe. Ich kann damit warten, bis Paris ganz leer ist. Es wäre Schade, jetzt irgend eine Gelegenheit hinauslassen, denn jetzt, seht Ihr ein, muß ich heirathen.«

Und der Philosophe hüpfte weg.



 << zurück weiter >>