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Zehntes Kapitel.

Dein Kind soll leben und ich sorg' für es.

Titus Andronikus.

Wie man sich denken kann, hatten die Anstrengung und Gemüthsbewegung bei der Reise nach N*** die Fortschritte von Katharinens Krankheit beträchtlich beschleunigt, und als sie ihre Wohnung wieder erreicht hatte, und sich in den einsamen, so stillen, so freudlosen Zimmern umsah, aus denen Sidney fort war; fort für immer: da war ihr in Wahrheit so zu Muth, als wäre das letzte Rohr, worauf sie sich gestützt, gebrochen, und ihre Aufgabe auf Erden zu Ende.

Katharine sah sich nicht zu äußerster Armuth verdammt, zu der Armuth, welche knirscht und nagt, zur Armuth der Lumpen und des Hungers. Es blieb ihr noch beinahe die Hälfte des Theils von dem kleinen Kapital, das für ihre Schmucksachen erlöst worden, der den Krallen des Gesetzes entgangen war; und ihr Bruder hatte ihr eine Note von zwanzig Pfund aufgedrungen, mit der Zusicherung, daß ihr dieselbe Summe halbjährlich ausbezahlt werden solle. Ach! es war wenig Wahrscheinlichkeit, daß sie es noch einmal bedürfen werde.

So fehlten ihr also nicht die Mittel, sich die gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens zu verschaffen. Aber jetzt war eine neue Leidenschaft in ihrer Brust erwacht – die Leidenschaft des Geizigen! sie wünschte jeden halben Schilling zu ersparen zu einem kleinen Schatz für ihre Kinder. Was nützte es, wenn sie eine fast erloschene Lampe noch nährte, welche doch bestimmt war, bald zerbrochen und in die große Rumpelkammer des Todes geworfen zu werden?

Sie hätte sich gern in eine geringere Wohnung eingemiethet, aber das Dienstmädchen im Hause hatte Sidney so lieb gehabt – war so freundlich gegen ihn gewesen. Sie konnte von Einem bekannten Gesicht nicht lassen, auf welchem ihr der Wiederschein von dem ihres Kindes zu leben schien. Aber sie vertauschte den ersten Stock mit dem zweiten; und da fühlte sie Tag für Tag ihre Augen schwerer und schwerer werden unter den Wolken des letzten Schlafs.

Außer dem Beistand, den ihr Mr. Perkins leistete, ein in seiner Art ganz gutherziger Mann, besuchte sie auch immer noch der gute Arzt, den sie früher befragt und schlug jede Belohnung aus. Da er mit Staunen und Leidwesen bemerkte, daß sie jede kleine Erleichterung ihres Zustandes zurückwies, und wünschte, ihr wenigstens für ihre letzten Stunden die Gesellschaft Eines ihrer Söhne zu verschaffen, hatte er die Adresse des älteren erkundet, und am Tag, ehe Arthur ihren Aufenthaltsort entdeckte, schickte er an Philipp folgenden Brief ab:

»Sir, – Nachdem ich zur ärztlichen Berathung Eurer Mutter in einer länger andauernden Krankheit berufen worden, welche wie ich fürchte, ein unglückliches Ende nehmen dürfte, halte ich es für meine Pflicht Euch aufzufordern, sobald Ihr diesen Brief erhalten, zu ihr zu kommen. Eure Anwesenheit muß ihr ein großer Trost seyn. Die Natur ihrer Krankheit ist von der Art, daß sich unmöglich bestimmen läßt, wie lange sie Euch noch erhalten werden kann; aber ich habe die Ueberzeugung, daß ihr Tod verzögert und die ihr übrigen Tage erheitert und erleichtert werden könnten, wenn sie sich bewegen ließe, in eine bessere Luft und eine ruhigere Umgebung zu ziehen, kräftigere Nahrung zu sich zu nehmen, und besonders, wenn ihr Gemüth sich mehr beruhigen könnte wegen Eures und Eures Bruders künftigen Schicksals. Ihr müßt mir verzeihen, wenn ich vorwitzig erschien; aber ich habe mich bemüht, Eurer Mutter einige nähere Umstände in Betreff ihrer Familie und Verwandten abzufragen, in der Absicht, Diesen ihren Gemüthszustand zu schildern. Sie ist jedoch sehr zurückhaltend über diese Punkte. Indeß, falls Ihr Verwandte habt, denen es in der Welt gut geht, sollte man sich, meine ich, an sie wenden. Ich fürchte, der Stand ihrer Angelegenheiten lastet schwer auf Eurer armen Mutter Gemüth; und ich muß Euch überlassen, zu beurtheilen, wie fern er erleichtert werden könnte durch die Güte solcher Personen, an die sie rechtmäßige Ansprüche machen kann. Jedenfalls wiederhole ich meinen Wunsch, daß Ihr unverzüglich zu ihr kommen möchtet.

Ich bin« u. s. w.


Nachdem er diesen Brief abgeschickt, trat plötzlich eine auffallende Veränderung zum Schlimmen in dem Zustand seiner Patientin ein; und bei dem Besuch am heutigen Morgen fand er Ursache zu fürchten, ihrer Stunden auf Erden möchten weit weniger seyn, als er zuvor vermuthet. Er hatte sie indessen vergleichungsweise besser verlassen; aber zwei Stunden nach seinem Weggehen waren die Symptome ihrer Krankheit sehr beunruhigend geworden, und das gutmüthige Dienstmädchen, ihre einzige Wärterin, welche überdies die andern Hausleute ganz zu bedienen hatte, hatte wie wir gesehen, nöthig gefunden, den Apotheker zu rufen für die Zwischenzeit, bis sie die entfernte Gegend der Hauptstadt erreichen konnte, wo Dr. *** wohnte.

 

Beim Eintreten in das Gemach fühlte Arthur die ganze Last der Reue, welche von Rechtswegen seinem Vater gebührte, schwer auf seine Seele drücken. Welch ein Contrast, diese geringe, einsame Kammer und ihre elende, unbehagliche Einrichtung – und der reizende, prächtige Wohnsitz, wo er sie voll Hoffnung in blühender Gesundheit zuletzt gesehen hatte, die Mutter von Philipp Beauforts Kindern.

Er blieb schweigend, bis Mr. Perkins, nach einigen Fragen sich entfernte, um seine Arzneien zu schicken. Dann näherte er sich dem Bette; Katharine, obgleich sehr schwach und große Schmerzen leidend, war noch beim Bewußtseyn. Sie richtete ihre dämmernden Blicke auf den jungen Mann, aber sie erkannte seine Züge nicht.

»Ihr erinnert Euch meiner nicht?« sagte er mit einer Stimme, die mit den Thränen kämpfte: »Ich bin Arthur – Arthur Beaufort.«

Katharine gab keine Antwort.

»Guter Gott! Warum muß ich Euch hier sehen! Ich glaubte Euch bei Euern Freunden – Euren Kindern; wohl versorgt – wie dies meines Vaters Pflicht war. Er versicherte mich, daß dies der Fall sey.«

Immer noch keine Antwort.

Und jetzt brach der junge Mann, überwältigt von den Gefühlen einer großmüthigen und mitleidigen Natur, einen Augenblick Katharinens Schwäche ganz vergessend in einen Strom von Fragen, Klagen und Selbstvorwürfen aus, worauf Katharine zuerst wenig achtete. Aber der Name ihrer Kinder, immer und immer wiederholt, schlug die Saite an, welche zuletzt im Herzen des Weibes zerreißt; und sie richtete sich in ihrem Bette auf und sah ihren Besuch ernst an.

»Euer Vater,« sagte sie dann – »Euer Vater war meinem Philipp unähnlich: aber ich sehe die Dinge jetzt in anderem Licht. Für mich kommt alle Güte zu spät; aber meine Kinder – morgen haben sie vielleicht keine Mutter mehr. Das Gesetz ist auf Eurer Seite, aber nicht die Gerechtigkeit! Ihr werdet reich und mächtig werden; wollt Ihr meinen Kindern ein Freund seyn?«

»Mein Leben lang, so wahr mir der Himmel helfe!« rief Arthur, vor dem Bette auf die Kniee sinkend.

 

Was weiter zwischen ihnen vorging ist überflüssig zu berichten; denn es war Wenig, außer abgebrochenen Wiederholungen derselben Bitte und derselben Antwort. Aber in Arthurs Stimme und Angesicht war so viel Wahrheit und Ernst, daß es Katharinen war, als wäre ein Engel gekommen, ihr Trost zu bringen, und als spät Abends der Arzt eintrat, fand er seine Patientin an die Brust ihres jugendlichen Besuchs sich lehnend und ihm mit einem glücklichen Lächeln ins Gesicht schauend.

Der Arzt nahm aus dem Aeußeren Arthurs und aus dem Geschwätze des Mr. Perkins genug ab, um zu errathen, daß Einer der reichen Verwandten, die, wie er vorausgesetzt, Katharine hatte, gekommen sey. Aber ach! für sie war es jetzt zu spät!



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