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Drittes Kapitel.

Bertram.

Ich meine, der Handel ist nicht zu Ende, da ich fürchten muß, später wieder davon zu hören.

Erster Soldat.

Kennt Ihr diesen Kapitän Dumain?

Ende gut, Alles gut.

Eines Abends, einige Wochen nach dem Zeitpunkt des vorigen Kapitels, saß Mr. Robert Beaufort allein in seinem Hause in Berkeley-Square. Er war diesen Morgen von Beaufort-Court, auf dem Wege nach Winandermere, wohin er durch einen Brief von seiner Frau berufen worden war, angekommen.

Es war dies Jahr eine bewegte und folgenreiche Epoche für England; und Mr. Beaufort hatte neuerlich das Treiben und Getümmel einer Wahl durchgemacht – die freilich nicht bekämpft wurde, denn seine Popularität und sein Besitz schloßen in seiner Grafschaft jede Mitbewerbung aus.

Der reiche Mann hatte eben gespeist, und saß in behaglichem Nichtsthun am Feuer, das er weniger der Wärme wegen – obgleich es September war – als zur Gesellschaft, so zusagen, angezündet hatte; er war beschäftigt, seinen Madeira vollends auszutrinken, und mit halbgeschlossenen Augen seine überzuckerten Biscuits zu kauen.

»Gewiß,« murmelte er in seinem Selbstgespräche dabei, »ich weiß selbst nicht recht, was thun; – meine Frau sollte die Sachen entscheiden, die das Mädchen betreffen; der Sohn, das ist etwas Anderes; dafür ist die Frau da; – hm!«

»Sir,« sagte ein fetter Bedienter und öffnete die Thüre, »ein Gentleman wünscht Euch in ganz besondern Geschäften zu sprechen.«

»Geschäften! zu dieser Stunde! Weist ihn zu Mr. Blackwell.«

»Ja, Sir.«

»Halt! vielleicht ist es ein Wähler, Simmons! Frag' ihn, ob er aus der Grafschaft ist.«

»Ja, Sir.«

»Ein großes Besitzthum ist eine große Plage,« murmelte Mr. Beaufort; »so auch eine große Wählerschaft. Es ist am Ende doch angenehmer, im Hause der Lords zu sitzen. Ich glaube ich könnte, wenn ich wollte; aber dann hat man auch manchen Verdruß. Ich will Lilburne zu Rathe ziehen. Hm!«

Der Bediente erschien wieder.

»Sir, er sagt er sey aus der Grafschaft.«

»Führ' ihn herein! – Was für eine Art Mann?«

»Eine Art Gentleman, Sir, das heißt,« fuhr der Kellermeister, eingedenk der fünf Schillinge, die ihm der Fremde in die Hand gedrückt, fort, »ganz ein Gentleman.«

»Dann mehr Wein her – schürt das Feuer!«

Nach wenigen Augenblicken wurde der Fremde ins Zimmer geführt. Es war ein Mann zwischen fünfzig und sechzig, aber noch nach dem Aussehen der Jugendlichkeit trachtend. Sein Anzug deutete auf militärische Ansprüche hin; er bestand aus einem blauen Rock, bis ans Kinn zugeknöpft, schwarzer Cravatte, weiten Beinkleidern von dem Schnitt der sogenannten Kosackenhosen, und metallnen Sporen. Er trug eine Perrücke, stattlich, kastanienbraun von Farbe und mit üppigem Gelocke; großen Backenbart von derselben Farbe, an den Wurzeln leicht grau gefärbt. Bei dem unvollkommnen Licht im Zimmer bemerkte man nicht, daß die Kleider etwas fadenscheinig waren, und daß die auf der Seite klaffenden Stiefeln Strümpfe von nicht eben blendender Weiße sichtbar werden ließen.

Mr. Beaufort, mit Widerstreben von seinem behaglichen Sitz sich erhebend, und gern wieder darauf zurücksinkend, deutete auf einen Stuhl, und zwang sich zu einem traurigen und zweifelhaften bewillkommnenden Lächeln. Der Diener stellte den Wein und die Gläser vor den Fremden – der Wirth und der Besuch befanden sich jetzt allein.

»So, Sir,« sagte Mr. Beaufort etwas matt, »Ihr seyd von ***shire; ich denke wegen des Kanals – darf ich Euch ein Glas Wein anbieten?«

»Schätze mich höchst glücklich, Sir – Eure Gesundheit!« und der Fremde stürzte mit sichtlichen Behagen ein Glas hinunter zu einem so komplimentösen Toast.

»Wegen des Kanals?« wiederholte Mr. Beaufort.

»Nein, Sir, nein! Ihr Parlamentsherren müßt fürchterlich viel Unruhe auf dem Hals haben – ein sehr schönes Besitzthum, das Eurige, Sir, wie ich höre. Sir, erlaubt mir zu trinken auf die Gesundheit Eurer guten Lady!«

»Ich dank Euch, Mr. – Mr. – Wie sagtet Ihr doch, daß Euer Name sey? Bitte tausendmal um Verzeihung!«

»Ganz und gar nicht vonnöthen, Sir; keine Umstände mit mir gemacht! – das ist fürtrefflicher Madeira!«

»Darf ich fragen, wie ich Euch dienen kann?« sagte Mr. Beaufort schwankend zwischen der Empfindung von Verdruß, und der Furcht, unhöflich zu seyn. »Und bitte, wurde mir die Ehre Eurer Stimme bei der letzten Wahl?«

»Nein, Sir, nein! Es ist viele Jahre her, seit ich nicht mehr in Eurer Gegend gewesen, obwohl ich doch dort geboren bin.«

»Dann seh' ich eigentlich nicht –« begann Mr. Beaufort und hielt mit Würde inne.

»Warum ich Euch besuche,« ergänzte der Fremde, mit seinem Rohr an seine Stiefeln klopfend; dann aber, als er den Riß bemerkte, streckte er beide Füße unter den Tisch.

»Das sage ich nicht – aber zu dieser Tageszeit habe ich selten Muße – nicht als ob ich nicht jederzeit zu den Diensten eines Constituenten, das heißt, eines solchen, der für mich gestimmt hat, stände! Ich mache einen Unterschied zwischen Beiden; es ist die Pflicht eines Parlamentsgliedes So damals im Deutschen die heute ungebräuchliche Bezeichnung für das Mitglied eines Parlaments. – Anm.d.Hrsg.; – Mr. – Ich bitte um Verzeihung, ich habe mir Euern Namen nicht gemerkt.«

»Sir,« sagte der Fremde, sich ein drittes Glas Wein einschenkend, »diese Gesundheit noch Eurem jungen Volke! Und jetzt zu Geschäften.« Hier rückte der Besuch seinen Stuhl dem des Wirthes näher, nahm eine ernstere Miene an, ließ etwas nach in seiner affektirten Aussprache und fuhr fort: »Ihr hattet einen Bruder?«

»Nun ja, Sir,« sagte Mr. Beaufort mit einem ganz veränderten Gesicht.

»Und dieser Bruder hatte eine Frau!«

Wäre eine Kanone vor dem Ohr Mr. Robert Beauforts abgebrannt worden, es hätte ihn nicht ärger erschüttern und betäuben können, als das einfache Wort, womit sein Gesellschafter seinen Satz schloß. Er sank in seinen Stuhl zurück – offenen Mundes, die Augen auf den Fremden starrend. Er bemühte sich zu sprechen, aber seine Zunge klebte am Gaumen.

»Diese Frau hatte zwei Sohne in der Ehe geboren.«

»Das ist falsch!« schrie Mr. Beaufort, endlich seine Stimme wieder findend, indem er aufsprang »Und Wer seyd Ihr, Sir? Und was meint Ihr mit –«

»Still!« sagte der Fremde, gänzlich gleichmüthig und die Würde seiner affektirten Aussprache wieder annehmend, »laßt doch lieber die Diener Nichts hören! Ich für meinen Theil glaube, die Diener haben das längste Paar Ohren unter allen Sterblichen, die Esel nicht ausgenommen; ihre Ohren erstrecken sich vom Gesindezimmer bis in das Besuchszimmer. Still, Sir! – fürtrefflicher Madeira, das!«

»Sir,« sagte Mr. Beaufort, mit sich selbst kämpfend, seine Fassung zu behaupten oder vielmehr wieder zu gewinnen, »Euer Benehmen ist außerordentlich sonderbar; aber erlaubt mir zu bemerken, daß Ihr ganz irrthümlich berichtet seyd. Mein Bruder hat nie geheirathet; und wenn Ihr Etwas zu sagen habt in Betreff der jungen Leute – seiner natürlichen Sohne – so verweise ich Euch an meinen Advokaten Mr. Blackwell in Lincolns Inn. Ich wünsche Euch einen guten Abend.«

»Sir! – Ich Euch desgleichen – ich will Euch nicht länger belästigen – es war nur aus Wohlwollen, daß ich Euch besuchte– ich bin nicht gewohnt, so behandelt zu werden – Sir, ich stehe in St. Majestät Diensten – Sir, Ihr werdet finden, daß der Zeuge der Trauung hervortritt; dann werdet Ihr an mich denken, und vielleicht mit Leidwesen. Aber ich bin fertig – Euer unterthänigster Diener, Sir!«

Und mit einer Schwenkung seiner Hand wandte sich der Fremde nach der Thüre.

Beim Anblick dieser Entschiedenheit von Seiten seines seltsamen Gastes ergriff den Mr. Beaufort eine kalte, unbehagliche, unbestimmte Ahnung. Es tauchte in ihm, nicht wie ein Blitz, sondern vielmehr eiskalt, die Erinnerung an seines Bruders lebhafte, aber von ihm nicht geglaubte Versicherungen auf – an Catharinens hartnäckige Behauptung der Rechte ihrer Söhne – an ihren damals hoffnungslosen Prozeß, hoffnungslos, weil der Zeuge, auf den sie sich berief, nicht zu finden war. Mit dieser Erinnerung drängte sich ein furchtbarer Zug schattenhafter Schreckgestalten heran: Rechtsstreit, Zeugen, gerichtlicher Spruch, Auslieferung, Vermögensberaubung, Rückstände, Ruin!

Der Mann, der die Thüre erreicht hatte, wandte sich um und schaute ihn an, ein selbstgefälliges, triumphirend höhnisches Lächeln in seinem unverschämten, frechen Gesicht.

»Sir,« sagte jetzt Mr. Beaufort mild, »ich wiederhole, Ihr thätet besser, mit Mr. Blackwell zu sprechen.«

Der Versucher sah seinen Triumph.

»Ich habe ein Geheimniß mitzutheilen, welches hübsch sauber zu halten für Euch das Gerathenste ist. Wie viele Leute wünscht Ihr, daß ich deßhalb sprechen soll? Kommt, Sir, hier braucht es keinen Advokaten; oder wenn Ihr es meint, sagt es ihm selbst. Jetzt oder nie, Mr. Beaufort!«

»Ich habe durchaus Nichts dagegen, Alles anzuhören, was Ihr mir zu sagen haben möget, Sir,« sagte der reiche Mann, noch milder als zuvor, und fuhr dann mit einem erzwungenen Lächeln fort; »obgleich meine Rechte schon zu fest stehen, als daß sie irgend einen Zweifel könnten aufkommen lassen.«

Ohne die letzte Behauptung zu beachten, kehrte der Fremde kaltblütig wieder um, nahm seinen Sitz wieder ein, stemmte beide Arme auf den Tisch, schaute Mr. Beaufort scharf ins Gesicht und fuhr fort:

»Sir, bei der Trauung von Philipp Beaufort und Catharine Morton waren zwei Zeugen anwesend; der Eine ist todt, der Andre ging außer Lands; dieser Letztere lebt noch!«

»Wenn dies ist,« sagte Mr. Beaufort, dem es von Natur nicht an Verstand und Schlauheit fehlte, und der jetzt jede Geisteskraft wunderbar geschärft fühlte und entschlossen war, die Gründe zu Besorgnissen ganz genau zu erfahren. – »Wenn dies ist, warum erschien der Mann – es war ein Diener, Sir, ein Diener, auf welchen Mrs. Morton sich berief, nicht bei der Prozeßverhandlung?«

»Weil er, wie ich gesagt, außer Lands und nicht zu finden war, oder weil die Nachforschung nach ihm nicht recht ihren Gang ging, wegen ungeschickter Behandlung und Mangel an Geld.«

»Hm!« sagte Mr. Beaufort – »Ein Zeuge – Ein Zeuge, bemerkt, es ist nur ein einziger! – macht mir nicht viel Sorge. Es fragt sich nicht, was ein Mann angibt, sondern was eine Jury glaubt, Sir! Ueberdieß, was ist aus den jungen Leuten geworden? – Man hat seit Jahren nicht mehr von ihnen gehört. Sie sind wahrscheinlich todt; wenn dies, so bin ich gesetzlicher Erbe.«

»Ich weiß jedenfalls, wo Einer von ihnen zu finden ist.«

»Der Aeltere? Philipp?« fragte Mr. Beaufort ängstlich, und in besorgtem Andenken an den von seinem Neffen sehr frühe schon an den Tag gelegten kräftigen und gewaltsamen Charakter.

»Verzeiht! Ich darf diese Frage nicht beantworten.«

»Sir! ein Prozeß dieser Art, gegen einen im Besitz Befindlichen, ist sehr zweifelhaft; und,« fügte der reiche Mann hinzu, indem er sich aufrichtete, »und vielleicht, sehr kostspielig.«

»Dem jungen Manne, den ich meine, fehlt es nicht an Freunden, die mit dem Geld nicht knausern.«

»Sir!« sagte Mr. Beaufort aufstehend und mit dem Rücken gegen das Feuer sich kehrend, »Sir! was ist Euer Zweck bei dieser Mittheilung! Kommt Ihr von Seiten des jungen Mannes, um einen Vergleich vorzuschlagen? Wenn dieß ist, so sprecht frei heraus!«

»Ich komme aus eigenem Antrieb. Es steht bei Euch zu erklären, ob die jungen Leute je davon Etwas erfahren sollen.«

»Und was begehrt Ihr?«

»Fünfhundert Pfund jährlich, so lange das Geheimniß bewahrt wird.«

»Und wie könnt Ihr beweisen, daß überhaupt ein Geheimniß hier ist?«

»Indem ich den Zeugen auf den Platz bringe, wenn Ihr es wünscht.«

»Wird er sich mit Euch in die fünfhundert Pfund jährlich theilen?« fragte Mr. Beaufort schlau.

»Das ist meine Sache, Sir,« antwortete der Fremde.

»Was Ihr sagt,« begann Mr. Beaufort wieder, »ist so außerordentlich – so unerwartet – und scheint mir dermalen noch so unwahrscheinlich, daß ich Zeit zur Ueberlegung haben muß. Wenn Ihr mich in acht Tagen besuchen, und Eure Beweise darlegen wollt, will ich Euch meine Antwort geben. Ich bin nicht der Mann, Sir, daß ich wünschen sollte, irgend Einem seine wahren Rechte vorzuenthalten, aber andrerseits will ich auch nicht einem Betruge nachgeben.«

»Wenn Ihr ihnen ihre Rechte nicht vorenthalten wollt, so thue ich am besten, ich gehe hin und sage den Gentlemen Alles,« sagte der Fremde mit kalter Unverschämtheit.

»Ich sage Euch, ich muß Zeit haben,« wiederholte Beaufort, aus der Fassung gebracht. »Ueberdies habe ich nicht auf mich allein zu sehen, Sir!« setzte er mit würdevoller Emphase hinzu; »ich bin Vater.«

»Von heute über acht Tage will ich Euch wieder besuchen. Guten Abend, Mr. Beaufort.«

Und der Mann streckte mit freundschaftlich herablassendem Wesen die Hand hin.

Der achtbare Mr. Beaufort wechselte die Farbe, zögerte und überließ endlich zwei seiner Finger dem Griff und Druck seines Besuchs, den er von Herzensgrund in jenes Land wünschte, aus dem kein Besucher wiederkehrt.

Der Fremde lächelte, schritt auf die Thüre zu, legte den Finger an den Mund, nickte und winkte listig, und verschwand. – Mr. Beaufort von solchen Gefühlen von Mißbehagen, Schrecken und Angst gepeinigt verlassend, wie ein Mensch empfinden mag, den auf einem schlüpferigen Felsen zwei Zoll breit plötzlich die Fluthen ereilt haben.

Einige Augenblicke blieb er ganz stumm, und wie er sich dann in dem dämmernden geräumigen Zimmer umsah, blieb sein Auge haften auf all den Zeugnissen von Luxus und Reichthum, die es darbot. Ueber dem mächtigen Wandtisch, der an festlichen Tagen seufzte unter der zusammengehäuften Wucht des Familien-Silbergeschirrs der Beauforts, hing in vergoldetem Rahmen ein großes Gemälde des Familiensitzes, mit den prächtigen Portalen, dem herrlichen Park – den Gruppen von Hirschen; und an der Wand umher, abwechselnd da und dort mit den Porträts der Vorfahren, Ritter und Damen, die längst zur Ruhe versammelt waren, hingen, Meisterwerke der italiänischen und flamändischen Kunst, von Generation zu Generation langsam angehäuft, bis die Sammlung der Beauforts das Thema der Kenner und das Studium der jungen Talente geworden war.

Das stille Zimmer, die stummen Gemälde, sogar der schwerfällige Wandtisch schienen eine Stimme zu bekommen, und hörbar zu ihm zu sprechen. Er steckte die Hand in die Falten seiner Weste und griff konvulsivisch in sein eigenes Fleisch: dann im Zimmer auf- und abschreitend, suchte er seine Gedanken wieder zu sammeln.

»Ich darf Mrs. Beaufort nicht zu Rathe ziehen,« murmelte er; »nein – nein – sie ist eine Thörin! Ueberdies ist sie nicht um den Weg. Keine Zeit ist zu verlieren – ich will zu Lilburne gehen.«

Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als er auch eilte, ihn in Ausführung zu bringen. Er klingelte um seinen Hut und Handschuhe, und eilte zu Fuß zu Lord Lilburne in Park Lane – die Entfernung war klein, und die Ungeduld macht lange Schritte.

Er wußte, daß Lilburne in der Stadt war, denn dieser Mann liebte London um seiner selbst willen; und selbst im September würde er mit dem alten Herzog von Queensbury gesagt haben, als Jemand bemerkte, daß London sehr leer sey: »Ja, aber es ist doch voller als das Land!«

Mr. Beaufort fand Lord Lilburne ausgestreckt auf einem Sopha neben dem offenen Fenster seines Gesellschaftszimmers, und in der Ferne sah man die ersten Sterne über den schimmernden Bäumen und dem silbernen Rasen des verlassenen Parks glänzen. Ganz anders als bei dem einfachen Nachtisch seines achtbaren Schwagers, war der kleine Tisch neben seinem Sopha mit den köstlichsten Früchten, mit den edelsten französischen Weinen besetzt; und als der starre Mann der Förmlichkeit und Methode durch die eine Thüre in das Zimmer trat, schien ein rauschendes Seidenkleid, das durch eine andere verschwand, ein tête-à-tête zu verrathen, welches vermuthlich für Lilburne angenehmer war als das, von welchem allein unsere Erzählung zu berichten hat.

Es wäre ein merkwürdiges Studium für Solche gewesen, die gerne die dunkeln und heimtückischen Zuge der menschlichen Natur beobachten, Zeuge zu seyn des Contrastes zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer, als Beaufort mit vielen Umschreibungen und Umschweifen, viel erheuchelter Verachtung und wirklicher Angst das sonderbare und unheildrohende Gespräch erzählte, das zwischen ihm und seinem Besuche statt gehabt hatte.

Der Diener, welcher Mr. Beaufort hineinführte, hatte auch mehr Lichter gebracht; und die Kerzen beleuchteten jetzt mit vollem Glanze Mr. Beauforts Angesicht und Gestalt. Alles an diesem Gentleman stand so ganz im Einklang mit den Formen und den geltenden Meinungen der Welt, daß schon in seinem Anblick beinahe etwas Moralisches lag. Seit seinem Glück war er weniger blaß und mager; die Ecken in seiner Gestalt waren ausgefüllt. Auf seiner Stirne war keine Spur von jugendlicherer Leidenschaft. Kein Laster des schlauen Talents hatte je den Ausdruck schärfer – kein erschöpfendes Laster die Linien tiefer gemacht. Er war das Ideal eines Grafschaftsmitglieds; so glatt, so gelassen, so geschäftsmännisch und doch so zierlich, so sauber, so gar der Gentleman! Und jetzt lag eine Art von Pathos in seinen grauen Haaren, seinem angegriffenen Lächeln, seinen unruhig bewegten Händen, dem raschen und unbehaglichen Wechsel seiner Stellung, dem Zittern seiner Stimme. Er wäre Solchen, die ihn nur sahen, aber nicht hörten, leicht als der rechtliche Mann in Unruhe erschienen.

Kalt, bewegungslos, sprachlos, dem Anschein nach gleichgültig, in der That aber scharf beobachtend, hörte ihm Lord Lilburne, noch auf dem Sopha ausgestreckt, den Kopf zurückgeworfen, aber Ein Auge auf seinen Gesellschafter geheftet, die Hände vor sich gefaltet, zu, und in dieser ruhigen Lage – welch eines verschiedenen Lebens und Charakters Geschichte konnte man aus seinem Angesicht, ja selbst aus seiner Person lesen! Welcher angeborne Scharfblick indem lauernden Auge! Welche harte Entschlossenheit in den vollen Nüstern und den festen Lippen! Welche sardonische Verachtung von Allem in den verschlungenen Linien um den Mund! Welche Fähigkeit und Neigung zum physischen Genuß aller Dinge, die er doch so verachtete, in dem feinorganisirten Nervensystem, das neben ursprünglicher Kraft und Lebhaftigkeit der Constitution sich noch in den Adern der Hände und Schläfe und in dem gelegentlichen Zucken der Oberlippe verrieth. Er hatte den Körperbau, wie er vor allen andern am meisten zum Genuß befähigt – mit hoher Brust, gedrungen, sehnigt, aber mager bis zur Dürrheit – zart im Gewebe und in den Extremitäten bis zum Weibischen. Die Ungezwungenheit seiner Lage, selbst seine Art sich zu kleiden – zwar nicht schlecht, aber bequem, weit, nachläßig – schien des Mannes Denkungsweise und Leben – seine gründliche Verachtung alles Aeußerlichen zu verrathen.

Erst nachdem Beaufort geendet, änderte Lord Lilburne seine Lage und öffnete den Mund; er wandte sein ruhiges Gesicht nach seinem Schwager hin, und sagte trocken:

»Ich glaubte immer, daß Euer Bruder die Frau geheirathet; er war der Mann, so Etwas zu thun. Zudem, wie sollte sie sich zu einem Prozeß entschlossen haben, ohne eine Spur von Beweis, wenn sie nicht von ihrem Recht überzeugt war? Der Betrug geht nie so weit, ohne Zeugnisse. Die Unschuld, wie ein Narr so zu sagen, bildet sich ein, sie habe nur zu sprechen, um Glauben zu finden. Aber zur Unruhe ist kein Grund vorhanden.«

»Kein Grund! – Und doch glaubt Ihr, daß die Ehe wirklich geschlossen worden sey?«

»Es ist ganz klar,« fuhr Lilburne fort, ohne die Unterbrechung zu beachten, »daß der Mann, was auch sein Zeugniß sey, nicht genügende Beweise hat. Hätte er sie, so ginge er eher zu den jungen Leuten, als zu Euch; es ist augenscheinlich, daß sie ihm eine unendlich höhere Belohnung versprechen würden, als er von Euch erwarten kann. Die Menschen sind immer großmüthiger mit dem, was sie erwarten, als was sie haben. Alle Spitzbuben wissen dies. Es ist die Regel, nach welcher die Juden und Wucherer mehr an Erben als an Besitzern sich erholen; es ist die Philosophie der Postobits Das Postobit ist die Schuldverschreibung eines Erbanwärters, die beim Tod des Erblassers fällig wird. Mit dieser zugleich verpflichtet jener sich, im Falle seines eigenen Überlebens die durch den gesetzlichen Zinssatz bedingte Summe, sofern sie zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers das zu erwartende Erbe übersteigen sollte, zu zahlen. – Anm.d.Hrsg.. Ich glaube fast, der Mann hat den wahren Zeugen der Trauung aufgefunden, aber auch in Erfahrung gebracht, daß das Zeugniß dieses Zeugen nicht hinreichen würde, Euch aus dem Besitz zu vertreiben. Er könnte für unglaubwürdig erklärt werden – reiche Leute haben manchmal Mittel, arme Zeugen als unglaubwürdig erscheinen zu machen. Bedenkt, er sagt Nichts von der verlorenen Abschrift des Kirchenbuchs, was auch der Werth dieser Urkunde seyn mag, was zu beurtheilen ich nicht genug Rechtskundiger bin – Nichts von Briefen Eures Bruders, worin er die Heirath gestände. Bedenkt – das Kirchenbuch selbst ist zerstört – der Geistliche todt. Pah! laßt Euch die Sache nicht anfechten.«

»Wahr!« sagte Mr. Beaufort; »was für ein Gedächtniß Ihr doch habt!«

»Natürlich. Eure Frau ist meine Schwester – ich hasse arme Verwandte – und ich interessirte mich daher sehr für Eure Erbschaft und Euren Prozeß. Nein – Ihr könnt ganz ruhig seyn über diese Sache, so weit es sich um einen glücklich ablaufenden Prozeß handelt In der Vorlage heißt es (auch in der Auflage von 1846): »es sich von einem … handelt«. Ich stufe dies als Setzfehler ein. – Anm.d.Hrsg.. Die nächste Frage ist: wollt Ihr überhaupt einen Prozeß auf den Hals bekommen? und verlohnt es sich, diesen Kerl zu erkaufen? das kann ich nicht beantworten, wenn ich ihn nicht selbst sehe.«

»Ich wollte zu Gott, Ihr thätet das.«

»Herzlich gerne; es ist Etwas, das mir Freude macht – ich verkehre gern mit Spitzbuben – es belustigt mich. Heute über acht Tage? Ich werde in Eurem Hause seyn – Euer Stellvertreter; ich werde die Sache besser behandeln als Blackwell. Und da man Euch, wie Ihr sagt, nach den Seen bescheidet, geht hin und überlaßt mir Alles.«

»Tausend Dank! Ich kann nicht sagen, wie verpflichtet ich mich Euch fühle. Ihr seyd doch gewiß der gefälligste und gescheuteste Mann auf der Welt.«

»Ihr könnt nicht schlechter von der Gefälligkeit und dem Verstand der Welt denken als ich,« war Lilburnes etwas zweideutige Antwort auf das Compliment. »Aber warum verlangt meine Schwester, Euch zu sehen?«

»Ach! ich vergaß! Hier ist ihr Brief. Ich wollte Euch auch hierüber um Rath fragen.«

Lord Lilburne nahm den Brief und überflog ihn mit dem raschen Blick eines Mannes der gewohnt ist, in Allem den Kern und Mittelpunkt zu treffen.

»Ein Heirathsantrag an meine hübsche Nichte – Mr. Spencer – fordert kein Vermögen – sein Oheim will ihm all seine Habe übergeben – (der arme, einfältige Alte!) Alles! Ha, das sind nur 1000 Pf. jährlich. Ihr fragt darnach nicht viel – he? Wie meine Schwester Euch auch nur darüber befragen kann, macht mich stutzig.«

»Ha, seht Ihr, Lilburne,« sagte Mr. Beaufort ziemlich verlegen, »hier wird nicht nach Vermögen gefragt– Nichts entgeht der Familie; und wahrhaftig, Arthur ist so verschwenderisch; und wenn sie gut heirathet, könnte ich ihr nicht weniger als 15- oder 20 000 geben.«

»Aha! – Ich sehe! – Jeder nach seinem Geschmack: hier eine Tochter – dort eine Mitgift. Ihr seyd verteufelt aufs Geld hinein, Beaufort. Etwas Vergnügliches um den Geiz? he?«

Mr. Beaufort erröthete stark über die Bemerkung und die Frage, und sagte mit einem erzwungenen Lächeln:

»Ihr seyd streng. Aber Ihr wißt nicht, was es heißt, der Vater eines jungen Menschen zu seyn.«

»Dann haben mir eine Menge junge Frauen arge Lügen gesagt! Aber Ihr habt Recht in Eurem Sinne. Nein, ich hatte nie einen offen hervortretenden Erben, Gott sey Dank! Keine Kinder, die das Gesetz mir aufbürdete – natürliche Feinde, die die Jahre zählten zwischen der Glocke, die ihre Volljährigkeit verkündet, und die um meinen Tod läutet. Es genügt mir, daß ich einen Bruder und eine Schwester habe – daß meines Bruders Sohn meine Güter erben wird – und daß er inzwischen mit jedem Picken der Uhr mir grollt und mich beneidet. Was ists? Wäre er mein Oheim gewesen, so hätte ich dasselbe gethan. Inzwischen sehe ich ihn so selten, als die gute Lebensart gestattet. Im Gesicht des Erben eines reichen Mannes steht des Reichen memento mori geschrieben! Aber revenons à nos moutons. Ja, wenn Ihr Eurer Tochter kein Vermögen gebt, wird Euer Tod für Arthur um so vortheilhafter seyn.«

»In der That, Ihr betrachtet die Sache in einem sehr sonderbaren Lichte,« sagte Mr. Beaufort über die Maßen verblüfft und gekränkt. »Aber ich sehe, Ihr seyd kein Freund von der Ehe; vielleicht habt Ihr Recht.«

»Ist der That, ich habe keine Stimme und Wahl in der Sache; ich mische mich nie ein zwischen Väter und Kindern. Wenn ich aber selbst Kinder hätte, will ich Euch, zu Eurem Trost, sagen, daß sie ganz nach eigenem Gefallen heirathen könnten – ich würde ihnen nie durch den Sinn fahren. Ich würde mich zu glücklich schätzen, sie nur aus dem Wege zu haben. Wenn sie gut heiratheten, hätte man alle Ehre davon; wenn schlecht, so hätte man einen Vorwand sie nicht anzuerkennen. Wie ich eben gesagt, ich hasse arme Verwandte. Wiewohl, wenn Camilla, als vermählt, an den Seen lebt, ist es nur dann und wann ein Brief, und das fällt Eurer Frau zur Last, nicht Euch. Aber Spencer – was für ein Spencer? – welche Familie? War das nicht ein Mr. Spencer, der in Winandermere wohnte – der –«

»Der mit uns die Nachforschungen nach den Knaben betrieb, allerdings. Sehr wahrscheinlich derselbe – ja, er muß es seyn. Ich dachte mir das sogleich.«

»Geht morgen nach den Seen. Ihr hört wohl etwas von Euren Neffen;« bei diesem Wort stampfte Mr. Beaufort. »Es ist gut, sich im Voraus zu rüsten.«

»Vielen Dank für allen Euren Rath,« sagte Beaufort aufstehend, und froh los zu kommen; denn obgleich er und seine Frau Lord Lilburnes Rath in höchsten Ehren hielten, zuckten und krümmten sie sich doch immer unter den ruhig und gleichgültig beigebrachten Stichen, welche den Honig begleiteten. Lord Lilburne war ganz eigen darin, – er gab Jedem, der ihn darum ansprach, besonders aber einem Verwandten den besten Rath, den er vermochte; und Niemand gab bessern, das heißt, mehr weltklugen Rath. So leistete er oft, ohne das mindeste Wohlwollen, die größten Dienste; aber er konnte nicht anders, als den Trank mit so viel Aloe und Galläpfeln als möglich zu mischen. Sein Verstand ergötzte sich daran, sich, selbst uneigennützig, in seiner Schärfe und Fülle zu zeigen. Sein Herz ergötzte sich ebenso an der einzigen Grausamkeit, welche das verfeinerte Leben seinen Tyrannen gegen Ihresgleichen übrig läßt – daß sie die Gefühle mit Nadeln stechen, und die Eigenliebe aufs Rad flechten.

Aber als eben Mr. Beaufort seine Handschuhe angezogen hatte, und unter der Thüre stand, schien dem Lord Lilburne ein neuer Gedanke sich aufzudrängen.

»Beiläufig bemerkt,« sagte«er, »Ihr begreift, daß, wenn ich versprach, den Versuch zu machen, die Sache für Euch ins Reine zu bringen, ich nur so viel meinte, daß ich erfahren wolle, welche Gründe zur Besorgniß einerseits, oder zu einem Vergleich mit dem Burschen andererseits Ihr habt. Wenn das letztere räthlich erscheint, so wißt Ihr wohl, daß ich mich nicht einmischen kann. Ich könnte in eine Klemme, kommen, und Beaufort-Court ist nicht mein Besitzthum.«

»Ich verstehe Euch nicht ganz.«

»Ich rede doch deutlich genug. Wenn Geld, gegeben werden soll, so wird es gegeben, um zu Schanden zu machen, was man das Recht nennt – um diesen Euren Neffen ihr Erbtheil vorzuenthalten. Nun hätte dies, wenn es je ans Licht kommen sollte, ein garstiges Ansehen. Die die Schande wagen, müssen die Leute seyn, denen das Besitzthum gehört.«

»Wenn Ihr es für unehrenhaft oder unredlich haltet –«, sagte Beaufort unschlüssig.

»Ich! Ich kann nie einen Rath ertheilen, was die Gefühle betrifft; ich kann nur rathen, was die Klugheit anlangt. Wenn Ihr nicht an das Vorhandenseyn einer Ehe glaubt, kann es doch für Euch mit der Ehrlichkeit verträglich seyn, der Unannehmlichkeit eines Prozesses vorzubeugen.«

»Aber wenn er mir beweisen kann, daß sie vermählt gewesen?«

»Pah!« sagte Lilburne, die Braunen hinaufziehend, mit einem leisen Ausdruck verachtender Ungeduld, »es hängt ganz von Euch ab, ob er es zu Eurer Befriedigung beweist, oder nicht. Ich meines Theils, als unpartheiischer Dritter, bin überzeugt, daß die Trauung stattfand. Aber, wenn Beaufort-Court mein wäre, würde meine Ueberzeugung sich für das Entgegengesetzte entscheiden. Ihr versteht mich. Ich schätze mich sehr glücklich, Euch dienen zu können. Aber von Niemand kann man erwarten, daß er seinen Ruf aufs Spiel setze oder mit dem Gesetz tändle, wenn es nicht sein eigenes persönliches Interesse gilt. Dann natürlich muß er für sich selbst entscheiden. Adieu. Ich erwarte einige Freunde – Fremde – Carlisten – zum Whist. Ihr wollt nicht bleiben?«

»Ich spiele, wie Ihr wißt, nie. Ihr schreibt mir wohl, nach Winandermere; und in jedem Falle haltet Ihr den Mann hin, bis ich zurück bin?«

»Gewiß!«

Beaufort, den der letzte Theil des Gesprächs weit weniger erbaut hatte, als der erste, zögerte, und drehte die Thürschnalle drei oder viermal in der Hand herum; aber wie er seinen Schwager erblickte, sah er in diesem kalten Gesichte so wenig, was ihn auf einige Sympathie bei seinem Kampf zwischen Interesse und Gewissen hoffen ließ, daß er fürs Beste hielt, sofort abzuziehen.

Sobald er weg war, berief Lilburne seinen Kammerdiener, der seit vielen Jahren bei ihm, und sein Vertrauter in all den galanten Abenteuern war, womit er noch immer den Herbst seines Lebens erheiterte.

»Dykeman,« sagte er, »Ihr habt die Frau hinausgelassen?«

»Ja, mein Lord.«

»Ich bin nicht zu Hause, wenn sie wieder kommt. Sie ist dumm; sie kann das Mädchen nicht noch einmal zu sich locken. Ich werde Euch beauftragen in einem Abenteuer – Dykeman, einem Abenteuer, das Euch an unsere jungen Tage mahnen wird. Dies reizende Geschöpf – ich sage Euch, sie ist unwiderstehlich – selbst ihre Narrheiten bezaubern mich. Ihr müßt, nun – Ihr seht unruhig aus. Was wolltet Ihr sagen?« –

»Mein Lord, ich habe mehr über sie erfahren – und – und –«

»Weiter, weiter.«

Der Kammerdiener trat näher und flüsterte seinem Herrn etwas ins Ohr.

»So sind die blödsinnig, die das sagen,« versetzte Lilburne.

»Und,« stotterte der Mann, mit der Schamröthe der Menschlichkeit im Gesicht, »sie verdient Euer Lordschaft Beachtung nicht – eine arme –«

»Ja, ich weiß, sie ist arm; und aus diesem Grunde kann die Sache keine Schwierigkeiten haben, wenn sie recht eingeleitet wird. Ihr habt wohl nie von einem gewissen Philipp, König von Macedonien, gehört; ich will Euch sagen, was er einmal äußerte, so gut ich mich dessen erinnere: ›Belade einen Esel mit einem Korb voll Gold; schicke den Esel in die Thore seiner Stadt, und alle Schildwachen werden davonlaufen.‹ Arm! – wo Liebe, da ist auch Mildthätigkeit, Dykeman. Zudem –«

Hier nahm Lilburnes Gesicht plötzlich den Ausdruck finsterer und zorniger Leidenschaft an – er brach rasch ab, stand auf, und schritt, vor sich hin murmelnd, im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und legte die Hand an die Hüfte; ein Ausdruck von Schmerz veränderte wieder den Charakter seiner Züge.

»Die Hüfte schmerzt mich noch immer. Dykeman – ich war kaum – einundzwanzig – als – ich für immer ein Krüppel wurde.« Er schwieg, holte tief Athem, lächelte, rieb sich leise die Hände und fuhr fort: »Fürchtet Nichts! Ihr sollt der Esel seyn; und so fängt Philipp von Macedonien an, den Korb zu füllen.« Und er warf seine Börse dem Kammerdiener in die Hand, dessen Gesicht bei der Berührung des Goldes seine ängstliche Verlegenheit zu verlieren schien. Lilburne warf ihm einen ruhigen, höhnischen Blick zu: »Geht! – ich will Euch meine Befehle beim Auskleiden geben!«

»Ja!« fuhr er fort, mit sich selbst sprechend, »die Hüfte schmerzt mich noch immer. Aber er ist todt! – erschossen, wie man eine Elster oder einen Iltis todtschießt! Ich habe die Zeitung noch in dieser Schieblade. Er starb als ein Ausgestoßener – ein Missethäter – ein Mörder! Und ich habe seinen Namen gebrandmarkt – seine Geliebte verführt – und ich – bin John Lord Lilburne!«

Gegen zehn Uhr kamen ein Halbdutzend jener muntern Liebhaber Londons, die, wie Lilburne, den Reizen der Stadt treu blieben, wenn die gemeineren Verehrer ihren sonnverbrannten Straßen den Rücken wandten – meist ledige Männer – die Meisten von mittlerem Alter. Bald darauf traten auch drei oder vier vornehme Fremde ein, welche dem verbannten und unglücklichen Karl X. Karl X., König von Frankreich, mußte nach der Juli-Revolution 1830 ins Exil fliehen, das er überwiegend in Großbritannien zubrachte. – Anm.d.Hrsg. nach England gefolgt waren. Ihre Mienen, traurig und stolz zugleich, ihre aufwärts gestrichenen Schnurrbärte, ihre langen Bärte, machten zuerst einen lebhaften Contrast mit den glatten, lustigen Engländern. Aber Lilburne, ein Freund von französischer Gesellschaft, der, wenn er wollte, wohl artig und angenehm zu seyn verstand, versetzte die Verbannten bald in gute Laune; und in der Aufregung des hohen Spiels verschwanden rasch alle Unterschiede der Stimmung und Laune. Der Morgen graute am Himmel, ehe sie sich zum Souper niedersetzten.

»Ihr seyd heute Nacht sehr glücklich gewesen, Mylord!« sagte Einer der Franzosen in neidisch beglückwünschendem Tone.

»Aber gewiß,« sagte ein Andrer, der, weil er einigemale seines Wirths Partner gewesen, Viel gewonnen hatte, »Ihr seyd der feinste Spieler, Mylord, der mir je vorgekommen.«

»Jederzeit, ausgenommen Monsieur Deschapelles und ****«, versetzte Lilburne gleichgültig, und den Gegenstand des Gesprächs ändernd, fragte er einen der Gäste, warum er ihn noch nicht mit einem französischen Offizier von Verdienst und Auszeichnung bekannt gemacht habe; – »mit welchem Ihr,« sagte er, »wie ich höre, sehr vertraut steht, und von welchem Eure Landsleute häufig sprechen.«

»Ihr meint de Vaudemont. Armer Junge!« sagte ein Franzose mittleren Alters, von ernsterem Aussehen als die Uebrigen.

»Aber warum sagt Ihr: armer Junge! Monsieur de Liancourt!«

»Er stieg so rasch vor der Revolution. Es war kein tapfrerer Offizier in der Armee. Aber er ist ein Glückssoldat und seine Laufbahn ist geschlossen.«

»Bis die Bourbons zurückkehren!« sagte ein andrer Carlist, mit seinem Schnurrbart spielend.

»Ihr erweist mir in Wahrheit eine große Ehre, wenn Ihr mich mit ihm bekannt macht,« sagte Lilburne. »De Vaudemont – es ist ein guter Name – vielleicht spielt er auch Whist.«

»Aber,« bemerkte Einer der Franzosen, »ich bin gar nicht so überzeugt, daß er das allerbeste Recht auf den Namen hat. Es ist eine gar seltsame Geschichte.«

»Darf ich sie hören?« fragte der Wirth.

»Gewiß. Sie ist kürzlich die: es lebte ein alter Vicomte de Vaudemont in Paris; von guter Geburt, aber ausnehmend arm – ein mauvais sujet. Er hatte schon zwei Frauen gehabt und ihr Vermögen durchgebracht. Da er alt und häßlich war, und Männer, welche zwei Frauen überleben, unter den heirathsfähigen Damen in Paris in schlimmem Rufe stehen, fand er Schwierigkeiten dabei, eine Dritte zu bekommen. Verzweifelnd an der noblesse, machte er sich mit jener Hoffnung unter die bourgeoisie. Seine Familie schwebte in beständiger Angst einer lächerlichen mésalliance. Unter diesen Verwandten war Madame de Merville, von der Ihr vielleicht gehört habt.«

»Madame de Merville! Ach, ja! Schön, nicht wahr?«

»Ganz recht. Man wußte, daß Madame de Merville, deren Schwäche Stolz war, mehr als einmal die Heirathsgelüsten des verliebten Vicomte abgekauft hatte. Plötzlich erschien in ihren Kreisen ein sehr schöner junger Mann. Er ward ihren Freunden förmlich vorgestellt als der Sohn des Vicomte de Vaudemont aus seiner zweiten Ehe mit einer englischen Dame, in England erzogen, und jetzt erst öffentlich anerkannt. Ein nachtheiliges Gerücht kam in Umlauf –«

»Sir,« unterbrach ihn Monsieur de Liancourt sehr ernst, »das Gerücht war von der Art, daß alle Leute von Ehre es brandmarken und verachten mußten – es kam, als letzter Quelle, aus dem Mund eines lügnerischen Lakaien – ein Gerücht, daß der junge Mann gleich am ersten Tage seiner Ankunft in Paris der Liebhaber einer Frau von fleckenlosem Rufe gewesen! Ich bürge für die Falschheit dieses Gerüchts. Aber ich gestehe, daß dies Gerücht nicht nur Madame de Merville, eine empfindliche – nur allzuempfindliche Frau, sondern auch meinen Freund, den jungen Vaudemont zu einer Heirath bestimmte, bei welcher die Vermögensungleichheit groß war, als daß nicht sein Hochsinn sich dagegen hätte sträuben sollen.«

»Nun,« sagte Lord Lilburne, »also heirathete dieser junge de Vaudemont Madame de Merville?«

»Nein!« sagte Liancourt in traurigem Tone, »es war nicht so beschlossen; denn Vaudemont, vermöge eines Gefühls, das den Ehrenmann bewährt und das ich achte, wünschte, so innig und dankbar er der Madame de Merville zugethan war, doch wenigstens erst sich selbst irgend eine ehrenvolle Auszeichnung zu erringen, ehe er Anspruch an eine Hand mache, nach welcher Männer von weit glänzenderen Umständen umsonst gestrebt. Ich schäme mich nicht,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »zu bekennen, daß ich Einer der verschmähten Bewerber gewesen, und daß ich noch das Andenken Eugeniens de Merville hochhalte. Der junge Mann sollte denn in mein Regiment treten. Ehe er jedoch eintrat, während er glücklich war in der vollen Blüthe und Gluth der Liebe eines jungen Mannes für eine Frau, die geschaffen war, die stärkste Neigung zu erregen, war sie – sie –« des Franzosen Stimme zitterte, und er setzte mit erkünstelter Fassung von Neuem an – »Madame de Merville, die das beste und wohlwollendste Herz hatte, das je in einer menschlichen Brust schlug, erfuhr eines Tags, daß eine arme Wittwe auf der Bodenkammer des Hotels In Frankreich bedeutete »hôtel« den herrschaftlichen Wohnsitz einer Person von großem Vermögen oder hohem gesellschaftlichen Rang. – Anm.d.Hrsg., das sie bewohnte, gefährlich krank darnieder liege – ohne Arznei und ohne Nahrung – da sie ihren einzigen Freund und Beschützer an ihrem Gatten einige Zeit zuvor verloren. In der Aufwallung des Mitleids pflegte Madame de Merville selbst diese Wittwe – wurde von dem Fieber, das an ihr zehrte, angesteckt – lag zehn Tage krank – und starb, wie sie gelebt hatte, Andern dienend und sich selbst vergessend. – So Viel, Sir, von dem Gerücht, dessen Ihr erwähnt habt.«

»Eine Warnung,« bemerkte Lord Lilburne, »daß man nicht leichtsinnig seine Gesundheit aufs Spiel setze, aus Eitelkeit mit einem guten Herzen Staat zu machen, die man Menschenliebe nennt. Wenn die Menschenliebe, mon cher, im eignen Hause anfängt, so ist es im Gesellschaftszimmer, nicht in der Dachstube!«

Der Franzose sah seinen Wirth mit einiger Verachtung an, biß sich in die Lippe und schwieg.

»Aber dennoch,« fuhr Lord Lilburne fort, »dennoch ist es ja so wohl möglich, daß Euer alter Vicomte einen Sohn hatte; und ich begreife so ganz, warum er wünschte, so lang als möglich der Verlegenheit mit demselben überhoben zu seyn, daß ich nicht begreife, warum man Zweifel hegte gegen des jüngeren Vaudemonts Abstammung.«

»Weil,« antwortete der Franzose, welcher die Erzählung begonnen hatte, »weil der junge Mann es ablehnte, die gesetzlichen Schritte zu thun, um seine Geburt bekannt zu machen und sich als Franzose naturalisiren zu lassen, weil er, sobald Madame de Merville todt war, den Vater verließ, den er so kurz erst entdeckt hatte – Frankreich verließ, und mit einigen andern Offizieren unter dem tapfern *** in die Dienste eines der eingebornen Fürsten von Indien trat.«

»Aber vielleicht war er arm,« bemerkte Lord Lilburne. »Ein Vater ist etwas ganz Gutes und Schönes, und ein Vaterland auch, aber ein Mann muß doch Geld haben; und, wenn der Vater nicht viel für Einen thut, so folgt das Land gewöhnlich dem Beispiele.«

»Mein Lord,« sagte Liancourt, »mein Freund hier hat vergessen zu erzählen, daß Madame de Merville dem jungen Vaudemont die Masse ihres Vermögens hinterließ, und daß dieser, als er sich einigermaßen aus der dumpfen Betäubung seines Schmerzes aufgerafft, ihre Verwandten um sich versammelte, erklärte, ihr Andenken sey ihm zu theuer, als daß Reichthum ihn über ihren Verlust zu trösten vermöge, sich nur eine bescheidne, für die gewöhnlichen Bedürfnisse eines Gentleman nur eben hinreichende Summe vorbehielt, das, Uebrige unter sie vertheilte und sich in den Orient begab, nicht nur um durch die Neuheit und Unruhe eines bewegten Lebens seinen Kummer zu überwinden, sondern auch um mit eigener Hand den Ruf eines ehrenhaften und tapfern Mannes zu erringen. Mein Freund gedachte des längstbegrabenen Skandals – vergaß aber die edle Handlung.«

»Euer Freund, seht Ihr, mein lieber Monsieur de Liancourt,« bemerkte Lilburne, »ist mehr ein Mann der Welt als Ihr!«

»Und ich wollte eben bemerken,« sagte der eben erwähnte Freund, »daß gerade diese Handlung das Gerücht zu bestätigen schien, daß hinter diesem unerwarteten Zuwachs zu dem Namen der de Vaudemonts irgend ein kleines Manoeuvre gesteckt habe, denn wenn er selbst, obschon noch so entfernt, mit Madame de Merville verwandt war, woher solche Bedenklichkeiten, das Vermächtniß anzunehmen?«

»Eine sehr scharfsinnige Bemerkung,« sagte Lord Lilburne, den, der sie gemacht, mit einiger Achtung betrachtend, »und ich gestehe, daß es ein sehr unerklärliches Betragen ist, dessen, glaube ich, weder Ihr noch ich uns je schuldig gemacht hätten; nun, und der alte Vicomte?«

»Lebte nicht lange!« sagte der Franzose sichtlich geschmeichelt durch seines Wirths Compliment, während Liancourt in ernstem Mißfallen sich in seinen Stuhl zurückwarf. »Der junge Mann blieb einige Jahre in Indien, und als er nach Paris zurückkam, nahmen unser Freund hier, Monsieur de Liancourt, damals in Gunst bei Carl X., und der Madame de Merville Verwandte ihn auf. Er hatte sich schon in den ausländischen Diensten einen Ruf erworben und er bekam ein Amt am Hof und eine Stelle unter den königlichen Garden. Ich gebe zu, daß er gewiß eine Carriere gemacht haben würde ohne die drei Tage »Les Trois Glorieuses«, die drei glorreichen Tage der Juli-Revolution, vom 27. bis 29.7.1830, bis Karl X. abdankte. – Anm.d.Hrsg.. So aber seht ihr ihn in London, wie uns Andre, als Verbannten!«

»Und vermuthlich ohne einen Sou?«

»Nein, ich glaube, er hatte in Indien den Antheil, den er sich von der Madame de Merville Vermächtniß vorbehielt, erhalten und sogar noch vermehrt.«

»Und wenn er nicht Whist spielt, sollte er es spielen,« sagte Lilburne, »Ihr habt meine Neugier rege gemacht; ich hoffe, Ihr werdet mir seine Bekanntschaft verschaffen, Monsieur de Liancourt. Ich bin kein Politiker, aber erlaubt mir diesen Toast vorzuschlagen: Glücklichen Erfolg denen, die den Witz zu Entwürfen, und die Kraft zur Ausführung besitzen! Mit andern Worten: das göttliche Recht!«

Bald darauf entfernten sich die Gäste.



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