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Viertes Kapitel.

Der Rechtsmann . . . . . ein gewalt'ger
Prozeß droht zwischen ihnen auszubrechen!

Ben Jonson. Der Neuigkeitsmarkt.

In London angekommen begab sich Philipp zuerst in die Wohnung, die er noch daselbst hatte, und wohin seine Briefe adressirt wurden; und unter verschiednen Mittheilungen aus Frankreich, voll von der Politik und den Hoffnungen der Carlisten, fand er auch folgendes Billet von Lord Lilburne.

»Werther Sir, –

als ich Euch dieser Tage begegnete, sagte ich Euch, daß ich vom Podagra bedroht sey. Der Feind hat jetzt das Feld wirklich in Besitz genommen. Ich bin zu strengem Regime und zum Sopha verurtheilt. Aber da es mein Grundsatz im Leben ist, Leiden so leicht als möglich zu machen, habe ich einige Freunde gebeten, sich meiner zu erbarmen, und mir zu helfen, diese tödtliche Langeweile zu verscheuchen, indem sie mir, wo möglich, vier Matadore zukommen lassen. Zu jeder Zeit zwischen neun und zwölf heute Nacht Siehe oben: »heute Abend« etc. – Anm.d.Hrsg. oder morgen Nacht, werdet Ihr mich zu Hause treffen; und wenn Ihr keine angenehmere Verabredung habt, dächte ich, Ihr speistet heute mit mir – oder vielmehr mir gegenüber – und entschuldigt mich mit meiner spartanischen Suppe. Ihr werdet, (außer zwei oder drei Freunden, welche eine improvisirte Einladung frei und zu kommen bereit finden mag,) meine Schwester nebst Beaufort und ihrer Tochter bei mir treffen, sie kamen erst diesen Morgen in der Stadt an, und sind so gütig ›mich zu pflegen.‹ wie sie es nennen – das heißt: ihr Koch ist krank geworden!

Der Eurige

Lilburne.

Park-Lane. Sept.«

»Die Beauforts! Das Schicksal ist mir günstig! Das Datum ist für heute!«

Er schickte eilig ein paar Zeilen, womit er die Annahme der Einladung zusagte, und da er noch einige Stunden übrig hatte, beschloß er, diese zu benutzen, um sich mit einem Rechtsgelehrten über die Möglichkeit, am Ende doch noch sein Erbe wieder zu gewinnen, zu berathen – eine zwar vermessene Hoffnung, die er sich aber doch seit seiner Rückkehr auf den heimathlichen Boden, und besonders seit er von dem sonderbaren Besuch bei Roger Morton gehört, zu hegen gestattete. Mit diesem Gedanken ging er aus, um sich zuerst mit Liancourt zu besprechen, der unter den Engländern eine große Bekanntschaft hatte, und daher der geeignetste Mann schien, ihm bei der Wahl eines thätigen und zugleich redlichen Advokaten zu rathen, – als er plötzlich diesem Edelmann selbst begegnete.

»Das ist ein glücklicher Zufall, mein lieber Liancourt. Ich wollte eben in Eure Wohnung.«

»Und ich wollte zu Euch, um zu hören, ob Ihr bei Lord Lilburne speiset. Er sagte mir, er habe Euch gebeten. Ich habe ihn so eben verlassen, und an dem Sopha des Mephistopheles war das hübscheste Gretchen, das Ihr je gesehen!«

»Wirklich! Wer denn?«

»Er nannte sie seine Nichte; aber ich möchte zweifeln, ob er diesseits des Styxes eine so menschliche Verwandte hat, wie eine Nichte.«

»Ihr scheint keine große Vorliebe für unsern Wirth zu haben.«

»Mein lieber Vaudemont, zwischen unsern derben, soldatischen Naturen und diesen tückischen, eiskalten, höhnischen Geistern ist die Antipathie von Hund und Katze.«

»Vielleicht von unsrer Seite, doch nicht von der seinigen; oder warum ladet er uns ein?«

»London ist leer, er kann sonst Niemand zu sich bitten. Wir sind ihm neue Gesichter, neue Charaktere. Wir unterhalten ihn mehr, als die Alltagsgesichter, die er abgenützt hat. Ueberdies, er spielt und Ihr auch. Pfui, Vaudemont!«

»Liancourt, ich hatte, einen doppelten Zweck dabei, diesen Mann kennen zu lernen, und ich bezahle den Brückenzoll. Wenn ich des Uebergangs nicht mehr benöthigt bin, zahle ich auch den Zoll nicht mehr.«

»Aber die Brücke könnte eine Zugbrücke seyn! und der Graben unten ist verteufelt tief. Ohne Bild: der Mann kann Euch ruiniren, ehe Ihr wißt, wo Ihr daran seyd.«

»Pah! ich habe meine Augen offen! Ich weiß, wie Viel ich an den Schurken ausgeben kann, dessen Dienst ich miethe wie den eines Lakaien, und ich weiß auch, wo ich inne halten muß, Liancourt,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in einem tiefen Ton verhaltener Leidenschaft, »als ich diesen Mann zuerst sah, gedachte ich sein Herz in Anspruch zu nehmen und zu rühren für ein Wesen, welches Rechte darauf hat. Das war eine eitle Hoffnung, und dann bemächtigte sich meiner ein finstrerer, tödtlicherer Gedanke – ein Plan der Rache! Dieser Lilburne – dieser Schurke, dem die Welt als ihrem Götzen huldigt – er hat an Leib und Seele zu Grunde gerichtet einen Mann, dessen Namen die Welt mit ihrer Verachtung brandmarkt! Nun, diesen Mann gedachte ich zu rächen. In seinem eignen Hause – mitten unter Euch Allen – gedachte ich den Gauner zu entlarven, den Betrüger zu brandmarken!«

»Ihr macht mich staunen! – Allerdings hat man schon geflüstert, Lord Lilburne sey gefährlich – aber Geschicklichkeit ist schon gefährlich. Betrügen! – ein englischer Gentleman! – ein Edelmann! – unmöglich!«

»Ob er es nun thue oder nicht,« versetzte Vaudemont in ruhigem Tone, »ich habe der Rache entsagt, denn er ist –«

»Was?«

»Es ist gleichgültig,« sagte Vaudemont laut; aber bei sich selbst sagte er: »er ist der Großvater von Fanny.«

»Ihr sprecht heute sehr räthselhaft.«

»Geduld, Liancourt! ich löse vielleicht noch alle die Räthsel, die mein Leben ausmachen. Habt nur noch einige Geduld mit mir, und jetzt könnt Ihr mir zu einem Advokaten verhelfen? – einem Manne von Erfahrung allerdings, und von Ruf, aber jung, thätig, und nicht mit Geschäften überladen; ich brauche seinen Eifer und seine Zeit für eine Möglichkeit, welche den Monopolisten von Clienten kaum ihrer Aufmerksamkeit und Hingebung werth erscheinen dürfte.«

»Da kann ich Euch gerade einen Mann empfehlen, wie Ihr ihn verlangt. Ich hatte vor einigen Jahren einen Prozeß in Paris, bei welchem englische Zeugen erforderlich waren. Mein Advokat wendete sich an einen Solicitor Rechtsanwalt. – Anm.d.Hrsg. hier, durch dessen Thätigkeit in Beischaffung von Zeugen für mich meine Sache gewonnen wurde. Ich bürge für seinen Eifer und seine Redlichkeit.«

»Seine Adresse?«

»Mr. Barlow – irgendwo am Strand – wartet – Essex – ja, Essex-Street.«

»Dann sage ich Euch für jetzt Lebewohl. Ihr speist auch bei Lord Lilburne?«

»Ja. Bis dahin Adieu!«

 

Bald kam Vaudemont bei Mr. Barlow an; eine Metallplatte bezeichnete ihm das Haus. Er ward sogleich in ein Zimmer geführt, wo er einen Mann erblickte, welchen Rechtsgelehrte als jung, und alte Jungfern als mittleren Alters bezeichnet haben würden, d. h. von etwa zweiundvierzig Jahren; mit einem kühnen, entschlossenen, intelligenten Gesicht, und jenem festen, ruhigen scharfblickenden Auge, das Vertrauen und Achtung zugleich einflößt.

Vaudemont prüfte ihn mit dem Blick eines Mannes, der gewohnt ist, die Menschen, wie ein Gelehrter Bücher – mit geübtem Takt, daher schnell zu beurtheilen. Er hatte zuerst beschlossen, ihm die Hauptumstände seines Falles ohne Namen vorzutragen; und wirklich begann er auch so seine Erzählung, aber allmälig, als er bemerkte, wie sein eigner ernster Eifer das Interesse seines Zuhörers fesselte und in Anspruch nahm, gewann er mit der Wärme volleres Vertrauen und endigte mit einer vollständigen Eröffnung und der Bitte, das tiefste Geheimniß zu beobachten, im Fall er, wenn keine Hoffnung für ihn vorhanden wäre, seinen rechtmäßigen Namen zu gewinnen, wünschen sollte, noch länger, unbelästigt durch Neugier oder Verdacht den Namen beizubehalten, unter welchem er nicht unrühmlich bekannt war.

»Sir,« sagte Mr. Barlow, nachdem er ihn der gewissenhaftesten Verschwiegenheit versichert – »Sir, ich erinnere mich noch an den von Eurer Mutter, von Mrs. Beaufort, erhobenen Prozeß« und der leise Nachdruck, den er auf diesen Namen legte, war das angenehmste Compliment, das er der Wahrhaftigkeit von Philipps Erzählung zollen konnte. »Mein Eindruck davon ist der, daß er von ihrem Anwalt sehr liederlich geführt wurde; und manche seiner Uebersehen können wir bei einem von Euch angefangenen Prozeß wieder gut machen. Aber es wäre thöricht, Euch zu verhehlen, welche große Schwierigkeiten uns im Wege stehen; Eurer Mutter Prozeß, bestimmt ihre eignen Rechte zu beweisen und geltend zu machen, war weit leichter und günstiger als derjenige, der jetzt beginnen muß, nehmlich eine Klage auf Vermögensentsetzung gegen einen Mann, der eine Reihe von Jahren in ungestörtem Besitze war. Natürlich wäre es, so lange nicht der fehlende Zeuge aufgefunden ist, Wahnsinn, den Prozeß anzufangen, und dann wird die Frage seyn: wie weit Ein Zeuge genügt? Es ist wahr, Ein Zeuge einer Trauung wird, wenn die Andern todt sind, vom Gesetz als genügend betrachtet. Aber ich brauche Euch kaum zu sagen, daß dieser Zeuge ganz vollkommen glaubwürdig seyn muß. In Rechtsstreiten um wirkliches Besitzthum werden sehr wenig sekundäre oder Zeugnisse durch Urkunden zugelassen. Ich zweifle sogar, ob das Certifikat der Trauung, worauf Ihr – da das Kirchenbuch verloren gegangen oder vernichtet ist, – so großes Gewicht legt, an und für sich schon von Bedeutung wäre. Aber wenn es eine beglaubigte Abschrift ist, dann bekommt es die äußerste Wichtigkeit, denn dann wird es uns den Namen der Person nennen, welche es auszog und beglaubigte. Gebe der Himmel, daß es nicht derselbe Geistliche sey, welcher die Ceremonie verrichtet hat, und wie Ihr sagt, todt ist; wäre es ein Andrer, so hätten wir dann einen zweiten; ohne Zweifel glaubwürdigen und höchst werthvollen Zeugen. Das Dokument würde so werthvoll als Beweis, und ich glaube, es würde uns dann nicht fehlen, unsre Sache durchzuführen.«

»Aber dies Certifikat – wie sollte es je gefunden werden? Ich habe Euch gesagt, daß wir Alles umsonst darnach ausgesucht haben.«

»Wahr; aber Ihr sagt, Eure Mutter habe immer gesagt, der verstorbene Mr. Beaufort habe sie so feierlich, noch unmittelbar vor seinem Tode, versichert, daß es vorhanden sey, daß ich darüber gar keinen Zweifel habe. Es wäre eine Möglichkeit, aber es ist eine entsetzliche Vermuthung, daß, wenn Mr. Robert Beaufort, bei Musterung der Papiere des Verstorbenen, auf ein für ihn so wichtiges Dokument stieß, er es entfremdete oder zerstörte. Sollte dies nicht der Fall gewesen seyn (und Mr. Robert Beauforts moralischer Charakter ist fleckenlos, und wir haben kein Recht es anzunehmen), so ist wahrscheinlich, entweder, daß es einer dritten Person anvertraut, oder in einer verborgenen Schieblade oder sonstigem Versteck niedergelegt wurde, dessen Geheimniß Euer Vater Niemand entdeckte. Wer hat das Hans gekauft, worin Ihr wohntet?«

»Fernside? Lord Lilburne, Mr. Robert Beauforts Schwager.«

»Hm! – dann nahm er es wahrscheinlich mit Meubles und Allem. Sir, dies ist eine Sache, welche einige Zeit zur genaueren Erwägung erheischt. Mit Eurer Erlaubniß will ich nicht nur in die Londoner Zeitungen eine Ankündigung des Inhalts einrücken lassen, wie Ihr dem Mr. Roger Morton angegeben (für den Fall, daß Eure Vermuthung über die Absicht des Mannes, der sich an ihn wandte, gegründet seyn sollte), sondern ich will auch den Zeugen selbst darin mit Namen auffordern. William Smith, sagt Ihr, ist sein Name. Ließ der Anwalt, dessen sich Mrs. Beaufort bediente, ihm nachfragen in der Colonie?«

»Nein; ich fürchte, dazu möchte die Zeit nicht zugereicht haben. Meine Mutter war so ängstlich und heftig und so überzeugt von der Gerechtigkeit ihrer Sache –«!

»Das ist Schade, ihr Advokat muß ein trauriger Pfuscher gewesen seyn.«

»Ja, jetzt entsinne ich mich; man stellte Nachfrage an bei seinen Verwandten in England. Sein Vater, ein Pächter, lebte damals noch; die Antwort war, daß er Australien zuverläßig verlassen habe. Sein letzter Brief, zwei Jahre vor jener Zeit geschrieben, eine Bitte um Geld enthaltend, das ihm der Vater, selbst durch Unglücksfälle bankerott, nicht schicken konnte, hatte gemeldet, er stehe im Begriff, sein Glück anderswo zu suchen – seitdem hatten sie Nichts mehr von ihm gehört.«

»Ahem! Nun, Ihr werdet mich vielleicht wissen lassen, wo noch Verwandte von ihm zu finden sind, und ich will den frühern Prozeß ansehen, und ohne Verzug auf die ganze Sache eingehen. Mittlerweile thut Ihr am besten, Sir, wenn Ihr mir die Bemerkung erlauben wollt – Nichts, weder von Eurem wahren Namen noch von Euren Absichten, zu entdecken oder anzudeuten. Es ist unnöthig, den Verdacht rege zu machen, und mein Suchen nach dem Certifikat muß mit der größten Vorsicht geschehen. Aber beiläufig bemerkt – da wir vom wahren Namen sprechen – es wird, hoffe ich, keine Schwierigkeit haben, die Identität Eurer Person zu beweisen?«

Philipp war betroffen. »Ha, ich bin sehr verändert.«

»Aber vermuthlich trägt zu dieser Veränderung Euer Backe- und Schnurrbart Viel bei; und ohne Zweifel sind in dem Dorf, in dessen Nähe Ihr gewohnt, Viele, mit denen Ihr in hinlänglichem Verkehr standet, und deren Erinnerung, wenn Ihr sie an kleine Anekdoten und Umstände mahntet, womit außer Euch Niemand bekannt seyn kann, durch den Anblick Eurer Züge würde geweckt werden, zugleich mit der moralischen Ueberzeugung, daß der Mann, der mit ihnen rede, kein Andrer seyn könne, als Philipp Morton – oder vielmehr Beaufort.«

»Ihr habt Recht; Solche müssen Viele da seyn. Es war keine Hütte im Ort, wo ich und meine Hunde nicht bekannt und halb heimisch waren.«

»So weit denn Alles gut. Aber ich wiederhole, wir dürfen nicht zu sanguinisch seyn. Das Gesetz ist nicht die Gerechtigkeit –«

»Aber Gott!« sagte Philipp und verließ das Zimmer.



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