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Neuntes Kapitel.

»Doch ach! in dieser Seele – welch ein Sturm!«

Crabbe. Ruth.

Während Philipp nachsann und sein Bruder in den glücklichen Schlaf der Kindheit sank, saßen in einem Zimmer des vornehmsten Gasthofes in der Stadt drei Personen: Arthur Beaufort, Mr. Spencer und Mr. Blackwell.

»Und also,« sagte der Erste, »hat er alle Eröffnungen von Seiten der Beaufort's zurückgewiesen?«

»Mit einer Verachtung, die ich Euch nicht beschreiben kann,« versetzte der Advokat. »Aber die Sache ist die, daß er offenbar ein Bursch von gemeinen Sitten und Lebensweise ist, wenn man bedenkt, daß er eine Art Knecht bei einem Roßkamm ist! Ich glaube, Sir, er war zu seines Vaters Zeiten immer im Stall. Schlechte Gesellschaft verderbt den Geschmack sehr bald; aber das ist noch nicht das Schlimmste. Sharp erklärt, daß der Mann mit dem er, wie ich Euch gesagt, sprach, ein gemeiner Schwindler ist. Verlaßt Euch darauf, Mr. Arthur, er ist unverbesserlich; Alles, was wir thun können, ist, den Bruder zu retten.«

»Es ist ein zu schrecklicher Gedanke!« sagte Arthur, der noch krank und schwach auf einem Sopha liegend ruhte.

»Ja wohl, ist es das,« sagte Mr. Spencer; »gewiß, ich wüßte nicht, was anfangen mit einem solchen Charakter; aber das andre arme Kind – es wäre eine That der Barmherzigkeit, sich seiner zu bemächtigen!«

»Wo ist Mr. Sharp?« fragte Arthur.

»Da,« sagte der Advokat, »er ist Philipp in einiger Entfernung gefolgt, um seine Wohnung auszukundschaften und zu erfahren, ob sein Bruder bei ihm ist. – Oh! da ist er ja!« und Blackwells Begleiter im vorletzten Kapitel trat ein.

»Ich hab' ihn aufgefunden, Sir,« sagte Mr. Sharp und wischte sich die Stirne. »Was für ein trotziger Bursch das ist! Ich dachte, er werde mir einen Stein an den Kopf werfen; aber wir Polizeibeamte sind daran schon gewohnt; wir thun unsre Pflicht, und die Vorsehung macht unsre Köpfe ungewöhnlich hart.«

»Ist das Kind bei ihm?« fragte Mr. Spencer.

»Ja, Sir.«

»Ein kleiner, ruhiger, zahmer Knabe?« fragte der melancholische Bewohner der Seen.

»Ruhig? Gott tröste Euch! hörte in meinem Leben keinen lärmenderen kleinen Balg! da tobten und rumorten sie in dem Garten wie ein paar Gefangene.«

»Seht nur,« stöhnte Mr. Spencer, »er wird das arme Kind so schlimm machen, wie er selber ist.«

»Was sollen wir thun, Mr. Blackwell?« fragte Mr. Sharp, der nach seinem Branntwein und Wasser verlangte.

»Nun ich denke, Ihr solltet mit dem frühsten Morgen zu dem Roßkamm gehen, und Euch erkundigen ob Philipp – wirklich so dick Freund mit dem Schwindler ist; und vielleicht hat Mr. Stubmore einigen Einfluß über ihn, wenn, ohne zu sagen, Wer er ist –«

»Ja,« unterbrach Arthur, »nennt seinen Namen nicht.«

»Ihr doch einen Wink fallen lassen könntet, daß man ihn bewegen sollte, seinen Freunden Gehör zu geben und mit ihnen zu gehen. Mr. Stubmore kann ein achtbarer Mann seyn und –«

»Ich verstehe,« sagte Mr. Sharp; »ich habe keinen Zweifel daran, es einrichten zu können. Wir lernen in unserem Beruf die menschliche Natur kennen; – Ursach darum, wir kommen ihr von der blinden Seite bei. Gute Nacht, Gentlemen!«

»Ihr seht sehr blaß aus, Mr. Arthur; Ihr thätet besser, ins Bett zu gehen; Ihr verspracht es Eurem Vater, wißt Ihr!«

»Ja, ich fühle mich nicht wohl; ich will zu Bett gehen;« und Arthur stand auf, zündete sein Licht an und suchte sein Zimmer.

»Ich will Philipp morgen sprechen,« sagte er bei sich; » mich wird er anhören.«

Das Benehmen Arthur Beauforts bei Ausführung der übernommenen Verpflichtung hatte die liebenswürdigste und großmüthigste Seite seines Charakters ins hellste Licht gesetzt. Sobald er sich hinreichend erholt, hatte er so viel Besorgniß um das Schicksal der Waisen an den Tag gelegt, daß, um ihn zu beruhigen, sein Vater sich genöthigt sah, Mr. Blackwell holen zu lassen. Der Advokat hatte durch Dr. *** den Namen von Philipps Brodherrn in N*** erfahren. Auf Arthurs Wunsch begab er sich dahin zu Mr. Plaskwith, und da er dort am Tage nach der Zurückkunft des Buchhändlers eintraf, erfuhr er die näheren Umstände, mit welchen der Brief des Mr. Plaskwith an Mr. Morton den Leser schon bekannt gemacht hat. Darauf ließ der Advokat den Mr. Sharp holen, den zuvor verwendeten Polizeibeamten, und beauftragte ihn, des jungen Mannes Aufenthaltsort auszukundschaften. Dieser schlaue Beamte berichtete bald, daß ein Jüngling, ganz entsprechend der Beschreibung von Philipp in der Nacht nach seiner Flucht durch einen Mann, der berufen sey, nicht zwar wegen Räubereien oder Diebstählen oder Verbrechen gröberer Art, wohl aber wegen seiner Gewandtheit in jenem vielumfassenden Gewerbe, das man begreift unter der Benennung: von seinem Witz leben, eingeführt worden sey in einer artigen Versammlung von Personen verwandten Berufes.

Seither jedoch waren alle Spuren Philipps verloren. Aber obgleich Mr. Blackwell im Charakter seines Berufs öffentlich solches Wohlwollen gegen den Flüchtigen zeigte, stellte er privatim nichts destoweniger seinen Patronen, dem Jüngeren und dem Aelteren den sehr zweideutigen Ruf vor, den sich Philipp unstreitig erworben. Wie die meisten Juristen hart gegen Alle, die vom normalen Weg sich entfernen, sah er ganz ernstlich in Philipps Flucht und Abwesenheit die Beweise eines ganz verworfenen Gemüths; und sein Betragen ward in seinen Augen noch sehr erschwert durch Mr. Sharp's Bericht, woraus hervorging, daß Philipp nach seinem Verschwinden so plötzlich und als wäre es eine ganz natürliche Sache, eine so zweideutige Gesellschaft aufgesucht.

Mr. Robert Beaufort, schon von Vorurtheilen gegen Philipp eingenommen, sah die Sachen in demselben Lichte, wie der Advokat; und die Geschichte seiner angeblichen Lieblingsneigungen erreichte Arthurs Ohr in so entstellter Gestalt, daß auch er wankend und empört wurde; – aber doch war Philipp noch so jung.– Arthurs Eid, den er der Mutter der Waisen geschworen, – noch so neu – und wenn Jener so früh schon geneigt, war schlimme Wege einzuschlagen, sollte man nicht alle möglichen Versuche anstellen, ihn auf die rechte Bahn zurückzulocken?

Mit solchen Ansichten und Gedanken besuchte Arthur selbst, sobald er es vermochte, Mrs. Lacy, und das Billet von Philipp, das ihm die gute Frau einhändigte, rührte ihn tief, und befestigte alle seine Entschlüsse. Mrs. Lacy war sehr beflissen, seinen Namen herauszukriegen, aber Arthur, weil er gehört, daß Philipp allen Beistand von seinem Vater und Mr. Blackwell ausgeschlagen, dachte, der Stolz des jungen Mannes könnte ebensosehr auch ihm gegenüber sich sträuben, und daher wich er der Neugier der Hauswirthin aus.

Er schrieb am folgenden Tag den schon mitgetheilten Brief an Mr. Roger Morton, dessen Adresse Katharine ihm gegeben, und mit umgehender Post kam ein Brief von dem Leinwandhändler, worin die Flucht Sidney's in Begleitung seines Bruders, wie man vermuthete, gemeldet wurde. Diese Nachricht regte Arthur so auf, daß er darauf bestand, sofort selbst nach N*** zu gehen und an den Nachforschungen Theil zu nehmen.

Sein Vater, besorgt um seine Gesundheit, schlug es entschieden ab; und die Folge war ein Steigen des Fiebers, eine Berathung mit den Aerzten, und eine Erklärung: Mr. Arthur befinde sich in einem Zustand, wo es gefährlich wäre, ihm nicht seinen Willen zu lassen. Mr. Beaufort sah sich gezwungen nachzugehen, und begleitete mit Blackwell und Mr. Sharp seinen Sohn nach N***.

Die bisher fruchtlosen Nachforschungen bekamen jetzt einen regelmäßigen und geordneten Charakter. Allmählig kamen sie mit Hülfe des Mr. Sharp auf die richtige Spur bis zu einem gewissen Punkt. Hier aber wurden die Spuren doppelt; zwei der Beschreibung entsprechende Knaben hatte man in einem kleinen Dorfe gesehen; dann kamen aber Solche, die versicherten, die beiden jungen Leute in einem Seehafen in der einen Richtung gesehen zu haben, und Andere, welche angaben, sie hätten die entgegengesetzte Straße nach einer Stadt im Innern eingeschlagen.

Dies hatte Arthur und seinen Vater veranlaßt, sich zu trennen. Mr. Beaufort begab sich in Begleitung von Roger Morton nach dem Seehafen, und Arthur fand, vom Glück mehr begünstigt, mit Mr. Spencer und Mr. Sharp, das wirkliche Asyl der Flüchtlinge aus. Mr. Beaufort der Vater war, nunmehr er wegen seines Sohnes ruhiger seyn konnte, herzlich verdrießlich über die ganze Sache, höchst überdrüssig der Gesellschaft des Mr. Morton schämte sich sehr, daß er, ein so angesehener und vornehmer Mann, mit einem solchen Geschäft zu thun haben sollte; er sah mit mehr Furcht als Vergnügen der Möglichkeit entgegen, den trotzigen Philipp aufzufinden, und war heimlich entschlossen unter dem ersten anständigen Vorwand wieder nach London zurückzukehren.

 

Am nächsten Morgen trat Mr. Sharp bei guter Zeit in Mr. Stubmore's Arbeitszimmer. Im Hof sah er von weitem flüchtig Philipp, und wußte es so einzurichten, daß er von diesem jungen Gentleman nicht erblickt wurde.

»Mr. Stubmore, glaube ich.«

»Zu Euren Diensten, Sir.«

Mr. Sharp schloß mit geheimnißvoller Miene die Glasthüre, und indem er einen Zipfel des grünen Vorhangs aufhob, der die Scheiben bedeckte, winkte er dem betroffenen Stubmore, sich zu nähern.

»Ihr seht den jungen Mann dort in der Sammtjacke; er ist in Euren Diensten?«

»Ja, Sir, er ist meine rechte Hand.«

»Nun, denn, seyd ohne Furcht, aber seine Freunde sind hinter ihm her. Er ist auf schlechte Wege gekommen, und wir verlangen von Euch, daß Ihr ihm etwas guten Rath gebet.«

»Pah! Ich weiß, er ist davongelaufen als ein muthiger, tüchtiger Junge, der er ist, und so lang er bei mir bleiben mag, können sich die, die ihn verfolgen, auf ein Bad in der Pferdeschwemme gefaßt machen.«

»Seyd Ihr ein Vater? ein Familienvater, Mr. Stubmore?« sagte Sharp, indem er die Hände in die Hosentaschen steckte, den Bauch hervorstreckte und seinen Mund mit großer Feierlichkeit in Falten legte.

»Unsinn! Keine solche Kindereien mit mir! Tragt Euren Stab zu den Gänsen? Ich sage Euch, ich kann den Burschen nicht entbehren. Jeder ist sich selbst der Nächste.«

»Oho;« dachte Mr. Sharp, »ich muß meinen Angriffsplan ändern.« – »Mr. Stubmore,« sagte er und nahm einen Stuhl, »Ihr sprecht wie ein vernünftiger Mann. Niemand kann billigerweise von einem Gentleman verlangen, daß er sich selbst wehe thue und schade. Aber was wißt Ihr von dem Laffen? Brachte er Euch ein Zeugniß mit?«

»Was geht das Euch an!«

»Ha, eigentlich mehr Euch selbst, Mr. Stubmore; er ist eben noch ein junger Laffe, und wenn er zu seinen Freunden zurückkehrt, können sie auf ihn Acht haben; aber er ist auf Holzwege gekommen, ehe er hieher kam. Kennt Ihr einen stattlich aussehenden Mann mit einem Backenbart, der von seinem Phaëton schwatzt, und vorige Nacht auf einer braunen Stute ritt?«

»J – j – a!« sagte Mr. Stubmore und ward ziemlich blaß, »und ich kenne auch die Stute. Ha, Sir, ich habe ihm die Stute verkauft.«

»Hat er Euch dafür bezahlt?«

»Ha, allerdings, er gab mir einen Wechsel auf Coutts.«

»Und Ihr nahmt ihn! Ei, meine Augen, welch eine Einfalt!«

Hier schloß Mr. Sharp die von ihm soeben angerufenen Sehorgane, und pfiff mit jenem selbstgefälligen Kitzel und Entzücken, das die Menschen immer empfinden, wenn ein Andrer geprellt worden ist.

Mr. Stubmore In der englischen Erstausgabe und so auch in der vorliegenden Übersetzung findet sich an dieser Stelle »Mr. Sharp«; in den späteren englischen Ausgaben ist dies jedoch berichtigt worden. – Anm.d.Hrsg. ward sichtlich in seinen Nerven erschüttert.

»Ha, was ist's jetzt? – Ihr meint doch nicht, ich sey geschnellt? Ich gab ihm das Pferd nicht eher, als nachdem ich im Gasthof gewesen – hörte, daß er sich da breit machte mit einem Reitknecht und Phaëton, und ausgelassen sey wie der Teufel.«

»O Herr! o Herr! was ist das für eine Welt! Wie nennt er sich?«

»Nun, hier ist der Wechsel – George Frederick de – de Burgh Smith.«

»Steckt es in Eure Pfeife, Mann, steckt Eure Pfeife damit an – nicht einen D*** werth.«

»Und Wer Henkers seyd denn Ihr?« sprudelte Mr. Stubmore heraus, ebenso ergrimmt über sich wie über seinen Besuch.«

»Ich, Sir,« sagte der Besuch mit großer Würde sich erhebend, – »Ich, Sir, bin von dem großen Bow-Street-Office, und mein Name ist John Sharp!«

Mr. Stubmore fiel beinahe von seinem Stuhl, die Augen verdrehten sich in seinem Kopfe und seine Zähne klapperten. Mr. Sharp nahm den gewonnenen Vortheil wahr und fuhr fort:

»Ja, Sir, und ich könnte viel sagen gegen den Kerl, der nicht Mehr und nicht Weniger ist als Dashing Jerry, welcher mehr Mädchen und Gewerbsleute ruinirt hat, als irgend ein Lord im Land, und so kam ich herum, Euch ein Wenig zu warnen, denn, sagte ich bei mir selbst, Mr. Stubmore ist ein achtbarer Mann!«

»Das hoffe ich zu seyn, Sir,« sagte der ganz kleinlaut gewordene Roßkamm; »das war immer mein Ruf.«

»Und Familienvater?«

»Drei Knaben und ein Kind an der Brust,« sagte Mr. Stubmore pathetisch.

»Und Ihr sollt nicht angeführt seyn, wenn ich es verhindern kann! Der junge Mann, hinter dem ich her bin, seht Ihr, kennt den Kapitän Smith – ha! ha! – riecht Ihr jetzt die Ratte, he?«

»Kapitän Smith sagte, er kenne ihn – die Viper! – und das machte mich so kirre!«

»Gut, wir dürfen dem Jungen nicht zu hart mitspielen; warum? darum, weil er Freunde hat, die Gentlemen sind. Aber Ihr sagt ihm, er solle zu seinen armen lieben Verwandten zurückgehen, und Alles soll verziehen seyn; und sagt ihm, daß Ihr ihn nicht behalten wollt; und wenn er nicht gehe, so solle er's versuchen, sich seinen Unterhalt zu verdienen ohne Zeugniß; und gebraucht Euren Einfluß über ihn als ein Mann, und als ein Christ, und was Mehr ist, als ein Familienvater, Mr. Stubmore – mit drei Knaben und einem Kind an der Brust. Ihr werdet ihn doch jetzt nicht behalten wollen?«

»Ihn behalten! Ich bin froh, wenn ich mit heiler Haut durchkomme. Ich will nur gehen und nach dem Pferd sehen.«

»Ich zweifle, ob Ihr ihn finden werdet; der Kapitän wurde diesen Morgen meiner ansichtig. Warum? er logirt in unserem Gasthof! – Er ist jetzt schon auf und davon!« –

»Und warum Teufels ließt Ihr ihn laufen?«

»Weil ich keinen Verhaftbefehl gegen ihn hatte!« sagte der Bow-Street-Beamte, und schritt stracks aus dem Arbeitszimmer hinaus, zufrieden, daß er den Handel abgemacht.

Seinen Hut ergreifen – in den Gasthof rennen – erfahren, daß Kapitän Smith wirklich in seinem Phaëton, mit Sack und Pack, ganz so wie er gekommen, abgereist war, nur daß er jetzt zwei Pferde an seinem Phaëton hatte, statt eines, und den Betrag seiner Rechnung dem Wirth ebenfalls in einem Wechsel auf Coutts zurückgelassen hatte – war bei Mr. Stubmore das Werk von fünf Minuten. Er eilte nach Haus zurück, keuchend und purpurroth vor Entrüstung und Schaam.

»Denken müssen, daß der Junge, den ich in meinen Hof aufgenommen, wie einen Sohn, hiezu geholfen habe! Es ist nicht das Geld – es ist die Schurkerei, die mich aufbringt;« murmelte Mr. Stubmore als er in den Stall trat.

Hier stieß er gerade auf Philipp, welcher sagte:

»Sir, ich wünschte Euch zu sprechen, um Euch zu sagen, daß Ihr Euch vor Kapitän Smith hüten sollet!«

»Oho! Wirklich, wirklich, nachdem er fort ist? schon entflohen nach Amerika, denk' ich, in dieser Stunde! Nun, seht Ihr, junger Mann! Eure Freunde suchen Euch; ich möchte Nichts gegen Euch sagen; aber geht Ihr zu ihnen zurück – ich wasche meine Hände, was Euch belangt. Viel zu Viel für mich. Da ist Euer Wochenlohn, und laßt Euch nie mehr in meinem Hof sehen, das ist Alles!«

Philipp ließ das Geld fallen, das ihm Stubmore in die Hand gedrückt. »Meine Freunde – Freunde sind bei Euch gewesen, wirklich? Ich dachte das – ich danke ihnen, und also wollt Ihr meiner los seyn? Nun, Ihr seyd sehr freundlich, sehr freundlich gewesen; laßt uns auch freundlich scheiden;« und er bot ihm die Hand.

Mr. Stubmore war besänftigt – er berührte die ihm dargebotene Hand und sah einen Augenblick zweifelhaft aus; aber des Kapitän Burgh Smiths Wechsel für achtzig Guineen stieg plötzlich vor seinen Augen auf; er drehte sich rasch auf der Ferse um und sagte über die Schulter:

»Folgt nicht dem Kapitän Smith (– er kommt an den Galgen!) bessert Euern Wandel und fügt Euch unter Eure guten armen Verwandten, denen Ihr das Herz brecht!«

»Kapitän Smith! Haben Euch meine Verwandte gesagt –«

»Ja, ja – sie haben mir Alles gesagt – das heißt, sie ließen mir sagen; so seht Ihr, ich bin verdammt sanftmüthig, daß ich Euch nicht festnehme. Aber vielleicht, wenn es Gentlemen sind, handeln sie auch als Solche, und versilbern mir meinen Wechsel.«

Aber die letzten Worte waren in die Luft gesprochen. Philipp war aus dem Hof weggerannt.

Mit hochpochendem Herzen, jeder Nerv seines Körpers bebend vor Zorn, schritt der stolze, unglückliche Jüngling durch die belebten, fröhlichen Straßen. Also hatten sie ihn verrathen, diese verfluchten Beauforts! sie schloßen seine Schritte ein mit arglistigen Planen, ihn wie einen Hirsch in die Schlingen ihrer verhaßten Barmherzigkeit zu treiben! Das Obdach sollte ihm weggenommen werden über dem Haupte, das Brod vom Munde – damit er zu ihren Knieen sich winde und krümme, um Almosen flehend.

»Aber sie sollen meinen Geist nicht beugen, und meinen Fluch mir nicht durch Schmeichelei abkaufen. Nein, meine todte Mutter, nimmermehr!«

Während er dies vor sich hin murmelte, schritt er über eine Strecke wüste liegenden Bodens, die zu der Häuserreihe führte, wo seine Wohnung lag, und hier rief ihn eine Stimme an und eine Hand berührte seine Schulter. Er wandte sich, und Arthur Beaufort, der ihm von der Straße gefolgt war, stand hinter ihm. Philipp erkannte nicht gleich auf den ersten Blick seinen Vetter. Seine Krankheit hatte ihn so verändert, und sein Anzug war so ganz verschieden von dem, worin er ihn das erste und letzte Mal gesehen hatte.

Der Contrast zwischen den beiden jungen Männern war auffallend. Philipp trug die grobe Tracht, die zu seinem bisherigen Beruf paßte – eine schwarze Sammtjacke, schlecht passend und schlecht gemacht, weite Barchenthosen, plumpe Schuhe, den Hut tief über seine zusammengezogenen Brauen gedrückt, seine Rabenhaare lang und vernachläßigt. Er stand gerade in dem Alter, wo ein Jüngling von starken Zügen und von robustem Körperbau sich äußerlich am Schlechtesten ausnimmt – die sehnigten Gliedmaßen noch nicht genügend mit Fleisch ausgestattet, und daher unharmonisch und unentwickelt erscheinend, genau vielleicht entsprechend der Symmetrie, zu welcher sie unvermerkt heranreifen; der Umriß des Angesichts schärfer geworden, nachdem die Rundung des Knabenalters verschwunden und der Blüthe desselben verlustig, ohne noch die kräftigere, dunklere Farbe erlangt zu haben, welche den Ausdruck und die Würde des männlichen Antlitzes hebt. So dürr und hager, so schlecht und nachläßig gekleidet und geputzt stand Morton da.

Arthur Beaufort, immer vornehm und fein in seiner äußeren Erscheinung, erschien noch mehr so vermöge der fast weiblichen Zartheit, welche die Krankheit seinem bleichen Gesicht und seiner anmuthigen Gestalt verliehen hatte; jene Art unbewußter Eleganz, welche dem Anzug der Reichen eignet, wenn sie jung sind – am meisten in Kleinigkeiten sichtbar von ihnen selbst vielleicht nicht wahrgenommen, bezeichnete deutlich und schmerzlich den Unterschied des Ranges zwischen Beiden. Beaufort fühlte diesen Unterschied nicht; aber Philipp bemerkte ihn auf den ersten Blick.

Die Vergangenheit drängte sich ihm auf – der sonnige Rasen, das Anerbieten und das Ablehnen des Gewehres – der alte Stolz, viel weniger hochmüthig als der jetzige Stolz!

»Philipp,« sagte Beaufort mit schwacher Stimme, »man sagt mir, Ihr wollet keine Freundlichkeit von mir und den Meinigen annehmen. Ach! wenn Ihr wüßtet, wie wir Euch gesucht haben!«

»Wenn ich es wüßte!« rief Philipp, denn dies unglückliche Wort erinnerte ihn an sein letztes Gespräch mit seinem Brodherrn und an seine jetzige aussichtslose Lage. »Wenn ich es wüßte! Und wie habt Ihr Euch erfrechen können, mich auszuspüren und mich niederzuhetzen? – warum muß diese unverschämte Tyrannei, welche sich ein Recht über diese meine Glieder und diesen freien Willen anmaßt, mich und mein Elend überall, wohin ich mich wende, verrathen und bloß stellen?«

»Eure arme Mutter –« begann Beaufort.

»Nennt sie nicht mit Euern Lippen – nennt sie nicht!« schrie Philipp und wurde blaß und gelb vor innerer Bewegung. »Schwatzt nicht von der Barmherzigkeit, der Fürsorge, die ein Beaufort ihr und ihrem Sohn erzeigen könnte! Ich nehme sie nicht an – ich glaube nicht daran. Oh! ja freilich! Ihr verfolgt mich jetzt mit Eurer falschen Freundlichkeit; und warum Weil Euer Vater – Euer eitler, hohler, herzloser Vater – –«

»Halt!« sagte Beaufort in einem so vorwurfsvollen Tone, daß er das wilde Herz betroffen machte, an das er drang; »es ist mein Vater, von dem Ihr sprecht. Ehre der Sohn das Gefühl des Sohnes!«

»Nein – nein – nein! Ich will Keinen von Eurem Geschlecht ehren und achten. Ich sage Euch, Euer Vater fürchtet mich. Ich sage Euch, meine letzten Worte gellen ihm noch im Ohr. – Meine Leiden und Mißhandlungen! Arthur Beaufort, wenn Ihr fern seyd – suche ich sie zu vergessen; – in Eurer verabscheuten Gegenwart leben sie wieder auf – sie –«

Er hielt inne, beinahe erstickt von seiner Leidenschaftlichkeit; aber im Augenblick fuhr er wieder mit gleicher Heftigkeit fort:

»Wäre jener Baum dort der Galgen, und nur das, daß ich Eure Hand berührte, könnte mich vor ihm retten, ich würde Euern Beistand verschmähen. Beistand! Der bloße Gedanke schon entzündet mein Blut und stählt meine Hand. Beistand! Wird ein Beaufort mir mein Geburtsrecht – meiner todten Mutter ihren reinen Namen wieder schaffen! – Zierpuppe! – schwache, zärtliche, üppige Zierpuppe! – aus meinem Weg! Ihr habt mein Vermögen, meinen – Rang, meine Rechte; ich habe nur Armuth, Haß und Verachtung. Ich schwöre, wiederholt schwöre ich es, daß Ihr mir diese nicht abkaufen sollt!«

»Aber, Philipp, Philipp!« rief Beaufort, seinen Arm ergreifend, »hört mich, hört den, der gestanden ist an Eurer –«

Der Satz, welcher den Verstoßenen gerettet gaben würde vor den Dämonen, welche sich finster um seine Seele drängten, erstarb auf den Lippen des jungen Protektors; verblendet, wahnsinnig, aufgeregt und erbittert, daß er beinahe kein Mensch mehr war, schleuderte Philipp trotzig – brutal – die geschwächte Gestalt beiseite, und Beaufort fiel zu seinen Füßen nieder. Morton blieb stehen – stierte ihn mit geballten Händen und lächelndem Munde an – sprang über einen ausgestreckten Leib und eilte nach Hause.

Er mäßigte seinen raschen Schritt, als er sich dem Hause näherte, und schaute hinter sich; aber Beaufort war ihm nicht gefolgt. Er trat in das Haus und fand Sidney im Zimmer mit einem so viel fröhlicheren Gesicht, als er in neuerer Zeit an ihm zu sehen gewohnt war, daß es ihm auffallen mußte, so versunken er in Gedanken und Leidenschaft war.

»Was hat Dich so froh gemacht, Sidney?«

Das Kind lächelte.

»Ach, es ist ein Geheimniß; ich sollte es Dir nicht sagen. Aber ich weiß gewiß, Du bist nicht der garstige Knabe, wie er sagt, daß Du seyest.«

»Er! – Wer?«

»Schaue nicht so zornig, Philipp, Du machst mir Angst?«

»Und Du marterst mich. Wer konnte einen Bruder beim andern verleumden?«

»Oh, es war Alles sehr gut gemeint – es ist solch ein hübscher, lieber, guter Gentleman hier gewesen, und der hat laut geweint, als er mich sah, und hat gesagt, er habe die gute Mama gekannt. Nun und der hat versprochen, mich mit sich nach Haus zu nehmen und mir ein hübsches Pferdchen zu geben – so zierlich – so zierlich – oh! so zierlich, als man es nur bekommen kann! Und er wird wieder herkommen und mir mehr erzählen; ich glaube, es ist ein Elfe, Philipp?«

»Hat er gesagt, er wolle auch mich mitnehmen, Sidney?« sagte Morton sich niedersetzend, und sah sehr blaß aus. Auf diese Frage ließ Sidney den Kopf hängen.

»Nein, Bruder – er sagt, Du würdest nicht gehen, und Du seyest ein böser Bube – und gehest mit ruchlosen Leuten um – und Du wollest mich hier eingeschlossen halten und Niemand mir Gutes thun lassen. Aber ich habe ihm gesagt, ich glaube das nicht – ja, gewiß! dass hab' ich ihm gesagt.«

Und Sidney versuchte liebkosend seinem Bruder die Hände wegzuziehen, mit denen er sich das Gesicht bedeckt hatte.

Morton fuhr auf und schritt hastig im Zimmer auf und ab. Das, dachte er, – ist ein weiterer Emissär der Beauforts; – vielleicht der Advokat; sie wollen mir ihn entreißen, – das Letzte, was meiner Liebe und Hoffnung blieb. Ich will sie zu Schanden machen.

»Sidney,« sagte er laut; »wir müssen von hier weg, heute, in dieser Stunde noch – ja, in diesem Augenblick!«

»Was! fort von diesem hübschen, guten Gentleman?«

»Fluch ihm! Ja, fort von ihm. Heule nicht – es hilft Nichts – Du mußt gehen.«

Diese Worte wurden in rauherem Tone gesprochen, als Philipp je gegen Sidney angenommen, und nachdem er dies gesagt, verließ er das Zimmer, um mit der Hauswirthin abzurechnen, und ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken.

Nach einer Stunde hatten die Brüder die Stadt im Rücken.



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