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Die Landsgemeinde.

Vom Hirschberg steigt die Sonn' ins Thal,
Das still geträumt in Nebelduft,
Und wachgeküßt vom goldnen Strahl,
Ein Glockenton durchbebt die Luft.
Er ruft das Volk von Appenzell
Zur Landsgemeind' nach altem Brauch,
Die Sitter funkelt silberhell,
Im Thauglanz flimmert Busch und Strauch.
Die Bergesriesen recken sich
Empor in kalter Majestät,
Das letzte Wölklein, das umschlich
Die Säntisspitze, ist verweht.
Die Innerrhoder ziehn in Schaaren
Dem Dorfplatz zu, ob grau an Haaren,
Ob jung, im Kittel oder Rock,
Heut' bringt ein jeder statt dem Stock
Den Säbel mit nach heil'gen Rechten.
Gilt's auch mit Worten nur zu fechten,
Und setzt es weder Stich noch Schlag, –
Politisch heiß wird noch der Tag.
Vom Dorfplatz zur Brücke
In Glast und Glanz
Stolziren die Dirnen,
Als ging's zum Tanz.

Schneeweiß glänzt das Mieder,
Im Haar blitzt der Pfeil,
Sie plaudern und trällern,
Denn keine hat Eil'.
Zu Ketten verschlungen
Von Arm zu Arm
Hinstelzelt der fröhliche
Zischgelischwarm.
Straßauf- und straßabwärts
Ein farbig Getrieb,
Ein Schwatzen und Schnattern,
Ein Gesumms und Geschieb,
Ein Bücken und Drücken,
Ein Gegaff und Krakehl,
Da schreit der Schützenfranzenseppetoni:
»Sie kommen, mein Seel!«

Andächtig, würdeschwer, ein Landvogt jeder Zoll,
Anmarschirt die Obrigkeit von Volksbeglückung voll.
Runden Schwungs die Mäntel wehn feierlich im Zug,
Unter'm Dreispitz schaun hervor Aeuglein fuchsig klug.
Schwarze Bärte struppig kühn verdecken manches Kinn
Jener Art, von der man sagt, es hockt der Teufel drin.
Landammann und Pannerherr, Seckelmeister, Rath
Bergen Red' und Gegenred' im amtlichen Ornat.

Ein Stück Vorwelt auf zwei Beinen
Stapft voraus der guten Sache
Mit Zylinder und Hellbarte
Eine Extra-Ehrenwache.
Und sie fuchtelt mit dem Monstrum
Und versucht zu imponiren,
Während sich die hohen Herren
Auf dem Festgerüst postiren.
Mit des Landes Toten-Farben
Ist es schwarz-weiß ausgeschlagen,
An den Seiten schreckgewaltig
Sechs Schuh lange Schwerter ragen.
Und die Bürger stehn im Kreise
Baren Haupts, die Wehr in Händen,
Spähn, wohin die Steuermänner
Das Regierungsschifflein wenden;
Sehn es auf den Wellen schaukeln,
Plötzlich sinkend sich erheben,
Und es reißt an ihrem Herzen,
Will's zur Tiefe niederschweben.
Von der fernen Rednerbühne
Schallt es überzeugend wieder,
In dem Schoße der Parteien
Wogt es zweifelnd auf und nieder
Bis die Sätze hagelwuchtig
Auf die Köpfe niederwettern,
Quaderdicke Vorurtheile
Durch ein Schlagwort zu zerschmettern.
Auf solch Schauspiel lacht in Gnaden
Goldig hell die Sonne nieder,
Auf dem einz'gen Baum im Umkreis
Pfeift ein Buchfink Frühlingslieder.
Pfeift wohl auch auf all die Weisheit,
Die hier wird zu Markt getragen,
Und er dünkt sich wie ein Gräflein
Im gefläumten Federkragen. –
Plötzlich rauscht's von tausend Armen,
Die sich himmelaufwärts strecken:
Volkes Stimm' ist Gottes Stimme!
Solch ein Mehr ist zum Erschrecken
Für die Bürger andrer Meinung,
Für den Fant im Blätterbaue;
Jene ball'n die Faust im Rocksack,
Dieser schwingt sich auf ins Blaue.


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