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XLIX.

Schreiben eines frommen und unerschrockenen Bruders vom heiligen und unbefleckten Orden, d. h. des heiligen Augustinus, über schlimme Neuigkeiten, welche sich unlängst zu Kolmar durch göttlichen Zorn – ach guter Gott! – bei uns ereignet haben. er unwürdige Bruder Johannes Tolletanus entbietet dem wahrhaft frommen Herrn Pater Richard Kalberstadt viele Grüße.

Ich kann Dir nicht ohne große Seelenqual für mich verbergen, geliebtester Bruder, was uns und den Angehörigen unsers heiligen Ordens neulich in dieser Stadt zugestoßen und vorgekommen ist. Es ist nämlich bei uns im Konvent ein Bruder, den Du selbst kennst, ein Mann von hervorragender Stellung, dem Kloster nützlich und dem ganzen Orden zur Ehre gereichend: er hat eine sonore Stimme im Chor und kann auch gut Orgel spielen. Derselbe kam unlängst ins Gespräch mit einer unserem Orden eifrig zugetanen Gönnerin, welche damals auch eine schöne Frau war, sich jetzt aber von uns abgezogen hat und eine böse Bestie geworden ist. Er sprach auch so viel, daß sie auf die Nacht zu ihm in das Kloster kam und drei Nächte lang daselbst verweilte. Auch kamen zu ihr zwei oder drei Brüder, waren lustigen Sinnes, trieben allerlei Leichtfertigkeiten mit ihr, und sie stellten alle, wie am Codrus-Feste, kräftig ihren Mann, sodaß sie wohl zufrieden war. Wie es nun Tag geworden war, daß sie nach Hause gehen mußte, da sagte er: »Komm' ich will dich hinauslassen; jetzt sieht dich niemand.« Hierauf erwiderte sie: »Gib mir vorher meinen Lohn für dich und die andern alle«. Er: »Ich kann nicht für andere zahlen«. Nun war an diesem Tag voller Chordienst, und er hatte denselben zu leiten, mußte daher in den Chor gehen zum Beginn und Schluß der Horen. Sogleich kam er aber wieder zu ihr zurück im Chorhemd und Dalmatika, spielte ihr auf die liebenswürdigste Weise zwischen beiden Brüsten und auch gar artig im Schoße, sodaß er sich keiner Bosheit von ihr versah. Da läutete der Küster in den Chor, und er lief im Hemd ohne Hose fort, um dem Gottesdienste beizuwohnen. Wie er nun zurückkam, war jene schlimme Bestie schon auf die Straße hinausgegangen und nahm ein gutes Oberhemd nebst einer Kutte von gutem schwarzen Tuche mit sich. Bei ihrer Ankunft zu Hause schnitt sie sogleich in Stücke, ohne Furcht, der Exkommunikation zu verfallen, daß sie ein geweihtes Gewand zugrunde richtete. Da ward in Wahrheit jener Spruch entfülltet: Sie haben meine Kleider unter sich zerteilet«. Da sind nun so einige strengfromme Brüder da, welche behaupten, diese schlimme Bestie habe in der Kuttenkapuze vierzehn Kronentaler gefunden, was – ach und wehe! – immer verdammlich sei; allein der eine glaubt es, ein zweiter glaubt es nicht. Als nun jener gute Bruder sah, daß er in Schande und Schaden gekommen sei, ging er zum Stadtpedellen die neuen Latinisten nennen ihn Viator – und sprach zu ihm: »Mein Lieber, gehe zu jener Frau und sage ihr, sie solle mir meine Kutte verabfolgen lassen«. Der Pedell entgegnete: »Ich mag nicht gehen, wenn du es sagst; wenn es aber der Amtmann sagt, dann will ich gehen«. Da begab sich der Bruder ganz unüberlegter Weise, in der von seinem Glaubenseifer ihm eingegebenen Voraussetzung, der Amtmann sei ein Gönner des Ordens, zu diesem und brachte seine Klage vor. Dieser nahm eine gerichtliche Verhandlung vor und ließ sie herbeiholen, und als sie erschien, fragte sie der Amtmann: »Warum hast du diesem hier seine Kutte hinweg genommen?« Nun stand sie da und sagte ohne Scheu und Zurückhaltung alles, auch wie sie drei Nächte in dem Kloster war, wie sie es ganz mannhaft mit ihr trieben und ihr keinen Lohn gaben. Auf das hin wollte der Amtmann es dem Bruder nicht so gut werden lassen, daß er seine Kutte wieder bekam, sondern sagte zu ihm: »Ihr fanget viel an, gewiß wird es euch nicht immer so durchgehen; geh' du in's Hundert-Teufels Namen und bleibe in deinem Kloster;« dabei gab er ihm einen abweisenden Bescheid, und so ward denn der gute Bruder ganz beschämt und geriet außer aller Fassung. Auch verspottete man ihn, und nachdem man ihn verspottet hatte, legte man uns das große Kreuz auf, daß wir bei schwerer Strafe nicht außerhalb des Klosters über die Straßen gehen durften. Allein der hochwürdige Vater Prior war nicht daheim, als dieses vorging; nach seiner Zurückkunft ließ er aber die ganze Sache an den hochwürdigen Vater Provinzial, unsern gnädigen Herrn, gelangen – derselbe ist ein gelehrter, erleuchteter Mann, ein Weltlicht, der bei zwei Disputationen sich wacker gegen die Ketzer hielt und sie alle hinunterdisputierte, allein sie wollten ihm nicht glauben, diese Ungläubigen –. Hierauf kam der hochwürdige Vater Provinzial ungesäumt in die Stadt, und sicherlich waren er und der Prior schlecht zufrieden mit jenem Bruder, daß er so unüberlegt sich an den Amtmann gewendet hatte: besser wäre es gewesen, wir hätten ihm eine neue Kutte vom besten Tuche gekauft; allein er tat es aus wohlgemeintem Eifer. Sogleich begab sich der Provinzial zu dein Amtmann und den Ratsherren und bat sie, uns wieder die Erlaubnis zu erteilen, vom Kloster wieder auf die Straßen zu gehen; er konnte aber nichts erreichen, denn alle, der ganze Rat, sagten: das sei etwas unbedeutendes, daß wir nicht mehr ausgehen dürfen; sie wollen uns einen Geschäftsführer – sie selbst nannten ihn Kurator – bestellen, der über Einnahmen und Ausgaben des Klosters Rechnung führen und uns nur das notwendige verabfolgen lassen solle. Fürwahr, wenn das sein wird, dann wird es ein Ende haben mit der kirchlichen Freiheit, dann ist es nichts mehr; der Teufel bleibe im Kloster – o, mein Bruder! – dahin ist es mit uns im Leben gekommen! Wer konnte je diesen Schmerz ahnen, daß unsere besten Gönner sich so von uns zurückziehen? Und in der Tat ist der hochwürdige Pater Prior sehr niedergeschlagen, und war einige Tage lang vor Betrübnis krank; heute aber sind es acht Tage, daß er nach der dritten Verdauung einen bösartigen Schweiß hatte; nachdem er aber aufgestanden war zur Verrichtung eines natürlichen Bedürfnisses, und eine sehr reichliche, nicht harte, sondern dünne Entleerung gehabt hatte, da wurde es wieder besser mit ihm. Er hat aber gute Hoffnung von seiten einer Gönnerin des Ordens, die ihm gute Brühlein und Nonnenfürzchen u. dgl. zuzurichten weiß. Liebster Bruder, wenn unsere Laien Herr sein werden, dann werden sie alle uns auslachen; haben sie doch schon ein Sprichwort über uns gemacht, das sie einem alten entnommen haben. In diesem wird von einem Leutpriester, der gern guten Käse aß, gesagt, daß er, als er in der heiligen Nacht das Osterspiel trieb und seine wohlmeinende Gönnerin ihm den guten Käse stahl, den er bei seiner Rückkehr von dem Spiele nicht mehr fand, gerufen habe: »Bei den heiligen Göttern, die Hure hat den Käse gestohlen!« So geht es jetzt uns: wann wir von unseren Mauern, um uns zu trösten, in die Straßen hinaussehen, so kehren die Leute das Sprichwort um, nicht. bloß einfach, sondern indem sie etwas anderes dafür setzen, und rufen: »Hört, bei den heiligen Göttern, die Hure hat eine Kutte gestohlen! Oh Frommer Bruder, auf diese Weise müssen wir viele Qualen und schmerzliche Angriffe von jenen Laien um unseres Ordens willen erdulden, und schon gehen jene Worte der Schrift in Wahrheit an uns in Erfüllung: »Knechte herrschen über uns, und ist niemand, der uns von ihrer Hand errette. Es sitzen die Alten nicht mehr unter dem Tor, und die Jünglinge treiben kein Saitenspiel mehr-, unsers Herzens Freude hat ein Ende, unser Reigen ist in Wehklagen verkehret«. Geliebtester Bruder, bitte Gott für uns, daß er uns von den bösen Laien befreie. Was du aber auch tust, guter Bruder, sieh dich wohl vor, daß jene verruchten Lotterbuben, die weltlichen Poeten, von dem Inhalte dieses Briefes nichts erfahren: sie würden sonst über uns schreiben. Lebe wohl und kerngesund, vielgeliebter, frommer Bruder! Gegeben in unserem Kloster, am 8. des Monats Mai, i.J. 1537.

Wenn jemand diesen Brief durch seine Ausdrücke verbessern will, so kann er dies wohl; den Text der Begebenheit aber muß er unangetastet stehen lassen, denn er enthält Wahrheit. Niemand kann so schlimme Dinge schreiben; uns ist es noch viel schlimmer ergangen.


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