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VI. Nikolaus Ziegenmelker, Bakkalaurus.
An Magister Ortuin Gratius.

Recht viele Grüße, nebst hoher Verehrung an Ew. Hochwürden, wie es meine Schuldigkeit in einem Schreiben an Ew. Magistralität ist. Verehrungswürdiger Herr Magister, Ihr sollt wissen, daß es eine sehr beachtenswerte Frage ist, worüber ich von Ew. Magistralität Aufschluß wünsche und erbitte. Es befindet sich hier ein Grieche, der die Urban'sche Grammatik durchnimmt und, wenn er griechisch schreibt, dann immer Accente oben hinsetzt. Daher sage ich neulich: »Hat doch auch Magister Ortuin aus Deventer die griechische Grammatik behandelt, und versteht wohl eben so viel, wie der da, und hat nie so Accente geschrieben, und ich glaube, daß er so gut weiß, was er zu tun hat, wie jener, und den Griechen noch verbessern könnte.« Allein die anderen wollten es nicht glauben, und meine Kameraden und Kollegen ersuchen mich, ich möchte an Ew. Herrlichkeit schreiben, auf daß Ihr mich in Kenntnis setzet, wie es sich verhält, ob man Accente beisetzen müsse, oder nicht. Soll es nicht sein, dann wollen wir den Griechen kuionieren, daß er's gewiß spürt, und wollen machen, daß er nur wenige Zuhörer haben soll. Ich habe bei Euch zu Köln im Hause von Heinrich Quentel, wo Ihr Korrektor waret und das Griechische korrigieren mußtet, wohl gesehen, daß Ihr damals alle Accente, welche über den Buchstaben standen, wegstrichet mit den Worten: »Was sollen diese Narrheiten?« Und so dachte ich denn bereits bei mir, Ihr hättet irgend einen Grund, sonst würdet Ihr es nicht getan haben. Ihr seid ein wunderbarer Mann, und Gott hat Euch die große Gnade verliehen, von allem Wißbaren etwas, zu wissen. Darum müßt Ihr auch Gott den Herrn, die allerseligste Jungfrau und alle Heilige Gottes in Eueren Dichtungen loben. Nehmet es mir aber ja nicht übel, daß ich Ew. Herrlichkeit mit derartigen Fragen beschwerlich falle, da ich es ja zu meiner Belehrung tue. Lebet wohl!

Aus Leipzig


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