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XLIII. XLIV. Gallus Leineweber aus Gundelfingen, Kantor unter guten Freunden, entbietet seinen Gruß dem Magister Ortuin Gratius, seinem vielgeliebten Lehrer.

Hochzuverehrender Herr Magister! Weil Ihr mir nach der Eberburg einen so tröstlichen Brief geschrieben und mir darin Trost zugesprochen habt, da Euch zu Ohren gekommen ist, ich sei leidend: so sage ich Euch hierfür ewig Dank. Aber in diesem Brief habt Ihr auch geschrieben, es komme Euch befremdend vor, warum ich leidend gewesen sei, da ich ja keine anstrengende Arbeit habe, wie sie auch sonst die nicht haben, welche man Tagediebe nennt, nämlich die Herrendiener. Ha, ha, ha, ich muß lachen! Oder bin ich etwa ein Hurenkind, daß Ihr so einfältig fragt? Wisset Ihr nicht, daß es im Willen Gottes steht, einen krank zu machen, wenn es ihm gefällt? Wenn Kranksein immer von der Arbeit herkommen muß, so paßt es nicht gut auf mich, daß Ihr sagt, ich arbeite nicht viel. Als ich unlängst in Heidelberg bei guten Freunden war, da wurde mir immer der größte Zwang angetan, mit der Gurgel zu arbeiten, nämlich Wein zu trinken, so daß es kein Wunder gewesen wäre, wenn ich meinen Hals davon weggezogen hätte, und Ihr glaubet nicht, daß das eine Arbeit sei? Indes, diese Antwort mag genügen auf jenen Teil Eures Briefes; hernach steht in demselben noch, ich solle Euch ein Büchlein besorgen, worin etwas Schönes für die Jugend stehe, das Ihr durchnehmen könnet. Da Ihr mir somit immer lieb waret wegen Eurer mannigfaltigen Kenntnisse, die Ihr innehabt, so konnte ich mich nicht enthalten, Euch einen schriftlichen Auszug aus dem schönen Büchlein zu senden, was den Titel führt »Briefsammlung der Leipziger Magister«, welches die Magister an der fruchtreichen Universität Leipzig in bester Laune zusammengebracht haben; und dies habe ich deshalb getan, weil ich, wenn Euch dieser erste briefliche Auszug gefällt, Euch das ganze Buch schicken will, das ich nicht gern von mir lasse. Folgendes ist nun der Inhalt dieses Briefes:


Magister Hofmann, ältester Vorsteher der Heinrichs-Burs zu Leipzig, entbietet seinen Gruß dem Matthias Falkenberg aus alter Adelsfamilie, seinem unzertrennlichen Genossen, seit fünfzig Jahren und jetzt noch.

Sintemalen es schon lange her ist, daß wir nicht mehr mit einander zusammen waren, so halte ich es für gut, Euch einmal zu schreiben, damit die alte Freundschaft keinen Bruch erleide, da ich von vielen gehört habe, Ihr wäret noch am Leben und es gehe Euch gut, und Ihr könnet auch noch etwas Tüchtiges leisten, wie damals, als Ihr nochjung waret. Ich habe das, beim heiligen Gott, mit großem Vergnügen vernommen; doch der gütige Gott verzeihe mir, daß ich einen so starken Schwur getan habe. Möchten doch Gott und die heilige Marie es gewähren, daß Ihr einen Ritt hierher machen könntet; denn ich höre, daß Ihr allbereits nicht mehr so gerne reitet, wie damals, als Ihr mit mir in Erfurt und andern Gegenden Sachsens waret, wo ich Euer Wohlbehagen öfter bewundert habe, wenn Ihr zu Pferde dahertrabtet. Ich war sehr in Besorgnis, als ich hörte, die zu Worms lägen in Streit mit einem gewissen Edelmanne, Ihr möchtet auch dabei sein, weil eine alte Familie, wie die Eurige, sich gern zur andern hält. Ihr waret in Eurer Jugend gern mit ihnen zusammen beim Zechen und Reiten, und ich habe Euch oft Vorwürfe darüber gemacht. Allein, da noch alles gut steht, wollen wir dem Herrn Jesu den schuldigen Dank darbringen, daß wir so lange gesund geblieben sind. Ich wundere mich sehr, daß Ihr mir nie geschrieben habt, da Ihr doch viele Boten nach Leipzig habt und wohl wußtet, daß ich immer hier gewohnt habe. Ich kann nicht so träge sein, wie Ihr, daher ich Euch auch schreibe und immer gern schreibe; und ich weiß, daß ich in jenen Jahren, als wir einander persönlich sahen, mehr als zwanzig Briefe an gelehrte Männer aus meiner Zeit geschrieben habe. Allein dieser Verstoß mag, nebst anderen, auf sich beruhen bleiben. Edler Herr, ich wünschte, Ihr wäret neulich hier gewesen, als der durchlauchtigste Fürst von Sachsen sein Beilager mit einem herrlichen Tanz feierte, wobei viele Edelleute zugegen waren. Ich war bei diesem Beilager als Abgeordneter mit unserem Leipziger Rektor. Wir überreichten als Präsent einen großen Pokal und in demselben viele Goldstücke, blieben zwei Tage daselbst, waren sehr vergnügt und heiter und erquickten uns mit essen und trinken. Ich hatte einen Famulus bei mir, der zwei Töpfe hatte und wohl wußte, wo ich bei Tische saß: diese Töpfe stellte er unter meine Bank; da hatten wir Wein vom besten: Ihr wißt wohl, was das für einer ist; er ist honigsüß, ich trinke ihn so gern, daß es mir davon rund im Kopfe herumgeht, und nach der Mahlzeit pflege ich dann zu tanzen. Hierauf nahm ich den Topf, füllte ihn mit dem Besten und stellte ihn wieder unter den Tisch; das tat ich aber, damit wir unterwegs etwas zu trinken hätten. Ferner hatten wir unter vielen anderen Gerichten ein gutes Ragout mit vielen Hühnern und guten Sachen. Da nahm ich den andern Topf und steckte ein ganzes Huhn hinein: auch das tat ich, damit der Herr Rektor Magnifikus und ich etwas auf dem Wege zu essen hätten. Als das geschehen war, sagte ich zu einem Edelmann: »Edler Herr, rufet mir meinen Diener, ich habe ihm etwas zu sagen.« Als er das getan hatte und der Diener gekommen war, sagte ich: »Famulus, komm' her, hebe mir das Messerchen auf, das mir unter den Tisch gefallen ist –« ich hatte es aber gern fallen lassen, da kroch er unter den Tisch, nahm das Messerchen und die Töpfe unter sein Kleid und stipitzte sie so hinweg, daß kein Mensch es sah. O heilige Dorothea, wenn Ihr damals bei uns auf dem Wege gewesen wäret, als wir wieder nach Leipzig zurückreisten, welch ein angenehmes Leben hätten wir aufführen wollen! Ich aß auch noch zwei Tage nachher von diesen Überbleibseln, weil wir unterwegs nicht alles verzehren konnten. Dies schreibe ich Euch aber deshalb, weil ich weiß, daß auch Ihr gerne mit Sieb und Sack stipitzet; denn Ihr tatet es damals, als Ihr noch bei mir waret, wo ich es von Euch gelernt habe. Es ist auch wahrhaftig die beste Kunst: ich möchte sie nicht um hundert Goldgulden missen. Ganz kürzlich sagte mir einer, Ihr hättet einen schönen Garten in Eurer Vaterstadt, worin sich viele Früchte, auch Birnen, Äpfel und Trauben befänden, und wenn Ihr in Eurer Herberge wäret, weil Ihr zu Hause keinen eigenen Tisch führet, hättet Ihr eine große Tasche, in welche Ihr Semmeln, gebratenes Geflügel und Fleisch hinein praktizieret und diese Praktik so schön ausführet, daß es niemand wahrnehme, worüber ich mich wundern muß. Allein ich glaube, Ihr verstehet Euch hierauf aus langer Übung, denn Übung macht die Kunst, wie der Philosoph Physica IX sagt. Auch höre ich, Ihr hättet eine Geliebte bei Euch, welche mit dem einen Auge nicht gut sieht. Ich wundere mich in der Tat, daß Ihr noch bei Nacht den Mann machen könnt, da Ihr schon so alt seid; was aber das Allerwunderbarste für mich ist: ich hörte, daß Euch Euer Ding sechs Wochen lang ununterbrochen stand, daß Ihr es nicht biegen konntet, Ihr aber sagtet, es komme das von einem Leiden her. 0, wenn nur auch ich ein solches Leiden hätte, welch guter Geselle wollte ich dann sein! Aber glaubet mir, ich kann nicht mehr so, wie ich es in meiner Jugend verstanden habe. Vor vier Wochen habe ich außer dem Hause meine Köchin durchgenommen: so lange ist es, daß ich nichts mehr gekonnt habe. Noch eins, um das ich Euch bitten will, bevor ich schließe. Wenn Ihr einen Knaben oder einen Anverwandten habt, oder einen guten Freund, wißt, der einen solchen hat, und welcher Student werden soll, so schicket ihn hierher zu mir nach Leipzig. Wir haben viele gelehrte Magister bei uns, haben auch gut zu essen in unserer Burs und zweimal täglich sieben Gerichte, mittags und abends. Das erste heißt »Semper«, auf deutsch Grütze; das zweite »Continue«, d.h. Suppe; das dritte »Quotidie«, d.h. Gemüse; das vierte »Frequenter«, d.h. Magerfleisch; das fünfte »Raro«, d.h. Gebratenes; das sechste »Nunquam«, d.h. Käse; das siebente »Aliquando«, Äpfel und Birnen. Und dazu haben wir einen guten Trunk, welcher Kosent heißt. Seht da, ist das nicht genug? Diese Ordnung beobachten wir das ganze Jahr hindurch und sie wird von allen gelobt. jedoch in unseren Wohnungen haben wir außer der Zeit nicht viel zu essen, was auch nicht gut wäre, denn sonst würden unsere Untergebenen nicht studieren. Darum schrieb ich an die Stuben von allen folgende zwei Verse:

Das ist die Regel, woran allzeit an der Burse man festhält: Wenn du mit mir willst essen, so bringe du selber die Kost mit.

Doch, mit diesem mag es genug sein. Ihr sehet, daß ich auch Dichter bin, doch will ich mich nicht dafür ansehen lassen, als ginge ich zu weit. Leber wohl, samt Eurer Geliebten, vergnügter, als die Biene im Thymian, oder der Fisch im Wasser. Noch einmal, lebet wohl!

*

Nun sehet, Herr Magister Ortuin, ob Euch dieser Brief gefällt, dann will ich Euch ein ganzes Buch voll schicken, denn sie sind, nach meiner Einsicht, sehr gut. Sonst kann ich Euch jetzt nichts mehr schreiben. Leber wohl in dem, der alles erschaffen hat. Gegeben auf der Eberburg, wo ich wünschte, daß Ihr bei mir wäret, oder der Teufel soll mich holen.

Am sechsten Wochentage zwischen Ostern und Pfingsten.


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