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XXVIII. Bruder Konrad Dollenkopf an Magister Ortuin Gratius.

Gruß und untertänigste Ergebenheit, nebst täglicher Fürbitte bei unserem Herrn Jesus Christus. Nehmet es nicht übel, ehrwürdiger Mann, daß ich Euch von meinen Angelegenheiten schreibe, da Ihr wohl Wichtigeres zu tun habt. Allein Ihr habt mir einst gesagt, ich solle Euch immer schreiben, wie es mit meinen Studien stehe, und solle im Studieren nicht nachlassen, sondern demselben fleißig obliegen, da ich gute Anlagen hätte und es mit Gottes Hilfe weit bringen könnte, wenn ich wollte. Ihr sollt also wissen, daß ich mich für jetzt auf die Universität Heidelberg begeben habe und Theologie studiere, daneben aber täglich eine Vorlesung über Poetik höre, worin ich durch die Gnade Gottes bereits merkliche Fortschritte zu machen begonnen habe. Schon weiß ich alle Fabeln des Ovid in den Metamorphosen auswendig und kann sie auf vielerlei Weise erklären, nämlich natürlich, wörtlich, geschichtlich und nach dem Geiste, was jene weltlichen Poeten nicht verstehen. Unlängst frug ich einen von ihnen: »Woher kommt der Name Mavors?« Da gab er mir eine Bedeutung an, welche nicht richtig war; ich habe ihn aber auch zurecht gewiesen und gesagt: »Mavors heißt er, weil er gewissermaßen die Männer verschlingt (mares vorat)«; da war er geschlagen. Hierauf frug ich: »Was wird allegorisch durch die neuen Musen bezeichnet?« Auch das wußte er nicht, und ich sagte ihm, die neuen Musen bezeichneten die sieben Chöre der Engel. Drittens frug ich: »Woher kommt der Name Merkurius?« Da er es aber nicht wußte, sagte ich ihm, Merkurius heiße so etwas, wie »Vorsorger für die Kaufleute (mercatorum curius)«, weil er der Gott der Kaufleute ist und Sorge für dieselben trägt. So sehet Ihr denn, daß jene Poetenjetzt in ihrer Kunst nur nach der buchstäblichen Bedeutung studieren und von Allegorien und geistigen Erklärungen keinen Begriff haben, weil sie fleischliche Menschen sind, und, wie der Apostel 1. Korinther im Zweiten schreibt: »Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes.« Allein Ihr könnet fragen: »Woher habt Ihr jene sinnreiche Erklärungsweise?« Ich antwortete: Kürzlich habe ich mir ein Buch angeschafft, das ein gewisser Magister Angelikus aus unserem Orden, namens Thomas von Wallens, verfaßt hat; dieses Buch behandelt die Metamorphosen des Ovid und erklärt alle Fabeln allegorisch und der geistigen Bedeutung nach. Der Mann ist so tiefgelehrt in der Theologie, daß Ihr es gar nicht glaubet. Ganz gewiß hat ihm der heilige Geist diese so große Gelehrsamkeit eingegossen. Er verzeichnet nämlich darin vergleichende Stellen der heiligen Schrift mit den Dichterfabeln, wie Ihr aus dem abnehmen könnet, was ich jetzt anführen will. Ueber den Drachen Phito, welchen Apollo erlegte, schreibt der Psalmist: »Jener Drache, den du gemacht hast, daß er darin scherze«; und wieder: »Auf Ottern und Basilisken wirst du gehen.« Über Saturn, der als alter Mann und Vater der Götter, welcher seine Kinder verschlingt, vorgestellt wird, steht bei Ezechiel geschrieben: »Die Väter werden ihre Kinder in dir fressen.« Diana bezeichnet die allerheiligste Jungfrau Maria, welche mit vielen Jungfrauen hier und dort wandelt, und daher steht von ihr im Psalter geschrieben: »Die Jungfrauen, die ihr nachgehen, führet man zu dir«; und an einer anderen Stelle: »Ziehe mich dir nach, so laufen wir, daß man deine Salbe rieche.« Ebenso heißt es von Jupiter, als er die jungfräuliche Calisto entjungfert hatte und zum Himmel zurückkehrte, bei Matthäus, Kap. 12: »Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin.« Gleichergestalt wird bei der Dienerin Aglauros, welche Merkurius in einen Stein verwandelte, auf jene Versteinerung Hiob 42 hingedeutet: »Ihr Herz ist so hart, wie ein Stein.« Und hinwiederum, als Jupiter sich an der Jungfrau Europa verlustigte, findet sich in der heiligen Schrift eine Stelle, die ich früher nicht kannte; er sagte nämlich zu ihr: »Höre, Tochter, schaue darauf und neige dein Ohr, denn der König hat Lust an deiner Schöne gehabt.« Sodann stellt der seine Schwester suchende Cadmus die Person Christi vor, der seine Schwester, d. h. die menschliche Seele, sucht und eine Stadt, d. h. die Kirche baut. Von Aktäon aber, welcher die Diana nackt sah, prophezeit Ezechiel Kap. 16 also: »Du warst bloß und beschamet, und ich ging vor dir über und sahe dich an.« Auch haben die Poeten nicht ohne Grund geschrieben, Bacchus sei zweimal geboren worden: hierdurch nämlich wird auf Christus hingedeutet, der auch zweimal geboren ist: einmal von Ewigkeit her, und das andere Mal menschlich und im Fleische. Auch Semele, welche den Bacchus säugte, bezeichnet die allerseligste Jungfrau, zu welcher 2. Mosis, Kap. 2 gesagt wird: »Nimm hin das Kindlein und säuge mir's und ich will dir den Lohn dafür geben.« Ebenso wird die Fabel von Piramus und Thisbe allegorisch und dem Geiste nach folgendermaßen erklärt: Piramus bezeichnet den Sohn Gottes und Thisbe die menschliche Seele, welche Christus liebt und von der im Evangelio geschrieben steht: »Durch deine Seele wird ein Schwert dringen« Luk. 2, 35. So tötete sich Thisbe mit dem Schwerte ihres Geliebten. Gleicherweise wird von Vulkan, der aus dem Himmel hinausgeworfen und hinkend wird, in den Psalmen geschrieben: »Sie sind verstoßen worden und konnten nicht bleiben.« Dies und vieles dergleichen habe ich aus jenem Buche gelernt. Ihr würdet Wunder sehen, wenn Ihr bei mir wäret. Das ist auch der Weg, auf dem wir Poetik studieren müssen. Verzeihet mir jedoch, daß ich mir herausnehme, Ew. Herrlichkeit gleichsam zu belehren, da Ihr es besser wisset, als ich, allein ich tat es in guter Meinung. Ich habe Vorsorge getroffen, daß mir einer in Tübingen sichere Nachricht gibt von allem, was Dr. Reuchlin treibt, um Euch Winke erteilen zu können. Nun aber weiß ich nichts mehr, sonst teilte ich es Euch gerne mit. jetzt lebet wohl in ungeheuchelter Liebe!

Gegeben zu Heidelberg.


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