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Anhang zur ersten Abteilung.

1. (XLII.). Anton N., der Arzneikunde fast schon Doktor, d. h. für jetzt Lizentiat aber demnächst promovierend, entbietet seinen Gruß dem hochpreislichen Manne Magister Ortuin Gratius, seinem hochzuverehrenden Lehrer.

Insonderheit hochgeschätzter Lehrer! Nach dem, was Ihr mir unlängst geschrieben habt, ich solle Euch Neuigkeiten berichten, sollt Ihr wissen, daß ich ganz kürzlich von Straßburg nach Heidelberg gekommen bin, in der Absicht, gewisse Materialien einzukaufen, welche wir zur Arzneibereitung gebrauchen; denn es ist, wie Ihr wahrscheinlich schon wisset, auch bei Euren Aerzten üblich, wenn sie etwas in ihren Apotheken nicht haben, sich in eine andere Stadt zu begeben, wo sie das zu ihrer Praxis Erforderliche kaufen können. Doch, das mag auf sich beruhen bleiben. Als ich nun hier angekommen war, besuchte mich ein guter Freund, der mir sehr gewogen ist, und den auch Ihr gut kennet, weil er auch lange zu Köln unter Eurer Zucht war. Dieser sagte mir dann von einem, welcher Erasmus von Rotterdam hieß, und den ich früher nicht kannte, daß er in allem Wißbaren und in allen Zweigen der Gelehrsamkeit trefflich bewandert sei und sich eben jetzt in Straßburg aufhalte. Ich wollte es nicht glauben, und glaube es auch jetzt noch nicht, weil es mir unmöglich scheint, daß ein kleiner Mensch, wie er einer ist, so vieles wissen sollte. Ich hatte damals auch ein Sammelheft bei mir, das ich »Medizinisches Vademekum« betitelte, wie ich es immer zu haben pflege, wenn ich zum Krankenbesuch, oder zum Einkaufe von Materialien über Feld gehe, in demselben stehen auch verschiedene sehr spitzfindige Fragen aus der Arzneikunst. Aus diesem Hefte habe ich mir eine Frage nebst Bemerkungen und Beweisgründen für und wider herausgedüftelt, womit ich wohlbewaffnet dem zu Leibe gehen will, von dem sie sagten, er sei so voll Wissens, um doch die Erfahrung machen zu können, ob er auch in der Medizin etwas wisse, oder nicht. Als ich daher dies meinem Freunde mitgeteilt hatte, veranstaltete er eine flotte Gasterei, und lud dazu spekulative Theologen, hochberühmte Juristen, und, als einen praktischen Arzt, mich, obwohl als unwürdigen, ein. Nachdem sie Platz genommen hatten, schwiegen sie lange, und keiner von uns wollte aus Scheue zuerst das Wort nehmen. Da stieß ich den, welcher mir zunächst saß – Gott weiß, wie mir das Ding so plötzlich in's Gedächtnis kam – an:

»Rings war alles verstummt und gespannt hielt jeder das Antlitz.«

Ich habe den Vers noch in frischer Erinnerung, weil ich damals, als Ihr uns die Aeneis des Virgil erklärtet, einen Mann mit einem Schloß am Munde all diesen Vers hingemalt habe, um mir, Eurem Befehle gemäß, eine Anzeichnung in meinem Buche zu machen. So kam es denn auf die beste Art zu dem, was ich beabsichtigt hatte, da jener Vielwisser auch Poet ist, wie man sagt. Denn während wir so allerseits schweigen, begann er selbst unter weitläufigen Präambeln die Rede fließen zu lassen; ich aber verstand oder ich müßte nur nicht aus rechtmäßiger Ehe geboren sein – kein einziges Wort, weil er eine so schwache Stimme hat, glaube indessen, es war aus der Theologie. Und dies tat er, um unsern in der Theologie gründlichst gelehrten Magister, der mit uns an der Gasttafel saß, aufziehen zu können. Denn nachdem er seinen Eingangssermon geendigt hatte, fing unser Magister an, höchst scharfsinnig »de ente et essentia« zu disputieren, was ich nicht zu wiederholen brauche, da Ihr diese Materie genau durchstudiert habt. Als dies zu Ende war, antwortete er mit wenigen Worten; hierauf war wieder alles stille. Nun aber begann unser Gast, der ein guter Humanist ist, einiges aus der Poetik vorzubringen, und lobte den Julius Cäsar in seinen Schriften und Taten über die Maßen. Und in der Tat, als ich das gehört hatte, da war mir geholfen, weil ich von Euch in der Poetik viel gelesen und gehört habe, als ich in Köln war, und ich sagte: »Dieweilen Ihr nun angefangen habt, von der Poetik zu sprechen, konnte ich mich nicht länger zurückhalten und behaupte einfach: Ich glaube nicht, daß Cäsar jene Kommentarien geschrieben hat, und will meinen Ausspruch mit dem Beweise bekräftigen, welcher folgendermaßen lautet: Keiner, der mit den Waffen und anhaltenden Arbeiten beschäftigt ist, kann lateinisch lernen. So aber verhält es sich mit Cäsar, er war immer im Krieg und hatte die anstrengendsten Arbeiten, folglich konnte er kein Gelehrter sein, oder lateinisch lernen. In der Tat glaube ich also nicht anders, als daß Sueton jene Kommentarien geschrieben hat, weil mir noch nie einer zu Gesicht gekommen ist, der einen dem Cäsar mehr gleichenden Stil hätte, als Sueton.« Nachdem ich so und noch vieles andere gesprochen, was ich nach dem bei Euch bekannten alten Spruche: »Die Neuen lieben die Kürze«, der Kürze wegen übergehe, lachte Erasmus und erwiderte nichts, weil ich durch diese scharfsinnige Beweisführung Meister über ihn geworden war. So machten wir denn der Gasterei ein Ende, und ich wollte meine medizinische Frage nicht mehr vorlegen, weil ich wußte, daß er sie nicht verstände, da er mir jenen Beweissatz in der Poetik nicht zu lösen wußte, und doch selbst ein Poet war. Und ich sage, bei Gott! es ist nicht so weit mit ihm her, wie man von ihm sagt; er weiß nicht mehr, als auch jeder andere. Was die Poetik betrifft, so gebe ich gerne zu, daß er sich schön lateinisch auszudrücken versteht; allein, was will das heißen? Einem Jahr kann man viel derartiges lernen; allein in den spekulativen Wissenschaften, wie Theologie und Medizin, muß man es ganz anders angreifen, wenn man sich darüber aussprechen will, obwohl. er auch ein Theolog sein will. Aber, mein bester Lehrer, was für ein Theolog? nämlich ein ganz simpler, weil er noch mit den Worten sich abmüht und von den verborgenen Dingen keinen Genuß hat, gerade, wie wenn einer – ich will die beste Vergleichung machen – der eine Nuß essen wollte, die äußere Schale äße und nie auf den Kern käme. Ebenso verhält es sich auch mit diesen Leuten, nach meinem schwachen Verstande. Allein Ihr habt einen ganz anderen Verstand, als ich, denn ich höre, daß Ihr jetzt auch die Doktorwürde in der Theologie anzunehmen im Begriff seid, wozu Gott und die heilige Gottesgebärerin Euch promovieren wolle. Aber das sage ich, jedoch nur so für mich, um nicht weitläufiger zu werden, als ich mir vorgenommen habe, daß ich – wenn mir Gott nur viele Patienten verleiht – in einer einzigen Woche mehr verdienen will, als Erasmus oder ein anderer Poet in einem Jahr. Und das mag für jetzt genügen; wohl bekomm' es ihnen, denn ich war, bei Gott! schon ganz unwillig-, ein andermal will ich Euch mehr Neues schreiben. Lebet wohl und gesund, so lange, als ein Phönix leben kann; das mögen Euch alle Heiligen Gottes verleihen, und behaltet mich lieb, wie Ihr bisher immer getan habt.

Gegeben zu Heidelberg.


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