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XXX. Dem grundgelehrten und hocherleuchteten Magister Ortuin Gratius Theologen, Poeten und Redner in Köln seinem hochverehrten Herrn und Lehrer entbietet Johannes Schnarrholtz demnächst Lizentiat, überschwängliche Grüße nebst untertäniger Empfehlung seiner Dienstbereitwilligkeit.

Herzlich geliebter und grundgelehrter Magister Ortuin! Ich Johannes Schnarrholtz, demnächst Lizentiat der Theologie auf der Universität Tübingen, möchte gerne mit Ew. Ehrwürden sprechen; allein ich fürchte, es sei dies Mangel an Ehrerbietung, denn Ihr seid so gelehrt und stehet in so hohem Ansehen in Köln, daß sich niemand Ew. Ehrwürden nahen darf, der sich zuvor nicht wohl vorgesehen hat, denn es stehet geschrieben: »Freund, wie bist du hereingekommen, und hast doch kein hochzeitlich Kleid an?« Ihr aber seid demütig und wisset Euch zu erniedrigen, gemäß dem, was die Schrift sagt: »Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden, und wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget werden.« Darum will ich die Scheu ablegen, und mit Ew. Herrlichkeit herzhaft sprechen, jedoch unbeschadet der gebührenden Ehrfurcht. Ich habe unlängst hier von einem Magister aus Paris am Feste der Himmelfahrt des Herrn vor einer zahlreichen Zuhörerschaft eine Predigt gehört, welcher er folgenden Text voranschickte: »Gott fähret auf mit jauchzen.« Er hatte einen guten Vortrag; alle lobten ihn, vergossen Tränen und besserten sich infolge dieser Predigt. Er brachte im zweiten Teil seines Vortrags zwei höchst meisterhafte und feine Schlußbildungen an. Die erste war: Als der Herr mit ausgereckten Händen emporfuhr, da standen die Apostel und die allerseligste Jungfrau da und erhoben ein Jubelgeschrei bis zur Heiserkeit, auf daß die Prophezeiung erfüllt würde, welche lautet: »Sie haben geschrieen und ihre Stimmen sind heiser geworden.« Auch bewies er, daß jenes Geschrei ein Freudengeschrei war, und notwendig im katholischen Glauben, wie der Herr bezeuget, welcher im Evangelio sagt: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn diese werden schweigen, so werden die Steine schreien.« – Sie schrieen alle aus Liebe mit großer Inbrunst, doch besonders der heilige Petrus, welcher eine Posaunenstimme hatte, wie David bezeuget: »Dieser Elende schrie.« Die allerseligste Jungfrau selbst schrie nicht, sondern lobete Gott in ihrem Herzen, weil sie wohl wußte, daß alles das geschehen müßte, wie es ihr der Engel voraus verkündigt hatte. Und als die Apostel so einmütig unter jauchzen und Gebet schrieen, kam ein Engel vorn Himmel herab und sprach zu ihnen: »Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn gesehen habt.« Und dieses ist geschehen, würde, welche sagt: »Die Gerechten haben geschrieen, und der Herr hat sie erhöret.« Die zweite Schlußbildung war noch meisterhafter und also formuliert: Des Menschen Sohn wollte sein Leiden, sein Begräbnis, seine Auferstehung in Jerusalem halten, welches im Mittelpunkte der Erde liegt, damit alle Lande Kunde von seiner Auferstehung erhalten sollten, und kein Heide sich mit seiner Ketzerei entschuldigen und sagen könnte: »Ich habe nicht gewußt, daß der Herr von den Toten auferstanden ist.« Weil daher das, was im Mittelpunkte liegt, alle sehen können, welche um den Mittelpunkt herum liegen, und daß kein Ungläubiger auch nur eine kleine Ausflucht zur Entschuldigung hätte, so befindet sich jener Ort, wo der Herr aufgefahren ist, im Mittelpunkte der Erde, und daselbst hängt eine Glocke, welche alle Welt hört, und wenn sie schlägt, gibt sie einen fürchterlichen Ton vom jüngsten Gericht und von der Himmelfahrt des Herrn-, und ihren Schlag hören selbst die Tauben. Auch leitete er viele Nebensätze aus jener Schlußbildung, die er in Paris gelernt hatte, ab. Als er aber seine Predigt geendet hatte, da wollte ihn ein gewisser Magister aus Erfurt zurechtweisen; allein der stand ganz verwirrt da. Ihr müsset mir die Bücher nachweisen, worin diese Materie enthalten ist, die will ich mir kaufen.

Gegeben zu Basel bei dem seligen Rhenanus, welcher Euer Freund ist.


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