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XXXVIII. Petermann Kachelofen, Lizentiat, entbietet dem Magister Ortuin Gratius Grüße über Grüße.

Unlängst habt Ihr mir von Köln aus geschrieben und mir Vorwürfe gemacht, daß ich nicht an Euch schreibe, seitdem Ihr mir gesagt hattet, daß Ihr meine Briefe vor anderen gerne leset, weil sie einen guten Stil haben und auch kunstgerecht nach den Regeln der Briefstellerei seien, welche ich bei Ew. Vortrefflichkeit in Köln gehört habe. Gerne schriebe ich Euch, allein ich habe nicht immer die Erfindungskraft und den Stoff, wie ich sie jetzt habe. Ihr müßt wohl merken, daß jetzt hier Disputationen der buntesten Art gehalten werden und die Magister und Doktoren sich als wahre Künstler erweisen im Aufstellen, Lösen und Vorlegen von Fragen, Beweisen, Aufgaben über alle Gegenstände des Wissens. Und hierbei erscheinen Poeten und Redner von hoher Kunst und Wissenschaft, unter denen sich einer vor den anderen als Meister in genannter Kunst bemerkbar macht, der sich einen großen Titel beilegt, wann er seine Vorlesungen öffentlich anschlägt. Er sagt: er sei der Poet aller Poeten, und es gebe, außer ihm, sonst keinen Poeten. Er hat einen Traktat in Versen geschrieben, dem er einen auffallenden Titel gab; ich habe den Namen vergessen-, er heißt, wie ich glaube, »vom Zorn und von den Gallensüchtigen«. In diesem Traktors geht er vielen Magistern zu Leibe, sowie anderen Poeten, die ihn gehindert haben, Vorlesungen an der Universität zu halten wegen seiner üppigen Kunst. Allein die Magister sagen ihm ins Gesicht, er sei kein so guter Poet, als er sich rühmt, und halten ihm in vielem Widerpart, und führen ihre Beweise durch Euch, weil Ihr ja in der Dichtkunst viel gründlicher bewandert seid. Dabei zeigen sie ihm auch, daß er keine soliden Kenntnisse in der Quantität der Silben habe, wie Magister von Villedieu siehe T. III seines Werkes bestimmt, das er nicht gehörig gelesen zu haben scheint. Auch verfechten sie gegen ihn ihre Ansicht auf vielfache Weise: vor allem durch Euern Namen, und zwar doppelt. Zuerst folgendermaßen: »Schau, der will ein gründlicher gelehrter Poet sein, als Magister Ortuin, und doch läßt es dessen Name nicht zu. Offenbar hat Magister Ortuin den Namen Gratius von der Gnade von oben, welche heißt die Gnade, die ohne Verdienst verliehen wird, weil Ihr sonst keine so tief gelehrte poetische Aufsätze verfassen könntet, ohne die durch den heiligen Geist, welcher wehet wo er will, Euch ohne Euer Verdienst verliehene Gnade, und Ihr habt sie durch Eure Demut erworben: denn Gott widerstehe den Hoffährtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.« Die, welche Eure Poetik lesen und die Sache verstehen, bekennen in ihrem Gewissen, daß Ihr keinen habt, der Euch gleich kommt, und wundern sich, daß jener Mensch so wenig Verstand und Respekt besitzt, über Euch stehen zu wollen, da doch selbst ein Knabe einsehen könnte, daß Ihr ihn so weit übertreffet, als Laborintus den Cornutus. Sie wollen Eure Aufsätze sammeln und das von Eurer Feder in verschiedenen Traktaten zerstreut Enthaltene drucken lassen, wie z. B. das in dem Traktat unsers Magisters von Tongern, Ober-Vorstehers der Laurentius-Burs; im Traktat »von den anstößigen Sätzen des Johannes Reuchlin«; im »Sentimentum Parisiense«; in vielen Traktaten des Herrn Johannes Pfefferkorn, der vordem Jude war und jetzt der beste Christ ist. Sie fürchten, Eure poetischen Erzeugnisse möchten sonst zugrunde gehen; und sie sagen, es wäre das größte Ärgernis dieser Zeit und eine Todsünde, wenn sie aus Nachlässigkeit zugrunde gingen und nicht gedruckt würden. Auch bitten die Herren Magister, Ihr möchtet so gütig sein und ihnen Eure Apologie gegen Johannes Reuchlin schicken, worin Ihr jenen anmaßlichen Doktor so empfindlich geißelt, der es wagt, vier Universitäten Widerpart zu halten. Sie wollen sie abschreiben und Euch dann zurücksenden. Zu jener Klasse von Beweisführern gehören: Magister Johannes Kirchberg, mein ganz spezieller Freund und Compromotional; Magister Johannes Hungen, mein mir innigst zugetaner Freund; Magister Jakob von Nürnberg-, Magister Jodok Windsheim und viele andere Magister, höchst würdige Freunde von mir und unerschrockene Gönner von Euch. Herentgegen halten diesen andere Widerpart und sagen, jene Beweisführungs-Weise sei zwar spitzfindig und bilde eine meisterhafte Schlußfolgerung, allein sie sei nicht nach Eurem Sinne, weil es gar hochmütig klänge, wenn Ihr sagtet: »Seht da, meine Herren, ich heiße Gratius aus Gnade von oben, welche mir Gott in der Poetik und in allem Wißbaren verliehen hat; und eben das würde Eurer Demut widerstreiten, durch welche Ihr jene Gnade besitzet, und das wäre ein Widerspruch im Beisatz; denn Gnade von oben und Hoffahrt vertragen sich nicht bei einem und demselben Subjekt; sodann ist Gnade von oben ein Vorzug, und Hoffahrt ein Laster, welche sich nicht zusammen vertragen, darum, weil der eine von den Gegensätzen naturgemäß den andern vertreiben muß, wie die Wärme die Kälte vertreibt«; so unser Magister in der Poetik nach Petrus Hispauns, in den »Praedicamenta«, der auseinandersetzt, daß Tugend den Gegensatz zum Laster bilde. Nun aber gibt es noch einen andern viel bessern Grund, aus welchem nämlich der Name Gratius von den römischen Gracchen abgeleitet wird, wenn man einen Buchstaben wegen des Übellautes wegläßt. Von diesen liest man in den Geschichten der Römer, daß genannte Gracchen sehr ausgezeichnete Dichter und Redner waren, deren gleichen Rom zu jener Zeit nicht hatte, die so scharfsinnig und trefflich bewandert in der Dicht- und Redekunst gewesen wären, wie jene Auch liest man, daß ihre Stimme weich und wohlklingend, nicht schmetternd und grob. sondern süßtönend wie eine Flöte gewesen sei, und daß sie auch zuweilen beim Beginn ihres Vortrages ihre Rede nach der Flöte stimmten, daher auch das Volk ihnen mit großem Wohlgefallen zuhörte und ihneu vor allen andern in diesem Kunstfache seinen Beifall zu erkennen gab. Von diesen Gracchen also erhielt Magister Ortuin den Namen Gratius. Ferner ist ihm auch niemand gleich in der Poesie und in der Süßigkeit der Stimme. Er ragt über jene alle so sehr hervor, wie jene Gracchen über alle Poeten der Römer hervorragten. Darum also muß jener Poet hier in Wittenberg schweigen und sich demütigen; er besitzt zwar sonst gründliches Wissen, aber hinsichtlich Eurer ist er ein Knabe. An diesen Weg der Beweisführung halten sich meine herzlichsten Freunde: Eoban Hessus, Magister Heinrich Urbanus, Ritius Euritus, Magister Georg Spalatin, Ulrich Hutten, und vor allen Ludwig Mistotheus, mein Herr und Freund, und Euer Verteidiger. Ihr müßt mir schreiben, ob sie auf dem bessern Wege sind, und die Wahrheit der Sache herausstellen. Ich will auch eine Messe für Euch bei den Predigern lesen, daß Ihr den Sieg über den Dr. Reuchlin davontragen möget, der Euch mit Unrecht einen Ketzer genannt hat, weil Ihr in Eurer Poetik geschrieben habt: »Jupiters hehre Mutter weint.« Leber wohl in bester Gesundheit. Aus Wittenberg, in der Burg bei Magister Spalatin, der Euch so viele Grüße sendet, als Halleluja zwischen Ostern und Pfingsten gesungen werden.

Noch einmal: Lebet wohl und lachet alle Weile.


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