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XXXVI.

Hubert lehnte sich in seinem Sessel zurück, ließ wieder seine Augen in die Runde gehen und schien sich an der Verblüffung der Kriminalbeamten zu weiden. Diese Verblüffung dauerte aber nicht lange, – dafür waren es eben Kriminalbeamte.

»Sie – sind McGregor?« knurrte Lincoln etwas ungläubig.

»Ich bin McGregor«, bestätigte Hubert ruhig. »Sie wollen es nicht glauben? Nun, ich wunderte mich die ganze Zeit über, daß Sie das noch nicht selbst herausgebracht hatten. Einer von Flannagans drei Freunden mußte es sein, oder aber es war Flannagan selbst. Alles, was Flannagan wußte, war auch McGregor bekannt. Inspektor Bath hatte das längst begriffen, aber seltsamerweise kam ihm nie der Einfall, daß ebensogut wie Flannagan auch einer seiner drei beschränkten Freunde McGregor sein könne. Beschränkt? Es ist vielleicht für einen beschränkten Menschen schwer, einen geistreichen darzustellen, aber doch nicht umgekehrt.«

»Flannagan wußte nichts davon?« fragte Lincoln kurz.

Hubert lächelte.

»Natürlich nicht. Er suchte vielmehr mit einem ganz ungewöhnlichen Eifer diesen McGregor. Übrigens hatte ich mich an Flannagan schon herangemacht, als er noch bei Ihnen arbeitete. Sie haben ihn entlassen, weil er trank. Er fing aber an zu trinken, weil ihm ein paar Sachen mißlungen waren. Mißlungen jedoch waren sie ihm nur, weil sein Freund, der harmlose Onkel Hubert, einen Nachschlüssel zu seinem Schreibtisch hatte. Später blieb ich mit Flannagan befreundet, auch als ich ihn nicht mehr brauchte, da er aus Ihren Diensten ausgetreten war. Wir wären Freunde geblieben – für immer, hätte er nicht unseligerweise den Auftrag Harrogates übernommen – gegen McGregor. In meinem ersten Zorn gab ich den Auftrag, Flannagan zu beseitigen. Inspektor Bath tat es nicht, im Krankenhause besorgte es ein anderer. Da es sofort entdeckt wurde, konnte Flannagan gerettet werden. Nachher hätte ich ihn zehnmal vergiften können, ich tat es aber nicht. Hatte ihn gern, den Jungen. Erinnern Sie sich an die haarsträubende Geschichte, die Ihnen Flannagan von seinem Zusammentreffen mit McGregor erzählte? Er sprach die Wahrheit, nur in einem Punkt log er: Nicht im Park des Krankenhauses war es geschehen, sondern in seinem eigenen Hausgang. Flannagan log, weil er nicht wünschte, daß jemand erfuhr, er hätte nachts das Krankenhaus verlassen, um schon damals McGregor nachzuspüren. Die Lüge war überflüssig, denn McGregor wußte es doch, und nur an McGregor hätte Flannagan denken sollen. Nun, bei dieser Begegnung machte ich ein paar Fehler: Ich hätte Flannagan niederknallen müssen, als er mich mit seiner Laterne ableuchtete. Ich verließ mich aber darauf, daß er mein Gesicht nicht sehen konnte. Der zweite Fehler war noch schlimmer. Ich trug nämlich den Frack, in dem ich im Pennsylvanialicht? Hotel gewesen war und in dem ich am selben Abend im Auftrage Flannagans eine andere Gesellschaft besuchen sollte. Der Frack hatte sich geöffnet, und Flannagan konnte, wenn er scharf hinsah, die verschiedenen Westenknöpfe bemerken. Und er sah scharf hin! Die Spur, die er daraufhin der Polizei lieferte, wäre für mich beinah zum Verhängnis geworden, zumal ich noch einen der Westenknöpfe verlor, als ich Flannagan die Laterne aus der Hand schlug. Alle meine Leute hatten nun zwei Tage lang zu tun, um allerlei unbescholtenen Bürgern Frackwesten mit genau denselben Knöpfen ins Haus zu schmuggeln. Die Gefahr ging vorüber. Flannagan hatte sich nicht daran erinnert, daß er ja selbst dabei gewesen war, als sein Freund Hubert im Pennsylvania-Hotel einen Knopf seiner Weste nach dem andern verlor, und daß er selbst später die Weste mit den fehlenden Knöpfen in der Hand gehalten hatte. Dieser Umstand rettete mir damals das Leben, und diese Vergeßlichkeit wird Flannagan und Tamara Harrogate das Leben kosten.«

»Wieso denn das?« fragte Lincoln stirnrunzelnd.

»Haben Sie in meiner Zelle nicht einen Zettel mit einer Geheimschrift gefunden?« war Huberts Gegenfrage.

Jetzt lächelte Lincoln überlegen.

»Geheimschrift, na ja …« brummte er spöttisch. »Wir haben sie längst entziffert. Eine Anzeige in der Zeitung, und die Leute kamen haufenweise gelaufen, um mir das scheinbare Rätsel zu lösen.«

»Was? Was?« rief Hubert überrascht und lachte jäh auf. »Sie haben diese Geheimschrift in der Zeitung veröffentlicht. Na, dann will ich Ihnen nur sagen, was Sie getan haben: Sie haben damit dafür gesorgt, daß McGregors letzter Befehl an die richtige Adresse kam.«

Lincolns Gesicht war grau geworden.

»Was für Blech reden Sie da?« schrie er auf. »Mann, erklären Sie, was Sie da behaupten, oder – – –«

»Oder?« gab Hubert zurück. »Oder? Wollen Sie mir drohen? Einem Menschen, der auf den elektrischen Stuhl kommt, kann man nicht mehr drohen. Sie können mich meinetwegen wieder in den Kasten sperren, wenns Ihnen Vergnügen bereitet – einen Zweck hat's nicht mehr. Ich werde das sagen, was mir beliebt, und kein Wort mehr. Mit Flannagan liegt der Fall so: Flannagan übergab vor seiner Abfahrt Mr. Bath eine Handschrift zum Vergleichen mit der McGregors. Ich saß dabei, aber Flannagan meinte, ich wüßte nicht, daß es meine Schrift sei. Zu seinem Unglück aber kannte ich die Rückseite des Papiers, das er Bath gab. Ich wußte, daß ich selbst einmal auf diesem Papier eine Botschaft für Flannagan geschrieben hatte. Also hatte Flannagan damit sein eigenes Todesurteil gesprochen. Zunächst eilte das nicht, denn ich wußte, man würde ihn gefangennehmen. Als man mich festnahm, war die Frage, wie gebe ich einen Befehl weiter, ohne daß die Polizei merkt, wer ich in Wahrheit bin. Ich schrieb auf einem Papierfetzen die paar Worte und ließ sie finden. Ich rechnete damit, daß man sich hier darüber den Kopf zerbrechen würde, und daß vielleicht einer von meinen Leuten – ich habe noch ein paar Jungen bei der Polizei – den Befehl sehen und dann weiterleiten würde. Daß Sie ihn selbst in den Zeitungen veröffentlichen würden, Mr. Lincoln, das wagte ich allerdings nicht zu hoffen.«

Lincoln war aufgesprungen und rannte ein paarmal mit Sturmschritten durchs Zimmer. Vor Hubert blieb er stehen, bebend vor Zorn.

»Sie wissen, wo sich Flannagan und Tamara Harrogate jetzt befinden?« fragte er ächzend.

»Ich weiß es«, lautete die ruhige Antwort. »Ob sie aber noch am Leben sind, das weiß ich nicht.«

»Sie werden uns sofort den Ort angeben! Und wenn Sie es nicht tun – – –«

»Schon wieder Drohungen?« fragte Hubert gelangweilt. »Nützt nichts, gar nichts.«

Lincoln konnte sich nicht mehr beherrschen. Er packte Hubert jählings beim Kragen und schüttelte ihn.

»Sie Lump, Sie – – –«

Bath mischte sich ein.

»Gestatten Sie, Mr. Lincoln, daß ich mit Mr. McGregor ein paar Worte spreche?«

Lincoln ließ von Hubert ab und trat schwer atmend beiseite.

»Mr. McGregor«, sagte Bath langsam. »Ich dachte, Flannagan sei Ihr Freund?«

»War es«, versetzte Hubert. »Wollte mich auf den elektrischen Stuhl bringen. Freundschaft erledigt.«

»Sie haben also einen Haß auf ihn?«

»Vielleicht ist das der richtige Ausdruck.«

»Nun«, meinte Bath leichthin. »Ich will Sie in Ihren Entschlüssen nicht beeinflussen, aber ich dachte, McGregor lasse wohl einen Schuft wie Brennan aufhängen, niemals aber einen ehrlichen Gegner; es sei denn, er muß es seiner Sicherheit wegen tun.«

»So ist es auch«, erklärte Hubert ärgerlich.

»Nein, so ist es nicht: Nachdem Sie uns selbst gesagt haben, wer Sie sind, kann Ihnen Flannagans Aussage nicht mehr schaden. Lassen Sie ihn umbringen, so ist es nur ein Racheakt, genau wie im Fall Brennan.«

Bath schwieg und auch Hubert schwieg nachdenklich. Lincoln wollte wieder vorstürzen, doch Bath vertrat ihm den Weg.

Plötzlich hob Hubert den Kopf.

»Mr. Bath hat recht«, sagte er gefaßt. »Flannagan verdient nicht dasselbe Schicksal wie Brennan. Er war immer anständig zu mir. McGregor will noch mal im Leben vornehm sein. Schnell, bringen Sie eine Landkarte von der Gegend um Portland herum. Schnell, wenn es nicht zu spät sein soll.«


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