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XX.

Zwei Tage waren vergangen.

»Mr. Flannagan«, sagte Inspektor Bath so leise, wie er immer sprach, wenn er etwas Wichtiges vorbrachte. »Mr. Flannagan, ich habe Sie im Verdacht, der gesuchte McGregor zu sein.«

Flannagan stand vor dem Spiegel und band sich die Krawatte. Bei den Worten Baths blickte er kaum auf, und seine Miene drückte weder Staunen noch Ärger aus. Bath hätte es auch nicht sehen können, denn er saß, die Hände auf die Knie gestützt, neben dem Bett Flannagans und starrte auf seine gelben Finger. Nicht, daß Bath nicht gewußt hätte, wie wichtig das Mienenspiel eines mit einer solchen Äußerung Überraschten sei; aber er hielt Flannagan für einen so ebenbürtigen Gegner oder Bundesgenossen, daß er nicht die leiseste Hoffnung hegte, auf diese Weise irgend einen Schluß ziehen zu können.

Lange Zeit sagte Flannagan gar nichts. Den Blick auf sein eigenes Spiegelbild gerichtet, schien er von seiner Arbeit völlig in Anspruch genommen. Wäre die Frage Baths nicht von so großer Bedeutung gewesen, man hätte bei seinem Anblick meinen können, er habe sie überhört.

»Tja«, sagte er endlich. »Tja, lieber Mr. Barth … Ich finde es ganz reizend von Ihnen, daß Sie mir Ihre diesbezügliche Vermutung gleich mitteilen, aber – – –« Und er schwieg.

»Aber – – –?« fragte Bath nach einer Weile tonlos.

»Aber«, ergänzte Flannagan, »ich will genau so großzügig sein: Ich bin beinahe überzeugt, in Ihnen den wahren McGregor vor mir zu haben.«

Bath hielt es für angebracht, ein erstauntes Pfeifen hören zu lassen.

»Eine spaßige Sache«, meinte er und lächelte breit.

»Ganz außergewöhnlich spaßig«, bestätigte Flannagan mit todernster Miene.

»Darf ich Ihnen vielleicht helfen«, fragte Bath und stand auf. »Ich sehe, Sie werden mit dem Knoten Ihrer Krawatte nicht fertig.«

»Bitte sehr«, versetzte Flannagan liebenswürdig. »Meine Krankheit scheint doch noch einige Spuren hinterlassen zu haben: Die Finger gehorchen nicht recht.«

Bath war gekommen, um Flannagan von dem Krankenhaus abzuholen. Er war auch aus anderen Gründen gekommen, aber das war der Grund, den er angegeben hatte, um mit Flannagan ungestört plaudern zu können. Jetzt standen sich die beiden Männer unmittelbar gegenüber, und Baths schlanke Finger lösten geschickt den Knoten der Krawatte.

»Sie werden mich nicht gleich erwürgen?« meinte Flannagan fragend.

»Jetzt nicht«, antwortete Bath freundlich.

»Weil ich noch nicht ganz gesund bin?«

»O nein.« Bath lächelte wieder sein herzgewinnendes Lächeln. »Wir leben in Amerika und im zwanzigsten Jahrhundert. Da gelten nicht mehr die ritterlichen Gesetze des europäischen Mittelalters. Wer zuerst den Gegner abwürgt, bleibt am Leben. Der andere – – – eben nicht. Nein, etwas anderes hält mich davon ab: Man würde mir jetzt noch nicht glauben, daß Sie McGregor waren.«

»Das scheint mir auch so. Danke sehr: Sie haben den Knoten ganz großartig gemacht. So … Na, wo ist mein Rock? Aha, hier! Nun, dann können wir ja gehen …«

»Schade«, bemerkte Bath nachdenklich. »Ich möchte Sie gern einmal zum Partner, nicht zum Gegner haben, McGregor.«

»Das Vergnügen würde auf meiner Seite sein, lieber McGregor«, antwortete Flannagan sofort.

Bath zuckte die Achseln und ging voraus. Im Gang verabschiedete sich Flannagan von einem Arzt und einigen Krankenschwestern, dann folgte er Bath über die Treppe und durch den großen Park.

»Einer von uns beiden muß es wohl sein«, äußerte Bath nach einer Weile Schweigens. »McGregor hat alles erfahren, was wir beide besprachen. Ich könnte Ihnen dafür einen Haufen Beweise bringen, aber es ist nicht notwendig. Wenn alle anderen Leute zweifeln können, wer von uns beiden nun eigentlich der wahre McGregor sei, – Sie und ich wissen es: Der es ist, weiß es; und der es nicht ist, weiß es auch.«

»Ganz logisch«, sagte Flannagan. »Da sehe ich übrigens noch mehr Leute, die sich die Mühe nahmen, mich zu empfangen. Ja, lieber Freund Bath, wir beide wissen nun Bescheid. Wollen mal sehen, wer es zuerst fertig bringt, den anderen in eine bessere Welt zu schaffen.«

»Ich fürchte fast, ich werde mich noch eine Weile in dieser schlechten Welt aufhalten müssen, McGregor.«

Flannagan blieb plötzlich stehen und sah Bath durchdringend an.

»Jetzt lassen Sie mal gefälligst diesen Namen«, rief er grob. »Er kommt mir nicht zu, wie Sie sehr gut wissen müssen. Gebrauchen Sie ihn noch einmal, so lassen Sie sich wenigstens erst Vorschuß für ein neues Gebiß geben. Wir verstehen uns doch?«

»Oh, ganz vorzüglich«, erwiderte Bath, der bei der groben Anrede ein wenig zurückgewichen war. »Ihre Sprache erleichtert mir richtig das Herz: Es wird mir nun kaum mehr leid tun, dafür zu sorgen, daß Sie im beschleunigten Verfahren mit Ihren Vätern vereint werden.«

»Ich will Ihnen mal was sagen – – –«, begann Flannagan drohend. Aber dann machte er nur eine wegwerfende Handbewegung und schritt schnell auf die Menschengruppe zu, die am Tore neben einem großen Wagen auf ihn wartete. Da waren Tom und Hubert und Jim. Da stand Tamara Harrogate und daneben lächelnd, elegant und jung: Brennan.

»Wieder gesund, wieder gesund! Hurra!« schrie Tom und schwenkte sein Hütchen. Hubert und Jim stimmten grölend in den Ruf ein.

Brennan wurde Flannagan von Jim vorgestellt.

»Meinen herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer Genesung«, sagte Brennan und verneigte sich knapp.

Tamara Harrogate hatte sich etwas im Hintergrund gehalten. Jetzt kam sie rasch näher. Flannagan sah ihr prüfend ins Gesicht, und er wußte: Noch nie hatte er sie so ernst, so bleich und so schwach gesehen. Sie bemühte sich krampfhaft, die Beherrschung zu wahren, aber als er ihr die Hand reichte, füllten sich plötzlich ihre Augen mit Tränen.

»Mein Vater – – –«, sagte sie leise. »Wissen Sie es schon?«

»Der Inspektor hat mir davon erzählt«, bestätigte Flannagan. »Aber seien Sie nur ganz ruhig, Miß Harrogate: Ihrem Vater wird kein Haar gekrümmt werden. Geschieht ihm aber etwas, so werden Sie selbst zusehen können, wie man McGregor mit einem schönen neuen Strick aufhängt. Das verspreche ich Ihnen, so wahr ich Flannagan und nicht irgendwie anders heiße.«

Niemand konnte verstehen, warum Flannagan dabei Bath scharf ins Auge faßte. Nur Bath wußte es. Aber Baths Lächeln sagte wie immer – nichts.


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