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XXVIII.

Es war genau anderthalb Stunde vergangen, als Bath wieder den Salon betrat, den er so fluchtartig verlassen hatte. Jetzt sah er sehr gefaßt aus. Er lächelte sogar, doch dieses Lächeln paßte wenig zu dem ernsten Ausdruck seiner grauen Augen.

Der Salon bot noch immer dasselbe Bild wie vor anderthalb Stunde. Noch immer standen hier und dort Gruppen von Männern herum, die sich leise unterhielten, noch immer saßen Flannagan, Jim, Hubert und Brennan an ihrem Tischchen in der Ecke. Als aber Bath an dieses Tischchen trat, merkte er sofort, daß sich etwas doch sehr verändert hatte: Flannagan war sinnlos betrunken.

»Hallo! Alter Freund!« rief er laut beim Anblick Baths. »Wie war's? Haben Sie so ein bißchen Jagd gemacht? Hat wohl keinen Zweck gehabt? Ganze Familie wird ausgerottet, was?«

Wenn Flannagan getrunken hatte, konnte er sehr roh sein. Jim und Hubert wußten das, aber Bath hatte ähnliche Reden von Flannagan noch nie gehört. Er sagte jedoch nichts und setzte sich still auf denselben Platz, den er früher innegehabt hatte.

Jemand anders aber hatte Flannagans Worte auch gehört: Tamara Harrogate. Sie stand plötzlich mit blitzenden Augen vor Flannagan, und unwillkürlich senkten Hubert und Jim die Köpfe. Flannagan jedoch sah sie an ohne eine Spur von Verlegenheit.

»Sie sind betrunken«, sagte Tamara leise. »Schämen Sie sich. Sie sind betrunken.«

»Natürlich bin ich betrunken!« rief er und lachte auf. »Es war die höchste Zeit, daß ich mich wieder mal betrank. Ist das alles, was Sie mir sagen wollten?«

»Nein«, erwiderte sie zornig. »Ich wollte Ihnen noch sagen, daß ich es empörend finde, wie Sie zu einem Menschen sprechen, den ein so schweres Unglück betroffen hat.«

»Gut«, sagte Flannagan stirnrunzelnd. »Sie haben's gesagt. Was weiter?«

Sie wurde rot vor Ärger.

»Nichts«, war alles, was sie antwortete. Dann wandte sie sich ab und wollte gehen. Doch Bath hielt sie zurück.

»Miß Harrogate, ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme«, sagte er höflich. »Doch ist sie glücklicherweise überflüssig. Bei mir zu Hause ist alles in Ordnung. Fünf der besten Detektive der Bums Agentur bewachen Tag und Nacht mein Haus. Es kostet ein kleines Vermögen; doch ist das einzige Vermögen, auf das Inspektor Bath Wert legt, seine Familie.«

Tamara reichte ihm die Hand und sah ihm mit einem Ausdruck von stummer Bewunderung in die Augen. Für Flannagan hatte sie keinen Blick mehr übrig.

»Was solche Gänschen sich schon einbilden!« sagte Flannagan grollend, als sie gegangen war. »Männer belehren! Hast du gehört? Dabei sollte sie wissen, daß Flannagan am besten arbeitet, wenn er getrunken hat, viel getrunken hat. Also, lieber Inspektor, alles war in Ordnung? Familie traulich beisammen? Was ist denn nun? War der Befehl McGregors von mir gefälscht?«

»O nein, er war echt«, versetzte Bath ernst.

»Aha! Dann habe eben ich selbst ihn geschrieben, und ich bin McGregor! Na, jetzt wissen wir's ja!«

»Das stimmt auch nicht«, widersprach Bath. »Ich war nämlich eben nur ein paar Minuten lang zu Hause, die übrige Zeit verbrachte ich im Hauptquartier, in der Abteilung für Schriftprüfung. Dort wurde heute auf meine Bitte hin Ihre Handschrift mit der uns wohlbekannten McGregors verglichen. Es liegt ein klares Gutachten unserer Sachverständigen darüber vor.«

»Die Schriften stammen wohl von demselben Mann?«

Bath antwortete zunächst gar nichts. Stumm nahm er einen kleinen Revolver aus der Tasche und legte ihn vor sich hin.

»Schauen Sie mal her, Mr. Flannagan«, sagte er endlich ernst. »Dieser kleine Revolver hat sechs Schüsse. Sechs kleine Bleikugeln säßen jetzt in Ihrem Schädel, wenn die Sachverständigen auch nur die entfernteste Möglichkeit, hätten gelten lassen, daß die Schriften von demselben Menschen stammten.«

Es klang eine so finstere Entschlossenheit aus den Worten Baths, daß sogar Flannagan erbleichte. Er wußte sofort: Es war keine Redensart, was Bath eben vorbrachte. Nein, sein Leben hatte wirklich nur an einem Haar gehangen.

»Daraufhin muß ich einen Schnaps trinken«, sagte er nach einer Weile düster und goß sich sein Glas wieder voll. »Auf das Wohl der Sachverständigen. Mögen sie sich nie irren.«

»Bei uns ist Dr. Neumann, ein deutscher Gelehrter«, erzählte Bath. »Er irrt sich nie. Es steht unumstößlich fest, daß Sie nie einen der Befehle McGregors geschrieben haben, die der Polizei in die Hände fielen.«

»Hab' ich sie vielleicht geschrieben?« erkundigte sich Brennan spöttisch.

»Ich habe Ihre Handschrift nicht vergleichen lassen«, antwortete Bath gemessen. »Ich lasse nur dann Handschriften vergleichen, wenn in allem übrigen die Identität möglich erscheint. Bei Ihnen ist das ganz ausgeschlossen.«

»Freut mich zu hören, Inspektor. Es ist immerhin eine Beruhigung, von einem Polizeibeamten zu erfahren, daß die hohe Behörde einen nicht für den schlimmsten Verbrecher der Staaten hält. Und warum könnte ich es nicht sein? Wenn es kein Geheimnis ist, sagen Sie es mir vielleicht?«

Bath schüttelte den Kopf.

»Es ist kein Geheimnis. Sie können es ruhig erfahren: Ihre Identität mit McGregor ist aus dem Grunde undenkbar, weil McGregor Geist hat und Sie nicht.«

»Das ist denn doch ein bißchen stark«, begann Brennan böse. Er konnte nicht weiter sprechen, da Flannagan ein so unbändiges Gelächter anstimmte, daß man kein Wort verstanden hätte.

»Übrigens«, meinte Flannagan nach einer Weile, doch konnte er vor Lachen noch kaum sprechen, »übrigens … Wenn … Ihr Dr. Neumann so unfehlbar ist … Ich habe da eine Handschrift … Warten Sie mal … Ja, hier … Lassen Sie diese Schrift mal mit der McGregors vergleichen …«

Bath besah sich den kleinen Zettel aufmerksam, ehe er ihn in die Brieftasche steckte.

»Von wem ist die Schrift?« fragte er.

»Das erfahren Sie, wenn Sie mir Dr. Neumanns Gutachten bringen«, lachte Flannagan. »Und jetzt bin ich, glaube ich, müde. Ich muß eine Viertelstunde schlafen.«

Ohne auf die übrigen die geringste Rücksicht zu nehmen, lehnte er sich bequem in seinem Sessel zurück und schien tatsächlich auf der Stelle einzuschlafen.

»Wenn er eine Viertelstunde geschlafen hat, wird ihm bedeutend besser sein«, erklärte Hubert.

Bath sah wehmütig auf den schlafenden Flannagan, dann betrachtete er die drei Flaschen Flannagans auf dem Tisch. Drei Flaschen, in denen achtzigprozentiger Alkohol gewesen war! Alle drei leer. Nein, Inspektor Bath glaubte nicht, daß es Flannagan nach einer Viertelstunde besser gehen würde.

»Gute Nacht, meine Herren«, sagte er zögernd. »Nein, ich habe hier wirklich nichts mehr zu tun. Um so mehr anderweitig.«

Er reichte Jim und Hubert die Hand, übersah völlig, daß auch Brennan ihm die Hand entgegenstreckte, und schritt quer durch den Salon auf Tamara zu, von der er sich so herzlich verabschiedete, als es sein etwas steifes Wesen zuließ.

Als er ging, zeigte die Uhr zehn Minuten vor eins. Bath wäre nicht gegangen, hätte er geahnt, daß um ein Uhr etwas Besonders geschehen sollte.

Die Uhr war eine Minute vor eins, als Tamara im Hut und Mantel in der Tür erschien und Brennan ein Zeichen machte. Brennan stand sofort auf, warf Flannagan einen mitleidig-verächtlichen Blick zu und eilte zu ihr. Das hatte genau eine Minute gedauert. Die Uhr im Salon holte zum Schlage aus, und in diesem Augenblick öffnete Flannagan die Augen.

»So, schon reisefertig?« fragte er ruhig und erhob sich ein wenig schwankend. »Da muß ich mich aber ein bißchen beeilen.«

Mit unsicherem Schritt ging er nach der Tür, an der noch immer Tamara und Brennen standen.

»Bleiben Sie!« sagte Tamara streng. »Ich wünsche Ihre Begleitung nicht.«

»Ich habe Sie nicht gefragt, was Sie wünschen«, versetzte er in dem eigensinnigen Ton, der Betrunkenen. »Ich hab' gesagt, ich fahre, und ich fahre.«

»Nein«, widersprach sie. »Ich will nicht –«

»Aber so laß ihn doch mitfahren«, sagte Brennan mit einem bösen Flimmern in den Augen. »Er wird unterwegs seinen Rausch ausschlafen und niemanden stören.«

Tamara sagte nichts mehr. Sie drehte sich schnell um und hastete die Treppe hinunter. Brennan folgte ihr eilig.

Vor dem Hause stand der große Reisewagen Mr. Harrogates. Tamara setzte sich ans Steuer, Brennan neben sie, und sie gab sofort Gas.

»Halt!« rief Brennan. »Wir müssen doch den Wagen abwarten!«

»Stimmt. Ich wollte schnell weg, ohne den da, und dachte nicht daran …«

Flannagan hatte die verächtlichen Worte wohl gehört, doch machte er sich nichts daraus. Ein Liedchen summend, öffnete er den Schlag und ließ sich in die Polster fallen. Er schien sofort einzuschlafen, denn man hörte nichts mehr von ihm.

»Wie ein Mensch so tief sinken kann – – –« begann Tamara, doch da packte Brennans Hand sie mit festem Griff am Arm.

»Der Wagen!« flüsterte er.

Mit abgeblendeten Lichtern war ein großer, dunkler Wagen mit großer Geschwindigkeit an ihnen vorbeigefahren.

Tamara sagte kein Wort mehr, aber schon nach einigen Sekunden jagte ihr Wagen dem fremden nach.

»Merken Sie sich für alle Fälle die Nummer«, sagte Flannagans schläfrige Stimme von hinten. »Und … wenn Brennan Sie belästigt, wecken Sie mich. Nicht vergessen. Gute Nacht.«


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