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XIII.

In den Gesichtern aller Verhafteten malte sich trostlose Hoffnungslosigkeit. Sie wußten, daß ihrer ein böses Schicksal harrte. Nur Strong bildete eine Ausnahme. Über und über blutend stand er mit gefesselten Händen da und blickte auf die Polizisten wie auf seine Retter aus äußerster Not. Und so war es auch: Strong wußte, daß er jetzt kaum noch am Leben wäre, hätten die Polizisten nicht McGregor und den Seinen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Wieder öffnete sich die Tür. In Begleitung von zwei finsteren Männern in Zivil betrat Chefinspektor Lincoln den Raum. Erstaunt blieb er auf der Schwelle der Tür stehen und musterte prüfend alle Anwesenden und besonders aufmerksam den mit Seilen abgesteckten Kreis. Bath nickte er nur freundlich zu und wollte sich schon zu den Gefesselten begeben, als er plötzlich auf die Verbände Baths aufmerksam wurde. Besorgt trat er zu dem jungen Mann.

»Was bedeutet das?« fragte er rauh. »Wurde Ihnen Widerstand geleistet?«

Bath schüttelte den Kopf.

»Widerstand nicht«, antwortete er. »Es hat hier aber vordem ein kleiner Zweikampf mit verbundenen Augen stattgefunden. McGregor hatte sich das so hübsch ausgedacht. Leider riß sich mein Gegner aber das Tuch vom Gesicht und wollte mich erstechen. Eine nicht sehr vornehme Weise des Zweikampfes, muß ich sagen. Herr Doktor«, wandte er sich an Dickens, »ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«

Dickens sah ihn böse an.

»Hätte ich gewußt, daß Sie uns verraten haben«, erwiderte er mürrisch, »ich wäre bestimmt nicht dazwischen gesprungen.«

»So, so …« knurrte Lincoln. »Na, das wollen wir nachher alles noch ausführlich besprechen. Zunächst ist mir wichtiger zu erfahren, welcher von den Männern hier McGregor ist.«

»Der Dicke dort.«, antwortete Bath.

McGregor wich alle Farbe aus dem Gesicht, als Lincoln mit schweren Schritten vor ihn trat und ihn lange durchdringend ansah. Auch die zwei finsteren Begleiter Lincolns hatten sich vor McGregor aufgestellt und sahen ihn ebenso lange und durchdringend an.

»Wo ist der kleine Harrogate?« schrie Lincoln plötzlich so laut auf, daß alle zusammenfuhren.

»Ich … ich weiß es nicht«, antwortete McGregor stockend.

»Wo ist der kleine Harrogate?« schrie Lincoln wieder, und es klang so schneidend, daß man meinen konnte, seine Stimmbänder müßten reißen.

McGregor bewegte unschlüssig die Schultern. Er sah ängstlich und verschüchtert aus und hatte in diesem Augenblick weniger denn je Ähnlichkeit mit einem kühnen Räuberhauptmann.

»Was wollen Sie mir denn versprechen, falls ich es Ihnen sage?« fragte er bitter. »Vielleicht die Freiheit?«

»Nichts will ich Ihnen versprechen, falls Sie es sagen«, antwortete Lincoln entschieden. »Aber 'ne ganze Menge lieblicher Dinge kann ich Ihnen in Aussicht stellen, falls Sie es nicht sagen, Freundchen! Verstanden?«

Einen Augenblick schwieg McGregor, und es schien, als überlege er irgend etwas.

»Nein«, rief er plötzlich. »Nein, ich weiß wirklich nichts.«

»Tut mir um Ihretwillen sehr leid«, antwortete Lincoln kühl und wandte sich ab. »Wir werden schon Mittel finden, den Kerl zum Sprechen zu bringen.«

Bath trat auf ihn zu und flüsterte etwas mit ihm.

»Tja«, sagte Lincoln nach einer Weile. »Es ist natürlich nicht die ganze Bande, aber wir haben die Führer gefaßt. Und das ist immer die Hauptsache. Ohne diesen McGregor ist die ganze Bande ungefährlich. Ich glaube, lieber Bath, man wird Ihnen diesen Erfolg nicht vergessen. Und ich selbst freue mich besonders über diese Entwicklung, denn offen gesagt, hatte ich Sie manchmal in Verdacht, mit diesen Kerlen gemeinsame Sache zu machen.«

Bath lächelte und sagte nichts. Dafür war McGregor plötzlich sehr lebendig geworden.

»Dieser gemeine Verräter soll wohl auch noch Triumphe feiern!« rief er zornig aus. »Na, die Freude wird ihm bald vergehen. Er ist ein Mörder! Ein Mörder! Vor wenigen Stunden erst hat er den Detektiv Flannagan im Pennsylvania Hotel vergiftet. Er gehört also mit uns auf die Anklagebank.«

Lincoln machte ein finsteres Gesicht.

»Ich habe schon etwas über die plötzliche Vergiftung Flannagans gehört«, wandte er sich an Bath. »Nicht offiziell allerdings. Und dabei wurde Ihr Name genannt … Ja, Sie wurden geradezu als der am meisten Verdächtige bezeichnet …«

»Das hat nicht viel zu sagen«, wehrte Bath ruhig ab. »Bitte lassen Sie das Krankenhaus anrufen und Mr. Flannagan sagen, McGregor sei verhaftet. Mr. Flannagans Zustand wird sich daraufhin augenblicklich bessern. Ich habe nämlich von McGregor, dem Herrn, der eben die Freundlichkeit hatte, mich anzuzeigen, – von diesem McGregor also hatte ich den Auftrag erhalten, Flannagan umzubringen. Ich zog es vor, es nicht zu tun, und bat Mr. Flannagan brieflich, für ein paar Stunden freiwillig vergiftet zu sein. Er machte das geradezu bewunderungswürdig. Hätte er sich geweigert, so wäre die Festnahme all dieser Herren nicht möglich gewesen. Wie ich gedacht hatte, warteten sie nämlich erst darauf, ob ich meinen Auftrag erfüllt hätte. Dann erst begaben sie sich hierher.«

McGregor sagte nichts mehr. Nur der Blick, den er Bath zuwarf, verriet einiges von seinen Gefühlen. Und dieser Blick sprach nicht nur von ohnmächtiger Wut; nein, er enthielt zweifellos eine Drohung. Bath hatte den Blick bemerkt, und er wurde unruhig. Er wußte nicht, wie es kam, aber er hatte plötzlich gar nicht mehr das Gefühl des Triumphes, sondern empfand, daß seine Rechnung irgendwo einen kleinen, aber vielleicht verhängnisvollen Fehler hatte.


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