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XXIX.

Es gab viele Wege, die nach Canada führten, überlegte Brennan, als er still neben Tamara saß und seine Blicke unverwandt auf das Schlußlicht des vor ihnen fahrenden Wagens gerichtet hielt. Ursprünglich hatte er beabsichtigt, den »Überfall« in der Nähe von Coos stattfinden zu lassen, um dann über die Berge nach Sherbrooke zu gelangen. Nachdem er seinen Plan verraten wußte, hatte er einen anderen Weg gewählt. Vergeblich würde ihm die Polizei bei Coos auflauern. Während man ihn dort erwartete, nahm er seinen Weg an der Küste entlang, und bei Ellsworth erwartete ihn und seine Begleiter ein schnelles Motorboot. War er einmal über die Grenze, dann hatte er keine Angst mehr – vor der Polizei nicht und … vor McGregor nicht. Jetzt aber – –

Brennan zog fröstelnd seinen Mantel höher über die Schultern. Es war gar nicht kalt im Wagen, aber er fror. Neben ihm saß Tamara, den Mantel weit offen und den Nacken frei. In der schwachen Beleuchtung sah Brennan trotzdem, wie ihre Augen glühten. Nein, Tamara fror nicht. Sie hatte ja auch keinen Grund, sich so zu fürchten, wie er es tun mußte.

Stunden dauerte nun schon diese schweigsame Fahrt. Tamara hielt sich so genau hinter dem anderen Wagen, als hätte sie es in einer Polizeischule gelernt: In belebten Gegenden folgte sie dem Wagen ganz dicht, auf freier Strecke ließ sie ihm einen großen Vorsprung. Sie schien sehr ruhig zu sein. Vielleicht machte das die Gewißheit, daß sie den anderen Wagen mühelos überholen könnte, wenn sie nur wollte. Ja, es bestand auch für Brennan darüber kein Zweifel: Ihr Wagen war der bessere und schnellere.

Einmal nur hatte sich Tamara nach Flannagan umgesehen. Mit einer raschen Bewegung hatte sie das Licht im Wageninnern angedreht und für den Bruchteil einer Sekunde den Kopf umgewandt. Das, was sie zu sehen bekam, gab ihr für eine halbe Stunde Stoff zum Nachdenken, – so sehr überraschte es sie. Flannagan hatte nicht geschlafen, wie sie erwartet; er hatte auch nicht über sie gewacht, wie sie im stillen gehofft; nein: er hatte gerade wieder diese schreckliche Flasche zum Mund geführt.

Die Lichter von Boston waren längst hinter ihnen. Wenn es mit derselben Geschwindigkeit weiterging, würde man bald in Portland sein. Erst als Tamara dieser Gedanke kam, fiel ihr auf, daß sie ja schnurstracks zur Grenze nach Canada fuhren.

»Warum bist du eigentlich so überzeugt, dieser Wagen würde uns den Weg zu meinem Vater zeigen?« fragte sie plötzlich.

Brennan schrak aus seinem Grübeln auf.

»Aber, liebes Kind, ich sagte dir doch schon …«, begann er unsicher. »Es ist derselbe Wagen, der deinen Bruder entführte …«

Tamara wollte weiterfragen, denn sie war mißtrauisch geworden. Die Erinnerung an ihren Bruder aber beruhigte sie. Was für einen Grund hatte sie, einem Menschen zu mißtrauen, der ihr unter Einsetzen seines Lebens – so glaubte sie – den Bruder zurückgebracht hatte? Und hatte er ihr nicht genau erklärt, wie alles zusammenhing und warum er überzeugt sei, daß der Wagen genau um ein Uhr an ihrem Hause vorbei und unmittelbar dorthin fahren würde, wo man den Vater gefangen hielt? Ja, er hatte das alles erklärt, aber sie hatte kaum zugehört. Das einzige, was sie hören wollte und hörte, war die Zuversicht, den Ort ausfindig zu machen, wo man ihren Vater gefangen hielt.

»Portland in Sicht!« sagte Brennan leise, wahrscheinlich nur, um sie von den Gedanken abzubringen, die ihm nichts als Unannehmlichkeiten versprachen.

»Ich sehe«, erwiderte sie und schaltete eine höhere Geschwindigkeit ein.

»Hallo, Miß Harrogate«, ließ sich Flannagans Stimme vernehmen. »Ich möchte Sie nur auf einen Umstand aufmerksam machen: Seit einer halben Stunde folgt uns ein Wagen.«

»Nun und?« fragte sie, ohne den Kopf zu wenden.

»Und? Und – nichts. Wenn's Ihnen nichts ausmacht, mir kann's furchtbar egal sein«, antwortete Flannagan mürrisch.

Brennan hielt es für angebracht, seinerseits den schlechten Eindruck dieses ihnen folgenden Wagens abzuschwächen.

»Was ist denn schon dabei?« fragte er erstaunt. »Die Landstraße ist für alle da – – –«

»Für Gerechte und Ungerechte, für die Polizei und für Spitzbuben«, ergänzte Flannagan.

»Ich dachte, Sie sind betrunken?« fragte Brennan plötzlich scharf.

»Bin ich auch«, bestätigte Flannagan zuvorkommend. »Ich bin eben in dem herrlichen Zustand zwischen sinnloser Betrunkenheit und aufdämmernder Nüchternheit, wo man nicht schnell genug zur Flasche greifen kann, um den wünschenswerten Zustand aufrecht zu erhalten. Aber meine Gedanken arbeiten dabei wunderbar. Mich hat zum Beispiel vorhin die Frage beschäftigt, ob der uns folgende Wagen von der Polizei sein könnte. Nun weiß ich bereits, daß dem nicht so ist.«

»Woher, wenn ich fragen darf?«

»Daher, weil der Wagen Sie nicht beunruhigt. Ein Polizeiwagen würde Sie aber gar mächtig in Unruhe versetzen. Und noch mehr verrät mir Ihre Ruhe: Sie müssen den verfolgenden Wagen erwartet haben.«

»Meine Herren!« rief Tamara vorwurfsvoll. »Ich bitte um Ruhe. Ich muß meinen Wagen lenken.«

»Wenn Sie auf meinen Rat hören wollen, so lenken Sie ihn hier in Portland zur nächsten Polizeiwache«, sagte Flannagan. »Sie ersparen sich dadurch eine Menge Ärger und Unannehmlichkeiten.«

»Wenn Sie sich fürchten, Mr. Flannagan«, gab sie scharf zur Antwort, »so lasse ich Sie gern aussteigen. Ich habe Ihnen wiederholt zu verstehen gegeben, daß ich auf Ihre Begleitung keinen Wert mehr lege.«

»Wetten, daß Sie diese häßlichen Worte noch heute bereuen werden?«

Brennan mischte sich wieder ein:

»Ich sehe, Sie sind doch betrunken. Belästigen hier meine Braut in einer Weise … Zum Deibel, so steigen Sie doch aus!«

Flannagan lachte.

»Das täte Ihnen so in Ihren Kram passen, Sie kleiner Gauner, Sie! Nein, da kennen Sie Flannagan nicht …«

»Noch ein solches Wort, und Sie werden meine Fäuste zu spüren bekommen«, begann Brennan wütend, aber Tamaras Stimme unterbrach ihn:

»Da habe ich ja zwei nette Beschützer«, sagte sie spöttisch. »Mäßigen Sie sich, meine Herren, wenn Sie Gentlemen sein wollen.«

Und wieder herrschte Schweigen.

Portland lag jetzt hinter ihnen. Man fuhr wieder auf finsterer Landstraße, drei Wagen hintereinander, in einem Abstand von etwa zweihundert Metern voneinander. Viertelstunde um Viertelstunde verstrich. Tamara kannte die Gegend, durch die sie fuhren, von früher her, aber sie wußte es auch nicht genau, wo sie sich grade befanden, als sie plötzlich scharf die Bremsen anzog.

»Was ist – – –«, begann Flannagan. Er fragte nicht weiter, denn als er sich vorbeugte, hatte er sofort die Ursache des Bremsens erkannt: Der Wagen vor ihnen hatte sich quer über den Weg gestellt, so daß an ein Vorbeikommen nicht zu denken war.

»Jetzt kanns ja losgehen!« sagte Flannagan grimmig und nahm einen seiner Revolver aus der Tasche.

»Ich begreife nicht …«, stammelte Brennan. Und er begriff wirklich nicht: Sie waren ja noch lange nicht bei Ellsworth angelangt. Sollte auch dort schon die Polizei sein, so daß seine Leute es vorzogen, den Überfall schon hier stattfinden zu lassen? Nun, das würde sich gleich herausstellen.

Dicht neben dem quergestellten Wagen hielt Tamara. Man hörte deutlich, wie von hinten ein anderer Wagen herankam und ebenfalls hielt.

Eine halbe Minute lang war es noch still. Dann vernahm man Schritte und Männerstimmen.

»Hallo!« rief jemand aus einiger Entfernung. »Ich bitte, sofort im Wageninnern Licht zu machen. Falls nicht gehorcht wird, schießen wir alles zusammen. Wir sind hier zehn Mann.«

»Was soll ich tun?« flüsterte Tamara ratlos.

»Licht machen, zum Teufel!« erwiderte Flannagan grob.

Brennan sagte nichts. Ihm konnte es gleich sein; nein, ihm drohte nichts. Jetzt war er Herr der Lage. Oh, und er würde das ausnutzen, bestimmt!

Tamara drehte das Licht an, so daß nun die unsichtbaren Feinde sehr gut sehen konnten, wer sich im Wagen befand.

Man konnte es eher erraten als sehen, daß sich jetzt ein Ring von Männern um den Wagen gruppierte.

»Meine Damen und Herren«, sagte eine Stimme aus dem Dunklen. »Widerstand wäre zwecklos. Ich will gleich betonen, daß wir von der McGregorschen Bande sind. Es wird Ihnen kein Haar gekrümmt werden, wenn Sie sich ruhig verhalten. McGregor tötet nur, wenn man ihn dazu zwingt.«

»Gegen eine Übermacht kämpfe ich nicht«, sagte Flannagan ganz ruhig und steckte die Hände in die Taschen.

»Legen Sie bitte Ihre Waffen hier auf den Boden des Wagens. Danke. Zwei Revolver, ein Messer … Sonst nichts? Ihr Wort, Mr. Flannagan, genügt. Garantieren Sie uns dafür, daß auch die Dame keine Dummheiten machen wird?«

»Nein!« rief Tamara zornig. »Ich durchschaue alles. Flannagan selbst hat diesen Überfall vorbereitet. Er steckt mit Ihnen unter einer Decke … Ich werde mich wehren …«

»Sie irren sich sehr, und ich bedaure lebhaft, Gewalt gebrauchen zu müssen.« Vier Hände streckten sich aus dem Dunkel vor und suchten Tamaras Taschen ab. Man fand aber nur einen Revolver.

»Und ich finde diesen Überfall ganz unerhört!« schrie Brennan auf, der sich besann, daß auch er etwas sagen mußte.

»Wir haben Sie nicht gefragt!« lautete die grobe Antwort. »Her mit den Waffen!«

»Es ist schrecklich, aber was soll ich einer solchen Übermacht gegenüber anfangen!« jammerte Brennan und zog ebenfalls einen Revolver aus der Tasche.

»Den anderen auch!« sagte die Stimme aus dem Dunkel.

Brennan runzelte wütend die Stirn, aber es blieb ihm nichts übrig als zu gehorchen. Er fand es höchst überflüssig, daß man ihm auch die andere Waffe abnahm, doch wollte er natürlich Flannagan und vor allem Tamara nicht merken lassen, wie sich die Dinge in Wahrheit verhielten.

»Und jetzt verlange ich Genugtuung!« schrie er gleich darauf laut. »Das ist eine unerhörte, gemeine, nichtswürdige …«

Die ruhige Stimme des Fremden unterbrach ihn: »Mr. Flannagan und Sie, Miß Harrogate, bitten wir jetzt ganz still hier zu warten. Zwei Männer werden Sie bewachen, bis wir hier mit dem anderen Herrn eine kleine Formalität erledigt haben.« Flannagan lachte spöttisch.

»Vor mir brauchen Sie kein Theater zu spielen! Ich weiß genau, was hier vorgeht: Sie haben das alles nur in Brennans Auftrag getan und wollen jetzt mit ihm allein das Nötige besprechen.«

»Sie tun mir unrecht!« rief Brennan, aber es klang wie Hohn aus seiner Stimme. »Sie beschuldigen einen Menschen, der Ihnen nichts zuleide tat …«

»Sie tun ihm unrecht«, sagte auch die Stimme aus dem Dunkel vorwurfsvoll. »Wir wollten mit Mr. Brennan etwas besprechen? Der Teufel soll uns davor bewahren. Wir haben nichts mit ihm zu besprechen, – wir wollen ihn aufhängen.«


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