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IV.

Nachdem Bath seinen Gast hinausgeleitet hatte, schloß er sich in seinem Zimmer ein und ging rasch, mit sehr kurzen Schritten, vom Schreibtisch zum Kamin, vom Kamin zum Schreibtisch, hin und her, hin und her. Er hielt den Kopf gesenkt und dachte angestrengt nach. Er dachte nach, obwohl er wußte: Es gab hier nichts zu denken. Der Fall war von vornherein ganz klar, und es war hieran nichts zu ändern, nichts mehr zu ändern.

Bath wußte, Strong würde von ihm ohne Verzug zu McGregor fahren. Strong würde ihn anzeigen. Warum, war eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Vielleicht fürchtete sich Strong zu sehr vor einer Anzeige seinerseits, vielleicht hatte er tatsächlich dieses Gespräch nur geführt, um ihn, Bath, auszuhorchen. Das war ganz unwichtig. Wesentlich war nur die Frage, was McGregor tun würde.

Eine Stunde war vergangen, als Bath lächelnd aus seinem Arbeitsraum in das sonnendurchflutete Eßzimmer trat. Am Boden spielten seine drei Kinder. Sie bauten Häuser und Gärten, sie bauten sie mit ernsten, feierlichen Mienen. Sie zankten sich nicht und schrien nicht, denn sie waren zu eiserner Selbstzucht erzogen.

Bath kniete sich nieder und baute ebenfalls Häuser und Gärten. Auch er machte dabei ein ernstes Gesicht, und es schien wirklich, als sei das Haus, das er baute, und der Garten dazu jetzt seine einzige Sorge.

Mrs. Bath trat ein und setzte sich mit einer Handarbeit ans Fenster. Ab und zu sah sie lächelnd auf die Kinder und ihren Vater, und einmal lachte sie laut auf, als das Haus – grade des Vaters Haus – durch seine Ungeschicklichkeit zusammenstürzte.

»Ein schlechtes Vorzeichen«, sagte er und stand auf.

»Mr. Strong hat dich geärgert?« fragte sie.

Er setzte sich neben sie, und es war ihm angenehm, als sie mit der kühlen Hand über seine faltenlose, glatte Stirn strich.

»Es war ein Fehler, ihn einzuladen«, bestätigte er. »Aber sprechen wir nicht mehr davon.«

Sie stellte keine Fragen mehr. Sie wußte, sie hätte auch nichts mehr erfahren. Ihr Mann wäre mit einem leisen Lächeln über ihre amerikanische Ungezogenheit aufgestanden, hätte ihr einen verzeihenden Blick zugeworfen und wäre für lange, lange Zeit in seinem Zimmer verschwunden.

»Mir ist ein Bild angeboten worden«, erzählte Mrs. Bath heiter. »Ein wundervolles, großes Bild von Barley. Es kostet dreißig Dollar. Das soll spottbillig sein.«

Er nickte.

»Das ist möglich. Du möchtest es kaufen?«

»Nur, wenn das auch dein Wunsch ist.«

»Nun, ich …« Er schwieg einen Augenblick nachdenklich. »Ich würde abraten.«

Ein Schatten huschte über ihr schönes Gesicht. Aber es war nur ein ganz flüchtiger Schatten, der sofort verschwand. Dennoch hatte ihn Bath bemerkt.

»Hier sind dreißig Dollar«, sagte er rasch und reichte ihr ein Päckchen Banknoten. »Ich habe es mir anders über legt.«

Sie lächelte dankbar und wollte das jüngste Kind, ein Mädchen, auf den Arm nehmen, das sich ihnen genähert hatte. Aber das Kind begehrte zum Vater.

»Papa soll ein Lied singen«, bat das Mädchen und bettelte mit den Augen. »Das Lied von der Sonne.«

Gehorsam nahm Bath das Kind auf den Schoß und begann sein trauriges Lied zu singen. Es mußte wirklich sehr traurig sein, denn er hatte zuweilen dabei geweint. Die Augen des Mädchens, das es wohl bemerkt hatte, füllten sich daher auch schon bei den ersten Klängen mit Tränen.

»Nicht weinen«, sagte der Vater in einer Pause zwischen dem Singen. Aber er hätte nie wieder dieses Lied gesungen, wäre das Kind jetzt gehorsam gewesen.

Mrs. Bath stand auf, denn der Fernsprecher hatte ein Zeichen gegeben. Bath sang ruhig weiter und blickte erst auf, als seine Frau wieder das Zimmer betrat.

»McGregor«, sagte sie kurz.

Er nickte und stand sofort auf. Er reichte ihr das Kind und ging schnell zur Tür. Diese Tür schloß er sehr sorgfältig hinter sich, dann nahm er den Hörer in die Hand.

»Hier ist Bath.«

»Hier spricht McGregor«, lautete die Antwort.

»Mr. McGregor«, sagte Bath schnell. »Ich muß Sie darauf hinweisen, daß jedes Gespräch, das ich führe, von der Polizei mitgehört wird.«

Zunächst war ein zorniges Grunzen die einzige Erwiderung.

»Das macht nichts«, sagte gleich darauf die Stimme McGregors scharf. »Ich spreche von einer angezapften Leitung aus. Mich findet die Polizei nicht. Hören Sie, Bath, eben kommt zu mir Strong und erzählt – – –«

»Ich weiß«, unterbrach ihn Bath. »Ich hatte ein theoretisches Gespräch mit ihm über Verrat an unserer Sache Er wird nun behaupten, er hätte dieses Gespräch mit mir nur geführt, um zu erfahren, ob ich an Verrat denke. Ich hielt es für überflüssig, Sie aufzusuchen, weil ich wußte, Sie würden selbst sofort erkennen, daß der Fall genau umgekehrt liegt.«

»Sie wollen damit sagen, nicht Sie, sondern grade Strong hätte verräterische Absichten?«

»Er kam mir schon lange verdächtig vor. Seit einer Stunde weiß ich, daß ihm nicht zu trauen ist.«

»Einen Augenblick.«

»Bitte sehr.«

Bath wartete geduldig, den Hörer am Ohr, die Augen starr nach der Decke gerichtet. Er wußte: jetzt besprach sich McGregor mit Strong.

»Hallo!« vernahm er endlich wieder McGregors Stimme »Hören Sie noch?«

»Ich bin am Apparat.«

»Also Strong ist beinahe auf den Rücken gefallen, als ich ihm Ihre Worte wiedergab. Er ist sehr gekränkt, daß ich auch nur einen Augenblick an ihm zweifeln konnte.«

»Ich bin ebenfalls sehr gekränkt«, sagte Bath ruhig. »Jedoch bin ich nicht in der Lage, meine Kränkung in irgendwie lärmender Weise zu äußern. Ich bin Ihnen treu ergeben, – mehr kann ich nicht sagen. Wenn Sie auf mich hören, werden Sie mit Strong kurzen Prozeß machen. Glauben Sie dagegen ihm mehr, so befehlen Sie, und ich bin in derselben Stunde noch ein toter Mann.«

Lange Zeit hörte Bath nichts. Als McGregor endlich wieder sprach, erkannte Bath schon an seiner Stimme, daß die Sache für ihn nicht gut stand.

»Es steht Beschuldigung gegen Beschuldigung«, sagte McGregor zornig. »Ich stelle Ihnen zur Wahl: Ihr jüngstes Kind als Geisel oder Zweikampf mit Strong bis zur völligen Kampfunfähigkeit des einen.«

»Ich wähle Zweikampf bis zur völligen Kampfunfähigkeit des einen«, sagte Bath rasch.

»Strong hat den anderen Ausweg gewählt«, erklärte McGregor, »aber er wird sich nun fügen müssen. Da Strong Sie als erster beschuldigte, dürfen Sie die Waffen bestimmen.«

»Krumme japanische Säbel.«

»Das kann ich nicht gelten lassen. Diese Waffe ist hier nicht so bekannt wie bei Ihnen. Aber Sie brauchen gar nicht zu wählen: Ich selbst werde eine Kampfesart bestimmen, bei der weder der eine noch der andere Vorteile hat: sie wird beiden unbekannt sein. Heute abend in dem Hause, bei dem das Losungswort Silberdollar gilt. Um acht Uhr. Verstanden?«

»Sehr gut.«

»Und was Mr. Harrogate und seine Sorgen betrifft, so werden wir das Kind sofort endgültig beseitigen. Dann wird die Polizei vielleicht auch Sie in Ruhe lassen, denn Sie können doch dann nichts dafür. Leben Sie wohl.«

Bath hängte ein. Er blieb noch etwa zwei Stunden in seinem Zimmer und brachte in seine Briefschaften Ordnung. Dann ging er aus.

Mrs. Bath war nicht im Zimmer. Daher erlaubte sich Inspektor Reginald Bath ein leises, trauriges Lächeln.


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