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XVII.

Mit nachdenklicher Miene schritt Dick Brennan über den weichen Teppich des langen Ganges im Hotel Commodore zu seinem Zimmer. Er war wie immer sehr elegant, und wie immer sahen sich die ihm begegnenden Damen verstohlen nach ihm um. Sonst tat er nur, als merke er das nicht; heute aber war er so sehr in Gedanken, daß er es wirklich nicht merkte.

In seinem Zimmer wartete auf ihn eine unangenehme Überraschung. Als er am Lichtschalter drehte, blieb es finster. Die Vorhänge waren so dicht vorgezogen, daß der Raum auch vom Tageslicht nicht im geringsten erhellt werden konnte.

»Da soll doch gleich der Teufel …« murmelte Brennan verärgert. Er sprach den Satz nicht zu Ende, denn eine tiefe, offenbar verstellte Männerstimme unterbrach ihn kühl:

»Rühren Sie sich nicht von der Stelle, heben Sie die Hände und schweigen Sie, – außer, Ihr Leben ist Ihnen nichts mehr wert.«

Diese Worte klangen so ruhig und doch so entschlossen, daß Brennan ihnen sofort Folge leistete.

Am Schreibtisch blitzte eine helle Laterne auf, die ihren Strahl unmittelbar auf Brennan richtete. Hinter der Laterne war natürlich für Brennan nichts zu erkennen.

»So«, sagte die Stimme sichtlich befriedigt. »Jetzt öffnen Sie die Tür um einen Spalt, ziehen Sie den Schlüssel von außen ab und sperren von innen zu. Sie überlegen? Hier gibt es nichts zu überlegen: Entweder Sie tun genau, was ich Ihnen sage, oder Sie schließen mit Ihrem Leben ab.«

Brennan sah sehr bleich aus, und das Achselzucken, mit dem er sich daran machte, den Befehlen des Fremden nachzukommen, machte durchaus nicht den gleichmütigen Eindruck, den er damit erwecken wollte.

»So!« erklärte die Stimme nach einer Weile. »Ich sehe, Sie sind ganz vernünftig. Nun setzen Sie sich mal dort auf den Stuhl in der Ecke. Sie dürfen jetzt sprechen, soviel es Ihnen Vergnügen bereitet, aber nicht zu laut.«

Brennan atmete auf.

»Also dann möchte ich doch um eine Erklärung Ihres sonderbaren Benehmens bitten …«, begann er aufgeregt.

»Ein Verbrecher erklärt sein sonderbares Benehmen nur dem Herrn Staatsanwalt«, lautete die gemessene Antwort.

»Ah! Sie geben selbst zu, ein Räuber, ein Bandit zu sein!« rief Brennan aus.

»Ja, und noch mehr: ein Brandstifter und mehrfacher Mörder. Mit einem Wort ein steckbrieflich verfolgter Schwerverbrecher.«

Die Hand Brennans, die scheinbar achtlos über seinen kleinen Schnurrbart strich, zitterte merklich. Er hatte sehr gut begriffen, daß sein Leben ernstlich bedroht war.

»Und was wünschen Sie von mir?« fragte er mit unsicherer Stimme. »Sie dringen hier ein, bedrohen mich … Was wollen Sie eigentlich? Geld? Hier – – –« Und er riß seine Brieftasche heraus und zerrte einige Scheine vor.

»Stecken Sie Ihr Geld ein«, antwortete der Fremde. »Fünfzehn Dollar enthielt die Brieftasche heute nacht. Einen Dollar haben Sie für Frühstück ausgegeben, zwei Dollar für Blumen – hübsche weiße Nelken –, und besitzen somit nur noch zwölf Dollar. Nicht gerade viel. Dabei sind Sie hier im Hotel schon einige hundert Dollar schuldig.«

»Das geht Sie nichts an. Und dann möchte ich doch wirklich gern wissen, warum Sie sich so um meine Privatangelegenheiten kümmern. Sie scheinen ja recht viel über mich zu wissen.«

»Ja, so ziemlich. Sie wohnten zuletzt in Baltimore im Hotel Belmont, aber dort nannten Sie sich nicht Brennan. Sie hinterließen einen Schuldbetrag von fünfhundertdreißig Dollar. Vordem wohnten Sie in Boston im Savoy und blieben dort dreihundertzehn Dollar schuldig. Noch früher –«

»Genug!« sagte Brennan zornig. »Ich sehe, Sie haben mir nachspioniert, in der gemeinsten Weise nachspioniert. Ich finde das – – –«

»Wie Sie das finden, ist mir sehr gleichgültig. Die Hauptsache ist: Sie erfahren, daß ich nicht nur manches, sondern alles über Sie weiß. Alles.«

»Das ist nicht wahr. Sie erzählen mir da – – –«

Die Stimme unterbrach ihn wieder, ruhig und kalt:

»Ich kenne die Sache mit Tom Richard, dem Sie ein paar Tausend abschwindelten. Ich kenne Ihre erste Braut Maud Roof, die so leichtsinnig war, Ihnen einen Blankoscheck anzuvertrauen; ich kenne auch den häßlichsten Fall aus Ihrer Praxis, wo Sie dem alten Bettler Lexington seine sauer zusammengebettelten fünfzig Dollar stahlen. Gewiß, Sie befanden sich damals in Not: Die Polizei war hinter Ihnen her, und Sie brauchten Fahrgeld. Aber später hätten Sie Gelegenheit gehabt, dem alten Lexington sein Geld zurückzugeben. Sie taten es nicht. Leider. Lexington erhängte sich aus Kummer. Eine schmierige Angelegenheit, lieber Brennan, schmierig, sehr schmierig. Sozusagen ein Schandfleck für die ehrliche Verbrecherwelt. Ja, so ein richtiger kleiner Schandfleck sind Sie. Wollten Sie etwas sagen? Noch nicht? Sehr angenehm. Ist auch besser, Sie schweigen und schämen sich. So, und jetzt wissen wir beide genau, was wir voneinander zu halten haben. Das wird für unsere Unterhaltung von großem Vorteil sein. Und nun wollen wir einen Schritt weiter gehen. Nämlich, und das ist der Zweck – – – Ah, der Fernsprecher meldet sich. Nein, bitte, bemühen Sie sich nicht, das erledige ich für Sie.«

Ein leises »Klick« verriet, daß der Fremde den Hörer abgenommen hatte, und dann vernahm Brennan zu seiner Verblüffung seine eigene Stimme, so ausgezeichnet nachgeahmt, daß er selbst nicht den kleinsten Unterschied feststellen konnte.

»Hallo! Hier ist Brennan. Wer dort? Tamara, du? Ja, ich bin zu Hause. Was? Was sagst du da? Dein Vater entführt? Das ist ja entsetzlich! Wie? … Ach, grauenhaft? Wie leicht hättest du dabei verletzt werden können. Ja, ich komme gleich, habe nur noch eine kleine geschäftliche Besprechung. Ja, es handelt sich um eine größere Transaktion. Ein ekelhafter Mensch, mit dem ich da zu tun habe, aber was ist zu machen? Geschäft ist Geschäft. Ich habe schon von meinen Eltern diesen Geschäftsgeist geerbt. Wie? Das sagte ich schon einmal? Nun, man kann so etwas gar nicht oft genug wiederholen, mein teures Lieb. Sonst merken's die Menschen nicht. Warst du schon zu Hause? Nein? Nun, dann kann ich dir eine ganz große Überraschung versprechen. Du wirst staunen. Nein, daß grade heute dein Vater entführt werden mußte! Aber ich werde das klären, ja: ich! Auf die Polizei ist ja doch kein Verlaß heutzutage. Leb wohl, auf Wiedersehen, auf Wiedersehen.«

»Das ist niederträchtig!« rief Brennan wütend. »Sie verderben mir meine Geschäfte – – –«

»Nur immer mit der Ruhe, junger Mann«, antwortete die Stimme. »Sie sind vollkommen in meiner Hand. Merken Sie sich das. Wenn ich will, befinden Sie sich morgen im Gefängnis und einige Wochen später im Zuchthaus. Also haben Sie kein Recht, mir Vorwürfe zu machen. Nun aber wollen wir mal ernstlich miteinander sprechen: Sie wollen Miß Tamara Harrogate heiraten oder eine größere Summe Geldes erschwindeln, ohne sie zu heiraten. Die Geschichte dauerte Ihnen etwas zu lange, und da dachten Sie sich einen für Sie neuen Trick aus. Sie raubten ihr den kleinen Bruder. Damit begaben Sie sich zum erstenmal im Leben auf das Gebiet des ehrlichen Verbrechens. Einen ehrlichen Verbrecher nenne ich den, der ein gefährliches Stück Arbeit liefert, dabei Hals und Kopf und Zuchthaus wagt, und wenn es gelingt, einen Riesengewinn einstreicht. Das ist etwas ganz anderes als Ihre Schwindeleien, wobei Sie nur das Vertrauen dummer Menschen ausnützten, sehr wenig wagten und sehr wenig verdienten. Ihr erstes Stück ehrlicher Arbeit war meisterhaft. Sie entführten den Kleinen so, daß alle – sogar die Polizei – nachher sagten, das könne nur die McGregorsche Bande getan haben. Sie wollten ein Lösegeld haben, und um sicherer zu gehen, ließen Sie den Vater im Glauben, McGregor sei der Entführer. McGregor hörte aber auch davon, widersprach dem Gerücht nicht, schrieb jedoch an Harrogate selbst und verlangte auch selbst das Lösegeld. Die Sache gelangte zur Anzeige, und dafür beschloß McGregor, Harrogate zu strafen. Er wußte, wo Sie den Knaben versteckt hielten und sandte zwei Leute, um ihn beseitigen zu lassen. Dieser Versuch mißlang. Daraufhin änderten Sie Ihren Plan, brachten den Kleinen nach Hause und wollen nun den genialen Befreier spielen. Ich bereitete Miß Harrogate eben bereits auf die Überraschung vor, die ihrer zu Hause harrt. McGregor aber hat jetzt den alten Harrogate selbst entführen lassen. Damit ist diese Seite der Angelegenheit wieder in Ordnung gebracht. Nun aber sandte er mich zu Ihnen, um Ihnen mal auseinanderzusetzen, was Sie sich durch Ihre Einmischung in seine Angelegenheiten eingebrockt haben. Wie dachten denn Sie sich eigentlich alles weitere?«

Brennan schwieg, sichtlich verwirrt durch die genauen Anklagen des Fremden.

»Ich warte auf eine Antwort«, kam es ungeduldig aus dem Dunkeln.

»Nun, ich dachte … ich meinte, es würde McGregor nicht viel kümmern, wenn ich sage, ich hätte den Knaben aus seinen Händen befreit«, erklärte Brennan endlich stockend. »Sie werden verstehen, daß für mich diese Sache so gut wie eine Lebensfrage geworden ist. Außerdem dachte ich … Nun, ich war der Ansicht, McGregor selbst sei verhaftet und … und erschossen …«

»Das ist ein großer Irrtum«, antwortete der Fremde. »Die Polizei hatte den falschen erwischt. McGregor selbst wird sie nie verhaften können, weil – – –«

An der Tür klopfte es heftig.

»Aufmachen! Hier ist die Kriminalpolizei! Sofort aufmachen!« rief eine kräftige, drohende Männerstimme.

Sekundenlang war es ganz still im Zimmer.

Dann wurde ein Stuhl gerückt, und dann schnurrte der Vorhang an dem einen Fenster beiseite. Brennan erblickte einen Mann von mittlerer Größe und gedrungener Gestalt, der ihm den Rücken zukehrte.

»Wohin führt diese kleine Tür?« fragte der Fremde hastig flüsternd.

»Ins Bad«, antwortete Brennan aufgeregt.

»Sofort öffnen!« kam es dröhnend von der Tür her, und das Klopfen wurde zu ununterbrochenem Hämmern.

Der Fremde schob sich quer durchs Zimmer, Brennan immer den Rücken zukehrend, den Kopf dabei tief gesenkt, zur kleinen Tür. Lautlos öffnete er sie und schloß sie wieder hinter sich.

Brennan sprang auf, fuhr sich mit der Hand hastig über das Haar, obwohl das durchaus nicht nötig war, da sein Haar so glattgescheitelt wie immer war. Dann sperrte er hastig die Tür auf.

»Sie sind Mr. Dick Brennan?« fragte der erste von den drei Beamten in Zivil.

»Ja«, sagte der junge Mann tonlos, Er hielt sein Spiel für verloren.

»Wir möchten wissen, ob sich nicht in Ihrem Zimmer ein Verbrecher versteckt hat«, sagte der Beamte etwas höflicher. »Er muß in einem Zimmer auf diesem Gang sein. Es ist von größter Wichtigkeit: Es handelt sich nämlich um McGregor selbst.«

Brennan sah den Beamten lange starr an. Dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, Officer«, sagte er leise. »In meinem Zimmer kann er nicht sein.«

Der Beamte dankte mit einem Kopfnicken und machte einen Schritt zurück. Doch da fiel sein Blick auf die kleine Seitentür.

»Wohin führt diese Tür?« fragte er schnell.

»Ins Bad«, antwortete Brennan wieder.

Der Beamte tat wieder einen Schritt vorwärts.

»Sie gestatten doch, daß wir für alle Fälle nachsehen?« fragte er mißtrauisch.

Nur eine Sekunde schwankte Brennan.

»Bitte sehr«, sagte er dann mit erkünstelter Ruhe.


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