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Franz Werfel, Der veruntreute Himmel

Franz Werfel setzt seinem neuen Roman »Der veruntreute Himmel« ein Wort des heute vielfach wieder zu Ehren kommenden Jean Paul voraus: »Es ist, als hätten die Menschen gar nicht den Mut, sich recht lebhaft als unsterblich zu denken.« Was nun in den über 400 Seiten des Buches mit allen Mitteln eines gewaltigen Erzählers und Seelendeuters dargestellt werden soll, ist die Geschichte eines Menschen, der diesen Mut hat, umrahmt von der Geschichte eines Dichters, der das Leben dieses Kämpfers oder vielmehr dieser Kämpferin um Unsterblichkeit beobachtet, mitleidend miterlebt und berichtend darstellt. Das Buch beginnt damit, daß der Dichter, der als Sommergast auf einem oberösterreichischen Schloß Grafenegg seine Ferien verlebt, einer vertrockneten Magd von bald siebzig Jahren begegnet. Er ist unruhig, auf der Suche nach Kraft und Gestaltungsmut; er hat ein unvollendetes, weil unvollendbares Manuskript im Schreibtisch. Auf dieser Suche schleicht er sich in die Mansarde der Köchin, er hat das unsinnige Gefühl, niemand anderer könne ihn sicherer vor dem (geistigen) Tode retten als sie, die alte Teta Linek mit ihren Vergißmeinnichtaugen und ihren breiten Backenknochen. An der Wand dieses Dienstbotenkämmerchens hängt unter dem Bilde eines Heiligen unter Glas und Rahmen die Fotografie ihres Neffen, eines jungen Geistlichen im Chorrock, der ein Brevier in Händen hält. Seine Augen blicken kurzsichtig, aber schwärmerisch in die Ferne, als hätten sie eben erst von einem erbaulichen Texte aufgesehen. »Ein schönes Bild haben Sie da hängen, Fräulein Teta!« Sie nickt mehrmals, während sie tief aufseufzt: »Ja, das Bild ist eine Pracht.« Damit ist der Dialog zu Ende, denn die Magd »wird bittlich«, wie es in einer ihrer stereotypen Wendungen heißt, der junge Dichter möge sich möglichst schnell aus ihrem Zimmer und aus ihren Geheimnissen herausscheren. Er tut das erste, verläßt ihren Lebensraum, aber nur, um ihrem Geheimnis um so leidenschaftlicher nachzujagen.

»Eines Sonntags, im Juli, die Herrschaft war glücklicherweise ausgegangen, erschien ein ländlich gekleidetes Weib bei ihr, das einen zehnjährigen Jungen an der Hand führte.« So unscheinbar und banal beginnt die Tragödie. Es ist der Neffe, an dem dieses Magddasein sich erlaben und an dem es sich verzehren sollte. – Fast genauso, wie sich bei Beethoven ein Geniedasein an einem ungeratenen Neffen zuerst in Süße erlaben und dann in Bitterkeit erschöpfen sollte. Aber bei Beethoven ist es so, daß sich das alternde Genie in seinem harten Götterhimmel nicht mehr »gemütlich« fühlt und am Lebensabend zu den Sterblichen hinabsteigt, zu seinem »Schlieferl« von Neffen, während sich die Magd schon media in vita ein Götterbild errichtet, zu dem sie hinaufsehen will und das sie mit ihrer Liebe, das heißt mit dem sauer erworbenen Spargroschen speist und kleidet und zum Geistlichen weiht. Dieser kleine Neffe mit den »eigentümlich verschwollenen Schlitzaugen« soll noch etwas mehr werden als der Herzensschatz. Er soll ihr Seelenführer, der Psychagog über den Hades werden. Natürlich tut er die Hand auf, wie es der Barkenführer in der griechischen Unterwelt tut. Aber er begnügt sich nicht mit einem Obolus. Er verlangt während dieser schönen dreißig Jahre alles, was die »gewiegteste aller Sparerinnen« zusammengrapschen kann. Aber dafür winkt der Opferseligen auch ein höherer Lohn. Dieser Seelenführer soll sie nicht nur vom Strand des Lebens in das Land des Jenseits überführen, sondern soll ihr daselbst gutes Quartier bereiten, soll sie, als Fürbitter vor Gott und den Heiligen, durch fleißiges Messelesen und inniges Gedenken vor den Qualen des Fegefeuers oder gar den Verdammungen einer unendlichen Hölle bewahren. Und wie sich sonst eine ältere Dienstperson in eine Altersversicherung einkauft, kauft sich diese Teta Linek für das Himmelreich ein und legt alles in einer Art Paradiesrente an. Hier auf Erden hat sie gedarbt und sich vom Stehen am Herde Krampfadern geholt. Im Himmel wird sie erster Klasse fahren und nur Doboschtorte essen. Was ist denn das irdische Glück? Ihre Herrschaft hier auf Erden, um ein Beispiel zu nehmen, ist reich, gesund, frei, glücklich auf Schloß Grafenegg, Mann, Frau, zwei blühende Kinder. Aber was richtet das Schicksal, unberechenbar und unfaßbar, stupid wie es ist, mit dieser glücklichen Familie an? Der lebenstrotzende Sohn des Hauses, »ich bin nämlich so furchtbar gern auf der Welt«, geht bei einer simplen Bergpartie durch einen blödsinnigen Zufall zugrunde, die Tochter erkrankt an Hirngrippe, wird gelähmt und bleibt ein elender Krüppel, der Herr des Hauses, ein bedeutender Diplomat und noch bedeutenderer Lebenskünstler, kommt unter Hitler ins Lager und wird gepeinigt bei Tag und Nacht, und die Frau des Hauses kann nichts tun als mit starrem Medeablick all den Jammer ansehen. So endet die weltliche Glückseligkeit, das irdische Paradies, Schloß Grafenegg.

Der Neffe tut seine Pflicht. Nicht etwa tut er seine Pflicht in besonders arbeitsamer und »geistlicher« Form im Gymnasium, wo er infolge unglücklicher Zufälle bei allen Prüfungen entweder durchfällt oder »gnadenweise« durchrutscht, aber er tut seine Pflicht im Seelen-Haushalt dieser Köchin mit ihrem Durst nach übersinnlicher, überirdischer Liebe, denn er füllt sie aus, er verlangt unaufhörlich, er braucht Geld und Güte, er braucht den Schatz der Magd, und dadurch weckt, hebt, mehrt er ihn: Er gibt ihr das, wonach sie sich am meisten sehnt, nämlich Hoffenkönnen – auf Briefe, auf Antworten warten; er läßt sie schon eine Art Himmelsfreude empfinden, wenn sie schenken und schenken darf. Schenken, harren, hoffen, aus der Küche in die Unendlichkeit sehen, in Himmel und Hölle, »sich recht lebhaft als unsterblich denken«. Aus einem armseligen Bauernlümmel einen Geistlichen, einen Stellvertreter Gottes auf Erden machen können, und das herrliche dreißig Jahre lang, wäre das zu teuer bezahlt mit noch so vielen Tausendern? Kann man denn solches Glück umsonst haben? Sie bezahlt gern dafür, daß sie ohne Reserve lieben, das heißt, daß sie sich ganz und gar opfern darf. Wie sollte sie nicht glücklich sein, wenn sie für einen so schönen, so reinen Gottesjüngling sorgen darf, Mutterstelle vertreten an ihm, Geliebtenstelle vertreten an ihm? Sie ist groß, fromm, mächtig und glücklich, weil sie ihm gibt und ihn durch das Geben beherrscht: »Mußte der Herrgott selbst ihr nicht dankbar sein? Nur durch ihre entbehrensvolle Treue wurde jetzt täglich in der Welt eine Messe mehr gelesen, eine Hand mehr spendete den Leib des Herrn aus. Sie, die Köchin Teta Linek, hatte somit die Dienerschar Christi vergrößert und somit das Heil der Welt vermehrt.« So schwillt das Gnadengeschenk der armen Magd ins Gewaltige, man sieht einen Charakter in meisterhaften Strichen gezeichnet, die grandiose Dimensionen erreichen: das reine Ideal mit seinem unreinen Schatten. Und an dieser Stelle erscheint der tragische Widersinn der Helden- und Heiligenverehrung, Carlyle zum Trotz! Wie erbärmlich ist doch so oft das, was den Menschen liebenden Herzens auf die Knie zwingt! Es ist ein erbärmlicher Gott, hier ist rechtes Köchinnenwerk, diese schmalzige Vergöttlichung eines rotznäsigen, schlauen und faulen, aufgeblähten Lümmels. Es ist ja alles eher als ein Geistlicher, für den sich die Magd, im Glauben, sich aufs ewige Leben zu pränumerieren, abgearbeitet hat: ein Betrüger, ein feistes, aufgeklärtes Weltkind, ein Faß ohne Boden, ein Bauernfänger, reich an Schlichen, nicht ganz arm an Humor, in allen Wassern der Sentimentalität gewaschen. Bei allem Zynismus und aller Raffgier ein vom Leben betrogenes Lümpchen. Kein Psychagog, sondern ein Demagog, ein Hochstapler Gottes. Wer könnte das nicht vom Anfang an erkennen, wie töricht müßte die Magd sein, wenn sie es nicht beim Lesen des ersten Bettelmeisterbriefes hätte durchschauen können! Aber sie will nicht durchschauen, sie genießt die Frucht ihrer Liebe, sie hat Angst vor der Wahrheit, sie verschließt die Augen, sie macht sich dümmer als sie ist. Ist sie die einzige? Ist sie nicht vielmehr das Urbild der Massenverdummung, der Prototyp für viele hundert Millionen »irregeführter« Teta Lineks, die den Despoten, den betrogenen Betrügern auf den blutenden Knien ihres Herzens knechtselig folgen, Götzen anbetend statt Götter? Dort aber, wo eine Teta Linek getreulich lieben dürfte, wo sie lieben müßte, wo sie ihre edle, vom Unglücksochsen zu Brei getretene Herrschaft bis ins Elend und die Emigration zu begleiten hätte, da löst sie sich kalt, sie nimmt ihre Siebensachen, schröpft die Herrschaft zu guter Letzt noch um ein paar Tausender und zieht von ihr fort, ihrem Götzen entgegen. Bisher ist ihr das Phantom dieses mythischen Neffen, dieses Bischofs in unbewohnten Bezirken, immer zur rechten Zeit aus den Händen geglitten, bloß ein paar langatmige blümerante Briefe und Postanweisungsabschnitte hinterlassend; aber eines Tages kommt es über die siebzigjährige Jungfrau, die seit fünfundfünfzig Jahren ihre Heimat, ihr kleines böhmisches Hostupec nicht gesehen hat, wo ihr Neffe, dank ihr, als Geistlicher wirken soll, sie gürtet ihre Lenden, humpelt hin auf geschwollenen Beinen, sie taucht dort auf, sie sieht im Garten der Pfarre einen prächtigen Diener Gottes, einen milden, frommen und – ihrer Hilfe als Köchin höchst bedürftigen Mann, der sie mit aller Freundlichkeit empfängt und den sie als ihren Neffen anredet, selig, am Ziel der Wünsche, alle Hände voll Liebe, Banknoten und Kochkünsten. Warum zerstört dieser getreue Gottesdiener ihren Traum? Er klärt sie auf. In stummer Verzweiflung erhebt sie sich und wandert weiter, nach Prag, wo sie endlich dem entgötterten Bilde entgegentritt. In Armut und Schlamperei, mit aller nötigen Kraft zum Schwindel, aber ohne die Kraft zum Verbrechen, dem Bier und dem Bett ergeben, ein armseliger Schnorrer mit nicht einmal schlechtem Willen, so klebt dieser Herzensneffe mit einer Konkubine zusammen, Nachthausierer in Cafes mit Zeichnungen und Bildern, Gelegenheitsdichter, Lebenskrüppel, der die Sterne deutet – falsch. Große Szene des Erkennens, von grauslichem Humor umwittert. Die nackte Wahrheit, in die schlichtesten Worte gekleidet: »Der Himmel hat uns gegenseitig füreinander bestimmt, das ist keine Frage«, bettelt der arme Haderlump, »ich bereite Ihren und Sie bereiten meinen Weg.« Zum erstenmal sagt er die Wahrheit, zeigt sich, wie er ist. Aber jetzt glaubt man ihm nicht.

Der Roman hätte sich von hier aus in großartiger Weise noch viel weiter führen lassen, wenn Werfel die beiden »von Gott füreinander Bestimmten« bis zum Ende beisammengelassen hätte. Sie der Don Quichotte und er der Sancho Pansa der himmlischen Wanderschaft, welch ein Thema voll »grauslichem« Humor! Leider hat Werfel es vorgezogen, den Haderlumpen nach der letzten Blamage weinend von der Bühne abtreten zu lassen, um diesen religiösen Nihilisten vom Blute des braven Soldaten Schwejk auszutauschen gegen einen echten Heiligen, einen edlen, klugen und von Herzen liebenden Kaplan Seydel, der die törichte Magd bei einer Pilgerfahrt zum Papste Pius in Rom begleitet ... Was jetzt kommt, ist sehr schön, »ecce sacerdos«, Wirken des echten Priesters im Zeitalter der Apokalypse. Aber das hat mit den ersten Teilen des Romanes nichts mehr zu tun. An dem Papst zu zeigen, daß selbst solch ein göttlicher Mensch an einem »vergoldeten Rasierapparat, mit dem er sich nicht auskennt und der ihm die Kraft eines ganzen Tages fortnimmt«, seinen Tribut an das Irdische, allzu Irdische zu bezahlen hat – was sagt das? Es ist aktuell, gut fotografiert, mag wirklich vorgekommen sein, aber es läßt kalt, ebenso wie das gottselige Ende der armseligen Kreatur Teta Linek, die den von ihr selbst geschaffenen Mythus Mojmir nie hätte überleben dürfen. All dieser Pomp in der Peterskirche trägt nichts Wesentliches bei zum Bilde dieser Magd, die »den Mut hatte, sich recht lebhaft als unsterblich zu denken«. Und, ich will es offen gestehen, ich sehe in diesem Mut einer Teta Linek nur Übermut. Man gebe den Lebenden ihre Liebe, den Irdischen die Erde und lasse den Himmel für sich selbst bezahlen. Man mache keine Assekuranz-Geschäfte mit Mythen. Man vertraue seinen Hang zum Edlen und Idealen keinem niederträchtigen Haderlumpen an, man verleite ihn nicht zu Gemeinheiten, und am allerwenigsten beklage man sich nach der Katastrophe über einen veruntreuten Himmel. Ist es ein Himmel, dann wird er sich schon nicht veruntreuen lassen.


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