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Hans Fallada, Bauern, Bonzen und Bomben

Der junge Dichter, dem wir dieses außerordentliche Buch verdanken, leitet sein Werk mit folgenden Sätzen ein: »Dieses Buch ist ein Roman, also ein Werk der Phantasie. Wohl hat der Verfasser Ereignisse, die sich in einer bestimmten Gegend Deutschlands abspielten, benutzt, aber er hat sie, wie es der Gang der Handlung zu fordern schien, willkürlich verändert. Wie man aus den Steinen eines abgebrochenen Hauses ein neues bauen kann, das dem alten in nichts gleicht außer dem Material, so ist beim Bau dieses Werkes verfahren. Die Gestalten des Romans sind keine Photographien, sie sind Versuche, Menschengesichter unter Verzicht auf billige Ähnlichkeit sichtbar zu machen...«

Der Autor will, so setzt er fort, bei der Wiedergabe der Atmosphäre, des Parteihaders, des Kampfes aller gegen alle höchste Naturtreue erstreben. Seine kleine Stadt steht für tausend andere und für jede große auch.

Eine kleine Stadt? Das erinnert an ein prachtvolles Buch Heinrich Manns. Aber wenn das Buch Falladas mit einem Werk Heinrich Manns Ähnlichkeit hätte, dann noch am ehesten mit dem unvergessenen, ja sogar mit jedem neuen Tage aktueller werdenden Buche, das der »Untertan« heißt. Also: vor allem anderen ist es eine großartige, mit der Urgewalt des Hasses geschaffene, aber von unterirdischen Strömen der Liebe gespeiste satirische Dichtung.

Ob nun Fallada einzelne Charaktere (mit den einfachsten, sparsamsten und überzeugendsten Mitteln) vor uns hinstellt, wie etwa den dreckseligen, unergründlich niederträchtigen Redakteur Stuff, oder ob er Panoramen aus dem pathetischen Aufstand der Bauern des Landes an der See um Stettin herum in seinen Roman hineinkomponiert, nirgends wurde mir bewußt, wo das Material (Akten usw., Wirklichkeitsbericht, Recherchen und persönliche Erfahrung) aufhört und wo die freie Phantasie zu produzieren beginnt. Das ist der Grund, weshalb ich das Ganze nicht als Werk eines hochbegabten »Schriftstellers«, sondern als das eines geborenen Dichters ansehen muß, wobei über den Rangunterschied zwischen Schriftstellerei und Dichtung nicht das mindeste gesagt sein soll.

Worum handelt es sich? Es handelt sich um die Kämpfe der Bauernschaft, die von einer impotent-brutalen Beamtenschaft mißverstanden, bedrängt, falsch behandelt wird und die, dumpf und stur, der Not der Zeitenwende nicht gewachsen ist. Die andere Partei sind die Bewohner einer Stadt namens Altholm. Boykott, Demonstrationszüge, schwarze Fahnen, Tagung in der Heide nachts, Schwur und Feme. Stumpfer Fanatismus hier, stumpfe Geschäftspraktiken dort. Waffen, Blut und Aufruhr überall. Und endlich, mit einer ruhigen Meisterschaft dargestellt, das diabolische Kampfmittel der schweigenden Verachtung; es ist die Strafe des durch Schweigen strafen. Das alles nicht zwischen Einzelpersonen ausgefochten, sondern zwischen Massen, deren Führer nicht erkennbar sind, die im Dunkel die Fäden dirigieren, sich jeden Mittels bedienen und die den Maschen des völlig unzureichenden Gerichtsverfahrens zu entschlüpfen verstehen.

Vielleicht wurden die Urkräfte, die zu dieser Bauernrevolte führen, nicht genügend klar herausgearbeitet. Hier sehe ich eine (vielleicht die einzige) Schwäche des Werkes. Daß der Dichter diese Dinge hätte an der Wurzel packen können, daß er dem Wesen der Bauern genauso nahesteht wie dem Wesen des Kleinstädters, dafür bürgen einige prachtvolle Szenen, wie die des Aufruhrs in den Straßen von Altholm, wo er dem an sich larmoyanten Kampf um ein Fahnentuch ganz neue Aspekte abzugewinnen verstand, nicht etwa durch großartige Diktion, sondern durch eine bis ins letzte gehende Sachlichkeit, durch ein homerisches oder tolstoisches Schildern, wobei ihm der Gesichtsausdruck der Kämpfer genauso wichtig ist wie die Schärfe der an die Fahne angenieteten Bauernsense, deren Schneide vorerst durch eine Blockschere beseitigt worden ist – so wird die Fahne »beschnitten«, die Sense stumpf gemacht, und am Ende des an 600 Seiten starken Buches verläuft denn auch alles im Sande.

Zu diesem umfassenden politischen Bild hat Fallada noch zwei Flügelkompositionen, die eine ist die Darstellung der menschlichen Teufelei in einigen abschreckend lebenswahr gezeichneten, kranken, wahrhaft des Niederen trächtigen Charakteren – die andere ist die Schilderung eines klaren Kopfes, einer überragenden Persönlichkeit, eines dirigierenden Subjektes unter allen den haltlosen, süchtigen, zum Teil mordsdummen Menschenfratzen. Dieser Kopf gehört einem zwei Zentner dicken, arbeitsbesessenen, menschendurchschauenden Bürgermeister. Es ist das Oberhaupt der Stadt, die vom Boykott betroffen wird. Ein Mann, ein Kopf, eine Hand – wie der Präsident in Stendhals »Kartause von Parma«. Dies ist die einzige halbwegs sympathische Figur, alles andere sind Narren und teuflische, seelenkranke Gesellen. Eine Gestalt aber wie die des jugendlichen, feurigen, apollinischen Helden aus der »Kartause von Parma« hat Fallada nicht darzustellen vermocht. Den meisten Dichtern seiner Generation wäre sie am leichtesten gefallen.

Seine Technik ist sehr eigenartig. Wenig epische Erzählung, fast nur Dialoge, aber diese angefüllt von Tatsachen, sprühend von der dramatischen Spannung des Augenblicks – eine Beherrschung des Sprechtones wie bei einem alten, werkmüden Meister – etwa Herman Bang. Aber das sind nicht die zarten Seelenmüdigkeiten Herman Bangs, was aus dem Munde der Menschen hier dringt: Leidenschaften, Interessen, Viecherei, Haß und Bosheit – und vor allem sehr viel übelriechender Schmutz auch im Wort. Ob die stetige Wiederholung von Vergleichen aus dem – wie sage ich es? – aus dem Dreckbereich des Menschendaseins immer notwendig war, weiß ich nicht. Alle großen Satiriker neigen aber dazu, ich denke an Rabelais, der darin schwelgt. Es mag sein, daß dieser Umstand bleichsüchtige Leserinnen abschrecken wird – den, der auf den Kern der Sache geht, wird er nicht abschrecken. Die Lektüre des Buches lohnt. Sie lockt, man kommt von dem Buch nicht los, und das Tempo des Lesens beschleunigt sich mit jeder Seite. Leer, phrasenhaft habe ich keine Seite des Buches gefunden. Mag sein, daß manche Bezirke des Lebens dem jungen Dichter noch fremd sind, soweit er aber das Leben überhaupt erfaßt, soweit erfaßt er es »echt«.

So darf er wagen, was jedem andern unbedingt mißlingen würde, er darf Wandlungen im Wesen seiner Menschen zeigen, ohne sie des langen und breiten zu begründen. Sein Dreckmephisto, diese wahre Spottgeburt aus Dreck und Feuer, darf, ein paar Seiten vor Schluß des Buches, eine gute, ja, eine begütigende Handlung begehen – und man glaubt sie ihm doch, ja, man fühlt, man hat sie erwartet, und sie mildert die Bitternis, die dieses abgründig pessimistische Werk sonst in jedem Leser hinterließe.


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