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Erik Reger, Union der festen Hand

Ein Tatsachenroman von ungewöhnlichem Format. Der Autor lebt im Ruhrgebiet als Journalist. Seine Art zu schreiben ist indessen von der sogenannten reinen Reportage weit entfernt. Ebensoweit entfernt wie von einer sogenannten dichterischen Verklärung, dichterischer Vereinfachung, Typisierung, Verneblung. Was ist es also dann? Kein Dokument, das Anspruch auf wissenschaftlichen Wert hat, und auch keine Schöpfung freier Phantasie?

Mit Recht wendet sich der Autor dagegen, seine Arbeit als Roman zu werten, nur weil auf dem Titelblatte das Wort Roman stehe. Aber ebensogut könnte er Widerspruch erheben gegen diesen Titel »Union der festen Hand«, der nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus der großen Komposition darstellt. Am Ende weiß man nicht, welchen Leser soll man dem Buche wünschen, den Volkswirtschaftler, den Politiker, den Soziologen? Oder nur den unbefangenen Leser, den hier ein etwas schweres, aber sich lohnendes Werk erwartet?

Der Begriff des Tatsachenromans ist nicht neu. Zola hat solche Tatsachenromane mit einer inzwischen klassisch gewordenen Technik geschaffen. Seine Aufgabe war schwer, gewiß, aber sie war für ihn doch leichter lösbar, als sie es für einen Zola von 1931 wäre. Denn Zola hatte noch ein festes Fundament. Er glaubte. Er glaubte an den Fortschritt, an den Sozialismus, vor allem glaubte er an den Menschen. Er wollte Massen schildern, und in seinen grandiosen Romanen treten ja auch Unmengen von Einzelpersonen auf, dennoch ist es im Grunde immer die Epopöe eines einzigen Mannes.

Dieses feste Glaubensfundament hat der Autor von heute meist nicht. Vielleicht hat es Thomas Mann. Dieser arbeitet aber an einem Roman aus der biblischen Vorzeit. Die meisten Schaffenden von heute »hängen in der Luft« mit ihrer religiösen, mit ihrer politischen Glaubenssatzung. Sie zweifeln ohne Aufhören, sie stehen zwischen den Richtungen, und wenn dieser höchst problematische Geisteszustand einen Nutzen hat, dann den, daß er, wenn zwei Parteien zu schildern sind, der Wesensart beider Teile gerechter wird, als es einem einseitig orientierten Manne möglich wäre.

So sieht man es hier. Es liegt ein romanhafter Tatsachenbericht aus dem Ruhrlande vor, 1917-1931, geschrieben ohne ira, aber mit fundamentalem Studium.

Alles, was den unmittelbaren Bericht des geschulten Auges, alles, was die statistisch zu erfassende Tatsächlichkeit betrifft, immer wird hier mit äußerster Klarheit, Bewußtheit und Ruhe eine Wiedergabe versucht.

Der Autor sagt in der Einleitung, »wenn man in den Reden einzelner Personen Stellen findet, die besonders unwahrscheinlich klingen, so hat man es mit tatsächlichen Äußerungen führender Geister der Nation zu tun oder wenigstens mit Gedankengängen, die auf solche zurückgehen.« Man kann diese Stellen schwer herauserkennen. So sehr ist es dem Autor gelungen, das reine objektive Tatsachenmaterial mit den noch freieren, willkürlichen Lebensäußerungen seiner Personen zu amalgamieren.

Weder die Anhänger der kapitalistischen noch der gemeinwirtschaftlichen Lehre werden sich dieses Buch von Reger »hinter den Spiegel stecken«, schon aus dem Grunde nicht, weil dieses Buch bereits ein Spiegel ist.

Aber dieses großartige Vermögen, den widersprechendsten Tatsachen und Charakteren gerecht werden zu können (bis jetzt immer die Hauptdomäne der bedeutendsten Historiker), ist bei Reger nicht erkauft mit einer bloß schematischen Einsicht in das Innenleben seiner Personen.

Reger versteht den Menschen, er durchschaut ihn gut. Viel zu gut, um ihn lieben oder gar hassen zu können. Vielmehr er sieht ihn mit allen seinen Eigenheiten, den Niederträchtigkeiten und den Hochträchtigkeiten, wenn das Wort gestattet ist, als notwendig an. Ihn schön herauszukristallisieren, ist sein Bestreben, und in den allermeisten Fällen gelingt es ihm. Also hat Reger weder Liebe noch Haß, dafür aber ungeheuren Respekt vor dem unentrinnbar Wirklichen und daher – an manchen, wenn auch seltenen Stellen – eine Art himmlischer Ruhe und einen satanischen Humor. Gibt es das zu gleicher Zeit? Es muß wohl. Wir sehen dasselbe bei allen großen Humoristen, das heißt bei allen großen Naturforschern der menschlichen Seele, als deren letzten Repräsentanten wir Wilhelm Busch mit seiner klassischen himmlischen Ruhe und seinem ebenso klassischen satanischen Humor ansehen dürfen. Ich will Regers merkwürdige Fähigkeiten nach dieser Richtung hin nur an einem einzigen Beispiel illustrieren: Eines Tages besucht ein König aus dem Morgenlande, sagen wir also ein Aman Ullah, einen Teil der riesigen Werksanlagen, deren minutiöse Schilderung der unangreifbare Stolz des »Journalisten« Erik Reger ist.

»Aman Ullah wurde also in das ›Thomaswerk‹ geführt. ›Qu'est-ce qu'il-y-a?‹ fragte er, als er die Halle betrat, wo der Boden zu hüpfen und die Wände zu glühen schienen. Der Direktor ließ ihm verdolmetschen: ›Hier wird siliziumarmes Roheisen durch Kalk und gebrannten Dolomit in kohlenstoffarmes, schmiedbares, aber nicht härtbares Flußeisen umgewandelt. Die verschiedene chemische Zusammensetzung der Roheisenarten resultiert natürlich aus der verschiedenen Beschaffenheit der Erze, aus denen sie gewonnen werden ...‹ Der König stand vor dem Ofen, der langbauchig war wie eine Birne und voll zäher, unbeweglicher Glut kippte und kreiste. Jedesmal, wenn dieser Konverter sich neigte, um einen Bach rieselnden Feuers in die Pfanne zu ergießen, glaubte der König, dies sei eine Huldigung vor ihm, und erwiderte mit einer kleinen herablassenden Verbeugung seinerseits.«

Mit derselben, fast möchte man sagen unnachahmlichen Distanz schildert Reger die Stahlkönige, die sich zu einer Union der festen Hand, also wohl einer Art Produzententrust, zusammengeschlossen haben. Aber er schildert sie nicht bloß am grünen Tisch, sondern auch bei ihren Festen, auf ihren Schlössern, die einer Lebensform entsprechen, die ihre eigentliche Arbeit längst zersetzt haben müßte. Goethe spricht einmal von Amerika, das keine Tradition und »keine Basalte« habe. Der Beruf, die Bestimmung, der geistige Raum dieser Industriemänner, die sich aber »Industriekapitäne« oder gar Könige nennen lassen, ohne zu widersprechen, das eigentliche Wesen dieser Fabrikanten, Techniker, Großwirtschaftler ist sonderbarerweise das Antibasaitische, das Antitraditionelle.

Die voraussetzungslose Wirtschaft, voraussetzungslose Technik, voraussetzungslose Analyse sollte der geistige Raum dieser Männer sein. Ist es aber nur am Tage, im Büro, das alles nur am Wochentag. Abends, außerhalb des Büros, am Sonntag erwacht in ihnen der »Basalt« mit aller elementaren Gewalt, und es kann keine bitterere Satire auf diese unzeitgemäße, ja zeitwidrige Romantik dieser Männer geschrieben werden als Regers Schilderung eines Festes dieser Leute.

»... die Harnische blitzten, die samtenen Schabracken der Pferde waren voll märchenhafter Zartheit, die Mädchen mit den Girlanden tippelten an ihnen vorüber, die Vögel zwitscherten, die Linden dufteten, der Himmel war blau, mit tödlichem Ernst saßen die Stahlmagnaten auf der Tribüne, ihre Haut war pelzig, sie machten Stahl, aber sie waren nicht stählern, sondern romantisch-hartherzig im Beruf, aber weich, sobald sie davon träumen konnten, und leicht gerührt von einer Natur, die für sie erst einen Sinn erhalten hatte, nachdem sie durch überschwengliche Metaphern in Unnatur verwandelt worden war. In göttlichen Fernen kochte das Eisen in den Öfen, donnerten die Schmiedehämmer, und der morgenländische König murmelte: ›Tres magnifique, tres magnifique.‹«


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