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Alphonse de Chateaubriant, Schwarzes Land

Zwei Grundströmungen scheinen mir in der neueren Kunst Frankreichs besonders wirksam zu sein: Die eine findet ihren Bezirk innerhalb des Selbstverständlichen und ist daher analytisch, die andere baut auf, verbindet, erhebt sich mit Absicht über das Selbstverständliche. Zu der ersten Gruppe gehört vor allem Proust, und auch die beiden Autoren, die hier besprochen sind, Radiguet und Duhamel gleichen sich dieser Richtung an. Was sie geben, ist, da das Urerlebnis banal ist, die Quintessenz der eigenen nicht banalen Persönlichkeit, bei Radiguet der Zweifel, die Verzweiflung, die Freuden einer halbgebrochenen Seele, die Erschütterungen eines »Als-ob«-Menschen – bei Duhamel ist es die schüchtern ins breite Leben ausgreifende, an sich völlig im Persönlichen befangene Begegnung zweier Privatleute. Bei Proust, Radiguet und Duhamel: eine Aktion gegen die Aktion, gegen alles Abenteuerliche, die Aktion gegen den Kampf, gegen die Verwicklung, ja sogar gegen die Entwicklung. Auch sie sind Schöpfer, aber Schöpfer von der Art der Kinder. Anders die zweite Gruppe von Künstlern und Gestaltern, die Schöpfer sind wie Väter, wie Ahnen. In diese Gruppe gehört als ein Mann von ansehnlicher Bedeutung Alphonse de Chateaubriant, von dem ein Werk, das in Frankreich mit dem Goncourtpreis gekrönt ist, nun auch deutsch vorliegt in einer schönen Ausgabe der »Schmiede« in Berlin. Ganz große Menschen, wahrhaft säkulare Naturen sind beides, Kinder und Ahnen zugleich. Schöpfer aus Zweifel und Schöpfer aus Glauben. Solche, die aussprechen, was in der Zeit liegt, und dann schaffen, was künftig in die Zeit kommt. Ein Mann dieser Art war Napoleon. Er begann damit, das zu verwirklichen, was schon in der Zeit war, er war, wie er mit Recht sagte, der erste, vielleicht der einzige Revolutionär. Aber mit dem Niederreißen bestehender Wirklichkeiten ist einem solchen Manne nicht gedient, und aus dem ersten Sohn der Revolution wurde – nicht ein Reaktionär. Denn dieser Reaktionär ist ja nichts als ein Revolutionär mit umgekehrten Vorzeichen – sondern ein gewaltiger Aufbauer, ein Vater, ein Ahne, ein Dynast. Es war nicht Snobismus, was ihn zu den alten Feudalgeschlechtern führte, was ihn hieß, die eiserne Langobardenkrone sich aufs Haupt zu setzen, sondern der Wunsch nach Universalität, nach Dauer in der Zeit, und daß er sich im Raume in Europa maßlos ausbreiten mußte, war für ihn nur eine traurige Notwendigkeit, deren Gefahren er sehr bald erkannte. Goethe hat in seiner Art, von »Werther« bis zu den »Wahlverwandtschaften« und der »Farbenlehre«, denselben Weg eingeschlagen. Beide haben ihren ins Kosmische gerichteten Drang, ihre Sehnsucht nach Gottähnlichkeit teuer bezahlt, denn zwischen Vätern und Söhnen spannt sich ein Abgrund, den man nicht ungestraft überspringt. Wie einfach dagegen die Existenz Schillers, der ein Sohn seiner Zeit war, von den »Räubern« angefangen bis zu dem »Wallenstein« und dem »Tell«. Was im Jahre 1804 in der Nationalversammlung zu Paris ein Herr Francois de Neufchateau zu Napoleon, besser gesagt, zu Bonaparte sprach, träfe ebenso auch Goethe: »Bürger, erster Konsul, Sie gründen eine neue Zeit, aber Sie müssen es für die Ewigkeit tun. Der Glanz ist nichts ohne die Dauer. Wir können kaum daran zweifeln, daß dieser große Gedanke Sie nicht schon beschäftigt hat, denn Ihr Schöpfergeist umfaßt alles und vergißt nichts ... Sie können die Zeit fesseln, die Ereignisse beherrschen, die Ehrgeizigen entwaffnen, ganz Frankreich beruhigen, wenn Sie ihm Institutionen geben, die Ihren Bau befestigen und den Kindern erhalten, was Sie für die Väter getan haben«.

Dieser Geist des Konservativen spricht aus dem Werke des Franzosen, das uns jetzt vorliegt. Es sei gleich gesagt, es ist kein Werk ersten Ranges, aber es ist eines, daß in seiner Art einen hohen Rang einnimmt und das den Deutschen viel geben kann, da es aus einer Geistesrichtung gewachsen ist, die in Deutschland stets verstanden wurde, der Liebe zur Scholle, der Treue zu sich und von hier aus auch aus der Treue zum Vaterland. Wer der Schöpfer ist, ob er jung, ehrgeizig oder ehrmüde ist, ob er sich nach Unerreichbarem sehnt oder am Gegebenen sich genügen läßt, ob er gesund ist oder leidend, wird aus dem umfangreichen Roman nicht offenbar. Bei den Werken der Proust, Radiguet, Duhamel kann man die Hand sehen, die die Linien zeichnet, und aus den Konturen der Hand ahnt man das Gesicht, den Gang, die Gesinnung der Männer, bei einem, Radiguet, fühlt man sogar den ganz singulären, einzigartigen Duft, der das körperliche und seelische Sein des todumwehten Jünglings umgibt – nichts davon bei Chateaubriant. Dafür aber der Duft des Landes, sein Licht, seine Pflanzen, seine Tiere und ihre Rufe bei Tag und Nacht. Es ist ein Roman über dem Selbstverständlichen, also ein Buch der Abenteuer, ein Werk seltsamer, schwerer, erdgebundener Begebenheiten, wie sie schon der Titel »Schwarzes Land« andeutet. Schweres Land, schweres Leben, schwere Seelen. Ein alter Mann der Held, Flurwächter, gutes und böses Gewissen der Landschaft, strenger Vater, harter Gatte, starkes, mutiges, unzerreißbares Herz. Herrlich leibhaftig die Landschaft, die große Mutter der wortarmen Menschen, die mit tausend Stimmen spricht, die unnachahmlich wiedergegeben werden. Schlamm, Schilf, Salzseen, Torf, Heide, Moor. »An ihnen vorüber zogen die falben Weiten der Weideplätze, nackt wie die Wüste, dünn bestanden, verbrannt und baumlos; vorüber zogen ein paar sich scharf abzeichnende Sträuße Stechginster, dann Himmel, die aussahen wie Torfbündel – und schon tauchten weiter unten im Dunst verschwimmender Gemarken einige hellgelbe Flecken auf: das schilfumzäunte Dschungel der Brière.« Mitten in diesem uferlosen, weitverlorenen Gelände gibt es aber versteinertes Holz, das man »Mortas« nennt. »Auf den Uferrändern reckte manchmal ein großer, ausgedörrter Körper Reste von ungeheuren Armen zum Himmel empor; es war ein Mortas; köstlich einsam lag er im Torfmoor – war es Eiche, war es Buche? –, lag dort wohl schon seine zweitausend Jahre, dieser Stamm aus der Urzeit mit dem Herzen, das schwärzer war und härter als Ebenholz. Überall wogte das Schilf, die Heimat der wilden Vögel, dann und wann blinkten bleiche Weiher aus diesem Dschungel hervor, dann tauchen neue Inselchen auf, neues Röhricht schießt empor, es erscheinen andere Gewässer, und so scheint die Brière kein Ende zu haben, scheint weiter zu reichen bis zu den letzten Nebeln unter der ungeheuren Kuppel der Atmosphäre ...« Mit gemessener Sachlichkeit, mit gewaltigem Ernst erfaßt Chateaubriant die Landschaft von innen: Er macht das Kleine groß, den alten Flurhüter Aoustin, den Helden des Buches, macht er zum Helden, er richtet ihn nicht, er zeichnet ihn nur in seiner ganzen Düsterkeit, seiner wortlosen, erschütternden Stärke, an der sich die ganze neue Zeit bricht. Paris gegen die Brière, das ist dieses Buch »Schwarzes Land«. Jugend gegen Alter, Fülle gegen Starre, Bleibendes gegen Blühendes. Denn Aoustin ist nichts anders als ein Stück versteinerten Seelenholzes, das unzerstörbar, unmenschlich und siegreich gegen alles, selbst gegen das eigene Herz hineinragt in die fremde Welt. Wenn dieser Mann durch menschliche Feindschaft den rechten Arm verliert und das Amt des Feldhüters, Feld-Herren verliert, wenn er in seiner Hütte gott- und menschenverlassen hockt, halb wie ein verwundeter Raubvogel, halb als trotzendes unzerbrechbares Stück Leben, wenn er dann aus einem Stück Mortas sich das innerste, härteste Kernstück herausmeißelt mit dem gesunden Arm, wenn er mit Seilen den Block aus seiner Höhle zerrt, bis die Knochen im dürren Leibe krachen, der Schweiß über die niedrige, harte Stirne strömt, bis er endlich die Materie überwindet und eine neue Hand sich aus dem Boden seiner Heimat schnitzt, so ist da ein Stück Wirklichkeit und ein Stück Dichtung zugleich, ein herrliches Stück Leben, vergleichbar von weitem den unsterblichen Schilderungen der Ilias über das Werden des Schildes des Achill.

Hier ist kein Als-ob, hier ist Strenge, Gewißheit, ruhige Übermacht. Das junge, liebreizende Töchterchen des Helden zerbricht, alles stürzt, geht hinab, der Alte bleibt, kennt keinen andern Gott über sich als den Tod, das natürliche Ende. So wie der Mortas das natürliche Symbol des Werkes ist, so ist Aoustin das lebendige Symbol des oft totgesagten Frankreich. In diesem Sinne wird das Werk seine Bedeutung nicht verlieren, und für sein Land wird es, wenn auch in beschränktem Maße, zu dem Bleibenden gehören.


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