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Georges Duhamel, zwei Freunde

Die schönste Liebesgeschichte zwischen Männern ist Georges Duhamels Roman »Zwei Freunde«, der eben im Propyläen Verlag, Berlin, veröffentlicht wird. Es ist das Kristall einer solchen Liebe, das sei gleich gesagt, und nicht ihr Fleisch, man kann daher das Buch jungen Mädchen ruhig in die Hand geben, und alte Damen werden nichts Anstößiges in ihm finden. Die besonderen Eigenschaften, die dieses Kunstwerk aufweist, liegen auf einer ganz andern Höhe: Wenn von einem Werk gesagt werden kann, es sei alles noch Natur und doch alles schon Kunst, trifft es auf dieses Meisterwerk zu. Das Problem ist von den zwei größten französischen Romandichtern, von Balzac und Flaubert, erfaßt worden, erschöpft ist es von keinem, denn es ist an sich nicht erschöpfbar, jede Zeit, jedes Land, ja, jedes Individuum wird in der Begegnung zweier Männer neuen Raum finden, sich zu entfalten. Hier ist die Entfaltung erotisch, wenn erotisch heißt Begegnung nackter Seelen, es ist aber nicht sexuell, wenn Sexualität heißt Berührung nackten Fleisches. Man hätte es zugleich erotisch fassen und sexuell durchführen können, dann wäre wohl der Ausgang ins Tragische gefallen, während er in Duhamels Buch traurig, ruhig, verlöschend ist, wie das wirkliche Leben selbst, das nicht mit dem dramatischen Augenblick des Sterbens, sondern mit dem epischen Unendlichkeitswort Tod zu Ende ist.

Es ist ein Roman von zwei Männern, zwei durchschnittlichen Bürgern, einem dicken und einem dünnen, einem mehr männlichen und einem mehr weiblichen, einem schönen Mann und einem mißgestalteten. Wer zweifelt daran, daß der Schöne liebt und der Häßliche geliebt wird? Beide sind verheiratet, glücklich in ihrer Ehe, der eine erfolgreich im Beruf und im Besitz der »guten Methode« und eines starken Lebenshungers, der andere ein Unterdrückter, der, bevor noch ihn die andern unterdrücken, sich selbst unterdrückt, einer, vor dessen Augen nichts Gnade hat, auch die Freundschaft nicht, die mit der Milch der Dürftigkeit getränkt und mit dem Brot der Bitterkeit gefüttert ist. Hinter diesen meisterhaft aus sich selbst entwickelten Naturen versinken die literarischen Heroen Balzacs und Flauberts. Nicht, daß hier ein Vergleich zwischen jenen gewaltigen Schwertgeistern und dem feinen Duhamel gewagt sei, bloß das Gefühl sei hervorgehoben, das Duhamel bietet und das Flaubert versagt, das Gefühl: Du bist es selbst, zwei Seiten deines asymmetrischen Gesichtes, dein eigenes Tag und Nacht, dein eigenes verzagendes »Wenn« und dein trotz allem überzeugtes, lebensstrahlendes »Aber«. Eines hat Duhamel mit Flaubert gegen Balzac gemeinsam, die lautlose Vernichtung der Frau. Bei Balzac ist Gold die erste Realität, Macht die zweite, Ruhm die dritte, die Liebe aber, Eros, ist die höchste Gewalt, die reinste letzte Beseligung, das höchste Menschengebot und die niederste sinnliche Forderung zugleich. In »Glanz und Elend der Kurtisanen« hat uns Balzac zwei Freunde von großem Format gezeichnet, Lucien de Rupembré, den schönsten Mann seiner Zeit, den Dichter, das Ehrenschild der Nation hier, und dort den von seelischen und leiblichen Narben zerfleischten Vautrin, den großen Herren über den Willen der Menschen, den Verbrecher aus Größe, den Napoleon unter den Galeerensklaven. An Frauen muß der Bund der zwei Männer zerbrechen, Lucien stirbt, und Vautrin wird Diener der Polizei und Spion, Bürger und Agent. Vor seinem Abschied von sich selbst, an der Wende unerhörter Abenteuer aus Blut und Gold, Gefühl und Gemeinheit sagt Vautrin: »Ein Frauenzimmer seufzt ein bißchen –, und denen, die über unser Schicksal und das der Völker entscheiden, dreht sich der Verstand um wie ein Handschuh. Ein Blick – und sie verlieren den Kopf. Ein Rock, ein bißchen höher, ein bißchen tiefer gerafft, und sie laufen verzweifelt durch ganz Paris. O wieviel Kraft gewinnt ein Mann, wenn er sich, wie ich, dieser kindischen Tyrannei, dieser Leidenschaft, die alle Anständigkeit umstürzen kann, diesen treuherzigen Schlechtigkeiten und all diesen Heimlichkeiten von Wilden entziehen kann. Die Frau mit ihrem Henkergenie und ihren Foltertalenten ist und bleibt immer das Verderben des Mannes.«

Bei Duhamel ist die Frau etwas ganz Unschuldiges, man kann sich nicht über sie beklagen, sie ist, so schrecklich es klingt, der »gute Kamerad«, der »Gefährte« geworden, in dessen Armen der Mann sich die Sehnsucht und die ewig wunde Enttäuschung über den Verlust des Freundes vom Herzen weint! Kann man das verstehen? Aber es ist so, und zwar nicht bloß bei Duhamel, den man als gar zu menschlich, als zu überhuman abtun könnte angesichts seines herrlichen Buches, das er den im Krieg gefallenen Tieren gewidmet hat, nein, auch aus Amerika kommt in einem repräsentativen Buch der gleiche Ton, bis auf eine Schwebung genau, ich denke an Sinclair Lewis »Babbitt«, in dem aus den furchtbaren Verzweiflungen eines bis ans Tragische gesättigten, übersättigten Spießertums nur die eine Sehnsucht bleibt nach dem Freund. Auch da fehlt nicht der feinste, nur mikroskopisch wahrnehmbare Zug in der Seele dessen, der im Augenblick schlechter steht, d.h. mehr liebt, sein Versagen und Verstummen vor dem andern, der dafür das Recht hat, das Recht, das in der Liebe nie gilt, daß ihn das »Unbesiegbare« tiefer trifft, daß er unrettbar an einer anderen Existenz hängt. – Und gerade in dieser Unrettbarkeit muß der Liebende, der Mann, der Lebende das einzig Feste sehen, abseits vom Geldverdienen, Erfinden, Streben und Entdecken, Autofahren, Kinderzeugen und Kindererziehen, in den Klub Gehen, politisch Wählen, in Versammlungen und im Familienkreise Sprechen und wie die andern »Als-ob«-Obliegenheiten des Menschen von 1925 lauten. Auch in dem Roman des Amerikaners hat die Frau die große Gabe des Trostes, sie beschwichtigt, sie versteht, sie kann (wie weit sind die Frauen gekommen!) schweigen und lieben, nicht anders als Cordelia und ebensowenig gewürdigt. In Sinclairs Roman ist es eine dick gewordene Amerikanerin, ein etwas schwachsinniger, fleißiger, besorgter Hausgeist, Prototyp der Gartenlaube, bei Duhamel, noch ergreifender, ist es ein namenloses, niedliches, haushälterisches und frohsinniges Etwas, das der Held bei schlechtem Wetter auf der Straße aufliest und dann ungestraft sein ganzes Leben wie ein weißes, stubenreines Kätzchen bei sich behält und das selbst durch Leckerbissen, Ehefrieden und seidene Kleider nicht übermütig wird. Aber was das bessere Teil im Helden verlangt, kann dieses raschelnde Ding mit den hübschen Beinen und den großen Augen nicht geben, auch der Beruf gibt es nicht, nicht der Erfolg, nicht der treibende Impuls des Daseins, nicht das schon völlig zur Kulisse gewordene Paris. Der Held des Buches mag den besten Appetit auf das Leben haben, er mag die Genüsse mit der leidenschaftlichsten Anteilnahme betrachten – solange sie im Schaufenster liegen, reizen sie ihn, hat er sie aber erreicht, bleibt er ungesättigt, gierig nach Erfüllung zurück, Erfüllung im wahrsten Sinne des Wortes, im metaphysischen, wie eine Seele nach Glauben hungert, oder im tiefsten physischen, wie ein weiblicher Leib nach einem Kinde hungert in den blühenden Jahren der heißer atmenden Jugend, in den Tagen der wartenden Fülle. Über die erste Begegnung dieses Sehnsüchtigen mit dem Verbitterten, über die tausend Wandlungen ihres Gefühls, über die stillen Freuden, das plötzliche Jungwerden, das Aufatmen, wenn man nebeneinanderher geht und nichtssagende Redensarten wechselt – was ist Wort – alles ist das Gefühl, einzig ist es das Gefühl, das die auseinanderstrebenden Teile unserer armseligen Existenz zusammenhält, und weil dieses Gefühl etwas Heiliges ist (das letzte Heilige vielleicht), deshalb ist dieses Buch an vielen Stellen legendarisch wie eine Heiligenerzählung, und da dieses Gefühl aus sich selbst kommt und geht, ist es lächerlich, kläglich und erschütternd in beidem. Man sagt nicht zuviel, wenn man viele Seiten dieses Buches unvergeßlich nennt.


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