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Klaus Mann, der fromme Tanz

»Ich zolle der allgemeinen Autorenschwäche meinen Tribut – und wende mich an den Leser. Man tut dies meistens, um sich die Gunst und das Wohlwollen ...« So beginnt nicht der junge Klaus Mann, sondern der große Leo Tolstoi die ersten Einleitungsworte seines herrlichen Buches: Jugenderinnerungen: Kindheit, Knabenalter und Jünglingsjahre. Selten hat sich die Neigung des großen Mannes, sich an den kleinen, namenlosen Leser anzunähern, unverhüllter dokumentiert als in den erwähnten Einleitungsworten, die kein Werk weniger nötig hat als dieses, vielleicht das reinste, lebensechteste Tolstois, in dem die Erde des Lebens schon Nahrung wird, bevor sie noch zur Getreideähre, zum Mehl und Brot geworden ist. Unverbrauchter Urstoff des Lebens mühelos aneinandergebunden, den herben, aromatischen, durch nichts anderes ersetzbaren Duft der Erdkrume ausstrahlend, ausatmend, derselben Erde, die unser Ende ist und unser Anfang, in andern, neueren Geschlechtern ... Weshalb wirbt dann der große Erdenmeister Tolstoi, der unvergängliche, um den Leser, der eine solche Bitte nicht erwartet? »Jeder aufrichtig ausgesprochene Gedanke, so kompliziert er auch sein mag«, sagt Tolstoi, »jedes mit Deutlichkeit wiedergegebene Phantasieprodukt, so sinnlos es auch sein mag, muß Widerhall in irgendeinem Herzen finden. Wenn es in einem Kopfe entstehen konnte, so muß es unbedingt auch einen zweiten geben, der es verstehen wird. Darum muß jedes Werk gefallen, aber nicht in seinem ganzen Umfange und nicht bloß einem Menschen ...«

Was man bei dem Großmeister erschütternd findet, rührend wirkt es, dieses Bitten um Gunst, bei dem jungen Sohne des Thomas Mann, Klaus Mann, dessen umfangreicher Roman: »Der fromme Tanz, das Abenteuerbuch einer Jugend« jetzt in einer schön gedruckten Ausgabe des trefflichen Hamburger Verlegers Enoch vorliegt. Wie Tolstoi wirbt er persönlich um seinen Leser, und wenn Tolstoi hofft, es werde außer ihm doch noch eine Menschenseele finden, der sein Werk gefällt, beginnt Klaus Mann damit, seinen Zweifel auszusprechen, ob sich ein »guter« Leser finden wird, ja, der Zweifel setzt noch einen Augenblick früher ein, denn er stellt die Berechtigung des Autors selbst in Frage, ein Buch zu schreiben wie dieses. »Zuweilen will es mir beinahe vorkommen«, sagt er, »als sei es an sich und von vornherein schon ein Zeichen von Rückständigkeit und Melancholie, als junger Mensch heute überhaupt noch Bücher zu schreiben. Das Interesse für Literatur bei der Jugend darf länger nicht überschätzt werden. Ich glaube, daß sich nur bei Vereinzelten noch Enthusiasmus für die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Buches findet. Andere Dinge sind es, die im Vordergrunde stehen ... Vielleicht soll das Pathos und das Problem dieser fragwürdigsten und hoffnungsseligsten ›Nachkriegsjugend‹ überhaupt nicht gestaltet, nicht geformt und durch das Werk verewigt werden. Vielleicht hat diese Generation kein für sie eigentlich charakteristisches Werk bis heute hervorgebracht, aus dem einfachen Grunde, weil, allem Anschein zum Trotz, kein Bedürfnis in ihr ist nach einem Werk.«

Hier ist zweierlei möglich: Entweder meint Klaus Mann, der Generation, die er meint, fehle das Bedürfnis, sich darzustellen, oder er meint, es fehle ihr das Bedürfnis, sich dargestellt zu sehen. Die eine Frage ist die Frage der Auflage und des persönliches Aufsehen erregenden Erfolges, die andere Frage ist die des Zwanges zur Darstellung, eines Zwanges, den man früher oft mit dem Zeugungsdrang verglichen hat, und der, wie dieser, im Augenblick seiner stärksten Entflammung nicht auf die »Folgen« bedacht ist, sondern der sich nur wie eine im Kreisen befindliche Feuerwerkskugel strahlend und sternartig versprühend zu Ende leben will, wenn auch unter Zerstörung seiner selbst. Gerade das Selbstfeindliche, um nicht zu sagen, Selbstmörderische ist allen sogenannten »jungen« Generationen eigen, und man sieht es selbst bei dem glückgesegneten Goethe nach den ersten spielerischen Gedichten beim »Werther«. Dieses Werthertum war eine Goethe eigene Lebensform. Eine nur von vielen. Aber eine, die sich im Werk bis zum letzten zu Ende lebte, daß viele Menschen, wie zum Beispiel Napoleon, im weimarischen Jupiter-Goethe nur die sterblichen Überreste des Dichters eines »Werthers« sehen mochten. Für sie war die Gleichung: Goethe ist gleich Werther bestimmend. Um sich darüber klar zu werden, ob es den Autor mehr nach Selbstentfaltung, Selbstverherrlichung, Selbstverewigung und Selbstvernichtung verlangt oder ob es ihn mehr dazu treibt, ein »vitales« Bedürfnis im Lesepublikum zu befriedigen, nimmt man das Buch zu Hilfe. Aber je länger man liest und sich der natürlichen Anziehungskraft des Werkes hingeben will, desto deutlicher wird, daß dieses Werk nicht genügt, um sich über diese Grund- und Kardinalfrage klar zu werden. Wir können nicht sagen, ob dieser »fromme Tanz« nur Repräsentationswerk einer sich selbst zu ihrem Unheil nur zu oft und gar zu nahe spiegelnden Generation ist oder ob diese Abenteuer einer Jugend aus dem Streben kommen, sich selbst zu erleben und sich, wenn auch die Kraft zur Selbstdurchdringung (die immer Selbstzerstörung ist) fehlt, wenigstens zu enthüllen und körperlich-geistig zu entkleiden. Mein Gefühl geht eher dahin, daß es dem jungen Klaus Mann ernst um seine Aufgabe gewesen ist und daß er auf jeden Fall sein übervolles Herz mitbringt. Was echt ist, was nicht, was für die Zukunft Gültigkeit hat oder was von innen heraus verfallen wird und muß, wer will es bei einem jungen Menschen, nicht nur dieser Nachkriegsgeneration, sondern bei jeder jungen Generation entscheiden, solange jedes junge Wort einen Zauber hat, dem man sich nicht gern verschließt? Man erinnert sich einer anderen Beichte, eines anderen frommen Tanzes, die einer der herrlichsten, freudig-wehmütigsten Geister ausgesprochen hat, sein Ohr an sein Herz gepreßt, als Beichtvater seiner selbst, es ist die »Beichte eines Kindes seiner Zeit« von Alfred de Musset. Auch hier die Klage über die verlorenen, von Krieg und Wirrnis beschatteten Jugendjahre, die bittere Wirklichkeit, der großen gesunden Väter, der kranken schwachen Kinder, die dem kleinen huschenden, verflogenen Traum nachweinen. Man wird dem Buche des Klaus Mann am ehesten gerecht, wenn man es nimmt, als das, was es ist, nicht als das, wofür es sich gibt. Nichts von frommem Tanz ohne Frömmigkeit! Nichts von Abenteuer einer Jugend ohne ein einziges echtes Abenteuer. Denn was ist Abenteuer? Doch nichts anderes als von sich lassen, wegreisen von sich, sich hingeben, Orient, Gefahr, Sturz durch die soziale Stufenleiter oder eine Fahrt den Nil herauf, die tote Heimat im Rücken, wie beim jungen Flaubert oder wie bei Tolstoi, die Reiterlaufbahn, wüstes Leben als Offizier, oder bei Balzac die hungrigen ehrgeizigen Tage in seiner Dachkammer bei Brot und Wasser, aber schon unter der künstlichen Sonne des Ruhmes, ein Corneille zu werden und Berater der Fürsten. Hier bei Klaus Mann ist nichts vom hohen Flug des Menschengeistes, der willig den Boden zu seinen Füßen abstößt. Wenn dagegen etwas für dieses Werk charakteristisch ist, so ist es das Suchen nach seelischer Bestimmung, nach dem Sinn, es ist also, wenn man schon die alte Einteilung nicht verlassen will, kein Abenteuerroman, sondern ein Entwicklungsroman.

Der Inhalt ist folgender: Ein junger Mensch, Maler ohne besonders große Fähigkeiten, in seinem Gefühl homosexuell, aber nicht auf die heterosexuelle Liebe verzichtend, verläßt das Haus des Vaters, die Nähe der Braut, seine Heimatstadt und seinen Beruf, um sich in anderen Lebensumständen wiederzufinden. Das ist das Grundgewebe, auf dem sich die Zeichnungen der Nebenfiguren abheben. Diese scheinen besser geglückt als der Held, von dem entweder zu viel oder zu wenig gebracht wird. Deutlich werden zwei junge Männer, einer, den unser Held liebt, einer, von dem er geliebt wird. Hier ist offenbare Begabung zur Charakterisierung nicht zu verkennen. Besonders die Figur des Niels in ihrer unnahbaren Glätte, die aus dem widerwärtigsten Schmutz ohne sichtbare Flecken hervorgeht, bezeugt dies mit Sicherheit. Auch in den besinnlichen Teilen des Romans finden sich Stellen, die weiterführen. Denn es muß etwas weitergeführt werden. Die bloße Tatsache der homosexuellen Beziehungen zwischen drei oder dreißig jungen Männern »von 15–20 Jahren« erregen weder Spannung noch bieten sie besondere Möglichkeit zu dichterischer Entfaltung. Tragisch wirkt das Problem der Homosexualität erst dann, wenn es sich bewußt gegen die Gesellschaft stellt, etwa bei Balzac in seiner Männerehe Vautrin Rubempré, oder wenn die Lebensinteressen einer Gemeinschaft durch die Sterilität alles Homosexuellen bedroht würde. Hier bei Klaus Mann wird diese Unart zu ernst genommen. Die Formen, unter denen sie sich abspielt, sind die einer höflichen Prostitution. Das Furchtbare dieser urbanen Formen im Gegensatz zu dem wenig furchtbaren, weil Gewohnheitsmäßigen, eben nur Unartigen des Gegenstandes, ist dem Autor kaum zu Bewußtsein gekommen. Wenn man irgendwo die Kriegsfolgen sieht, so hier, in der Selbstverständlichkeit und der Unverhülltheit dieses Liebesmarktes, Gefühlskommunismus. Es ist ein gutes Zeichen bei dem Autor, daß er über das Selbstverständliche, also über das Banale und sogar schon kitschig und gefällig gewordene dieser Beziehungen herauswächst, und in diesem Sinn möchte ich noch eine Stelle des Buches zitieren. »Dies Lächeln verstand: Vereinigung mit dem geliebten Körper ist uns niemals gegeben, des Menschen Körper ist alleine für alle Ewigkeit. Blieb aber diese Liebe, die also auf des Geliebten Besitz verzichtet hatte, groß genug, so konnte sie vielleicht dem geliebten Körper helfen in seiner Einsamkeit. Das war mehr, als sich sagen ließ ... So galt es, einen zu finden, dem man alles gab, ohne ihn zu besitzen, dem man helfend treu blieb bis zum Tod, ohne ihn zu besitzen ...«

Dies ist aber der Standpunkt des Liebenden nicht mehr, sondern der des Erziehers. In diesem Sinne einer großen Erziehungswelle, die man in Amerika »Education« als Sammelbegriff nennt, wird in den Vereinigten Staaten vieles neu geschaffen.


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