Louis Weinert-Wilton
Der Teppich des Grauens
Louis Weinert-Wilton

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26

Die Nacht war stockdunkel, so daß Reffold unter den dichten Bäumen auch nicht einen Schritt weit zu sehen vermochte, aber Bob, an den er sich hielt, glitt mit einer solchen Sicherheit zwischen den Stämmen hin, daß sie verhältnismäßig rasch vorwärtskamen.

Harry hatte das Auto in Stames zurückgelassen und war mit Bob in flottem Marsch bis an den Nordwestrand des Waldes gewandert, den sie nun nach Süden durchschritten.

Nach etwa einer halben Stunde machte Bob plötzlich halt und schien sich zu orientieren.

»Müssen jetzt links, Sir«, flüsterte er nach einigen Augenblicken. »Haus sein dort drüben.«

Reffold hielt ihn für einige Sekunden fest und sah auf das leuchtende Zifferblatt seiner Uhr. Es ging gegen halb neun, und da der Wald hier ungefähr zwei Meilen breit war, mußten sie die Lichtung an der Straße lange vor der festgesetzten Stunde erreichen. Sie konnten sich also Zeit lassen.

»Bist du auch sicher, Bob, daß wir nicht irregehen?«

Der Schwarze gluckste belustigt, und Reffold sah ein Paar leuchtende Augen, und darunter einen breiten, weiß schimmernden Strich vor sich.

»Oh, Bob sein sehr sicher, Sir, wenn Bob schon sein gewesen wo, Bob auch schon riechen Haus.«

»Na, alle Hochachtung vor deiner Nase«, meinte Harry. »Die kannst du meinetwegen auch weiter offenhalten, aber die Augen und den Mund mach hübsch zu, sonst wäre es möglich, daß dir plötzlich eine Kugel zwischen deine Augen oder in dein hübsches Gebiß fährt. Das wäre jammerschade.«

»Oh, nix schade, weil nix Kugel«, kicherte Bob vergnügt. »Bob machen Augen so klein, daß nix leuchten und zeigen nur schwarzen Mund, daß sein ganz so wie Baum.«

Reffold konnte sich nicht genug über den sichern Instinkt wundern, mit dem ihn Bob, ohne auch nur einmal von der eingeschlagenen Richtung abzuweichen, ans Ziel brachte.

Die letzte Strecke legten sie in einem etwa mannstiefen, nach allen Richtungen sich verzweigenden Graben zurück, der sich erst zwischen ziemlich spärlichem Baumbestande hinzog und dann über eine leicht ansteigende Abholzung hinlief.

Hier machte Bob etwa in der Mitte halt und deutete nach vorn. »Sehen Sie Haus?«

Harry bemerkte auch nicht die Spur von dem Trümmerhaufen, sondern sah nur, daß sich etwa zehn Schritt vor ihnen wieder die dunkle Waldwand erhob und daß hinter ihr ein etwas lichterer Schimmer lag.

»Bob sehen schwarz Punkt, was sein Haus«, tuschelte der Neger wichtig. »Wenn Sir machen Augen zu und auf und zu und auf, sehen Sir auch. Wald nur sein breit fünfzig Schritt bis Haus, und Bob sehen alles.«

Reffold versuchte es, wie Bob ihm geraten, aber solange er auch die Augen geschlossen hielt und so angestrengt er dann auch in das Dunkel starrte, er vermochte nicht das geringste zu unterscheiden.

Er mußte sich also völlig auf den Schwarzen verlassen, der ihren Standort mit der Genialität eines Busch-Strategen gewählt hatte. Sie waren nach allen Richtungen gegen eine Überrumpelung gesichert, hatten, allerdings nur mit den Katzenaugen Bobs, überallhin freie Sicht, und der Graben bot ihnen die Möglichkeit eines ungefährdeten Rückzuges.

»Gut gemacht, Bob«, raunte Reffold befriedigt und klopfte dem Schwarzen auf die Schulter. »Wenn wir heil in Stames anlangen, setzt es für dich zehn Pfund.«

»Zehn Pfund, ho . . .« Bob gurrte vor Wonne und machte seinem Entzücken in allen möglichen Verrenkungen Luft. »Zehn Pfund sein fein Ticktack mit fein Kett . . .«

»Eine Uhr mit Kette willst du dir kaufen?« fragte Reffold, der das Kauderwelsch seines Schwarzen schon kannte. »Die bekommst du obendrein, wenn alles gut geht. Aber nun halte den Mund und passe scharf auf, sonst kriegst du statt der Uhr mit Kette einen Strick um den Hals.«

Es verstrich aber wohl eine Stunde, ohne daß die scharfen Sinne Bobs irgend etwas Verdächtiges wahrgenommen hätten, und Reffold wurde immer nervöser. Hatte der Geheimnisvolle es sich anders überlegt, oder war das Ganze eine geschickt gestellte Falle, in die er trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bereits geraten war?

Da fühlte er Bobs Hand auf seinem Arm.

»Dort sein Mensch und dort sein auch Mensch«, lispelte der Schwarze und deutete nach vorn unter die Bäume. »Dort drei Mensch und da drei Mensch.«

Die Stellen, nach denen der Neger wies, lagen etwas links und rechts von den Trümmern des Wildhüterhauses, und wenn Bob mit seiner Beobachtung recht hatte, so wären sie dort in eine nette Patsche geraten.

Harry griff in seine Manteltasche und neigte sich dicht zu Bob. »Die Pistole . . .«, flüsterte er. »Wenn sich einer zeigt, so brennst du ihm eins drauf. Aber keinen Laut.«

Er entsicherte seinen Browning und lehnte sich an die Grabenböschung.

»Wie lange, glauben Sie, daß ich noch warten werde?« hallte plötzlich seine Stimme durch das nächtliche Schweigen. »Ich finde es hier verdammt ungemütlich, und wenn Sie mir etwas zu sagen haben, so beeilen Sie sich gefälligst.«

Sogar Harry vernahm die hastige Bewegung, die seine Worte dort drüben auslöste, und er glaubte auch hier und dort einen Schatten huschen zu sehen.

Aber schon nach wenigen Augenblicken trat wieder völlige Stille ein, und Reffold hörte nur noch das leise Fauchen Bobs, der seinen Kopf ununterbrochen nach links und rechts drehte. Plötzlich aber zog er ihn ein und schob die Hand etwas vor. Dann gab es einen leisen, klatschenden Ton, dem vom Waldrand her sofort ein unterdrückter Fluch folgte.

»Verdammt . . . Das Schwein schießt«, brummte eine Stimme.

»Zurück«, scholl es in diesem Augenblick befehlend unter den Bäumen hervor.

»Sehr vernünftig«, rief Reffold hinüber. »Wer die Nase herausstreckt, bekommt so ein Ding in den Leib. Sie gehen zwar nur bis ins Fleisch, aber wenn man sie herausklauben will, muß man ein ganz tüchtiges Loch machen.«

Eine Weile blieb es im Wald still; man schien dort Kriegsrat zu halten.

Dann ließ sich wieder die befehlende, seltsam harte und schleppende Stimme vernehmen, die vorher den Rückzug angeordnet hatte. »Weshalb haben Sie sich nicht an dem Platz eingefunden, den ich bestimmt habe?« fragte sie scharf.

»Weil ich nicht so einfältig bin, wie Sie anzunehmen scheinen, mein Lieber«, erwiderte Harry heiter. »Ich bin auch nicht etwa gekommen, weil Sie es befohlen haben, sondern weil mir die Sache Spaß macht. Mich interessieren so großmäulige Burschen wie Sie außerordentlich und ich bin neugierig, was Sie mir zu sagen haben.«

Der Mann drüben ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Es ist sehr wenig, und Sie werden gut daran tun, wenn Sie es ernst nehmen. Geben Sie die Beute aus dem Kastanienhaus heraus. Die Juwelen und die Hälfte des Geldes. Das andere können Sie behalten.«

»Sehr nett von Ihnen, aber leider unmöglich«, erwiderte Reffold höflich. »Ich habe alles schon untergebracht.«

»Machen Sie keine Ausflüchte«, kam es herrisch und drohend zurück. »Meine Geduld wird bald zu Ende sein.«

»Das wird mich freuen, denn wahrscheinlich werden Sie dann eine Dummheit machen. Jedenfalls bekommen Sie aber die Sachen auch dann nicht, denn die sind an einem Ort, wo sie vor Ihren langen Fingern sicher sind . . .«

Harry hatte kaum ausgesprochen, als er Bobs Pistole rasch hintereinander zweimal knacken hörte, worauf sich unter den Bäumen ein aufgeregtes Gemurmel erhob.

Eine Sekunde später zuckte aus dem Dunkel ein Blitz, dann noch einer und ein dritter, und irgendwo in die Lichtung pfiff unter scharfem Knall ziellos Kugel auf Kugel.

»Nicht schießen, ihr Hunde«, hörte Reffold die scharfe Stimme in höchstem Diskant rufen, dann beugte er sich zu dem Neger, der fanatisch in den Wald schoß, und rüttelte ihn energisch.

»Es ist Zeit, daß wir uns davonmachen, Bob. Den Burschen beginnt die Haut zu jucken, und sie werden ungemütlich. Ich hatte zwar gehofft, daß wir mehr ausrichten würden, aber schließlich hatten wir unseren Spaß, und sie haben ihren Denkzettel. Also vorwärts!«

Lautlos und sicher und weit rascher, als sie gekommen, legten sie den Weg durch den Wald wieder zurück. Von Zeit zu Zeit machte Bob für einige Sekunden halt und lauschte in die Nacht, und als sie die letzten Bäume erreichten, schlüpfte er, auf dem Boden kriechend, ins Freie und hielt dort wenigstens eine Viertelstunde Umschau.

Dann winkte er Reffold lebhaft, und während des ganzen Weges nach Stames schüttelte er sich vor Lachen.

»Oh, Bob schießen viel und schießen fein. Bob schießen in Arm und Fuß und Bob immer treffen. Und Bob kriegen zehn Pfund und Ticktack mit Kett. Oh, Bob sein fein vergnügt . . .«

Es war gegen zwei Uhr, als Reffold, die Hand unausgesetzt am Revolver, auf Umwegen zu seiner Pension schlich und schließlich schattenhaft in dem kleinen Hofpförtchen verschwand. Er wußte, daß er von heute an jeden Augenblick eine Kugel oder einen Messerstich zu gewärtigen hatte, und war auf seiner Hut. Er hatte es sich bereits bequem gemacht und war eben dabei, nach den Aufregungen des Tages in aller Ruhe eine Zigarre zu rauchen, als er plötzlich den Kopf hob und angestrengt lauschte. Dann war er mit wenigen raschen Schritten bei der Tür und knipste das Licht aus.

Er hörte nun ganz deutlich ein leises Geräusch, und als er vorsichtig öffnete und in den Korridor spähte, gewahrte er eine mittelgroße, schlanke Gestalt, die auf den Fußspitzen dem jenseitigen Ende des Ganges zuschlich.

Vor der vorletzten Tür, die zu den Zimmern Oberst Gregorys führte, machte der Mann halt und schickte sich an sie zu öffnen. Er ging dabei äußerst behutsam, aber etwas ungeschickt zu Werke, denn er benützte nur die linke Hand, während er die rechte krampfhaft in der Tasche des dunklen, hochgeschlossenen Wettermantels verborgen hielt.

Als Reffold die Tür leise zugedrückt und das Licht wieder angedreht hatte, lag in seinen Mienen ein Zug der Überraschung und Ratlosigkeit, und er zerbrach die Zigarre mit einem kräftigen Druck zwischen den Fingern.


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